Foto: Bernd Oei: Ost-West Friedenskrirche im Münchner Olympiapark, Ruine nach Brandanschlag 11.06. 2023. https://www.muenchen.de/sehenswuerdigkeiten/kirchen-und-kloester/ost-west-friedenskirche
Was tun, wenn der Pöbel mitregieren will?
Als Johann Nestroy 1848 das sozialkritische Stück „Freiheit im Krähwinkel“ verfasste und es im Wiener Carl Theater (Josefstadt) am 1. Juli uraufgeführt wurde, herrschte in einer Hinsicht ein vergleichbarer Zustande: das Volk war gespalten, die Demokratie und mit ihr verbundene Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung standen auf dem Prüfstand. Für wenige Monate trat nach der gescheiterten Märzrevolution ein Vakuum und ein zensurfreies Interregnum ein: die Befürworter von Zensur und sonstiger Einschränkungen standen hier unversöhnlich jenen Aufständischen gegenüber, die sich aufrecht an Gleichberechtigung interessiert zeigten. Nestroys Krähwinkel-Schwank erlebte 36 Aufführungen vor der Wiedereinführung der Zensur; der letzte Vorhang fiel am 4. Oktober.
Man sollte „Freiheit in Krähwinkel“ öftes spielen, zumal die Quintessenz der Komödie solch unterschiedliche Couleur erhalten kann wie die siebenfarbige Regenbogenfahne, welche der konservative Sperrling für die neue Europafahne hält. „Das scheint die kosmopolitische Farbe zu sein.“ (2. Akt, 15. Szene) Die Regierung wähnt sich im Recht, die Krähwinkler vor“ Aufruhr“ und „Pöbelauflauf“ zu schützen wie alle, die entrüstet die Opposition verbieten wollen, weil sie vermeintlich Unrecht hat und Unheil bringt. Oder wie der General, der den Kaukasus für einen Kasus hält und Geografie für dementsprechend überbewertet, da das Land heute den und morgen jenem zugehören mag.
Krähwinkel diente Nestroy in seiner Komödie in drei Akten (Die Revolution 1, Die Revolution 2, Die Reaktion) als Synonym für bornierte Spießbürger. Er griff dabei auf „Das heimliche Klagelied der jetzigen Männer“ (1801) von Jean Paul zurück, der als erster den fiktiven Ort sinnbildlich satirisch verwendete. Nestroy, der auch die Rolle des sich stets verkleidenden Revolutionärs mimte, verwendete zum Großteil sprechende Namen (Aptronyme) für seine Charaktere wie Ultra, die Hauptfigur oder Rummelpuff, der Kommandant und militärische Gegenspieler. Eine kurze Zusammenfassung des Lustspiels liefert https://www.abipur.de/hausaufgaben/neu/detail/info/38567467.html. Eine längere und mit Analyse verbundene http://repo.komazawa-u.ac.jp/opac/repository/all/10121/KJ00005092014.pdf. Der Autor gibt auch Hinweise auf die ‚Tradition des Wiener Volkstheaters und Bezüge zu Krähwinkel bzw. seinem Motiv in der Literatur und geht auch auf Nachahmungen und Adaptionen ein. Letztendlich repräsentiert Krähwinkel nicht nur Provinz, sondern auch Wien im Revolutionsjahr selbst, wo provinzielles Denken reüssierte.
Foto Bernd Oei: München, Isar, Maximilliansbrücke , Blick in den Westen, hier verbindet die Bogenbrücke das Westufer der Großen Isar mit der Praterinsel. Der Brückenbau fällt mit dem Ende der Lebenszeit Nestroys zusammen. Im Münchner Westpark trägt ein Gebäude den Namen des Wiener Dramatikers.
Vom allzufreien Umgang mit der Freiheit
„Das Kalenderblatt“ (1801-61) erinnert an den Schauspieler, Autor und Sänger. Die selbst verfassten Couplets spielen eine zentrale Rolle in den Nestroy-Stücken, da sie zum einen immer aktualisiert und damit improvisiert vorgetragen wurden, zum anderen den politischen oder gesellschaftskritischen Gehalt konzentrierten, während die Handlung vorwiegend das Publikum zum Lachen bringen sollte. Die Kunst, Gesellschaftskritik an einem autoritären System vorbei zu lancieren, bescherrschte Nestroy in Perfektion – Kabarettisten aus der ehemaligen DDR lassen grüßen. https://www.br.de/mediathek/podcast/das-kalenderblatt/johann-nestroy-wiener-volkstheater-posse-maerzrevolution-1848/49987
Mit Humor den Finger in die Wunde zu legen, darin bestand der Glaubesnssatz des umtriebigen Satirikers, den Karl Kraus am zutreffensten charakterisierte. „Nestroy und die Nachwelt“ (1912) erschien zum 50. Todestag des Wiener Dramatikers, der sich nie auf eine eindeutige Position festlegen lies. „Nicht die Lächerlichkeiten in der Politik, sondern die Lächerlichkeit der Politik. Er war Denken und konnte daher weder liberal noch anti-liberal denken.“ https://literaturgeschichten.de/kurse/1800-1900/transformationen-der-dramatischen-form/vi-johann-nestroys-freiheit-in-kraehwinkel/
Die Pressezensur ist nur eine von verlorenen Freiheiten. Über die Inflation dieses Begriffs macht sich der Künstler, dem es es stets um Haltung, nicht um Meinungsmache ging, auch lustig. Im ersten Auftritt Ultras, der in der siebten Szene Krähwinkel betritt, räsonniert dieser über Marktfreiheit, Maskenfreiheit,Freiheit in die Kaffeehäuser kommt er darauf, dass Gedankenfreiheit nur Sinn macht, wenn einer eigene Gedanken hat. Am Ende steht die Einsicht „Wir haben eine Menge Freiheiten gehabt, aber von Freiheit keine Spur„. https://www.projekt-gutenberg.org/nestroy/kraehwnk/kraeh107.html
An anderer Stelle nennt er Zensur die jüngere Schwester der Inquisition. Die Zensur dient Despoten, die nur verdummte Sklaven treten, aber kein denkendes Volk regieren können. Die Revolution dient wiederum mitunter als Vorwand für Unzufriedene und Faule, ein paar Köpfe rollen zu lassen. Vom Volk selbst und einer völkisch bestimmten Demokratie hielt Nestroy jedenfalls nichts. Er vergleicht das Volk mit einem Riesen, der herumtrampelt, dabei ordentlich viel kaputt macht und wenn er abends schlafen geht, die Wiese unordentlicher hinterlässt als er sie am Morgen vorgefunden hat. So verweist „Freiheit im Krähwinkel“ , welche die Bürger mit „Katzenmusik“ einläuten auch auf Revolutiönchen, die nichts an den Verhältnissen ändern. Gedankenfreiheit nützt in solchen Tagen nur dem, der diese Freiheit für sich zu behalten weiß.
Foto Bernd Oei: München, Ludwig Maximillians-Universität, 1826 in die bayr. Landeshauptstadt verlegt. Hier gab u.a. Schelling seine Vorlesungen 1827-41 hielt, also in der Frühzeit des Dramatikers Nestroy. Der einstige „Feuerkopf“ war längst Royalist und begrüßte es, dass man auf Revolutionäre schoss.
Vorsicht vor tölpischen Riesen
Ein Rezept gegen die Aufständischen hat der Bürgermeister von Krähwinkel schon parat (Freiheit 1. Akt, 7. Szene ): er will Ultra mit einer gut dotierten Beamtenstelle ködern. Widerspensitige Geister ketten sich gerne an materielle Ketten. Nach seiner Ansicht fängt der Mensch fängt ohnehin erst beim Baron an. Er hält die Leibeigenschaft für natürlich und bewundert die Russen für ihre natürliche Politik. „Schicksal, warum hast du keinen russischen Bürgermeister aus mir gemacht!?“ (2. Akt, 4. Szene) Im Glauben, der aufgrund seiner Autokratie bewunderte Gesandte des Zaren (der verkleidete Ultra) belohne ihn mit dem ersehnten Herzogstitel, übergibt er diesem den Erlass der neuen Krähwinkler Verfassung.
Die Revolution (2. Akt, 16. Szene) endet folgerichtig mit Verkündigung der ersehnten Freiheit. „Ich verkünde für Krähwinkel Rede-, Preß- und sonstige Freiheit; Gleichgültigkeit aller Stände; offene Mündlichkeit; freie Wahlen nach vorhergegangener Stimmung; eine unendlich breite Basis, welche sich erst nach und nach auch in die Länge ziehen wird, und zur Vermeidung aller diesfälligen Streitigkeiten gar kein System.“ https://www.berndoei.de/wp-admin/post.php?post=7403&action=edit
Die Wortwahl und der satirische Tonfall verdeutlichen die Skepsis Nestroys vor dem Pathos der Volksbefreiung. Unter anderem äußert er Bedenken „Die Freiheit is einmal das, was die Männer ruiniert.“ (Erste Szene, 3. Akt, Die Reaktion). Um eine Widerstandskraft vorzutäuschen, die faktisch nicht vorhanden ist, werden Frauen als Studenten verkleidet und auf die Barikaden geschickt. Zudem sind die Liebeshändel manch einem Revolutionär wichtiger als die Sache der Freiheit „am Ufer des Ideenstroms“.
Der zweite Akt, die missglückte Reaktion endet mit einer Dreifachhochzeit und der Verkündigung, die Reaktion sei nichts weiter als ein Gespenst. Die Despoten, der Bürgermeister und sein Hofstaat, geben Fersengeld, um andernorts zu tyrannisieren. Anders als im Lustspiel triumphierte im Herbst 1848 Metternich und die Wiener Restauration nahm ihren Lauf. 1933 setzte sich bei den freien Reichstagswahlen Hitler durch und mit ihm das Führerprinzip. Heute scheint es, als ob die Verbrecher von Gestern auch die von Morgen bleiben dürfen. Anzumerken bleibt: Die Entartung des Rechts im Dritten Reich beruhte nicht auf einer bestimmten rechts- philosophischen Grundhaltung. Weder der Positivismus noch das Naturrecht als solche waren schuld am Versagen im Dritten Reich; schuld waren der Mangel an Gerechtigkeit, der menschliche Ungeist, die menschliche Kälte, die Beschränktheit der Ideologien, letztendlich fehlende Humanität.
Foto Bernd Oei: München, Stachus, Karlsplatz mit Springbrunnen, um die Jahrhundertwende so entstanden. Foto unten Karlstor, 1791 erbaut als westliche Stadttor der historischen Altstadt von München.
Der eingeklemmte Mensch
„Der umtriebige Nestroy erelebte als junge Mann die Reaktion auf die Französische Revolution, den zunehmenden Konservativismus der Wiener Restaurationsjahre und das Aufbegehren im „vormärz, dem „Jungen Deutschland“. Sein erstes Stück 1825 „Sieben Mädchen in Uniform“ nimmt bereits die Verkleidungsposse mit den als Barikaden-Studenten getarnten Frauen schon vorweg. Zwölf Komödien brachte er allein 1832/33 auf die Bühne. Zu seinen bekanntesten, weil heute noch aufgeführten Stücken gehören „Einen Jux will er sich machen“ und „Der umtriebige Nestroy erelebte als junge Mann die Reaktion auf die Französische Revolution, den zunehmenden Konservativismus der Wiener Restaurationsjahre und das Aufbegehren im „vormärz, dem „Jungen Deutschland“. Sein erstes Stück 1825 „Sieben Mädchen in Uniform“ nimmt bereits die Verkleidungsposse mit den als Barikaden-Studenten getarnten Frauen schon vorweg. Zwölf Komödien brachte er allein 1832/33 auf die Bühne. Zu seinen bekanntesten, weil heute noch aufgeführten Stücken (etwa 60) gehören „Einen Jux will er sich machen“ (1842) und „Der Talismann“ (1840) – bis zu seinem letzten Atembzug war Nestroy, der zumeist auch die hauptrollen spielte, aktiv. Seine abschließende Burleske trägt den Namen „Häuptling Abendwind oder Das gräuliche Festmahl“. Das Stück fiel durch, weil das Publikum die darin enthaltene Satire nicht erkannte. Zum Kunstgenuss gehören halt immer zwei (Sender unbd Empfänger) , daher ist Kunst auch seinem Wesen nach demokratischer Natur.
Neben Karl Raimund und Franz Grillparzer (der jedoch vorzugsweise Tragödien verfasste) zählt Nestroy zu den drei bedeutendsten Dramatikern seiner Epoche zwischen Vormärz und Bidermeier. Er beeinflusste so unterschiedliche, doch dem Theater verbundene Autoren wie Wedekind, Brecht, Dürrenmatt und von Horvath; letzterer war noch der kömödiantischte unter ihnen. Er nahm Anleihen aus der Philosophie, die Wittgenstein veranlasste, die Bedeutung des Volksmunds und seiner sprichwörtlichen Redensarten neu zu bewerten. Die Posse ist eine Schule der ‘Philosophie des Lachens’ mit allen Kategorien und Formen; sein Coupletwerk – über 220 Nummern mit fast 800 Strophen – ragt durch die individuell‑künstlerische Ausprägung und Innovation des überkommenen Formenschatzes aus der Tradition hervor. Sie verkörpern – auch stellvertretend für das Publikum – die in Widersprüche verstrickten und zwischen ‘oben’ und ‘unten’ der verschiedenen Systeme eingeklemmten Menschen. Eine Hintergrundsanalyse der Couplets liefert https://books.openedition.org/psn/6412
Wissenschaftler, so Nestroy erhalten immer deswegen keine Anstellung, weil sie zu wenig oder weil sie zu viel wissen. Und mit einer Erkenntnis des Titus Feuerfuchs zu enden: „Die schönen Tage sind das Privileg der Reichen, aber die schönen Nächte sind das Monopol der Glücklichen.“ Nebenbei gilt auch das Wiener Sprichwort für ein politisches Lenken mit Augenmaß: Wenn nur der Kutscher klar sieht, dann wird auch mit blinden Pferden das Ziel erreicht.
Foto Bernd Oei: Magdalenenklause im Nymphenbruger Park, München. Unter Kurfürst Emmanuel1725-28 erbaut. Einsiedelei als künstliche Ruine gestaltet. In „Der Talismann“ gelangt Titus zur Einsicht: „Es ist kaum zu glauben, was jeder Mensch glaubt, was er für ein Mensch ist!“ Die Welt steht auf keinem Fall mehr lang, so die Aussage des Lumpazivagabundus, in dem man sein Alter Ego erkennen kann.
Foto Bernd Oei: Löwenbräu, 1524 erstmals dokumentiert, seit Mitte des 18.. Jahhrunderts Brauerei, aber erst in der Epoche Nestroys führend mit rund 200 000 Hektorliter Bierproduktion in seinem Todesjahr 1862. Im „Krähwinkel“ sagt Ultra oin der 8. Sezene – es ist sein erster Satz nach dem gesungenen Couplet: „Ich bin überall gerne, wo man mir Vertrauen schenkt, und jedes Seitel, was man mir hier einschenkt, is verkörpertes Vertraun.“
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