Foto Bernd Oei: Stachus /Karlsplatz) mit Justizpalast und Springbrunnen, mobilen und nur mithilfe von technischen Geräten mobilisierbaren Menschen. Heidegger spricht über das Ge-Stell, kritische Worte über die zunehmende Abhängigkeit des Menschen von Technik und die damit verbundene Seins-Vorstellung. https://de.wikipedia.org/wiki/Stachus
Die Kehre
Juni 1950 weilte Heidegger in München und hielt dort drei Vorträge. Er hatte seinen Lehrstuhl aufgrund politischer Verfehlungen verloren. Sein ehemaliger Schüler und Wegbegleiter im Existentialismus, Karl Jaspers,hatte sich gegen eine akademische Wiedereingliederung ausgesprochen. die ersten öffentlichen Gehversuche auf Feld- bzw. Holzwegen unternahm Geidegger in Bremen, es folgten zögerliche Einladungen, u. a. an der TU in München. Heidegger stehllte seine „Kehre“ vor. 5 Essays bzw. Vorträge, die er später in schriftlicher Form veränderte, zum Thema Technik und Mensch.
Foto Bernd Oei: München, Schloss Nymphenburg, 1715 bis 1918 Sommerresidenz der bayrischen Könige und Porzellanmanufaktur. In der NSDAP Zeit Hauptsitz des Gaus München. Im 2. WK kaum beschädigt, daher in großen Teilen original Spätbarock. Im Vordergrund Nymphenburger Kanal, der in Pasing an der Würm entspringt und sich viele Kilometer durch Münchens Innenstadt bis zum Olympiapark zieht. https://www.muenchen.travel/rubriken/planen/sehenswuerdigkeiten/schloesser-in-und-um-muenchen
Der Nymphenburger Schlosspark ist eines der größten und bedeutendsten Gartenanlagen Deutschlands. https://www.schloss-nymphenburg.de/deutsch/park/plan.htm
Heidegger hielt seinen ersten Vortragszyklus auf Einladung seines ehemaligen Studenten und Kunsthistoriker Heinrich Wigand Petzet 1949 im Club zu Bremen, Haus Schütting, der später in geänderter Buchform als „Die Kehre“ veröffentlicht wurde.Petzet war auch Herausgeber des Briefwechsels zwischen Heidegger und mit Erhart Kästner 1953-74, Insel. Auch in München entfaltet der zum indest in der Vorkriegsgeschichte prominenteste deutschsprachige Philosoph unter dem Titel „Einblick in das was ist“ am Leitfaden der Frage nach dem vollen Wesen des Dinges und seiner Verwahrung im Zeitalter der Technik an der Herrschaft des Dinghaften bzw. Dinglichen in Form des „Ge-Stells“. Das Seiende erscheintnur noch in der Gestalt des bestellbaren Bestandes , die wesentliche Frage nach dem Grundgeschehen dieser seynsgeschichtlichen Konstellation und der in ihr verborgenen Gefahr und ihrer möglichen Überwindung. Die eigentliche Gefahr dieses Zeitalters sieht Heidegger in der vollständigen Verschüttung der Unverborgenheit des Seienden, die im epochalen geschichtlichen Wechselspiel von Entbergung und Verbergung, von Lichtung und Verborgenheit des Seyns im Ereignis ihren Ort hat.
Foto Bernd Oei: Würm bei Pasing, ca. 40 km , der von Starnberg bis München Nord, Olympiapark reicht.
Hinzu kam zu den vier bereits in Bremen gehaltenen Vorträgen Das Ding, Das Gestell, Die Gefahr, die Kehre die im Münchner Carl Prinz Palais erstmals gehaltene Rede „Die Frage nach der Technik“, damals im Gebäude der „Schönen Akademischen Künste“. Heute ist dieser frühklassizistische Bau am Franz-Josef-Strauß-Ring 5 der Amtssitz des bayrischen Ministers und gebürtigen Nürnberges Markus Söder. https://de.wikipedia.org/wiki/Prinz-Carl-Palais_(M%C3%BCnchen) Der Vortrag wird seitdem auch Münchner Rede genannt, da er eine Innovation im Denken Heideggers beinhaltet oder markiert.
„Die Kehre“ beginnt mit dem Gedanken, Technik bedeutet immer, in etwas gestellt zu sein. Das Technische impliziert dabei die causa materialis, die Technik causa finalis, den Zweck. Modern gesprochen: knowing how, das Praktische ist wichtiger als knowing that, das Theoretische. Wenn es funktioniert, wird es gemacht. Das zu Handhabende und das zu Zeugende ist dann das Wesentliche. Mit dem Zweckrationalismus war Heidegger ganz und gar nicht einverstanden.
Foto Bernd Oei: Magdalenenklause im Nymphenburger Park an der Schlossmauer , frühes 18. Jahrhundert https://de.wikipedia.org/wiki/Magdalenenklause
Die Frage nach der Technik
1950 erstmals vor etwa 300 Gästen im Palais und 1953 nochmals vor 3000 Besuchern an der TU isprach Heidegger zum Thema Die Frage nach der Technik. Hauptthese:„Die Technik ist nicht das gleiche wie das Wesen der Technik, das Wesen der Technik ist ganz und gar nicht technisch.“
So lange der Mensch sich an Technik klammert, bleibt er unfrei; weil er sich an die technischen Geräte kettet, ohne ihr Wesen zu verstehen. Er bleibt ihr ausgeliefert, wenn wir sie neutral als Mittel zum Zweck betrachten. Technik geht nicht im Tun des Menschen auf, wie wir es vermeinen, wenn wir sie instrumentalisieren. Sicherlich ist moderne Technik auch ein Mittel zum Zweck, aber so wie das Richtige noch nicht das Wahre ist, so besteht auch das Technische nicht nur im Instrument, etwas für uns zu besorgen.
Es gibt für alles eine (aristotelisch bestimmte) vierfache Kausalität: causa efficiens (Wirkursache), causa formalis (Formursache), causa materialis (Stoffursache), causa finalis (Zweckursache). Wenn die Sache nur noch von einem Aspekt heraus betrachtet werde, entsteht eine Schieflage. Auch hier wird dann das Bedenkliche nicht mehr bedacht und das Fragwürdige nicht mehr hinterfragt.
Foto Bernd Oei: Olympiapark im Norden Münchens (85 ha) mit Blick auf Olympiastadion
Jedes Sein, so auch das technische, steht im Verhältnis zu allem, auch zur Kunst: im Zusammenhang mit dem Ding als etwas zu Handhabendes und mit dem „Zeugsein des Zeuges„. Die Kunst bietet eine elementare Naturauffassung als Gegenstand im Zeitalter der Technik. Sie ist weniger techné, eine Kunst des Verstehens und Vernehmens, als eine des Funktionierens. Daher hat sie ihre Autonomie eingebüßt und gewährt nicht mehr „Einblick in das was ist“ .
Nicht die Technik, sondern unser Umgang mit Technik bereitet Heidegger Sorge. Die Erde ist hier das sich Verschließende und die Welt ist die sich öffnende Offenheit. Dies sind zwei korrelierende Wesenszüge im Werksein des Werkes. In „Die Frage nach der Technik“ werden diese zwei Wesenszüge anhand der Gefahr und des Rettenden der Technik behandelt.
Es ist dabei ersichtlich, dass Heidegger erade die Technik in ihrem Wesen zu erörtern versucht und demzufolge die Technik nicht nur anthropologisch und instrumental, sondern auch ontologisch deutet. Die Welt bzw. die Natur bleibt in der Geschichte der abendländischen Philosophie in Vergessenheit. Diese Vergessenheit bestimmt unser Zeitalter. Umgekehrt: in der Geschichte liegt die Gegenwart verborgen.
Foto Bernd Oei: Olympiaturm, 291 m hoch, 1968 fertiggestellt als Aussichtssturm, derzeit saniert, da Aufzug erneuert werden muss.
Die Wirkursache ist entscheidend für das Hervorbringen von Kunstwerken oder dem technischem Gestell. Am Beispiel des Wasserkraftwerks, das im Rhein Strom erzeugt, erläutert Heidegger seine These: Strom wird zum Wesen des Kraftwerks, der Fluss zum Stoff der Technik. Das Technische ist nicht nur in etwas hinein gestellt, es verstellt auch den Blick auf das Wesentliche.
„Das Wesen der Technik beruht auf das Heinein-Stellen, ihr Gestellt-Sein, ihre Stellung zum Sein.“ Es zeigt uns etwas, was sonst von Natur aus verborgen ist, aber zum Wesen der Natur gehört (Energieträger). Das Gestell als Geschick des Entbergens stellt Herausforderungen. Nicht nur der Mensch tut etwas mit Technik, das Technische tut auch etwas mit ihm: „Wenn wir uns dem Wesen der Technik eigens öffnen, fühlen wir uns unverhofft in einem befreienden Anspruch genommen.“ Das Gestellt-Sein verweist auf die Fähigkeit zu entbergen und hervorzubringen.
Foto Bernd Oei: Blick vom Olympiaberg auf den Süden. Als künstliche Erhebung in der ansonsten flachen Münchner Schotterebene hat der Berg mit einer Höhe von 565,1 m über NN eine deutliche Prominenz mit Aussichten bis zu den Alpen.
Jedes Sein, so auch das technische, steht im Verhältnis zu allem, etwa zur Kunst2, zur Sprache oder dem Nichts. In den Bremer Vorträgen „Einblick in das was ist“ widmet sich Heidegger dem Umgang mit Technik. Die Erde ist hier das sich Verschließende und die Welt ist die sich öffnende Offenheit. Dies sind zwei korrelierende Wesenszüge im Werksein des Werkes. In „Die Frage nach der Technik“ werden diese zwei Wesenszüge anhand der Gefahr und des Rettenden der Technik behandelt.3 Es ist dabei ersichtlich, dass Heidegger erade die Technik in ihrem Wesen zu erörtern versucht und demzufolge die Technik nicht nur anthropologisch und instrumental, sondern auch ontologisch deutet. Die Welt bzw. die Natur bleibt in der Geschichte der abendländischen Philosophie in Vergessenheit. Diese Vergessenheit bestimmt unser Zeitalter. Umgekehrt: in der Geschichte liegt die Gegenwart verborgen.
Foto Bernd Oei: Olympiaberg, östliche Sichtachse mit Blick auf den Kanal, fder zum Schloss Nympehnburg und nach Pasing an die Würm führt.
Das Gestell
Die Herrschaft des Gegenständigen ist sicher nicht mit Ab-stand oder Nähe zu begründen. Der Abstand hat seinen eigenen Stand. Er wird zur Frage des Subjekts. Das Gegenständliche nimmt uns ein und nicht wir den Gegenstand, das vor – Gestellte. Das Wesen der Technik ist das Ge-stell; es lässt sich nicht meistern. Wahrheit in der modernen Technik, ge -schieht im Ge-stell . Die Technik als Ge-stell ist das Schicksal unseres Zeitalters. Die Technik steht jedoch in sich in der Gefahr. Dass die Gefahr im Ge-stell steht, liegt daran, dass man die anfänglichere Wahrheit nicht erfahren könnte. Die höchste Gefahr beruht auf der Technik als Ge-stell. Die Gefahr ist aber zugleich das Rettende. Das heißt, dass die Gefahr in sich die Möglichkeit des Rettenden eröffnet. Die Gefahr liegt darin, dass man alles Anwesende im Lichte des Ursache-Wirkung-Zusammenhangs darstellt, ohne dabei jeweils die Wesensherkunft dieser Kausalität zu bedenken.
„Die Herrschaft des Ge-stells droht mit der Möglichkeit, dass dem Menschen versagt sein könnte, in ein ursprünglicheres Entbergen einzukehren und so den Zuspruch einer anfänglicheren Wahrheit zu erfahren.“
Es geht um die Nähe des Seienden, die Wahrung des richtigen Abstand zur Technik, denn die Herrschaft des Gegenständigen ist sicher nicht der Abstand, der seinen eigenen Abstand bewahrt. Vielmehr muss die Frage den Ausgang(spunkt) vom Denken berühren, um nicht dem Objekt zu verfallen. Die Vergegenständlichung und Zweckorientierung entsprechen nicht dem Wesen des Technischen, dem Be- Stellen und Vor- Stellen.
Die Veränderung der Technik veranschaulicht Heidegger durch den Vergleich des vom Bauern ursprünglich bestellten Landes und dem Grubenbau im Kohlerevier. In Bremen tritt der Hafen an die Stelle der Grube. Vom Bestellen schlussfolgert er auf das Beständige in der Materie, das auf der Stelle verweilen. Das Be- Stellen stellt nichts her, es bleibt ein Mittel zum Zweck: „Das Be- Stellte ist immer schon und immer nur daraufhin gestellt, ein Anderes als seine Folge in den Erfolg zu stellen.“
Foto Bernd Oei: Münchner Residenz, Altstadt, Lethel, Max-Joseph-Platz, 1508 bis 1918 Sitz der Könige angrenzen an den Englischen Garten. Heute eines der prominentesten Schlossmuseen Deutschlands. https://www.residenz-muenchen.de/deutsch/museum/index.htm
Dabei wird die Rotation, Inbegriff des Maschinenzeitalters ein Inbegriff des Geschicks, das nach Geschicklichkeit verlangt. Die Rotation führt über die bloße Technik hinaus, denn „wir denken die Maschine nie aus dem Wesen der Technik“.
Im Grunde liegt die Gefahr für Heidegger darin, nach dem „Was ist (das eigentlich?)“ zu stellen. Das Fehlen dieser Frage führt zur Seinsvergessenheit. Die bisherige Philosophie richtet sich nur darauf, wozu etwas ist. „Also fragend bezeugen wir den Notstand, daß wir das Wesende der Technik vor lauter Technik noch nicht erfahren, daß wir das Wesende der Kunst vor lauter Ästhetik nicht mehr bewahren.“
Heidegger stellt die Frage nach dem Wesen der Kunst und der Technik im technischen Zeitalter. Heidegger bezeichnet „Techne“ einerseits als das Hervorbringen des Wahren in das Schöne und andererseits als das die Wahrheit ins Scheinende hervorbringende Entbergen. Erst die Frage nach dem Wesen der Be- Stellung bringt die Bedeutung des Ge- Stells hervor. Ersteres führt zur Sorge um den Bestand und dem Beständigen. Das Ge- Stell impliziert eine Gefahr, die über das Besorgen hinauswill. Sie führt auf die Frage der Existenz zurück.
Foto Bernd Oei: Blutenburg, Pasing, an der Würm, Migtte 15. J.h. an https://www.muenchen.travel/pois/stadt-viertel/schloss-blutenburg. Gründer Albrecht III galt als Liebhaber zarter Frauen; seine berühmteste Mätresse war Agnes Bernauer (1410-35). Der Schwiegervater lies sie als Unstandesgemäße kurzerhand ertränken, damit der Sohn endlich Kinder aus blauem Blute erzeugte.Zahlreiche Künstler, u. a. F. Hebbel nahmen sich ihrer und dem historischen Stoff dankbar an. https://www.blutenburg.de/
Der Mensch existiert nirgends, sondern bestellt sich nach eigener Vorstellung. Dennoch west er in einem ge- stellten Sein, „der Mensch ist der Angestellte des Bestellens“. Geschichte ist ein wesentliches Bestelltsein; der Mensch lebt „in Sorge um die Beständigkeit des Seins“, der Anwesenheit und der Abwesenheit von Seiendem in Form von Nähe und Distanz. Anstelle der Sprache mag das Schweigen die Unmittelbarkeit am besten zum Ausdruck zu bringen. Das Ge- Stell hingegen in „Versammlung des Stellens, worin alles Bestellbare in seinem Bestand west.“
Es ist ein folgenschwerer Irrtum (der einer Kehre bedarf) zu meinen, die Technik mache die Welt beständig und verlässlich. Sie greift in den Naturkreislauf ein und was vorher als Grenze (Nähe, Abstand, Ferne) fest stand, wird einem Wandel unterworfen und damit unberechenbar. Technik in Form des gestellt seins beginnt mit der Vorstellung von Beständigkeit; sie soll wiederkehren lassen und die Natur berechenbar gestalten. Tatsächlich „verrückt“ sie die Relation von Nähe und Ferne, weil sich der Abstand des Menschen zum Ding „verstellt.“
„Kunst und Technik: das ‚und‘ gehört zu dem, was ins Fragwürdige gehört. Über Kunst kann nur die Kunst entscheiden (nicht außerkünstlerisch Reflexion und Planung). Aber wie entscheidet Kunst über sich selbst? Sie ist selbst nichts Absolutes. Kunst und Wahrheit – Wahrheit des Seins (des Seienden) – Kunst und Geschick.“5
Die Frage nach der Kunst und der Technik bei Heidegger steht in engem und notwendigem Zusammenhang zur Ontologie. Die Fragwürde ist, ob die Kunst und die Technik zu anderen Bereichen gehören, wenn man von der ursprünglichen Bedeutung her die Kunst und die Technik betrachten würde. Kunst und die Technik für Heidegger gehören schon dem griechischen Begriff nach zusammen. Wer sie trennt, läuft Gefahr, ihr Wesen zu verkennen und Wahrheit zu verbergen. Kunst und Technik dienen zur Hervorbringung des Verdeckten. Sie lassen die Wahrheit in Erscheinung treten. Um die Technik und die Kunst als Möglichkeit(en) der Unverborgenheit verstehen zu können, muss die künstliche Trennung von Kunst und Technik als als fragwürdig gelten.
Heidegger sieht aber die Gefahr der Technik darin, dass man das Wirkliche durch die kausale Beziehung erklärt, weil sich damit die ursprüngliche Wahrheit nicht erfahren lässt. Wahrheit soll vielmehr durch die Technik und die Kunst zugänglich gemacht (offenbar) werden. Technik und Kunst sind phänomenologisch grundverschieden, doch im Wesen verwandt. Ursprüngliche Wahrheit kann in der Kunst bzw. im Kunstwerk geschehen; sie ereignet sich und wir eignen uns sie im „Da – sein“ an. Heideggers Metapher dafür, das Wesentliche zu bergen ist die Lichtung. „Das Dasein ist «nicht durch ein anderes Seiendes» gelichtet, «sondern so, daß es selbst die Lichtung. ist.“
Foto Bernd Oei, Stachus, Karlsplatz, Osram https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-stachus-osram-schriftzug-1.5217434. Der Lichtmediumhersteller-Gigant wurde in BVerlin 1919 gegründet, seit 2016 von einem chinesischen Konzern aufgekauft.
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