Foto Belinda Helmert: Aussichtspunkt Caspar David Friedrich, 2024 errichtet von Thomas Jastram auf Kap Arkona, Rügen, Halbinsel Wittow, zum 230. Geburtstag des Malers. https://www.ndr.de/kultur/kunst/Caspar-David-Friedrich-Statue-auf-Ruegen-eingeweiht,friedrich638.html,
Sehnsucht ist besser als Erfüllung
Wittow, im Norden der Insel Rügen gelegen, bildete den Zufluchtsort mancher Schriftsteller, darunter auch für Hans Fallada (1893-1947). Weit hatte es der aus Greifswald stammende gebürtige Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen nicht, als er 1920 auf das Gut in Gutteritz nahe Putgarten kam, um als Landarbeiter Fuß zu fassen. Die Frucht seiner Jahre, die er auf Rügen verbrachte, waren die kleinen Romane „Anton und Gerda“ (1923), und „Wir hatten mal ein Kind“ (1934) . in denen er namentlich Rügen schildert, wenngleich die Orte fiktiv gewählt sind. Letztere, während des NS Regimes veröffentlichte Geschichte zählte er zu seiner besten. Obwohl „Wir hatten mal ein Kind “ mehrfach sein Lieblingsbuch nennt, wurde er nie zu Zeiten der DDR publiziert. Der Grund: Fallada gehörte nicht zu den Exil- oder verbotenen Autoren, er hatte sich mit den Faschisten arrangiert. Alle Werke, die nach der Machtergreifung entstanden, waren verboten. https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110282146-029/html?lang=de&srsltid=AfmBOorB91_7zgjTilEL9aI7Lx88RtVVginhR8UCHGH4xBmMhEEj_cJG
Selbstportrait Hans Fallada. Der Vorname seines Pseudonyms bezieht sich auf den Protagonisten von «Hans im Glück» und der Nachname auf das sprechende Pferd Falada aus «Die Gänsemagd». Dem Pferd Falada wird der Kopf abhackt, damit er sein Wissen um die Wahrheit nicht verrät. Der Titel ist ein Zitat aus „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“ und das selbtzerstörerische Motto des mehrfach süchtigen Autoren, der an Organversagen starb.
Stilistisch gehört Fallada der Neuen Sachlichkeit an, trägt aber auch expressionistische Züge, die den Existenzkampf kleiner Leute in den Mittelpunkt rückt und besonders Außenseiter – Schicksale veranschaulicht. Seine Werkliste ist einzusehen unter https://fallada.de/werkliste/
Foto Belinda Helmert: Steilufer, typisch für Rügens Norden und damit die Halbinsel Wittow, das zudem von Weiden geprägt ist.
Der Schriftsteller nannte Rügen, speziell die Halbinsel Wittow „Windland“. In seinen kleinen Erzählungen kommt er immer wieder auf die raue Insel an der Ostsee zu sprechen, auf die erprägende Jahre seiner jungen Schriftstellerlaufbahn zwischen 1921 und 25 verbrachte. Sie kommen in „Nuschelpeter“, das von einem Jungen handelt, der aufgrund seines Sprachfehlers mit Unmengen Bonbons anstelle des gewünschten Pflaumenmus nach Hause kommt ebenso zum Ausdruck wie in „Lüttenweihnachten“, das von einem Ausflug kleiner Kinder an die Küste handelt, die dort in ihrer kindlichen Fantasie Gespenster sehen. Beide Geschichten fanden Eingang in das Erzählband „Geschichten aus der Murkelei“.
Foto Belinda Helmert: Vitt, Fischerdorf und Blaupause für Handlungen im Roman „Wir hatten ein Kind“, das von unstillbarer Sehnsucht nach Freiheit handelt.
Wasser und Wind und ein Kartoffelbeamter
Falladas Hauptaufgabe auf Gutteritz war die Kartoffelernte, weshalb er sich selbstironisch Kartoffelbeamter hieß. Sein prägende Zusammenfassung der Umgebung, des Milieus, das Mensch und Natur nicht romantisiert, aber in ihrer Einheit betont, ist „Wir hatten mal ein Kind“ entnommen:
„Wasser und Wind, ein unbeständiger, meist grauer Himmel, end-loser rauer Winter und spätes Frühjahr, schwieriger Ackerbau, von Schiffbruch bedrohte Seefahrt haben die Bewohnerdieser Halbinsel wohl wortkarg und rau, aber auch derben Späßen und lautem Gelächter geneigt gemacht. (…) Es ist
eigentlich eine Zufallssache: entweder wird man bei sol-chem Klima hintersinnig und ein Spökenkieker, oder manläßt ein paar Fliegen burren, sich und der Nachbarschaft zur Freude.“ https://www.projekt-gutenberg.org/fallada/wirhatte/chap001.html
Immer wieder kommt es zu einer Synthese zwischen Wasser und Land, verbunden durch den Wind. Als Beispiel dient die Freiheit, die nur ein Bauer erreichen und erfahren kann, der beides kennt: die See und den Acker, die Weite und die Nähe. Vitt liefert beides und dürfte Falladas Vorlage sein.
Der Ort heißt im Roman Fiddichow. Fallada nimmt Bezug auf die slawischen Siedler, die durch die Dänen zwangschristianisiert oder getötet wurden und dessen Reste auf einem Felsvorsprung bei Cap Arkona nahe Vitt gefunden wurden. Er verweist auf die Tradition der Seeräuber:
Foto Belinda Helmert: Wittower Wiesen und Äcker nahe Putgartens, in dessen Nähe (Altenkrichen) Fallada zwei Jahre als „Kartoffelbeamter“ zubrachte.
Anton und Gerda
„Anton und Gerda“ (1923) handelt, darin charakteristisch für den Autoren, von einem gescheiterten Lebensentwurf und trägt wie Suchtproblematik und Einweisung in eine Nervenheileinstalt autobiografische Züge. Ein junger Mann flieht mit einer Prostituierten aufs Land, doch der Ausbruchsversuch scheitert und er wird ins Irrenhaus eingeliefert. Auch vor seinem Aufenthalt in Gudderitz wurde Fallada in der Pommerschen Provinzialheilanstalt Stralsund behandelt.
Der mittellose, etwa dreißigjährige Dichter Anton Färber lebt bei Freunden auf dem Rügener Land und lässt sich treiben, am Meer, in der Heide, nachts zieht er in die Kneipe. Er ist ein Sinnsuchender, ein unsteter Geist. Als er auf das käufliche Mädchen Gerda Loo trifft, entspinnt sich so etwas wie Liebe. ‚Der zweite Roman lässt gesellschaftskritische Themen bestenfalls ahnen. Immerhin, Anton ist Abiturient mit gut mittelständischem familiären Hintergrund, Gerda wesentlich älter und Prostituierte. Das unkonventionelle Paar entflieht dem für sie lebensungünstigen, moralisch sauren Kleinbürgerbiotop, ein Happy end bleibt jedoch aus. Falladas Helden sind und bleiben immer Suchende auf der Suche nach dem Leben.
Foto Belinda Helmert: Weg von Putgarten nach Vitt an der Küste Wittows nahe Kap Arkona und dem Hochuferweg, den Fallada liebte.
Warum müssen Hunde nachmittags bellen?
Der Roman im Stil des erlebenden Bewusstsein ist in vier Bücher unterteilt und diese in mehrere Kapitel. Das erste trägt den Titel „Warum müssen Hunde nachmittags bellen?“ und besteht aus vier Sätzen sowie zwei wiederholten Fragen, wohin man spazieren gehen könnte „Ans Meer? Ans Meer?“ Es existieren noch kürzere, aus nur einen oder zwei Sätzen bestehende Kapitel und mehrfach die Titel „Fortsetzung“. Aus dem ersten sei der gesamte Abschnitt zitiert:
Im Erheben aus der Beugung des letzten Grußes stand er eine Weile, nicht denkend, nein, nur wie wartend, und die erwartete Intuition kam: er ging rasch auf einen Wacholder zu, beugte sich, scharrte ein wenig Sand von den Wurzeln, hob ein leinenes Beutelchen aus der Erde und hielt’s, ohne es zu betrachten, in der hohlen Hand.
„Kam auf die Düne, sah das Meer, dem die Sonne näher sank, warf sich auf den Rücken, und nun, umweht vom Wind, angetan vom Branden, Zischen, Steinmahlen der Wellen, gepeitscht das Blut von manchem Möwenschrei, legte er das Säckchen auf die Stirn. Zuerst war’s kühl, dann liefen warme Schlänglein in die Schläfen, um das Haupt, sie verknoteten sich zum Kranze, verkürzten sich zu schädelsprengendem Knebel – ihm war, als würfe er sich hoch, brülle diesen rasenden, unerträglichen Schmerz mit äußerstem Willen aufs Meer; doch nun schien ihm Zurücksinken richtig, Erschlaffen, Ausbreiten des Leibes … Die Wellen trugen keinen Schaum mehr, eine endlose tiefblaue Dünung, in der er trieb, ein Ertrunkener, Salz auf den Lippen, die Augen wie einer Pflanze Poren aufgetan, atmend … trieb, trieb in der Dünung … einmal noch würgte Ekel, schmeckte bitter … und im Hirn des Ertrunkenen wacht ein Traum auf, regt sich wie ein Kind im Schlaf, wacht auf ein Traum …“ https://www.projekt-gutenberg.org/fallada/antonger/chap001.html
Foto Belinda Helmert: Hochuferweg an der Nordostküste Rügens kurz vor der Feilchentreppe.
Grenzen überschreiten
Entscheidend ist der Wunsch sich der Zufälligkeit, nicht der Notwendigkeit auszuliefern. Bezeichnend dafür entscheidet sich Anton, aufgeschreckt von den Hunden, zu einem Spaziergang ohne Ziel bzw. mit vager Orientierung zum Meer. Dies war auch typisch für die Ausflüge Falladas, insbesondere nach Cap Horn zu den Leuchttürmen und entlang des Hochuferweg bei Putgarten, wo heute eine Sitzbank mit Blick auf die Wittower Kreidefelsen erinnert.
Das Unangepasste ist Falladas Leib- und Magenthema. Um seine anhaltende Morphiumsucht zu finanzieren, begeht Fallada mehrere Betrugsdelikte, die ihn 1923 für Monate und ab 1925 für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis Neumünster bringen. Zu keiner Zeit gelingt es ihm, sich mit der bürgerlichen Moral zu arrangieren, was ihm den Ruf „unbeugsamer Autor“ einträgt. Ansätze für das ausgeprägte Interesse an der Landvolkbewegung sind zu erkennen. Rowohlt, den Fallada September 1919 kennengelernt hatte, hielt tortz der Misserfolge an seinem Talent fest; es entstand über die Jahre eine beinahe freundschaftliche Bindung, die den Verlag generell auszeichnete. Um weitere Kleinkriminalität zu unterbinden, erhielt der suchtkranke Autor eine Stelle im Verlag, die nur pro forma bestand.
Ein Satz für Falladas Kampf gegen die Furcht, die Enge einer bürgerlichen Beziehung, ist bezeichnend: “ Denn so sind die Menschen. Eine gemeinsame Furcht führt sie leichtetr zusammen als eine gemeinsame Liebe.“ Am Ende scheitern auch seine Beziehungen an der Sucht, an dem ewigen Ausloten der Grenzen.
Foto Belinda Helmert: Am Ufer des steinigen Hochuferweges zwischen Kap Arkona und Vitt mit der Veilchentreppe. Fallada konnte nie Wurzeln fassen.
Senkrecht entstieg die Steilküste einem weiß zerrissenen Meer.
Der Satz entstammt dem abschließenden Kapitel „Und das Meer“ , das von Kreidebrüchen und -Felsen handelt. Ihre Schroffheit und Schönheit symbolisiert die menschliche Einsamkeit und Ausgesetztheit gegenüber der Natur, aber auch eine trotzige Kraft, sich niemals vereinnahmen zu lassen. Die Konventionen zwingen das Paar, die Insel zu verlassen. Die selbstmörderische Flucht misslingt, der morsche Kahn kentert, Anton und Gerda müssen ans Ufer zurückschwimmen. Die letzten Sätze deuten an, dass es keine Zukunft geben wird – trotz eines innigen Kusses.
„Er spähte in ihr Gesicht. »Gutes, liebes Gesicht, schönstes, einziges auf der Welt. Für mich hast du gelächelt und geweint, immer warst du mein schönster Gruß, mein seligstes Glück. Du hobest dich als ein Übermenschliches in mein Leben hinein, das sich sonst verloren hätte in den Niederungen des Bürgers. Um deinetwillen, nur um deinetwillen ist das Leben schön. Wie ich dich liebe!« Sie hob die Augen, sie lächelte sanft: »Wie wir uns lieben!« Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals, sie küßten sich.“
Dieser als auch der 10 Jahre später verfasste, auf Rügen, Wittow spielende Roman, wendet sich nach innen und gibt sich wenig mit der Außenwelt ab. Spätere Werke, die im engeren Sinn der Neuen Sachlichkeit zugerechnet werden können, erweisen sich als „radikale Depotenzierung und Entfremdung des Subjekts“.
https://api.pageplace.de/preview/DT0400.9783110282146_A33545932/preview-9783110282146_A33545932.pdf (Seite 62).
Carsten Rode spricht in dem Hans Fallada Handbuch von romantischer progressiver Univerpoesie im Übergang zu Spätexpressionismus. Der Vergleich hinsichtlich eines Puberttässroman zu Wedekind fällt. Ungeschönte realistische Moderne ist es in jedem Fall.
Foto Belinda Helmert: Kapelle zu Vitt, Außenansicht. Die 1804 von den Schweden in Auftrag gegebene Oktogon gehört zur Gemeinde Altenkrichen und war Fallada wohlbekannt. Das Innenleben wollte C. D. Friedrich gestalten, doch der leitende Pfarrer Kosegarten entschied aus Kostengründen anders; er finanzierte einen Teil der Innenausstattung selbst. Heute steht die Uferkapelle mit weiß getünchten Wänden und einem Reetdach über dem Meer.
Wir hatten mal ein Kind
In „Wir hatten mal ein Kind“ (1934) verarbeitet Fallada ein eigenes Trauma, die tragische Geschichte eines Rüganers, der sich von dem unbändigen Drang nach Freiheit, die seine Familie prägt, befreien möchte. Doch er kann nicht aus seiner Haut und verliert die große Liebe seines Lebens und ein Kind durch dessen Frühtod. Der erste Satz lautet nüchtern und minimalistisch: „Johannes Gäntschow wurde am zwölften März 1893 als Sohn einfacher Bauersleute auf der Insel Rügen, und zwar auf deren Halbinsel Fiddichow, geboren.“ Er wächst bei einem misanthropischen Großvater namens Malte und seinen beißwütigen Schäferhunden auf. In das zentrale Thema Einsamkeit, korrespondierend mit der Abgeschiedenheit des Gutes, führen der Friedhof und das Portrait des missmutigen wie misstrauischen Bauern ein. Besondere Aufmerksamkeit erhalten jedoch die wilden, wolfsähnlichen Hunde.
Vielleicht weil es sein persönlichstes Werk ist, fehlt weitgehend das für den Autoren so charakteristische Mitgefühl mit dem Unglück. Ungewöhnlich für Fallada ist zudem das Fehlen eines klaren Protagonisten. Er schreibt 1933 an seinen Verleger „Im Grunde sind es viele Einzelgeschichten mit sehr wenig Dialog um einen sehr starken Helden“. https://wasliestdu.de/hans-fallada/wir-hatten-mal-ein-kind
Dementsprechend fiel auch der Arbeitstitel aus. Salatgarten – weil der aus vielen verschiedenen Blüten und Blättern, aus den unterschiedlichsten Gewächsen bestehen sollte. https://epub.sub.uni-hamburg.de/epub/volltexte/2021/129389/pdf/Salatgarten_2_2021_web.pdf (Seite 1)
Geschrieben in Carwitz (Mecklenburg-Vorpommern) steht eine Jugendliebe im Mittelpunkt der Erzählung, die zwischen dem Bauern Johannes und der aus dem Adel stammenden Christiane, die nicht an den Standesunterschied scheitert, sondern an seinem Eigendünkel und Selbsthass oder einfach seiner Lebensuntauglichkeit. Die kolportierte Dreiecksbeziehung – Johannes ist verheiratet, als er die gleichfalls verehelichte Christiane nach Jahren der Trennung wiedertrifft – trägt gleichfalls Züge Falladas, der ebensowenig treu wie ohne Morphium oder Alkohol sein konnte. Am Ende verliert sein alter Ego Hannes alles, weil er keine Kompromisse einzugehen bereit ist.
Es ist der längste Roman des Vielschreibers – ca. 600 Seiten. Eine Inhaltsangabe liefert https://kulturbowle.com/2021/10/23/rugen-lekture/
Foto Belinda Helmert: Vitt kurz nach Sonnenaufgang mit Bootssteg. Der beschauliche Ort in einer Talsenke war einst Teil des Heringsweges (Silber des Meeres). Die Steilküste wird Liete genannt und bildete einst Zufluchtsort für Piraten wie Störtebaker. Vor ihm siedelten die Slawen auf dem Felsen von Arkona Sanwatevit. Fallada erwähnt sie in seinem Roman „Wir hatten ein Kind§“, in dem es auch um Ahnenforschung geht.
eine komische Art von Glück, aus lauter Splittern
Durchaus prägend ist die zu Beginn geschilderte Landschaft bei Gudderitz, die jedoch eher an das in einer Senke gelegene Fischerdorf wie Vitte direkt an der Küste erinnert: „Der Hof lag in dem sonst hier flachen Land auf einer leichten Anhöhe, nicht höher als etwa ein umgekippter Suppenteller. Aber diese geringe Erhöhung genügte doch, um den Blick auf das Wasser nach fast jeder Himmelsrichtung frei zu machen. Im Westen war der Rieker Bodden, nach Süden der Dreeger, im
Osten war oft, nicht immer die Lommer Wiek zu sehen, nach Norden freilich nichts. Denn hier hob sich das Land sachte und kaum merklich zur Steilküste, die das Meer verdeckte. Dafür stand dort der Leuchtturm von Sagitta, der Nacht für Nacht, Sekunde für Sekunde seine schmerzend weißen Lichterschwerter nicht nur über die See, sondern auch in alle Fenster stieß, daß die ganze Stube gespenstisch aufleuchtete, wieder in die Schwärze fiel … aufleuchtete … Schwärze fiel. Und alle Nebelzeiten erfüllte er mit seinem tiefen, urwelthaft traurigen Gebrüll, kommend, anschwellend, übermächtig, und langsam wieder schwächer werdend.“ https://www.projekt-gutenberg.org/fallada/wirhatte/chap001.html
Was Fallada auszeichnet, sind in wenigen Worten eine Stimmung zu erzeugen. Besipeilhaft dafür die Überschrift, entlehnt aus folgender Passagegegen Ende des Romans, als bereits abzusehen ist, dass Johannes nicht Fuß fassen kann auf seiner Scholle und erst recht nicht im wahren Leben: „Aber es ist so eine komische Art von Glück, aus lauter Splittern. Vielleicht gibt es keine andern Glücksmöglichkeiten als diese. Immer nur auf der mittleren Linie, mit Einschränkungen und Kompromissen.“
Weder Johannes (angelehnt an Falladas engsten Freund auf Wittow, Johannes Kagelmacher) noch sein Schöpfer können oder wollen diese lebensnotwendigen Kompromisse gehen und sich einschränken (lassen). Ein humoriges Beispiel, wie Landschaft Menschen prägt, liefert folgender Abschnitt, der Mensch und Haus vergleicht, indem beide entgegen der Verwitterung verjüngen: Opa Gäntschow erklärt einem erstaunten Beamten, die Häuser sähen auf Rügen alle jünger aus, als sie seien, wegen des rauen Seeklimas. Als dieser einwendet, die spreche für eine raschere Verwitterung, entgegnet er, weshalb sonst die Städter auf der Insel Erholung suchten und jünger als sie kämen aufs Festland zurückkehrten. Ein Haus müsse, da es Tag und Nacht dem hiesigen Wetter ausgesetzt sein, noch viel langsamer altern als ein Besucher. https://nordruegen.de/wp-content/uploads/2023/04/TV_Nordruegen_Gaestebote_Ausgabe_29_2023_web.pdf
Belinda Helmert: Veilchentreppe zwischen Vitt und Kap Arkona, die den Hochuferweg mit der Küste verbindet. Hier von oben, dann von unten.
Aber es war sein Kind, sein kleines Mädchen!
Das titelspendende Kind kommt erst im sechsten gleichnamigen Kapitel zur Sprache. Johannes findet einen Stolperstein mit einer eingeritzten Zeichnung: „Nun, und drei Wochen nach diesem Fund berichtete ihm Christiane, daß sie ein Kind zu erwarten hätten. In demselben Augenblick war natürlich alles himmelsklar. Die Sonne mit den Strahlen nach der einen Seite, das war er, und das Ovale war das Ei, das Kind, und die beiden Dreieckseiten, das waren die Beine, zwischen denen das Kind hervorkam. Die einfachste Sache von der Welt. Er hatte es Christiane gezeigt, aber sie kapierte es doch nicht! Sie lachte nur.“
Es wird offensichtlich, dass er sich über den Fund des historischen Steins mehr freut und mehr Bezug mit seinem Schicksal verknüpft als mit dem Ungeborenen, das ihm nur Zufall erscheint. Ebenso deutlich wird ihm der Gedanke, nicht tief genug lieben zu können, um sich fest zu finden, um seine Freiheit gegen dieses Maß an Verantwortung eintauschen zu wollen. Ausdruck für seine selbstgewählte Einsamkeit ist der folgende Spaziergang, bei dem er Christiane nicht an seine Seite lässt, weil er glaubt, seinem Traum von einer Sandgrube nur alleine folgen zu dürfen.
Fallada lässt uns an den Gedanken beider Liebenden teilhaben. Christiane fühlt sich in ihrer Ehe von ihrem Mann, der Nähe erdrückt, doch die nahezu authistische Art ihrer Jugendliebe kann sie auch nicht ertragen. Sie denkt: „Es ist komisch eingerichtet auf dieser Welt: was der eine zu wenig hat, hat der andre zu viel. Stupps hat mich immer zu Tode geelendet mit seinen Erkundigungen, ob ich mich auch wohl fühle, und was ich jetzt gerne möchte, und ob das Kissen denn auch wirklich richtig liegt. Hannes sollte mich nur einmal nach so etwas fragen. – Sie seufzt wieder. – Es ist schon eine verdrehte Geschichte, und ich weiß noch viel weniger als vor einem halben Jahr, was daraus werden soll. An Heiraten denkt er, glaube ich, schon überhaupt nicht mehr.“
Am Ende bringt sie ein kränliches Kind zur Welt, das die Atemnot nicht überlebt: „sein Mädchen wollte nicht atmen, seine Tochter wollte sterben.“ Christiane beginnt sich vor ihrem immer zurückgezogener lebenden, schroffen Geliebten zu fürchten. Angst tötet alles, auch die Liebe. So wie das Misstrauen im Hannes, der sich nie wirklich zu öffnen vermag. Am Ende ist der Hof verschuldet, das Kind tot, Hannes muss in die Nervenheilanstalt (weil er mit seinen Ahnen als Geistern redet) und Christiane verlässt die Insel.
Foto Belinda Helmert: Ausblick vom Hochuferblick bei Kap Arkona auf die Ostsee.
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