Biblischer Amoralismus

Foto Belinda Helmert: Piglet-Cicrus, gastierend im Kloster Schinna. Der“Ferkel“- Zirkus ist ein , Familienunternehmen mit ehem. Mitarbeitern des Cirque du soleil, der auch Literatur auf die Bühne bringt. https://www.pigletcircus.com/%C3%9Cber-Uns

Berthold Brecht, die Bibel und die Frauen

Am 30. 11. fand im Kloster Schinna ein Gottesdienst der Brecht´schen Art statt – durchgeführt vom Piglet-Circus aus Landesbergen (8 km von Liebenau, Niedersachsen entfernt) https://www.pigletcircus.com/Buchen. Sarah Schwarz spielte u. a. Tuba, sang Chansons aus der „Feder“Dreigroschenoper“ des in Augsburg geborenen und wohl berühmtesten Dramatikers der jungen DDR, Bertholt Brecht (1898-1956). Ihr Bruder Florian Schwarz, Prediger, führte durch den Kulturgottesdienst. Roter Faden war das Liebesleben des Dichters und sein Verhalten zu den Frauen, die er angeblich ausbeutete und unglücklich zurücklies. Darüber hinaus lieferte die „Predig“t Querverweise auf das Hier und Jetzt, die Lage der Frauen, von sozialer Benachteiligung bis zum Chauvinismus, speziell in der Politik, etwa Trumps Misogynie.

Piglet ist englisch und heißt Ferkel. Wie ein Ferkel gebärdete sich Brecht bisweilen; ein Autor, der Kommunismus und Eigentumslosigkeit besonders in der Liebe lebte. Allerdings zeigte er sich großzügig und förderte seine Musen, Geliebten, Sekretärinnen, Regieseurinnen und Souffleusen, Schauspielerinnen und Co-Autorinnen wie Helene Weigel, die einiges zur „Dreigroschenoper“ beitrug. Daher der bezeichnende Titel: die im Dunklen sieht man nicht. Er bezieht sich auf Frauen, die im Hintergrund blieben und auch oft bleiben wollten.

Eine Vorstellung von Kulturgottesdienst liefert https://www.kulturgottesdienste.de/ Ein Buch über „Brecht und die Frauen“ stammt von Unda Hörner; sie zeichnet darin Proträts von u. a. aula Banholzer, Marianne Zoff, Helene Weigel, Margarete Steffin, Ruth Berlau und Elisabeth Hauptmann. Eine Kostprobe der Stimme von Helene Weigel liefert der Hörbeitrag

Der letzte von ihr eingesprochene Text (49:36) lautet „Der Klassenfeind“. Es entstand 1931-34 und nimmt in der Schlusszeile mit „Der Anstreicher“ direkt Bezug auf Adolf Hitlers gewünschten Beruf „Postkarten“- Maler zu sein. Bekanntlich führte die Nicht-Annahme der Kunstakademie zu seiner politischen Karriere. Ironie des Schicksals: Die Jury fand seine Brauntöne zu blass ….

Und der Regen floß nach unten

Der Refrain in „Das Lied vom Klassenfeind“ (Song Ernst Busch) lautet simpel “ weil der Regen von oben nach unten fällt.“ (1) Er ist typisch für die einfache, bilderreiche Sprache, in der Brecht Volksweisheiten für sein politisches Theater artikuliert. Allerdings variiert Brecht diese Schlusszeile in seinen Strophen in „Der Regen fließt eben herunter und fließt eben nicht hinauf“ (2) und in „Das stimmt doch nicht, wenn der Regen nach aufwärts fließen soll“ (4) oder „Das ist schön von dem Regen, daß er aufwärts fließen will.“ (5). Es wird also nie monoton, sondern immer nur ähnlich – Grau hat viel Grauen in sich. Wie sich die Strukturen des Klassenfeindes oder die Methoden des Kapitalismus bzw. seiner Herrscher eben ändern, doch die „Naturgesetze“ ewig die gleichen bleiben.

Die zwölfstrophige Ballade mit dem Marx entlehnten Titel erinnert durch seinen Eingang an „Trommeln in der Nacht“ (1913). Das gesamte politische (Kampf)lied ist nachzulesen unter https://www.lyrix.at/t/bertolt-brecht-das-lied-vom-klassenfeind-b16. Brecht ging es immer primär um Ideologiezertrümmerung; er war bieleibe kein orthodoxder Marxist oder gar Stalinist. Sein Lied der Proletarier, vorgetragen von dem Barden und Schauspieler (aber auch überzeugten Kommunisten)Ernst Busch selbst, ist zu hören unter https://klausbaum.wordpress.com/2013/02/20/das-lied-vom-klassenfeind/

Mitunter reimte Brecht, der ein Philosophiestudium abschloss, nahezu eingängig wie Busch: „Wer Philosophie treibt, der soll nicht überreden, sondern zeigen und zu denken geben.“ Dies kann als Leitplanke für seine Auffassusung vom politischen „epischen Theater“ dienen, das Philosophie der Praxis sein sollte. Ihm war es elementar wichtig, nicht nur bürgeliche Illusionen zu zerstören, hinter die Masken der bourgeoisen Doppel-Moral zu blicken, sondern vor allem, das bislang bildungsfremde Publikum ins Theater zu bringen und an Kunst heranzuführen. Er gab den Arbeitern eine Stimme, eine eigene Kunst.

Die einen sind im Dunkeln

„Denn die einen sind im Dunkeln
Und die anderen sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.“

Die „Dreigroschenoper“ ist vieles, auch eine Hommage an Schillers „Die Räuber“ und damit ein sozialkritisches Drama (Sozialreportage über Armut und Ausgrenzung) mit Unterhaltungswert. Die Uraufführung in Berlin erfolgte 1928 kurz vor dem wirtschaftlichen Tiefpunkt, der Weltwirtschaftskrise, dem die politische Bankrotterklärung folgte. Das Eingreifen, die Aktion, Handlung durch Haltung, standen im Mittelpunkt. Darüber und über die Freundschaft mit Schachpartner Walter Benjamin (Dialektik des historischen Materialismus) informiert auch der Deutschlandfunk-Beitrag: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ausstellung-denken-in-extremen-die-aussergewoehnliche-100.html. Mein Beitrag dazu findet sich in der Benjamin-Monografie „Katastrophe in Permanenz“.

Zur Innovation des epischen Theaters gehört auch die Einbindung von einprägsamen Liedergut. Außerdem der Bezug auf historische Figuren wie Galilei, Bruno (in der Kurzgeschichte „Der Mantel des Ketzers“ sowie auf die Bibel,. Brecht hinterfrangt hier Wahrheit, Glaube und Macht in in ihrem intrinsischen Zusammenhang.

Als er nach dem Reichsbrand fliehen musste, lehnte Brecht das Etikett, den Begriff Emigrant ab. Er wäre ein Flüchtender, der nicht freiwillig seine Heimat verlies. Überhaupt war er kein Bohème, sondern ein regimekritischer Deutscher, der seine Heimat und Sprache wie die Luft zum Atmen brauchte.

Brecht, Brechstange und die Politik

„Hintergründige Klugheit“ attestiert Hannah Arendt in ihrem Rundfunkbeitrag 1969 Berthold Brecht, nebenbei überzeugten Pazifismus. Sie bezieht sich auf den „Legende vom Tod des letzten Soldaten“, das ebenfalls von Helene Weigel in obigen Video eingelesen wird. Als Künstler war Brecht eher ein Handwerker als Genius. Dazu gehörte auch der Zwang zur Logik, der Verzicht auf alles Nebensächliche, die Faszinaton an der Kälte und der Gewalt: Dinge, die er selbst nicht in sich trug, wie er selbst meinte. Bei dem vielen, was über ihm geschrieben wurde, entstand auch ein Mythos. Eines aber ist klar ersichtlich: den Wert Brechts erkannte vornehmlich das Ausland, insbesondere Frankreich und Amerika – in Westdeutschland galt Brecht wie einst Heine als Nestbeschmutzer.

Brecht ließ sich nie in ein System einbinden, er hatte jeder Tradition den Krieg erklärt. Er hielt die Unabhängigkeit von Kunst und Geist für unabdingbar – und zwar von allen politischen Systemen des 20. Jahrhunderts. Auch in der DDR stellte er seine Autonomie als Intellektueller her. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29718/brecht-und-die-politischen-systeme/ Zeitzeugen können bis heute von der Darstelltung Brechts in der Öffentlichkeit nichts anfangen und halten es für unvereinbar mit ihren eigenen Erfahrungen, Eindrücken, Erlebnissen. Begraben unter Vorurteilen, im Osten wie im Westen, auf Weltanschauung reduziert und vor allem denunziert.

Glaubt man den Zeitzeugen stand er zwischen den Blöcken und Kunst vor allem Lebenskunst, Vergnügen und dann Nachdenken. Beispiel Piglet-Cicrus: Die Bibel sei schöne Erfindung, aber bös geschrieben – so das entscheidende Urteil. Brecht blieb Atheist und dabei inkonsequent, denn er spielte mit der Möglichkeit(en) auf eine bessere Welt. Sein Streben war stets Dichter, nicht Spießer zu sein. Das erste Drama lautete „Die Bibel“ (1913).

„Denken im Extremen“ lautet passend der Titel der Ausstellung zu Brechts 60. Todestag 2016 in Berlin. Sie verdeutlicht: politisch erlebte er von links wie rechts, in Amerika und in der Sowjetunion Verfolgung. Wirklich systemkonform hat Brecht nie agiert oder gedacht. Selbst in der neutralen Schweiz wurden seine Wohnungen verwanzt und er massiv bespitzelt. Staatsfeind auch hier. Zuletzt stand die Konfrontation mit Ulbricht.

Erst das Erschießen von Menschen – demonstrierenden Proletatriern – am Blutmai (1. bis 3. Mai 1929 ) machten Brecht überhaupt zum Sympathisanten mit den Kommunisten, zum engen Freund von Hans Eisler oder in der Nähe von Maxim Gorki (Inszenierung „Die Mutter“). Das Drama „Johanna in den Schlachtöfen“ (Uraufführung 1930) rechnet mit Reformen ab: was es braucht, ist ein Arbeitergericht, ist Revolution. Aber Brecht wurde nie Mitglied der KP und blieb deren Führern bis zuletzt suspekt. Von Ideologie hielt er nichts.

Foto Belinda Helmert: Innenraum des Zeltes vom Piglet Circus, Kloster Schinna.

Monologisieren in Jamben gegen Volksverdummung

Brecht bezeichnete das Theater als Pudding: „er muss schmecken, sonst taugt es nichts„. Kaninchen oder Elefant, Hauptsache die Aussage blieb erkennbar. Weil er sich mit sich langweilte und nie einsam sein wollte, weil er andere brauchte, kam er zum Theater, suchte er Frauen und Streitgespräche. Einfach, aber nicht falsch oder gar unwahr, wollte er sein. So lautet ein Satz im „Galilei“-Stück: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“

Auch hier zeigt sich Veränderung im Wesen Brechts. So liefert „Trommeln in der Nacht“, Brechts anti-bürgerliches erstes Theaterstück (Uraufführung 1919 in seiner Geburtsstadt Augsburg) hauptsächlich einen Abgesang auf die Revolution, ein Plädoyer für Liebe und den Frieden. Der Autor blickte Wirklichkeit hinter der Fassade, papiermond und Fleischbank: „Glotzt nicht so romantisch„. Auch hier kokettierte Brecht bei der Verleihung des Kleist-Preises mit Schiller, der partout kein Romantiker sein wollte. Seine Theaterstücke enthalten häufig Reime, bevorzugt Jamben und dies besonders in den Monologen.

Brecht war nicht amoralisch. hatte keine Skrupel und lebte seine Beziehungen offen. Nur weil er Vater wurde, bekannte er sich zur Ehe, nie zur Monmogamie. Dies enttpricht durchaus der Moral eines Künstlers, der schrieb „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“. An anderer Stelle setzte er die Sexualität an zweiter Stelle und das Gewissen an die dritte. Aufgrund seiner anti-bourgeoisen Haltung , die offen sagt, was alle Bürger verbergen, erklärte Brecht Thomas Mann den literarischen Krieg.

Probleme mit der Adaption fremder Stücke hatte Brecht nie, darunter fällt die Übersetzung der Dreigroschenoper, die auf Die Oper der Bettler basiert, ein Stück aus dem Jahjr 1728 von John Gay und übersetzt von seiner Geliebten und Mitarbeiterin, der bilingualen Schriftstellerin Elisabeth Hauptmann. Kunstkritiker Alfred Kerr wies auf den Missbrauch bzw. die Aneignung von geistigem Eigentum hin, Brecht conterte, er sähe das „lachs“. Er bricht alle Tabus, auf und hinter der Bühne. Doch scheint dies auch notwendig, um die Doppelmoral des Bürgertums aufzubrechen und praktische Philosophie zu leben.

Mit 26 hatte er drei Kinder von drei Frauen. Das zum obigen Titel. Lebenslust und ungehemmtes Triebleben. Wie Hemmingway vom Boxen fasziniert, was sich im Stück „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ (Oper mit Musik von Kurt Weill) niederschlägt, da der Dreiakter in einem Bühnen-Boxring inszeniert. Aus Kants Pflichtgesetz „Du sollst“ macht Brecht ein hedonistisches Bekenntnis „Du darfst“. Anspielung an die Bibel mit „Du musst“ gibt es viele. Im zweiten Akt lässt Joseph sein Leben bei einem Preisboxen gegen den Dreieinigkeitsmoses. Dass man alles darf, geht natürlich nur unter der Voraussetzung, liquide zu sein. Im Boxen erlickte Brecht das ungeschminkte Leben, Darwinismus pur. Das Chaos, biblische Apokalypse ist vorprogrammiert.

Brecht fragt sich: Wieso soll Kunst bewegen, wenn sie selbst nichts bewegt und in kalter Schönheit ,in Eleganz erstirbt? Märtyrer schätzt er nicht, noch weniger schwache Frauen. In seiner Polygamie war nichts Heimliches, ebensowenig wie ervon Frauen Treue verlangte. So wie den Frauen,die er aufrichtig liebt,so will er auch der Kunst, für die er doch lebt, nichts opfern. Die Kultur ist gerettet, so seineÜberzeugung, gerettet, wenn die Menschengerettet sind. In China erlebterVerfremdungskunst,derSchlüssel zu seinben spätenWerken. Obwohl er wie Lion Feuchtwanger, sein vielleicht engster literarischer Freund, frei in Moskau wirken durfte, wurde er lange von Stalin bespitzelt und als Trotzkist auch vor Ausbruch des Krieges politisch wie poetisch kaltgestellt. Sein Drama „Leben des Galilei“ ist zunächst primär eine Anklage gegen Dummheit und Ignoranz, Ideologie. Nach Hiroshima schrieb Brecht das Stück um: die Vetrantwortung des Wissenschaftlers tritt in den Vordergrund.

Foto Belinda Helmert: Florian Schwarz als Prediger beim Kultur-Gottesdienst. Brecht, von Zeitzeugen gesehewn und dokumentiert unter https://www.youtube.com/watch?v=s6OkCnNvsLk

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