Foto Belinda Helmert: Regenbogen über den Feldern von Wietzen, Niedersachsen nahe Liebenau.
Von der Bedeutung des Lachens für den Charakter
Ob Henri Bergson viel lachte, weiß man nicht. Er ist aber einer der wenigen, die über das Lachen und diverse Formen der Komik bzw. der Ironie schrieben. „Le rire“ 1900 umfasst drei Essays, die erstmals in Revue de Paris (1829-1970) publiziert wurden. Diese drei Beiträge beschäftigen sich mit den Schwerpunkten Bewegungskomik, Situations- und Wortkomik, sowie drittens Charakterkomik. Es gibt Menschen mit ausgeprägten Neigungen zu einer der drei Formen, andere wiederum wechseln sie je nach konkreter Gestaltung und wieder andere sind in Anbhängigkeit ihrer eigenen Befindlichkeit dafür ansprechbar. Obgleich Bergson aus verschiedenen Quellen schöpft, bildet Dostojewski den Schwerpunkt – bei ihm, der durchaus nicht komisch erscheinen wollte, nimmt Lachen eine zentrale Stelle ein; u. a. aufgrund der Verdrängung und der Erinnerung – Motive, die in Bergsons Philosophie der Zeit eine elementare Rolle zugewiesen erhalten. Der Volltext ist einzusehen unter https://www.signaturen-magazin.de/henri-bergson–das-lachen.html
Möglicherweise war Bergsons durch Turgenjew inspiriert, der einen wichtigen Beitrag zur Literaturwissenschaft lieferte, indem er das komische Lachen eines Don Duojote von dem tragischen Lachen eines Hamlet ebenso grundlegend wie tiefgründig unterschied. Zudem existiert ein erheblicher Unterschied, ob der Betreffende (Auslöser) komisch erscheinen möchte oder unfreiwillig in eine Lage gerät, die ihn komisch erscheinen lässt.
Im Lachen koexitieren Oberflächen-Ich (Bewusstsein) und Tiefen-Ich (unbewusstsein): beides ist jedoch seiner Natur nach nicht kontrollierbar, wenngleich es möglich ist, affektiert zu lachen oder sich in einen Lachnfall hineinzusteigern. Philosophisch ist jedoch die Grenze zwischen Automatismus und Spontaneititä im Lachen von Relevanz. Bergson begründet die Unkontrollierbarkeit des Lachens mit dem Unbewussten. In seiner dreiteiligen Studie „Das Lachen“ (1900) bezieht er sich auf „Der Idiot“ alsParadebeispiel für mimetisches Verhalten.
Nach dem Motto Sage mir worüber du lachst und ich sage dir, wer du bist, vertritt Bergsons die Hypothese, das Lache verrate viel vom Charakter, der Seele eines Menschen. Im Gefühl für das Komische äußert sich nicht nur die gattungsspezifisch-kollektivee, sondern auch die individuelle Eigenart. Das Komische kann entweder mit der bewussten „Seelenoberfläche“ oder mit der Nervenreizung, im „Tiefen-Ich“, dem „nervösen Fieber“, verbunden sein. Lachen ist auch ein Anzeichen von Gesundheit, denn Kranke lachen in der Regel nicht bzw. zwanghaft unnatürlich. Nach Nietzsche ist „der Mensch ein Tier, das lachen muss.“
Foto Bernd Oei: Arkenburger Hof, Erntedankfest 6.10. 2024
Foto Bernd Oei: Arkenburger Hof, Erntedankfest. Eintreffen des Frauenchors Liebenau, rechter Bildrand.
ironisches und natürliches Lachen
Bergson unterscheidet zunächst das ironische von dem natürlichen Lachen. Das ironische ist aufgesetzt, boshaft und „kontrolliertes Lachen“, das natürliche dagegen „freies Lachen“, spontan und der Manipulation entzogen. Die auftretende Muskelkontraktion des natürlichen Lachens ist mit einem spastischen Anfall vergleichbar, ein Automatismus, der „das Mechanische im Lebendigen“ veranschaulicht. Das Lachen weist Paradoxien auf: so wendet es sich einerseits an den Intellekt und entzieht sich ihm andererseits intuitiv. Es lockert die Stimmung auf, enthemmt durch seine soziale Funktion und stiftet Intimität innerhalb einer Gruppe; zugleich ist Lachen aber auch ein Zeichen von Seelenlähmung, motorischer Verkrampfung und Überspanntheit.
Mitunter schafft das Lachen eine ungewollte Vertrautheit, wenn es Gemeinschaft dort stiftet, wo ursprünglich keine ist. Lachen ist darum „soziales Amalgam“. Der Humor als innerer Begleiter des Lachens fördert den intimen Verkehr von Freunden und kollektiv genommen, eine völkische Eigenheit, da der Witz auf gemeinsame Sitten beruht. So wohnt dem Lachen einerseits eine „sozialen Geste“ inne, andererseits drückt sich im Lachen auch Individualität aus. Lachen bildet einen logischen Kontrast zur intuitiv erfassten Absurdität. Dem Lachen wohnt immer eine sich dem Logischen entziehende Paradoxie inne.
Bergson bezieht sich auf den barocken Dichter und Moralist Jean de La Bruyère, der auch Dostojewski vertraut ist, wenn er auf die Bedeutung des Imaginären verweist: es ist die Vorstellung von etwas, die uns erst zum Lachen bringt. Um die Ambivalenz des Komischen zu unterstreichen, korreliert Bergson Spannung und Geschmeidigkeit. Beim gesunden Lachen sind „tension et élegance“ in Balance, beim krankhaften Lachen nicht. Das von Herzen kommende Lachen befreit und koinzidiert mit Grazie und Schönheit, weshalb es in seiner Leichtigkeit an eine Marionette erinnert. Dagegen wirkt das herzlose Lachen künstlich und verkrampft. Auch Zynismus und Sarkasmus sind kein natürlicher Humor und besitzen daher keine heilende Wirkung.
Foto Bernd Oei: Kürbis-Parade, Arkenburger Hof. Halloween als ein keltisches Erntedankritual kam erst über die USA nach Deutschland.
Übertreibung durch Ironie
In Dostojewskis Romanen wird ständig gelacht, häufig exaltiert aus Unsicherheit, Nervosität oder Spottlust. Bezogen auf das Schöne und Erhabene hebt Bergson die „komische Physiognomie“, die Verzerrung durch Übertreibung (Groteske) im Lachen hervor, das mitunter ein schönes Gesicht zu entstellen vermag, darin aber seinen eigenen Reiz bewahrt, denn „das Komische verzerrt, verunstaltet, verwischt die Grenzen.“ (Das Lachen, I, Das Komische im Allgemeinen). Komik kann die Gestalt der Karikatur annehmen und Mimik, Gestik, Gebärde oder Motorik betreffen. Als Sprachwitz ist sie der konkreten Situation geschuldet, dabei durchbricht sie einen Automatismus. Lachen interagiert mit Imitation: „Der Automat handelt sinnlos, wie eine Maschine … Jede Abnormität kann komisch werden, die von einem Menschen mit normalen Gliedern nachgeahmt werden könnte.“ (Ebenda)
Lachen wirkt wie Traum und Fantasie als Bindeglied zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen und vermag daher von einer konzentrierten Aufmerksamkeit abzulenken. Lachen und Konzentration schließen sich aus; da Lachen aktiv auf Zerstreuung gerichtet bleibt und stets dynamisch wirkt, die Konzentration hingegen Ernst voraussetzt.
as Komische ist seinem Wesen nach aber nie hässlich. In der Romantik drückt die Ironie die höchste Vollkommenheit und Selbstverwirklichung des Individuums aus. Komisch ist lediglich „die Vorstellung, daß der lebendige Körper zur Maschine erstarrte.“ Ein weiteres Phänomen des Lachens ist seine Leiblichkeit, denn es lenkt die Aufmerksamkeit von der Psyche „auf die physische Natur des Menschen, wenn es sich um seine geistige handelt“. (Das Lachen II, Komik und das Komische).
Foto Bernd Oei: Vorbereitung zum Blaskonzert, Arkenburger Hof
Foto Bernd Oei: Binner Blasverein im Einsatz, Arkenburger Hof, Ernterdankfest.
Lachen als „kollektive Unvollkommenheit einer Sache“
Der Körper ist für die Seele, was die Kleidung für den Körper bedeutet: Maske und Verstellung. Insofern vermag das Lachen die Tragik des Menschen zu entblößen und durch Komik aus dieser tragischen Situation herauszuführen. Neben der Kleidung (der eine Steifheit zu Eigen ist) wählt Bergson die Marionette und die Maschine als Metapher. In ihnen drückt sich eine stereotype Gewohnheit aus, die durch das Lachen erschüttert wird. Das Lachen ist eine zutiefst lebendige Energie, eine „visionäre gestaltende Kraft“. Er unterscheidet dabei die Kunst der Parodie von der schöpferischen Kreativität. Eine Situation ist dann komisch, wenn sie das Kriterium von „Interferenz Repetition oder Inversion“ erfüllt.
Das Prinzip der Interferenz (Überlagerung) vollzieht sich durch die Gleichzeitigkeit von Erinnerung und Gegenwart, durch deren Vergleich erst Komik entsteht. Das Prinzip der Repetition (Wiederholung)entsteht durch Übertreibung oder Unangemessenheit von Situation und Haltung. Das Prinzip der Inversion (Umkehrung) entsteht durch absichtliche Verkehrung und Verwechslung. Die Komik dient der Destruktion eines positiven Menschenbildes, weil es das Mitgefühl mindert oder der Demaskierung einer vorgetäuschten Haltung.
Lachen drückt die „kollektive Unvollkommenheit einer Sache“ aus, zugleich ermöglicht es eine Korrektur, indem es Dinge verbindet, die außerhalb des logischen Kausalnexus stehen. „Was das Lachen hervorrief, war die momentane Verwandlung einer Person in eine Sache.“ (Das Lachen II, Komik und das Komische). Der Charakter kann bereits seine Korrektur erhalten, z. B. wenn Zerstreutheit in Tiefsinn umschlägt.
Das Komische steht dem wirklichen Leben näher, gerade weil es im Gegensatz zum Ernst unmoralisch, als „unbestimmte Negativität“ wirkt. Komisch wirken z. B. absichtslos begangene Taktlosigkeiten (ins Fettnäpfchen treten) oder eine ernste Situation mit komischem Ausgang, Komik wiederum entsteht durch intentionales Verhalten.
Foto Bernd Oei: Kranz zum Erntedankfest, Arkenburger Hof.
Foto Bernd Oei: Blick auf den Erntedank-Kranz mit Baum und Sonnenblumen
Lachen als Zerstreutsein
So bildet Fürst Myschkin, Protagonist in „Der Idiot“ einen Hamlet-Typus, einen tragischer Komiker. Als konträres Beispiel für den komischen Charakter dient Don Quichote als „das Komischte und die Quelle aller Komik“. Er ist ein Charaktertyp, kein Komiker, der bewusst komisch wirken will. Auch Myschkin folgt dem Ernst einer unbestechlichen Realität und ist unfreiwillig komisch. Daher zwingt er seine Mitwelt zur Selbstreflexion: „Wir sehen nicht die Dinge selber, sondern nur die Etiketten, auf denen wir sie ablesen … Einerseits wird der Mensch nur lächerlich durch seine seelische Verfassung, die einer Zerstreutheit ähnelt … andererseits wird die Korrektur, die das Lachen leistet … eine große Zahl von Menschen auf einmal treffen.“ (Das Lachen, III, Charakterkomik,)
Dostojewski ist folglich ein Autor des Unbewussten, der die Tiefenfunktion des Lachens artikuliert.
Bergsons Studie über das Lachen leistet zweifellos einen einflussreichen Beitrag zur Analyse der vielfältigen polyvoken Strukturen des Lachens, besonders hinsichtlich der Funktion von Verdrängen der Scham, an der bekanntlich Dostojewski in extremen Maße litt.
Foto Bernd Oei: Arkenburger Hof, Detail. Erbaut von Heinrich und Marie Dorfemann, 1911.
Harmonie von Instinkt und Intellekt
Grundsätzlich ist Bergson, obgleich Materialist, Idealist: er schreibt von der schöpferischen Entwicklung und dem Impuls der Lebendigkeit. Beides kommt aus dem Inneren,m aus der Tiefe des Seins., Die Farben des Hewrbstes leuchten. Bergson war ein Kind des Herbstes, im Oktobrer geboren. Neben Dilthey und Nietzsche gehört er zu den Lebensphilosophen, die dem Existentialismius Vorschub leisteten. Wie Kant nicht aus Königsberg, so kam der Sohn polnischer Emigranen nie über Paris hinaus. Was bleiben wird: die Kant radikalisierende Defintion der Anschunngsformen von Zeit und Raum, welche der Franzose in innere und äußere scheidet. Ob seine aus der Physik übernommene Differnzierung in Konzentration und Expansion der Weisheit letzter Schluss ist, muss sich noch zeigen. Gleiche gilt für seine, an der Musik angelegenen Höhen- und Haltepunkte, die das Analytische und das Kreative zusammenführen sollen.
Etwqs Neues ztu erzeugen erscheint heute chwerer denn ja. Denn alle Ideen sind letztlkich Kinder älterer Ideen. Wenn aber Existenz primär Wandel und nicht Sein im habitus stand by Zustand bedeuten, dannermöglicht jeder Wandel Reife und Ernte, jede Ernte führt dann nur Selbsterneuerung. Demnach gilt: Das Universum ist nicht ein fertig Entstandenes, sondern ein ohne Unterlass Entstehendes.
Foto Bernd Oei: Arkenberger Spargelfeld , unterirdisch beheizt. Das sichtbare Feld, die Erde, repräsentiert das ordnende und obejtorientierte Oberflächen-Bewusstsein. Das darunter liegende Tiefen-Bewusstsein, im Idealfall der Spargel, ist nicht zu sehen: es ist weder determiniert noch zweckorientiert, also frei.
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