Adegger und Heidorno

Foto Belinda Helmert: Kunstwerk in Hannover, Herrenhäuser Gärten, Grotte, die konkrete und abstrakte Kunst mischt

Auf den ersten Blick verbindet die zwei wesentlichen Denker der Nachkreigszeit Adorno (1903-69) und Heidegger (1889-1976) nur wenig außer gegenseitige Abneigung. Doch der Blick trügt: beide waren Skeptiker der Aufklärung bzw. der Früchte des Rationalismus, der zugleich technokratischer und bürokratischer Imperialismus war. Beide lehnten die Entwicklung der modernen Industrialisierung und Urbanisierung, die mit Fachwissen und Spezialisierung verbunden ist, ab. Beide plädierten für eine kritische Hinterfragung des Erreichten und verwehrten sich gegen die Objektivierung und Reduzierung des Menschen als Mittel zum Zweck. Beide gingen zurück zu Kant und weg von Heels vermessenem Anspruch, die Vernunft und das absolute Wissen würden triumphieren. Beide distanzierten sich vom abendländischen Logos, suchten eine unverbrauchte Sprache und nahmen Anleihe bei Nietzsche, dem letzten Metaphysiker bzw. dem Anti-Platoniker. Damit sind sie Anti-Konformisten oder Opportunisten zum Zeitgeist und der Weltauslegung.

Wie kann man sich eine Synthese vorstellen: ist Heidegger im Entwurf von Adorno geborgen oder kehrt vielmehr Adorno in Heideggers Kehre wieder? Haben die Kulturindustrie und der Holzweg etwas gemeinsam, so dass sie als Synonym für dasselbe gelten können? Sind nicht beide etwas naiv in ihrem politischen Weltverständnis, in ihrer Selbsteinschätzung, die Zeit zu durchschauen, vorgegangen?

Foto Belinda Helmert: HANNOVER; HERRENHÄUSER GÄRTEN; GROTTE https://www.hannover.de/Herrenhausen/Herrenh%C3%A4user-G%C3%A4rten/Grotte

Der Jargon

Erst in den Achziger Jahren nahm man die tragisch-komische Seite dieses Duells zur Kenntnis und artikulierte „die gemeinsame Beziehung ihrer Sachen“, so der Heidegger-Schüler Hermann Mörchen in „Untersuchung einer philosophischen Kommunikationsverweigerung. HeideggersSchweigen zu und über Adorno hat nichts gemein mit Hegels Ignoranz Schopenhauers, da er ihn gar nicht kannte (Schopenhauers Bekanntheit setzte nach Hegels Tod ein). Eher könnte die gemeinsam verdrängte oder gar verleugnete Nähe zum Faschismus dafür ein Grund gewesen sein. Dessen Vorwurf an Heidegger, mit seinem „Jargon der Eigentlichkeit'“ nur seine Ratlosigkeit verbergen zu wollen, saß tief. Er hatte auch Gründe: Heideggers Stärke der „Kehre“ (Nachkriegsphilosophie) besteht darin, die Fragwürdigkeit und das Bedenkliche im Unbedachten in Augenschein zu nehmen, mitnichten Antworten zu liefern. Alles ist quasi nur in das Gestellte hinein- und vor- mitnunter auch nachgestellt, aber niemals wahr, echt, entborgen. Und selbst im Bergen verschüttet oder verbirgt das Subjekt bereits wieder das Wesentliche vom Wesen. Bei allem Respekt vor der Kritik des fraglosen Konsumierens und allzuschnellen Antworten, so darf die Philosophie doch mehr sein als nur Fragen neu oder anders zu stellen. Andererseits genügt Heidegger eine Qualitätsverbesserung der Ratio keineswegs.

Foto Belinda Helmert: Herrenhäuser Gärten, Grotte, Gestaltung Niki de Saint Phalle https://de.wikipedia.org/wiki/Niki_de_Saint_Phalle

Das Nichts

Es ist evident, dass Hegels System, so verdienstvoll es auch war, im Absolutismusanspruch vermessen war und zu Totalitätsansprüchen der Vernunft und seines Trägers, des Subjekts führte. Ebenso, dass die Möglichkeit, ein System für alle Realitäten und alle Wissenschaften zu überblicken, nicht mehr haltbar und noch weniger sinnvoll erschien. Und es ist augenscheinlich, dass der Weg im 20. Jahrhundert zurück zu Kant, der Hinterfragung des Ding an sichs und den Grenzen der Vernunft führen musste. Sowohl bei Heidegger als auch bei Adorno. Die Subjekt-Objekt Frage musste nicht nur neu gestellt werden, sie durfte auch auf eine neue Sichtweise hoffen. Seinsrealismus heißt der Schwarzwälder dies.

Heideggers These ist: Das Sein selber ist Zeit. Damit sprengt er den gesamten Subjektivismus der abendländischen Philosophie nach Kant, zudem den Fragehorizont der Metaphysik, die von dem Sein als dem Anwesenden (der Präsenz im Präsens) eingenommen ist. Das Fragen, das sich auf dieses Grundlegende, dass es das hinwendet, ist zwar selbst ein Fragen nach dem Sein, aber in einer Richtung, die in aller bisherigen Frage nach dem Sein des Seienden notwendig ungedacht blieb, ja gerade durch die von der Metaphysik gestellte Frage nach dem Sein verdeckt und verborgen wurde. Indem er die Frage nach dem Sein zugleich als die Frage nach dem Nichts aufweist, hat er Anfang und Ende der Metaphysik miteinander verknüpft. Dass sich die Frage nach dem Sein von der Frage nach dem Nichts her stellen konnte, setzte das Denken des Nichts, an dem die Metaphysik versagt, voraus.

In seiner „negativen Dialektik“ bezeichnet Adorno das Nichts als Nichtidentität: es ist jenes Unerkannte, Verblendete oder Verdrängte, die der positiven Dialektik (Hegels) abwesende Seite, zudem das nicht Aufgehobene in der Aufhebung (doppelte Negation Hegels). Nichts ist die negative Form des Seins.

Foto Belinda Helmert: Grotte Innenleben, Niki de Sainte Phalle: Bunte Glas- nd Spiegelornamente symbolisieren Spiritualität (Aussage der Künstlerin).

Wozu Philosophie

In der titelgebenden Frage, der Adorno in seinem Essay November 62 nachgeht. kommt der Denker der Frankfurter Schule trotz seiner soziologischen und gesellschaftsbezogenen Ausrichtung zu ähnlichen Schlüssen wie Heidegger, der sich an Sprache (Etympolige, rhetorik und Philologie) dem Kulturschock annähert. Beiden gilt zunächst die Kunst als einzige Rettung zur Wahrung der Wahrnis bzw. der Wahrheit, zur Belebung des Ereignisses bzw. der Existenz. Was bei Hedegger noch Manwelt hieß mit dem Problem der Jemeinigkeit, das keine eigenen Seins-Entwürfe mehr bereit hält, jegliche Sorge um das Seiende, das gerade nicht anwesend ist (im Sinn von Präsenz) vermissen lässt und die Gegenwärtigkeit sich nicht verwahrt, ist bei Adorno in den Begriffen Warenfetischismus und Kulturindustrie hinterlegt. Der Klang unterscheidet sich, die Melodie nur wenig.

Beiden geht es primär um Haltung, die Heidegger bervorzugt Stimmung oder Stellung heißt. „Freiheit des Geistes, der dem Diktat der Fachwissenschaft nicht pariert “ lautet einer der bestimmenden Sätze, die den Tenor Adornos, seines Abscheu vor der Moderne erklärt.Allerdings erhofft er sich, weniger technikfeindlich als Heidegger, Belebung von der Avantgarde, der Gegenwartskunst, während der Kollege sein Heil in den Vorsokratikern bzw. Hölderlin sucht, um dort etwas aus der „Seinsvergessenheit“ zu bergen. Gerade die fehlende Dialektik, die Heidegger wenn nicht verachtet, so doch weitgehend systemisch vermissen lässt und die Terminologie machen es schwer, die gemeinsame Stoßrichtung zu Adorno, dem Hegels Dialektik zu weit ging, so dass er sie als erkünstelt brandmarkt, zu erkennen.

Ratlosigkeit herrscht trotzdem zwischen den Zeilen, wenn es um konstruktive, poistive Kritik geht. Während Adorno gleich in die Negative Dialektik flüchtet, wartet man bei Hedegger darauf, was sich konkret kehren soll. Der Totalitätsanspruch der Vernunft, in Hegels System des Absolute kulminierend, wir angesichts der Katastrophen im 20. Jahrhundert verworfen, bei beiden wohlgemerkt, eine Rückkehr zum Alten verbietet sich von selbst, die Flucht nach vorne erscheint bei Heidegger bisweilen nostalgisch in Natur, Dorf, Einfachheit zu liegen, bei Adorno im Verzicht auf bürgergliche Saturiertheit, pausbäckige Wohlstands- und Wohlfahrtsgehaben.

Wörtlich steht S. 175 in der „Kritischen Theorie“, in der Adorno seinen Essay abdrucken lies, Heidegger schwöre der Ontologie ab, um der „Archaik“ Raum und Gehör zu verschaffen. Es steht dort ferner, dass der französische Existentialismus, an ihn anknüpfend, sich aufs politische Engagement verlegte, das Adorno als aktivistisch und roh disqualifiziert. Dass Heidegger in diesem Punkt stillschweigend seiner Meinung ist, kann kaum angezweifelt werden, da er sich konsequent jeglicher konkreter Seinsdarauslegung, auch der politischen, entzogen hat. Drittens schreibt Adorno, immer noch auf derselben Seite, im selben Absatz, Heidegger ginge es wie den Positivisten (Wiener Kreis, Carnap, Wittgenstein) um das Ende der Spekulation. Er habe eine „Aversion gegen Metaphysik„,

In diesem Zusammenhang sagt Adorno, „Heidegger habe zufolge aber verfehlt das Denken in dem von der abendlandischen Geschichte gepragten Sinn zutiefst die Wahrheit.Diese sei ein an sich Erscheinendes, sich Entbergendes; legitimes Denken nichts aIs die Fahigkeit, es zu vernehmen. Hintersinnig wird Philologie zur philosophischen Instanz ….“ (Dialektik der Aufklärung, Wozu noch Philosophie, S. 172). https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PHI/003/Bilddateien/Adorno.PDF

Foto Belinda Helmert: Grotte, außenleben, nüchtern und neben der Kaskade der ältesten Fontäne

Zurück zu Kant mit Minimalismus

Bei Heidegger jedoch wäre Denken, aIs ehrfürchtig begriffsloses, passives Lauschen auf ein Sein, das immer nur Sein sagt, ohne kritisches Recht und genötigt, unterschiedslos vor allem zu kapitulieren, was auf die schillemde Seinsmachtigkeit sich berufen kann. Heideggers Einordnung in den Hitlerschen Führerstaat war kein Akt des Opportunismus, sondem folgte aus einer Philosophie, die Sein und Fiihrer identifizierte.“ (Ebenda)

Hier begibt sich Adorno auf dünnes Eis, da er selbst über 1933 hinaus zögerte, einen Schlusstrich zu ziehen und sich als führender Kopf des Systems anbot. Politische Weitsicht war auch in seiner Beurteilung des Kommunismus bzw. Stalinismus nicht seine Stärke, trotz eines Benjamins und dessen Bericht aus Moskau und eines Horkheimers. Generell hielt sich Adorno nur gerne die Parteilosigkeit zu Gute, die er mit Unbestechlichkeit verwechselte. Wenn Adorno ferner postuliert, die Fundamentalontologie verblende sich gegen den Begriff und den Gesamtzusammenhang, dann sieht er in seinem Gegenspieler wohl die eigene Schwäche gespiegelt. Odysseus List hat er nichts entgegenzusetzen außer der Aussage, dass „Niemand“ (so nennt sich der Erfinder des Troyanischen Pferdes) zur Identitätsverleugnung beigetragen habe und seitdem der Tauchwert, die Ökonomie, das Denken leite. Zu selben Gedanken, nur anders formuliert, gelangt Heidegger in seinem 1950 erstmals gehaltenen Vortrag über „Das Gestell“ und „Die Gefahr“ .

Das Sujet des vergesellschateten Menschen ist zweifellos bei Adorno prägnanter, weil häufiger ausgesprochen, liegt aber auch bei Heidegger vor, wenn er vor der Sorglosigkeit warnt und der fehlenden Neugier bzw. den Unterschied zwischen perspektivenerweiternder Angst und hemmender, engender Furcht spricht. Auf die Freiburger Vorlesungen „Was heißt Denken“ bzw. „Grundlagen der Philosophie“ sei hier verzichtet, da die Themenstellung auf die Stunde Null gemünzt ist. Doch auch und besonders nach 1949, als Heidegger wieder öffentlich wird, betont dieser die Reduzierung der Autonomie, die bei Kants transzendentalem Idealismus noch im Vordergrund steht.

Foto Belinda Helmert: Herrenhäuser Gärten, Parkanlage, zwischen 1835 und 41 angelegt. https://www.hannover.de/Herrenhausen

Weg vom Man und vom Kitsch

Beide Philosophen, wenngleich von unterschiedlichen Ansätzen her, erkennen die Gemengelage, den ungünstigen Einfluss der Medien, der Technik, des Umfelds (der Mitwelt), der Kommerzialisierung, die vor Kunst nicht Halt macht. Sie erkennen die Hybris und ihr Scheitern, die Verunsicherung des bei Descartes im Zweifel siegenden Subjekts. Sie thematisieren die Kluft zwischen rescogitans und res cogitare, Bestimmen und Bestimmendes, sie erkennen die Differenz von natura naturans und natura naturata, zwischen produzierender und produzierter, erleidender Kraft. Damit ist auch klar, dass sie den Weg der Synthese, die in der Transzendetalphilosophe entscheidend wird, nicht mitzugehen bereit sind, auch aufgrund der realen Verhältnisse und der Dopplung der Wirklichkeit in eine, die subjektiv erlebt und eine andere, die vorgelebt wird. Nicht von ungefährt nennt Adorno zwei seiner Schriften „Minima moralia“ und „Ohne Leitbild“. Es geht konkret gegen Welteroberung als Weltanschauung, um Ausbeutung aus Effizienz. Eine verwildernde Subjektivät ist dies.

Heideggers Titel „Holzwege“ kehren nicht davon ab, dass jedes Individuum in eine bereits existierende Welt geworfen sei, folglich auch nicht frei konstituiere und, noch wichtiger, die Individualität begrenzt sei. Vom Ich spricht er wenig, Individualismus erscheint auch im inflationär und suspekt. Stattdessen gewinnen Mitwelt und Mitsein an Bedeutung. Der 1940 geborene Phänomenologe Jean Luc Nancy hat es einmal paradox pointiert: Einerseits lasse sich das Soziale nur mit und nach Heidegger denken, andererseits sei es unmöglich, es so wie Heidegger zu denken. Natürlich spricht Heidegger über das Zuhandene und das Zeug, in dem das Ding nicht aufgehe, weil es über den Zweck hinausreiche. Daher ist er interessant für die französische Existenzphilosophie, sogar unentbehrlich, welches das Ringen um einen eigenen (Lebens)Entwurf so betont. Natürlich ist das Nichts auch hier von Relevanz, ohne die wäre Sartres Titel „Das Sein und das Nichts“ gar nicht schlüssig.

Das Dasein ist „mit Anderen“, und diese sind mit „da“. ,,Das innerweltliche Ansichsein der Anderen ist „Mitdasein“. Adorno genügt dies so wenig wie Nancy, doch verweigern sich beide Denker bekanntlich der Psychologie, obschon sie sicherlich die Existenz des Unbewussten oder Unterbewusstseins nicht leeugnen oder ignorieren. Heidegger spricht vom Seinsgeschick und der Schicklichkeit, das Schicksal in die rechten Bahnen zu leiten. Wenn aber das schicksalhafte Dasein als In-der-Welt-sein wesenhaft im Mitsein mit Anderen existiert, ist sein Geschehen ein Mitgeschehen und bestimmt als Geschick. Er spricht ferner häufig von einer Lichtung und von dem wahren Sehen bzw. Erkennen, da nicht mehr rational dianoetisch, sondern existenzbezogen einsetzt. Es geht ihm darum, das „Man“ sichtbar zu machen und aus seinem Schatten herauszutreten. Eben diesen Ansatz verfolgt Adorno, wenn er Klischee und Kitsch diabolisiert und sich eine Heilung der Wunde durch Kunst erhofft, die nicht mehr versöhnt, sondern aufzeigt, was Harmonien eigentlich sind.

Die Differenz ist folglich beiden wichtig und noch wichtiger, die Beibehaltung des Anderen im Selbst, die Parallelexistenz möchte man sagen. Keinesfalls ist es Adorno oder Heidegger um Verschmelzung zu tun, um Totalitätsanspruch, weder der Vernunf noch des Leibes. Beide wollen nicht mehr Teil einer Bewegung sein, die sie als weitere List der Vernunft enttarnt haben, als Aktionismus anstelle der kritischen und bedachten Reflexion.

Foto Belinda Helmert: Herrenhäuser Gärten, Schilfgras, in der griech. Mythologie der Syrinx zugeordnet, ein asketische Nymphe.

Der maximale Unterschied zwischen Objektivität, die beide anstreben: Um dem objektiven, der Realität als solche gerecht zu werden, fordert Adorno potenzierte Subjektivität – Adorno, Ausblendung der Subjektivität ist Heideggers Antwort. Das Medium ist eine erotische Sprache; gewaltloses Sich Anschmiegen. Mensch und Natur im Einklang. Auswege bestehen keine, bestenfalls Schadensbegrenzung.


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