Die Lösung

Foto Belinda Helmert: Tränende Zweige, Landschaft zwischen Steyerberg und Liebenau, Oferweg entlang der Aue. Er war wegen des verheerenden Hochwassers lange gesperrt, weil die 7 km lange Strecke nicht überall befestigt war.https://www.dieharke.de/lokales/nienburg-lk/steyerberg/steyerberg-fussweg-an-grosser-aue-nach-hochwasser-gesperrt-RV4KEAW37BD7THQKM6GA64EMTE.html.

Weshalb dieses Bild? Künstler wurden systemübergreifend im Osten wie im Westen kaputt gemacht. Drei Sätze Brechts sollten genügen, um besser zu hinterfragen, warum das Volk keine andere Regierung wählte, als es snoch möglich schien. „Die Lösung“ ist ein kurzes Sinn-Gedicht von Brecht aus dem Zyklus „Buckower Elegien“. Es war eine Reaktion auf den schicksalhaften 17. Juni 1953. Iin der DDR wurden Arbeiterproteste, die sich zunächst gegen staatlich auferlegte Normerhöhungen gerichtet hatten, unter Eingriff Russlands gewaltsam niedergeschlagen. Unmittelbare Folge war der Mauerbau.

Zehn Sätze umfasst das Gedicht, rezitiert von Fritz Stavenhagen auf https://www.youtube.com/watch?v=CPj05qh-ljo

Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
10 Wählte ein anderes?

Brecht bekundet in einem kurzen, aus drei Sätzen bestehenden, Brief an Walter Ulbricht seine Verbundenheit mit der SED, aber auch seine Kritik in einem langen Brief. Die SED Regierung entschied, ihn verkürzt zu veröffentlichen. Die zentralen Gedanken: freie Wahl (selbst diese ist inzwischen im Westen nur noch außerhalb der Seniorenheime möglich, denn in ihnen herrscht bereits Verbot für die AfD), die Regierung dient dem Volk, nicht invers, Vertrauenskrise. Wie oft wird das Mandat missbraucht? Heute wie damals. Wir wähnten uns frei, doch alles kehrt wieder, auch die Methoden von damals: Einschüchterung, Informationspropaganda, Einheitspresse.

Brecht kritisiert in seiner politischen (Nachkriegs)Lyrik die Machtdynamik zwischen Regierung und Volk. Die Ironie und Satire zeigen seine Abneigung gegenüber undemokratischen, staatsfokussierten Lösungen. „Die Lösung“ fand folglich zu Lebzeiten Brechts keine adäquate Veröffentlichung. Zu hören ist ’sie auch unter htps://www.deutschelyrik.de/die-loesung.htmll. 80 Jahre nach dem Mauerbau besteht sie immer noch oder wieder in den Köpfen, betonierte Ideologie.

Foto Belinda Helmert, Porta in der Kirchstraße, Liebenau. Symbol für die Mauer zwischen Ost und West. Beide Systeme hatten ihre Vorzüge und ihre Nachteile. Seit der Übernahme, die einem Insolvenzverfahren gleicht mit der anschließenden Vereinnahmung (so empfinden es zumindest die Ostdeutschen) nähert sich der Westen immer mehr den Methoden des Ostens zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung und gelebter (lebendiger) Demokratie an.

Arbeiterlieder – dennoch Feind der Ideologie

Brecht bekundet in seiner Ballade „Der Klassenfeind“ 1930 (er richtete sich an die Kontroverse Kommunisten/Sozailisten/ Demokraten gegen Rechtsgesinnte und Demokratiegegner in der Weimarer Republik) sein Misstrauen, dass es Friede und Verständigung zwischen den politischen Lagern geben könne. In der Religion wie in der Politik scheint eine Versöhnung unmöglich. Er erfand das Gleichnis des Regens, der immer von oben nach unten fällt. In der bekanntesten Version, rezitiert von dem aus Kiel stammenden Ernst Busch, der ein Leben in der DDR vorzog und in Bernburg (Sachesen-Anahjlt) 1980 verstarb:

Fazit: Träume bedürfen Bodenhaftung. Das galt erst Recht für den Traum von einem besseren, gerechteren Deutschland im realen Sozialismus. Wenn Brecht in einem Interview wagt „Ich träume nie“!, dann meint er, von Ideologie oder Systemen, die aktuelles Unrecht mit Verweis auf die Zukunft oder Vergangenheit rechtfertigen, ja legitimieren.

Brecht belebte und perfektionierte das Arbeiterlied. Ein Beispiel liefert das Einheitsfontlied 1934. Die Musik stammt vom wohl bedeutendsten Komponisten, mit dem Brecht zusammen arbeitete und der sich gleichfalls im Nachkriegsdeutschland für den Osten entschied, selbst nach dem Mauerbau: Han(n)s Eisler, der u.a. die Nationalhymne „Auferstanden aus Ruihnen“ (Text Johannes Becher) verantworlich zeichnete.

Zentrales Thema hier: die Einheit zwischen SPD und KPD, die aus der USPD hervorgegegangen war, wieder herzustellen, um den Widerstand zu stärken. Analogie zu heute: die Oppostion geht getrennte Wege, misstraut sich und schwächt sich damit in ihrer Wirkung selbst. In der Vertonung von Hans Warder: https://www.youtube.com/watch?v=unb9i5C_y4s.

Der zur Spaltung der SPD Partei führende Streit 1917 hatte zwei Ursachen: Der Dissens um eine nationale oder internationale Ausrichtung und der Umgang mit der Auseinandersetzung um die Oberhoheit der rechten Auslegung von Karl Marx. Beides fand ihre Fortsetzung im Kalten Krieg; nur diesemal unter dem Vorzeichen, wer das wahre Deutschland und das gerechtere System vertrat. Die Opfer blieben hüben wie drüben Menschen.

Brechts einprägsam wiederkehrende Anfangszeile lautet Und weil der Mensch ein Mensch ist. Der darin inkludierte Traum: selbstbestimmtes Leben, niemand über und niemand unter sich zu haben. Der zweistrophige Liedtext ist nachzulesen unter https://www.marxists.org/subject/art/music/lyrics/de/die-einheitsfront.htm. Er dokumentiert, dass Brecht schon immer Kürze bevorzugt (siehe „Die Lösung“), quasi eine Abbreviatur der Parabel und es ihm zuvörderst um eine Gemeinschaft auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner ging.

Von den im Osten entstandenen Nachkriegs-Gedichten sind die Buckower Elegien die wichtigsten. Die lyrischen Ergüsse enthalten auch „Die Lösung“. Viele Gedichte wurden vertont von Han(n)s Eisler, einem jüdischen Kommunisten aus Österreich und Komponmistender DDR Hymne „Auferstanden aus Ruinen“. Der Text stammt pikanterweise aus der Feder eines Münchners, der als Kommunist gleichfalls im Osten sein Leben beendete: Johannes Robert Becher. https://www.mdr.de/geschichte/ddr/politik-gesellschaft/nationalhymne-auferstanden-aus-ruinen-100.html. Zentral ist der Refrain Deutschland, unser Vaterland. Zu hören unter https://www.youtube.com/watch?v=DTV92wqYjfA.

Foto Belinda Helmert: Uferweg Steyerberg- Liebenau, Blühendes Rot.

Es wird verschoben und es wird verdrängt

Brecht wollte nie vereinnahmt werden, schon gar nicht vom SED Regime. Auch in der DD(emokratische)R bestand bestenfalls vordergründig eine Solidarität der Regierung (des Regens) mit dem Volk (dem Boden). Auch heute besteht die Gefahr, dass sich hinter dem inflationär benutzten, meist sogar missbrauchten Begriffen der Freiheit und der Demokratie nur depotisches Unrechtsregime verbirgt. Brechts Text wirft die Frage auf: Warum wählte der Osten – wie nach ihm der Westen und vordem die Weimarer Republik eines Gesamtdeutschlands – seine kultivierte Bevormundung? Wäre es nicht besser, aufrichtig zu sein?

21 kurze Geidchte: Die „Buckower Elegien“, Brechts Blüte der Ost-Berliner Zeit in der russisch- okkupierten Zone erlebte der Dichter nicht mehr. Sie wurden erst 1964 veröffentlicht, da sich kein Verlagt fand, der die brisanten, weil kritischen Zeilen (Elegien) drucken wollte. https://germanistik.unitbv.ro/wp-content/uploads/2019/12/Markus_Fischer.pdf

Brecht kehrte nach Kriegsende aus dem ungeliebten amerikanischen Exil zunächst in die Schweiz zurück. Erst Januar 1948 entschied er sich, sein Theater und damit seinen Lebensmittelpunkt nach Ostberlin (russische Besatzungszone) auszurichten. Er fand auch hier Verdängung und Vertagung aller Reflexionen vor. Sein Urteil: „Alles fürchtet das Einreißen, ohne das das Aufbauen unmöglich ist.“

Verdrängung ist auch ein Leitmotiv in „Mutter Courage“, da die Titelheldin den Krieg für lukrativer erachtet als den Frieden. eine aktuelle, wenngleich amoralische Haltung. Auch der Kapitalismus ist nicht für den Menschen, sondern der Mensch für den Kapitalismus da.

Sein im Exil (Dänemark) geschriebene Stück Mutter Courage und ihre Kinder stieß im Westen auf taube Ohre, totz der Uraufführung in Zürch, wo das Stück eine schlechte Resonanz erfuhr. Reiner Pragmatismus trieb Brecht und seine Entourage folglich in den Osten, keineswegs politische Vorliebe bzw. ihm angelastete Ideologie.

Die Priorität seiner Arbeit lag in der Gründung eines eigenen Ensembles und der Etablierung des epischen Theaters, deren Organisation oblag alleine Helene Weigel. Sie ermöglichte Brecht ermöglichte (ihm den Rücken freihaltend) ausschließlich kreativ zu wirken. https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Ensemble. Er nahm in seinem Repertoire auch Werke von anderen Autoren auf, so Hauptmanns „Biberpelz“ und Lenz „Die Soldaten“. Vor allemShakespeares im Westen nie gezeigte Tragödie „Colorianus“ dokumentiert, dass Brecht (ohnehin zunehmend krank) sich keineswegs nur auf eigene Dramen reduzieren wollte. Immer sollte die Kunst dem Leben dienen und auch der Unterhaltung, der Freude, dem Spiel. Das gilt auch für die Adaption von Prosa, u. a. der Theaterfassung von Anna Segers Hörspiel „Der Prozess der Jeanne d’Arc in Rouen 1431“ oder Molières „Don Juan“.

Lieder wurden in allen Stücken eingebettet. Die Bekanntschaft mit Hanns Eisler fiel ins Jahr 1922; sie harmonierten kongenial wie Strauss mit Hofmannsthal und besaßen eine gemeinsame Vorliebe für Kinderlieder und diemärchenhaftanmutenden biblischen Geschichten, die sie als Parabel deuteten. Eisler war zu diesem Zeitpunkt bereits gut mit den Schriften des Marxismus vertraut und Mitglied der KPD. Nach dem Ende des Krieges und des Exils gehen Brecht und Eisler schnell daran, veränderte gesellschaftliche Verhältnisse mitzugestalten. Adorno widmete dem künstlerischen Gespann einen Artikel 1947 (W./Eisler Hanns: Komposition für den Film) https://berlingeschichte.de/lesezei/blz98_02/text02.htm

Foto Belinda Helmert: Zweige, Detail.

Mutter Courage

Da Brecht 1956 starb (angeborene Herzinsuffizienz), erlebte er nur acht Jahre in der DDR, genauer, in der Ostzone. Er ging weiter seinen geradlinigen Weg. Bereits 1953 äußerte er scharfe Kritik an dem System Ulbricht, den er als schlechten Dichter der Wahrheit bezeichnete. Er dient daher keinewegs als Repräsentant des sozialen Realismus.

Seine Tendenz, für das epische Theater die Handlung in eine andere Zeit zu verlegen, ist auch hier zu sehen. Es spielt im 30 jährigen Krieg (präzise 1621-36). Brecht bewunderte Schiller und u.a. „Wallenstein“, auf den er auch Bezug nimmt, sowie das Soldaten-Thema. Die erste Aufführung eines nicht selbst geschriebenen Stücks im Berliner Ensemble https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Ensemble war daher „Die Soldaten“ von Lenz.

Die Gründung des Volkstheaters am Schiffbauerdamm (November 49) fiel zeitlich nahezu mit der Staatsgründung der DDR (Oktober 49) zusammen. Nicht nur Helene Weigel zeichnet mitverantwortlich für den Erfolg, sondern auch die bereits 41 an TBC im Exil verstorbene Schriftstellerin Margarete Steffin. Wieviel sie zum Text „Mutter Courage und ihre Kinder“ beisteuerte, ist schwer einzuschätzen, Brecht selbst sah die Genossin und überzeugte Kommunistin als seinen verlängerten Korrektur-Arm. Er setzte auf Gemeinschaftsprojekte, war keinesfalls unempfänglich wie etwa Eigenbrötler Thomas Mann, sein prosaischer Intimfeind. Er soll gesagt haben, nur die Steffin überblicke nur seine Tausende von Manuskriptblättern.

Künstlerisch bevorzugte Brecht Parabeln, auch in seiner Prosa. So lässt sich auch „Mutter Courage“ interpretieren, da hinter den gezeigten Szenen in zwölf „Bildern“ (anstelle von Akten, die Brecht ablehnte) und dem gesprochenen Text noch eine zweite verborgene, übertragene Bilderwelt existiert. Das lyrische Ich hinterfragt auch hier die Logik der Herrschenden und stellt sie auf den Prüfstand. So erhalten nur zwei Personen einen Vorname; die beiden Kinder von Mutter Courage. Für diese stellt der Krieg bekanntlich einzig ein gewinnbringendes Geschäft dar. Rüstungskonzerne lassen grüßen.

Pikanterweise erfuhr Muttetr Courage ein Aufführungsverbot während des Kalten Krieges nur in den westlichen, vorgeblich freien und demokratisch geführten Nationen. Brecht durfte bis zur 68 er Revolution nicht an den Schulen gelehrt werden. Eine simple Botschaft, die gleichfalls wie ein Mantra aus anderen Brecht-Stücken wiederkehrt: der Arme kann sich Moral nicht leisten. Die zweite: Der Wahn endet nimmermehr; Mutter Courage zieht auch zuletzt dem Krieg hinterher, obwohl er ihr beide Kinder geraubt hat. Der Sohn wird exekutiert, die Tochter von einer blinden Kugel niedergestreckt (Motiv aus „Der keine Trompeter“ und „Die Legende vom toten Soldaten).

Exemplarisch für die zahlreichen Verweise auf die Bibel bzw. antike Legenden im Stück ist Katrin stumm und erinnert damit an Kassandra, gerade weil ihre Warnungen und Mahnungen überhört, ihre Gestik missgedeutet wird. Eine detaillierte Analyse liefert https://simpleclub.com/lessons/deutsch-mutter-courage-und-ihre-kinder-interpretation

Foto Belinda Helmert: Frucht am Zweig, Detail

„daß der Krieg einmal aufhört, ist nicht gesagt“

Brecht fordert einen aktiven Zuhörer. Wer nicht reflektiert, handelt wie die verdrängenden oder überblendenden Protaginisten auf der Bühne, die gerne verstecken, wenn sie sich preisgeben und in ihren Liedern schablonenhaft hervortreten. Die lange Zeit erfolgreiche Geschäftsfrau Courage erweist sich als Spiegelbild der Sieger-Mentaliät: kalt, berechnend, nahezu emotionslos, zumindest ohne Empathie.

Obiges Zitat stammt aus dem Mund des Feldpredigers. Den gesamten Wortlaut kann man nachlesen unter https://www.studysmarter.de/schule/deutsch/drama/mutter-courage-und-ihre-kinder/ Nach dem ist halt immer auch vor dem Krieg. Wie sich herausstellt, ist seit dem Zweiten Weltkrieg immer irgendwo Krieg, nur betrifft es einen halt meist nicht mehr und schon gar nicht empfindlich. Da Konflikte ungelöst bleiben bleibt es eine Frage, wenn sie wieder gewaltsam ausbrechen – im Großen wie im Kleinen. „Und dann kann man den Krieg wieder aus dem Dreck ziehen!

Stellvertretend für die Bedeutung des Liedes sei auf das „Lied von der großen Kapitulation“ (existiert auch eine kleine?) in der vierten Szene verwiesen. Zu hören im O-Ton von der Mutter Courage verkörpernden Schauspielerin Helene Weigel unter https://www.youtube.com/watch?v=cME-AqgJRm0.Den Textmit seinem eingängien Refrain Und jetzt das Ganze schwenkt! Der Mensch denkt: Gott lenkt liefert https://lyricstranslate.com/de/bertolt-brecht-das-lied-von-der-grossen-kapitulation-lyrics.html

Mich erinnert es an Erich Mühsams „Freiheit in Ketten“ https://www.projekt-gutenberg.org/muehsam/gedichte/chap031.html, insbesondere den Zeilen des ersten Quartetts:

Ich sah der Menschen Angstgehetz;
ich hört der Sklaven Frongekeuch.
Da rief ich laut: Brecht das Gesetz!
Zersprengt den Staat! Habt Mut zu euch!

Foto Belinda Helmert: Eiskristalle, Detail

Der Biberpelz – Analogien

In meinen Augen nimmt „Mutter Courage“ auch Anleihe aus Gerhart Hauptmanns „Biberpelz“, einen aus der Epoche des Naturalismus stammenden Fünfakter „Der Biberpelz“, uraufgeführt in Berlin 1892. Weshalb? Erstens wegen des offenen Endes, denn auch bei Brecht fährt die „Schuldige“ mit ihrem Wagen in eine ungewisse Zukunft davon. Zweitens aufgtrund der Verdrehung., der Inversion aller Verhältnisse: so wird die Diebin als anständiger Mensch, die Kriegsprofteurin als treue Seele bezeichnet. Die Gewalt des Staates, sei es durch Soldaten oder Polizisten bzw. Beamtenwilkür erscheint vordergründig als Wohltat. Drittens die Affinität der Namen der beiden weiblichen Hauptprotaginisten: Mutter Wolffen und Mutter Courage überleben dank ihrer Skrupellosigkeit und ihrer Raffinesse. Viertens wegen des vordergründigen sakrastischen Humors; Hauptmann tituliert sein Stück sogar als Komödie, obschon es eine gesellschaftskritische Milieustudie ist. Bei Brecht gehört das Heitere im an sich Tragischen zum Repertoire des Verfremdungeffekts. Eine simple Identifikation mit den handelnden Personen ohne Reflexion soll unterbunden, der Schauspieler selbst politisch sensibilisiert werden. Fünftens konvergiert der politische Charakter, die Kritik an der Autorität, sei es dem Wilhelminismus oder dem Kriegsapparat als solches.

Zu den Vorläufern des epischen Theaters zählte Brecht Shakespeare, Schiller Büchner, Lenz und eben Hauptmann (1862-46). Er merkt an „Zweifellos haftet der Ära Hauptmanns etwas Kleinliches an“. Zitiert aus der Arbeit „Berthold Brecht und der junge Gerhart Hauptmann“ von Marianne Streisand: „Die Beziehung Brechts zu Hauptmann war eine der großen Nähe und der großen Ferne zugleich.“ Nicht nur, weil sie mit ihren provokanten Stücken keinem Skandal aus dem Weg gingen und verstören wollten. https://www.jstor.org/stable/23976272

Brechts Unterfangen, den Biperpelz selbst am Volkstheater zu inseznieren scheiterte an der Zustimmung seiner Erben, die seine Änderungen nicht tolerierten. Der Gründer des epischen Theaters hatte Hauptmanns Naturalismus mit Shakespeare verglichen, besonders im Hinblick auf „Rose Bernd“.

Foto Belinda Helmert, vereistes Gras, Uferweg

Die Parabel

„Die Commune“ entstand 1949 als Parabel und wurde auch als eines der ersten Stücke am Berliner Ensemble aufgeführt. Dass der Naturalismus eines Zola, Wedekinds oder Hauptmanns dabei Pate stand, ist offensichtlich,da die Auswirkung der Gesellschaft auf Charakter und Entwicklung des Individuums im Vordergrund stehen. Brecht hat die Theaterform gemeinsam mit den ihn um 10 Jahre überlebenden Erwin Piscator „Theater als politisches Tribunal“ konzipiert. Letzterer war äußerst bekannt zu Lebzeiten, wohingegen er heute kaum noch Erwähnung findet, zumal er keine Stücke schrieb.

Brecht bezeichnete die Bibel auch deshalb als sein Lieblingsbuch, weil sie als Mutter de Parabeln gelten kann. Sie dient seit jeher zur Veranschaulichung von Kritik und Theorie mit dem Vorteil, diese nicht direkt auszusprechen, so dass sie die Zensur umgeht. Sie ist daher keinesfalls ein Gleichnis, das eindeutig ausgelegt sein muss. Der lehrhafte Charakter oder Sinn muss sich vom Leser bzw. Zuschauer erschlossen werden; genau darin liegzt der Wert einer Parabel. Für Brecht bildete sie vornehmlich eine literarische Form, Unterhaltung mit Poltik (infotainement) ohne in Polemik oder Propaganda abzugleiten. Die bekannteste Parabel dürfte „Der gute Mensch von Sechzuan“ (1940, wieder mithilfe von Margarete Steffin) sein, doch lassen sich Anteile von ihr in nahezu jedem Stück aufspüren.

Gegenüber diesem Meisterwerk blieb Die Tage der Commune relativ unbekannt und wurde im Westen bestenfalls sehr selten gespielt, zuletzt 2019 in Konstanz. Das Stück zeigt den Aufstieg und Fall der kleinen Familie Cabet aus dem Arbeiterviertel in den 73 Tagen der Pariser Commune zwischen März und Mai 1871. In dieser Zeit während des deutsch-französischen (Bismack) Krieges, der das Ende des Zweiten Kaiserreiches bedeutete (Gefangeschaft des Kaisers bei Sedan) bildete sich im Chaos der Regierungslosigkeit (Anarchie) der revolutionäre Stadtrat, der gegen den Willen Zentralregierung (Bordeaux) versuchte, zumindest Paris sozialistisch bzw. sogar kommunistisch zu regieren. Die sogenannten Kommunarden ( communards), wurden Vorbilder der Sowjets bzw. der Rätdedemokratie. Sie war auch für die junge DDR und Brecht ein Modell, an das man anknüpfen wollte.

Die Parabel konzentriert sich auf die Familie. Im Gegensatz zur bürgerlichen Tragödie, in der das Volk gerade gut genug war, die historischen Ereignisse zu ermöglichen, werden hier die Ereignisse den Bedürfnissen des Volkes unterworfen: die kleinen Anliegen der Cabets werden der politischen Öffentlichkeit nicht mehr geopfert; sie sind es gerade, die diese Öffentlichkeit voll und ganz beanspruchen. Brecht zeigt: Der Aufstand scheitert, nicht weil ihm die Kraft fehlt, sondern die Organisation dieser Kraft. Mit denWorten Elfride Jelineks: „Wenn alle in eine Richtung rennen, müssen die Künstler als Einzige in die andre.“

Das Stück hat 14 Szenen und viel Personal (um die 40 Schauspieler) Es gab öffentlliche Proben, doch die Uraufführung fand, auch wegen der offenen Konfrontation mit der Regierung Ulbrichts erst posthum in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), 17.11.1956 statt. Im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm fand die Premiere serst sechs Jahre später statt. Komponist der Lieder war wiederholt Hanns Eisler. Die Rezension der Aufführung an der Bühne Konstanz ist eingestellt unter https://www.nachtkritik.de/nachtkritiken/deutschland/baden-wuerttemberg/konstanz/theater-konstanz/die-tage-der-commune-theater-konstanz-johanna-schall-inszeniert-nach-ihrem-grossvater-bertolt-brecht-die-geschichte-eines-historischen-scheiterns

Dieses Scheitern verkörpert sowohl der martialisch geführte Bruderkampf – Politik vermag,wie wir wissen, Familien und Liebende zu spalten – und das Ende ihrer Mutter Cabet, die beim Essenholen erschossen wird. Erinnerung an Joseph Roths Radetzkymarsch werden bei mir wach, wo der letzte Trotta beim Wasserholen für die Kameraden eine Kugel „fängt“.

Brecht integrierte Texte und Lieder aus dem Jahr 1934 in sein Stück, u. a. seine vier Oktette umfassende Ballade „In Erwägung unsrer Schwäche machtet
Ihr Gesetze, die uns knechten soll’n.“ Armut und Hunger bilden von jeher sich wiederholende Motive in seinem Schaffen, da eine heute unvorstellbare Existenznot während seiner Lebenszeit vorherrschte un d menschen erfroren, verhungerten oder an Lungenentzündung „krepierten“. Der Gesamttext ist einzusehen unter https://www.kussaw.de/2016/12/bertolt-brecht-resolution-der-kommunarden/

Die Quintessenz entspricht dem Gedicht „Die Lösung“: Misstrauen gegenüber jeder zentralen Regierung und ihrer Propagandamaschine. Mut zur Selbstverwaltung und einemselbst bestimmten mündigen Leben. Frieden statt Krieg. Wobei der Schlussatz „Die Kanonen auf euch drehn“ durchaus als militante Kampfansage interpretiert werden kann. Entscheidend aberbleiben die vorigen Zeilen

„Haben wir beschlossen, unter eigner Führung
Uns nunmehr ein gutes Leben aufzubaun.“

In der Parabel, die reich ist an Zitaten und Gedankengut des Marxismus, findet häufig Rede und Gegenrede statt, die das Ringen um den richtigen Weg, die Wahrheit, dokumentiert.

Foto Belinda Helmert: vereistes Gras mit Waldbestand, Uferweg mit seinen Blautönen.

Die Wahrheit ist konkret

Dies hat Brecht gesagt bzw. geschrieben. Es ist immer schwer, das gesamte Werk oder die komplexen Lebensansichtien in wenigen griffigen Zitaten zu verkürzen, doch da Brecht selbst immer die Einfachheit und Geradlinigkeit betonte, sei der Versuch unternommen: es geht ihm um die Wertschätzung des Einzelnen, der etwas bewegen will und doch dazu, um an der Uhr der Weltgeschichte zu drehen, die Gemeinschaft braucht. Ferner um die Abschaffung jeglichen Heroismus. Armut und Existennot verhindern häufig – hier bestehen Paralellen zum Naturalismus – eine noblere Haltung, die das Gewissen vorgibt. Viertens erscheint der Kapitalismus als eine derartige Amoralismus, dass Diebstahl oder individuelle Verbrechen allgemein dagegen als bloßer Immoralismus erscheinen, als kavalliersdelikt gegen systemische Ausbeutung und Versklavung von Millionen.

Fazit: Brecht war kein Marxist, sondern „nur“ Revolutionär bzw. unangepasster Gesellschaftskritiker. Aus ihm wurde ein Mythos, an dem sowohl seine Anhänger als auch Gegner in dieselbe Richtung mitwirkten. Brecht war Gegner der „Tuis„, sein Hüllwort für Intellektuelle, die er für unredlich hielt. Theorien misstraute er, sie mussten sich in der Praxis beweisen und bewähren. Brecht will den einfachen Mann von derStraße, damals den Arbeiter und Handwerker, zum Nachdenken und zur gezielten politischen Aktion bewegen. Er hinterfragt, wem die angeblichcharismatischen Führer dienen – zumeist sich selbst – und wem ihre Herrschaft nützt.

Andererseits ist Brecht selbst dem Intellektuellen zuzurechnen. Es ging ihmfolglich mehr gegen die Bürokratisierung, konkret das über den Kopf der anderen hinweg bestimmen wollen. Nun mag man einwenden, dass es unumgänglich ist, zu befehlen, zu verwalten, zu entscheiden. Doch hat die Verbürgerlichung des Staates probleme bis heute nicht gelöst, tendenziell verschlimmert. Er wandelt daher den ökonomischen Liberalismus „lassen wir den Markt entscheiden“ in ein politisches Selbstbestimmungsrecht um. dies konnte der SED nicht gefallen.

In der „alten DDR“ (ihre Gründungsjahre, die Brecht erlebte, kam es bei der Erstaufführung von „Die letzten Tage der Commune“ zur Unruhe bei den DDR-verwaltenden Mit-Marxisten. Das Stück wurde sofort abgesetzt, erst sechs Jahre später in der Provinz erlaubt. Brecht dient daher konkret nicht als Repräsentant des Osten nach dem Kriegs bzw. das epische Theater nicht für den sozialen Realismus. Brecht gleicht einem Fluss, der kein Ufer betreten will.

Foto Belinda Helmert: Stamm mit Moos, Uferweg an der Großen Aue, die auf ihrem natürlichen kurvenreichen Weg nach 88 km nahe Liebenau in die Weser mündet. Die Kleine Aue ist dagegen begradigt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann man auch die Große Aue zu kanalisieren, um dem Hochwasser vorzubeugen. Da dies nicht gelang, wird sie, aus konkreter Erfahrung des Scheiterns heraus, seit 1980 wieder renaturalisiert.

Aufklärung und episches Theater

Königsfrage: Hat Brechts am Ende Recht behalten? Der Zuschauer sollte in seinem epischen Theater dazu bewegt werden, etwas auch in der Wirklichkeit zu verändern. Aus der kritischen Betrachtung heraus sollte er Erkenntnisse ziehen und umsetzen. Das Theater wurde so zu einem politischen Institution der Aufklärung. diese ist laut Kant Befreiung aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit. Und laut Hegel, der das Absolute suchte und zuletzt sowohl in einem absoluten Staat mit vernünftigen Gesetzen als auch theologisch-protestantischer Philosophie zu finden meinte, bestand Aufklärung in der Erziehung zu vernünftigem Denken.

Um zu erkennen, dass Freiheit das erklärte Ziel, derAufklärung war, diese jedoch in einer neuen Form von Herrschaft mündete, die auch (Massen)Mord beinhaltete, bedarf es keiner hegelianischen Dialekt. Bereits Marx wollte seinen Lehrmeister vom Kopf auf die Füße stellen. Für Brecht hingegen war schnell klar: Die große Aussprache mit den Massen über das Tempo des sozialistischen Aufbaus wird zu einer Sichtung und zu einer Sicherung der sozialistischen Errungenschaften führen.

Foto Belinda Helmert: Maulwurfshügel, Uferweg. Brechts Grab liegt dem Hegels gegenüber, auf dem Friedhof II der Französisch-Reformierten Gemeinde in der Liesenstraße in Berlin-Mitte.

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