Quo vadis Erfurt

Foto Bernd Oei: Die Gera durchfließt die thüringsche Landeshauptstadt Erfurt; sie hat ihre Quelle in Plauen und ündet nach 85 km in der Unstrut. Der gebürtige Erfurter Soziloge Max Weber schreibt: „Die Menschen sehnen sich nach Authentizität, nach Glaubwürdigkeit und nach sachlicher Leidenschaft.“ Eichendorf sagt Heimat ist.wonach wir uns alle sehnen und niemand weiß, wo sie liegt.

Goethe in Erfurt

„Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen“ Goethe kam erstmals als 16-Jähriger nach Erfurt. Später folgten 52 längere Aufenthalte, während derer er im „Geleitshaus“ wohnte und arbeitete. Er reiste regelmäßig – sowohl aus dienstlichen als auch privaten Gründen – und gern nach Erfurt und es gefiel ihm so gut, dass er die Stadt als „thüringisches Rom“ bezeichnete. 

1808 fand in der ehemaligen kurmainzischen Statthalterei, heute die Thüringer Staatskanzlei, der geschichtsträchtige Fürstenkongress statt. Hier traf Goethe erstmals auf Napoleon. In der Folge war er 1811 zu dem anlässlich von Napoleons Geburtstag ausgerichteten Musikfest in Erfurt zu Gast.

Im „Haus Vaterland“ lagen Goethes Erfurter Amsststuben,. Das Haus Dacheröden, nach der es bewohnenden Familie benannt, wurde oft Begegnungsort zwischen dem deutschen Nationaldichter und der Honorationenfamilie; so war Caroline Dachröden die Ehefrau von Wilhelm von Humboldt. Im
Kaisersaal (Futterstraße), dem 1769 erbauten Theater, wohnte Goethe der Uraufführung des „Don Carlos“ 1788 bei.

Über 40 Mal kam er zu längeren Aufenthalten herüber – aus dienstlichem Anlass oder aber zu gesellschaftlichen Ereignissen. Zudem ist er ohne nennenswerte und dauerhafte Spuren unzählige Male durchgefahren oder durchgeritten. Das Fazit: Erfurt war für Goethe »die Stadt großer Begegnungen«. Der Weimarer Staatsmann und Dichter selbst fühlte sich nach eigenem Bekunden in der Nachbarstadt stets »wohlempfangen« und »wohlgelitten«. Von nachhaltigem Eindruck waren für ihn die wiederholten Begegnungen mit von Dalberg. Der studierte Jurist hatte auf einer Bildungsreise nach Rom Johann Joachim Winckelmann und gemeinsam mit ihm die Kunstschätze im Vatikan kennengelernt. In Erfurt war er zugleich Gesandter an den benachbarten Höfen Weimar und Gotha.

Foto Bernd Oei: Erfurt, Krämerbrücke, ein Wahrzeichen, die den Benediktsplatz im Altstadtkern mit dem Wenigemarkt in der östlichen Altstadt

Foto Bernd Oei: Erfurt, Ägidienkriche am Wenigemarkt samt Torbogen der Krämerbrücke. Einschiffig gotisch, ursprünglich neben der Benediktkirche errichtet. Seit dem frühen 17. Jahrhundert profanisiert; erst in der DDR als Methodistenkirche wieder sakral genutzt.

Foto Bernd Oei: Brunnen Raufende Knaben am Erfurter Wenigemarkt gegenüber Krämerbrücke vom Magdeburger Bildhauer Heinrich Apel 1990.

Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft

Der berühmteste Sohn Erfurs war der Begründer der Soziologie Max Weber (1864-1920) – allerdings verlies er bereits im Alter von fünf Jahren die heutige Landeshauptstadt Thüringens (heute 215 000 Einwohner). https://kulturerbethueringen.wordpress.com/2012/08/19/max-weber-ein-portrat/ Der Vater, ein Leinenhändler und Vertreter des politischen Liberalismus setzte er sich dabei unter anderem im Bereich der Armenfürsorge und der
Schulpolitik für die Interessen der Erfurter Bevölkerung ein.

In seinem religionssoziologischem Werkt „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (1904) stellt Weber die Behauptung auf, daß in historischer Hinsicht ein enger Zusammenhang zwischen den asketischen Strömungen innerhalb des Protestantismus und der Entstehung der modernen kapitalistischen Berufsethik besteht. Für Weber war also die Reformation die entscheidende Voraussetzung für eine positive religiöse Bewertung des ökonomischen Gewinnstrebens. Er unterschied in diesem Zusammenhang jedoch die wirtschaftliche Einstellung des Luthertums deutlich von der des Calvinismus, Pietismus, Puritanismus und anderer protestantischer Sekten.

Eines seiner mir bekannten Werke „Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft“ (ein Teil aus Schriften zur Wissenschaftrslehre) postuliert: „Herrschaft kann durch drei Motive der Fügsamkeit bedingt sein: durch Interessenlage, durch Gewohnheiten und durch die persönliche Tendenz des Beherrschten„. http://www.zeno.org/Soziologie/M/Weber,+Max/Schriften+zur+Wissenschaftslehre/Die+drei+reinen+Typen+der+legitimen+HerrschaftDie Gehorsamspflicht ist abgestuft in einer Hierarchie von Ämtern mit Unterordnung der unteren unter die oberen und geregeltem Beschwerdeverfahren. Grundlage des technischen Funktionierens ist: die Betriebsdisziplin.“ Die Bürokratie ist der technisch reinste Typus der legalen Herrschaft.

Die dritte Form legitimer Herrschaft bildet „Charismatische Herrschaft„, kraft affektueller Hingabe an die Person des Herrn und ihre Gnadengaben (Charisma), insbesondere: magische Fähigkeiten, Offenbarungen oder Heldentum, Macht des Geistes und der Rede. In seinen Büchern enthält sich der autor jeglichen Werturteils, das seinem Credo nicht dem Wissenschaftler, sondern dem Privatier zukommt. Als Bürger beruht Webers politische Vorstellung darauf, dass gerade die moderne Massendemokratie eines starken, vom Parlament weitgehend unabhängigen politischen Führers bedürfe. Spätestens zu Beginn der achtziger Jahre erfuhr das Werk Max Webers auch in der DDR einezunehmende Beachtung.https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/1475/file/max_weber_erfurt.pdf

Foto Bernd Oei: Erfurt, Linkshänderladen. Was haben Hendrix, Monroe, Chaplin, Navratilova, Chaplin gemein? Sie hätten in der Krämergasse 24 eingekauft. Auf den Spuren Caesars, der seinen „Gallischen Krieg“ linkshändisch verfasste befanden sich Beethoven, als er die „Neunte“Schicksalssinfonie“ (5.) komponierte oder Michelangelo, als er in der Sixtinischen Kapelle den Finger Gottes visualisierte.

Foto Bernd Oei: Erfurt, östliche Altstadt, Michelisstraße, Fachwerkhäuser. Den Beinamen „Steinerne Chronik der Stadt“ trägt die 400 m lange Straße vom Benediktsplatz bis zur Marbacher Gasse durch ihre besonders alte, oft noch aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammende Randbebauung.

Foto Bernd Oei: Kultutrhof zum Güldenen Krönbacken, Michaelisstraße 10 nahe der Alten Synagoge und der Mikwa im jüdischen Viertel. https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_zum_G%C3%BCldenen_Kr%C3%B6nbacken

Alle politischen Gebilde sind Gewaltgebilde

Webers Hypothes nach sind „alle politischen Gebilde Gewaltgebilde“ (Politik als Beruf, zitiert aus Schriften zur Politik), denn er beruht zwecks Durchsetzung seiner Ziele auf „physischer Gewaltsamkeit“. Weber fragt in diesem Aufsatz danach, wie die politisch herrschenden Gewalten sich in ihrer Herrschaft behaupten? Dabei kommt er wieder auf die drei Arten von Herrschaft zu sprechen, die traditionale ebenso wie für die legale und die charismatische. Er unterscheidet Berufs- und Gelegenheitspolitiker, zu dem auch der Wähler zählt. Letzteren muss man jedoch ernst nehmen, wenn die Demokratie nicht nur Gerede sein soll oder Alibi.

Foto Bernd Oei: Haus zum Güldenen Krönbacken, Innenansicht. Nach Fertigstellung der Arbeiten 1992 trat der hallenartige Charakter des Gebäudes ebenso wie der technisch aufwändige, nun einsehbare Dachstuhl im Obergeschoss wieder in den Vordergrund.

Foto Bernd Oei: Erfurt Wirtshaus Christoffel, Michaelisstr. 41, mit Mauerresten aus dem 12. Jahrhundert und ältestes Wirtshaus mit eigener Brauerei https://wirtshaus-christoffel-erfurt.de/history/#flipbook-df_1161 Nach zahlreichen Umnutzungen erfolgte die Neueröffnung 1994 .

Foto Roland Schubert: Chez Laurent, Michaelisstr. 12 von außen. Unteres Foto: Bernd Oei, chez Laurent von innen.

radikalster Zweifel als Vater der Erkenntnis

Max Weber, der zumeist aufgrund seiner labilen Physis nicht länger an den Hochschuhen (zuletzt Münschen9 zu dozieren vermochte, hinterlies ein umfassendes Werk, u.a. die viele Aufsätze inkludierenden Schriften zur Wissenschaftslehre, in denen die Arbeit mit dem sperrigen Titel „Der Sinn der Wertfreiheit der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“ enthalten ist. Der markante Satz lautet: „Denn der radikalste Zweifel ist der Vater der Erkenntnis“.http://www.zeno.org/Soziologie/M/Weber,+Max/Schriften+zur+Wissenschaftslehre/Der+Sinn+der+%C2%BBWertfreiheit%C2%AB+der+soziologischen+und+%C3%B6konomischen+Wissenschaften#google_vignette

In dem Essay plädiert Weber für die Zurücknahme des Wissenschaftlers, Partei zu ergreifen oder politisch/ökonomisch sein Wissen zu veräußern, sich folglich einen Vorteil durch sein Wissen zu verschaffen. Die Neutralität sei höchstes Gebot und der freie Diskurs diene hier nicht Meinungsäußerungen, sondern Faktenkontrolle und Austausch von Daten bzw. deren Resultaten. Nichts qualifiziert einen Wissenschaftler zur Einordnung seines Wissens und nichs kann ihn dazu berechtigen, das Volk aufzuklären oder Politiker zu instruieren.

Vielmehr gehe es darum, Weckung und Schulung szientistischer Auffassungsgabe und kognitiven analytischen Denkens vor jedem Widerspruch zu sichern. Weber sieht die Gefahr darin, die eigene Position spezifischer Fachkenntnis zu missbrauchen für „interessante (oft auch recht gleichgültige) sogenannte »Weltanschauung« “ Dieses Feld sei von Wissenschaftlern nicht zu betreten.

In „Die soziale Beziehung“, gleichfalls aus den Schrifen zur Wissenschaftslehre sticht ein Zitat hervor, das u.a. Hannah Arendt für ihren Politik- und Machtbegriff gebraucht.

In „Die soziale Beziehung“, gleichfalls aus den Schrifen zur Wissenschaftslehre sticht ein Zitat hervor, das u.a. Hannah Arendt für ihren Politik- und Machtbegriff gebraucht. „Macht bedeutet die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.“ http://www.zeno.org/Soziologie/M/Weber,+Max/Schriften+zur+Wissenschaftslehre/Soziologische+Grundbegriffe/%C2%A7+III.+Die+soziale+Beziehung

,

Foto Bernd Oei: Erfurt, Am Breiten Herd, Bürgerhaus mit Renaissancefassade, Fischmarkt 13.1584 erbaut, 1968 rekonstruiert. Im ersten Stock finden sich Allegorien der fünf Sinne. Auf der Spitze wird ein Landsknecht figürlich dargestellt. Ursprünglich diente das Gebäude der Gilde, heute dient es als Restaurant.

Foto Bernd Oei: Rathaus, Fischmarkt, dem historienbedingt zentralen Platz Erfurts. Das neogotische Gebäude aus dem Jahr 1875 ersetzte an gleicher Stelle das vorgängige Rathaus. Die beiden Figuren an der Frontseite der Sandsteinfassade zwischen dem Balkon bilden An der Festsaalfront des Rathauses, als Sinnbilder der „Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches“ Statuen des Kaisers Friedrich I. (Rotbart) und des Kaisers Wilhelm I. (Weißbart) ab.

Foto Bernd Oei: Kunsthalle neben Ratskeller gegenüber Rathaus, Fischmarkt. Die Sonerausstellungen berücksichtigen Künstler der Moderne bis Zeitgenossen, hauptsächlich aus sozialistischen Ländern und dem Schwerpunkten Schwerpunkte Malerei,,Grafik und Skulpturen.

Das Selbstverständliche wird am wenigsten gedacht

Bei den Landtagswahlen am Weltfriedenstag gewann erstmals die angeblich verfassungswidrige, doch demokratisch gewählte AfD eine Landtagswah.l. sie erhielt mit 32,8 Prozent der Stimmen fast so viel wie CDU und Die Linke zusammen, den Parteien mit den dritt- und viertmeisten Zweitstimmen. Die SPD schafffte es gerade in den Landtag, die Grünen und die FDP nicht – aus dem Start heraus erhielt das Bündnis Sarah Wagenknecht erwartungsgemäß ein Mandat mit 15% der Stimmen sogar die zweitmeisten.

Einig ist man sich zumindest in den öffentlich rechtlichen Medienbeiträgen nur in der Frage, wie eine Regierungsbeteiligung der AfD unterbunden werden kann. Nur wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist, ist der Landtag beschlussfähig; boykottieren die anderen Mitglieder (denn die AfD kommt nur auf ein Drittel der Mandate) ist jede Landtagssitzung Makulatur.

Von 88 Sitzen entfallen 32 auf die AfD. Dabei fällt auf, dass die neu angetretene Wagenknecht-Partei BSW überprozentualvon Frauen, die AfD dagegen mehrheitlich von Männern gewählt wurde. Sie könnte als stärkste Partei naturgemäß auf eine rasche Wahl des Ministerpräsidenten drängen. Das Bündnis hatte sich vorher eindeutig auf eine Koaliation mit der CDU festgelegt, jene mit der AfD kategorisch abgelehnt wie bislang jede andere Partei auch. Dabei überwiegen inhaltlich die Überschneidungen zwischen den beiden stärksten Fraktionen Thüringens, die so für eine stabile Mehrheit sorgen könnten.

Eines steht jedoch fest: Um einen Ministerpräsidenten Björn Höcke zu verhindern, reicht es also nicht, dass alle anderen Parteien gegen ihn sind. Sie müssten sich positiv zu einem gemeinsamen Kandidaten bekennen. Auch hier erweist sich Weber als weit- und klarsichtig. Obiger Titel ist ein Zitat aus „Grundriss der Soziologie“ Kapitel 1. Eine der evidenten Selbstverständnlichkeiten benennt er selbst: „Der Mensch ist das naturzerstörende Wirtschaftstier.“

Die Erfurter selbst haben durchschnittlich weniger AfD gewählt; die Hochburgen langen in ländlichen Kreisen. Offensichtlich denken Dorf- , Klein- und Kreisstadtbewohner anders. Je sozial bedrohter sich viele fühlen, desto eher wählen sie „rechts“ und nicht wie vordem „links“. Neben dem Ost-West und Mann-Frau Gefälle gesellt sich folglich ein Stadt-Land Antagonismus, der viel deutlicher ins Gewicht fällt als die altbekannten. Quo vadis, Thüringen?

Foto Bernd Oei: Angermuseum, Anger 1886 im Barockstil eröffnet, mit Gemälden, Musikinstrumenten und Skulpturen einschließlich Glaskunst, Grafiken und historischen Räumen. Die erste Restuaration erfolgte 1976., eine weitere endete 2010 mit der Wiedererhöffnung. Einen Schwerpunkt bilden die expressionistischen, Werke die der entarteten Kunst zugeschrieben werden, Der Anger (Dorfplatz) schließt den Südosten der Erfurter Altstadt ab.

Foto Bernd Oei: Hauptpostamt, Anger 66-73; 1882 bis 1885 errichtet, nachdem das Postwesen von Thurn und Taxis an die preußische Regierung und den Kaiser überging. Bis heute wird das auf einer DDR Sonderbriefmarke aus dem Jahr 1982 abgebildete Gebäude postalisch genutzt.

Foto Bernd Oei: Gera. Der Fluss prägt die Altstadt Erfurts; sein ursprünglicher Name Erfis zielt auf die Landeshauptstadt Thüringens ab. Die maximale Tiefe beträgt 1,50 m, die durchschnittliche jedoch nur ein Drittel. Für Angler sind vor allem die Bachforellen von Bedeutung.

Empfohlene Beiträge

Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!


Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert