Geld und Geltung

Foto Belinda Helmert: 40. Bremer Samba Karneval – Helau mit brailianischem Flair vom Rhein (Kölner Gruppe). Posen nach dem Umzug im Sielwall. 80 Gruppen waren am 22. 2. dabei. Vorerst zum letzten Mal aufgrund der Streichung von Subvention (Geld wird für die Mobilisierung gebraucht) fehlt die künstlerische Freiheit bzw. Entfaltungsmöglichkeit.

Geistige Entscheidungen

Es ist ruhig geworden um Georg Simmel, 1858 in Berlin geboren, ein Soziologe und Kulturphilosoph – zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Karl Marx Manifest der Kommunistischen Partei. „EinGespenst geht um“ – und das ist das Kapital ,das liebe Geld, der Tanz ums goldene Kalb. Wenig ist über seine enorme Bandbreite bei gleichzeitger Tiefe, seiner Vielschichtigkeit bekannt. Er war einer der klugen Köpfe, die vermeintliche Antipoden wie Nietzsche und Marx zusammendachte. Da ist zum einen Sorge um das individuelle Leben (Individualität statt Pseduo-Individualismus einer reproduziebaren Ich-AG) und die Reflexionen zur Kunst,die an den Sprachgott Nietzsche erinnern. Doch nicht weniger scheinen soziologische und ökonomische Phänomene auf, die das Kollektiv betreffenden und Marx (Das „Elend der Philosophie“ und nicht die „Philosophie des Elends“) würdigen.

Simmel schrieb von seinen Zeitgenossen beachtete Monographien über Kant, Schopenhauer und Nietzsche und befasste sich intensiv mit der Fragestellung, ob Philosophie an eine bestimmte Kulturform gebunden ist. In seinem Todesjahr 1818( im damals noch deutschen Straßburg) erschien ein auflagestarkes Band mit dem Titel „Der Konflikt der modernen Kultur“. Ein Evergreen,sollte man meinen. Aktuell empfehlenswert: Das Kapitel „Der Krieg und die geistigen Entscheidungen“. 72 Seiten dick. file:///C:/Users/Administrator/Downloads/Der%20Krieg%20und%20die%20geistigen%20Entscheidungen.pdf

Allein die Titel der darin enthaltenen Reden (während des Ersten Weltkrieges) stimmen nachdenklich: Deutschlands innere Wandlung. Man möchte meinen, dass unser Vaterland seine Mutter, die Demokratie, verloren hat. „Versunken, wie ein ausgeträumter Traum“ heißt es zu Beginn (S. 9) Die heutige Generation, die Jugend, hat Krieg nie erlebt. Wie anders wäre es erklärbar, dass sie nicht geschlossen auf der Seite der Friedensdemonstranten steht? Viele Füße und kein Vorankommen. So viel Fortschritt, doch keine Richtung. So viel Buntes und keine Identität.

Foto Belinda Helmert: Kehrhaus beim 40. und mutmaßlich letzter Bremer Samba-Karnevalsumzug. Wo gefeiert wird, wird auch getrunken. Rotkäppchen wurde einst vom bösen Wolf verspeist und dann aus seinem Bauch herausgeschnitten. Wer wird unser rettender Jäger sein, der uns vom Nahtod erlöst?

„Jetzt aber, wo alles labil geworden ist …“

Noch einmal ein Leben aufbauen in neuer Atmosphäre und auf neuen Voraussetzungen. Simmel bezweifelt, ob die Kraft dafür noch reicht. Deutschland sieht sich von neuem in den „Schmelztiegel der Geschichte geworfen„. Von wegen von deutschem Boden darf nie wieder …. Schnee von gestern. Nach der Gleichsetzung mit Rechtsradikalismus droht ein Verbot der Opposition, die den Frieden will, Zensur der widerspenstigen klugen Köpfe, die ewige Wiederkehr des Gleichen mit politischen Mitteln, die eine Faeser ausgerechnet „Ministerin für Inneres und Heimat“ sein lässt – mehr Satire geht wohl kaum. Der Wolf regiert und die Steine aus dem Märchen sind Taurus-Raketen im 21. Jahrhundert. „Jetzt aber, wo alles labil geworden ist“ (S. 12) regiert „nicht wissendes Wissen„. Pointierter lässt sich das Heute nicht (be)greifen.

Simmel spricht in Deutschlands innere Wandlung von starken Stößen, die das Selbstverständliche aufbrechen, ja erschüttern müssen. Selbstverständlichkeiten sind der Tod des argumentativen Denkens und der freien Diskussion. Inzwischen, spätestens seit Menschenhasser unser Volk regieren, ist nichts mehr unmöglich oder absurd, doch Gräben werden gezogen und vertieft, das zumindest ist deutsche Selbstverständlichkeit.

Schon Hölderlin wusste im „Hyperion“ zu schreiben „Ich kenne kein Volk,das zerrisener ist als das Deutsche.“ Simmel formuliert es anders: Das Individuelle und das Allgemeine sind auseinander getreten wie zwei Bewusstseinsformen, die nicht mehr zueinander finden. Quasi eine geschiedene Ehe.

Foto Belinda Helmert: Wer nimmt die Braut? Nach dem Umzug ist vor dem Umzug. Fragt sich nur, wo der nun stattfinden soll. Statt Konfetti und rote Rosen wirds bald etwas anderes regnen. Simmel spricht von „mechanisch erstarrter Sondierung“ des Einzelnen und Besonderen vom Allgemeinen. Sind wir alle orientierungslos und kriegsbesoffen? Wer Frieden will ist heute Rechts. Die neuen „Spalter und Hetzer “ stehen heute eher Links und mittig. Sie bestimmen auch, wer zu den Guten (Weißen) und wer zu den Bösen ( Schwarzen) gehört.

sinnloses Spezialistentum

Eine zentrale These Simmels lautet, dass die Gefahr oder das Verhängnis nicht im Kapitailsmus selbst liegt, weil dieser ein Korrektiv von selbst auf den Plan ruft, das des Sozialismus. Das Problem bestand für ihn in der Verselständigung, etwa der Übertragung auf die Kunst, die nur noch Markt ist und gehandelt wird oderzur Ideologie der Rücksichtslosigkeit in der Politik mutiert. Es fehlt in Zeiten metaphysischer Obdachlosigkeit (inzwischen auch physischer Leerstände) der Überbau. Unsere Behäbigkeit des Wohlstands, von Simmel „Wohlhabenheit“ genannt, führt in die Inflation der Wissenschaft, weil Menschen mit einem „Spürchen Begabung“ hofiert werden. Bildungswüste Deutschland, schon von Simmel 1918 erkannt. Produktivformen (Qualität) wurden / werden von Produktivkräfte (Quantität) überflutet.

Die Narrheit obsiegt. Im Zeitalter von Google gilt ohnehin, was Simmel schon vor der Digitalisierung des Wissens aus Enzyklopädien wusste: Gebildet ist, wer weiß, wo er findet, wonach er sucht. Oder: Bildung heißt finden, was man nicht weiß.

Geld ist eine „unspezifische Potenz“ (S. 16) und kann auch in der Bildung verschleudert werden, bis die Intelligenz versiegt. Simmel greift „sinnlos werdende Spezialistentum“ (S. 17) an und spricht von einer „erschreckenden Abkehr des Denks von grundlegenden Problemen“ (S. 18). Europäische Einsamkeit und Isolierung ist die notwendige Folge, damals wie heute. „In jeder Bedeutung ist es abzulehnen, daß Deutschland siegen muss, wenn Geschichte einen Sinn haben soll.“ (S. 21) .

Ein Jürgen Trittin schämte sich, Deutscher zu sein. Ich schäme mich nicht fremd, aber ein Trittiner möchte ich erst recht nicht sein.

Foto Belinda Helmert: Ausgetrommelt? Der 40. Bremer Samba-Karneval soll der letzte gewesen sein.

Das relativ Gute birgt das relativ Böse

In „Dialektik des deutschen Geistes“, dem ein Goethe-Zitat vorangestellt ist, welches die Schwere desselben berührt, jene Schwere, die laut Nietzsche uns daran hindert, zu tanzen, zu fliegen und zu träumen, nennt Simmel Hölderlin als personifiziertes Exempel dieser Dialektik zwischen Sehnsucht nach dem Fremden und Integration mit dem Eigenen, kurz Harmonie und Identität des Einen im Vielen (ken kai pan). Was sollte auch gegen Offenheit und Bereicherung , Ergänzung und Erweiterung des eigenen Horizontes durch das Andere, das Hinzukommende, sprechen?

So müssen sich Materie und Geist die Wage halten. Eine Schule ohne Infrastruktur oder unterbezahlte oder fehlende/kranke Lehrer kann keinen optimalen Rahmen für eine gesitge Entwicklung, keinen Nährboden für Leistung oder gar wirkliche Bildung bieten. Eine Institution wie die Universität bildet auch nicht nur Wissen, sondern formt Werte, die noch über den Nutzen stehen, aber auch sie will unterhalten sein.

Antagonismen sind folglich fruchtbar, das gilt erst recht für den gelebten Dialog, eine Kultur des Mit- und nicht bloßen Gegeneinanders, aber eines sich auf den Prüfstand stellenden Miteinanders, weil alles andere Worthülsen und leere Versprechen sind. „Falsche Tendenzen“ (S. 37) nennt dies Simmel. Will heißen: Der Deutsche entfaltet seinen Widerstand nicht produktiv, sondern hemmend. Eine Dialektik des Stillstands, ja des Rückschritts entsteht. Die Scharlatane von heute sind die Gutmenschen von gestern. Die Moralapostel erweisen sich als rückgratlose Herrenmenschen, die bestimmen, was demokratisch gewollt ist und was nicht. „Das relativ Gute birgt das relativ Böse“ (S. 38)

Foto Belinda Helmert: Nicht alle mögen es bunt. Der Bremer Sambakarnevalsumzug wird zu Grabe getragen, so heißt es. Als „Vollendung der Seele“ definiert Simmel die Kultur. Seelenlosigkeit ist somit das Ende aller Kultur, zugleich die Barbarei der Zivilisation. Wenn die Kreativität verloren geht …

Die Krise der Kultur

Bezeichnenderweise hält Simmel seine Rede „Die Krisis der Kultur“ in Wien, dem zusammenbrechenden Reich multi-kulti-transnationaler Identität. Heute ist das geschrumpfe Austria nationalbewusster als sein Nachbar Germania. Zerrissenheit entsteht, wenn Fragwürdiges nicht mehr hinterfragt, sondern totgeschwiegen oder diffamiert/denunziert wird. Alles ist undurchschaubare mediale Inszenierung, ohne Transparenz, ohne erkennbares Ziel wie eine Endlosschleife der Dauerberieselung. Angeblich müssen wir der Technik vertrauen, etwa der Überlegenheit von Waffen und Wehrtüchtigkeit herstellen.

Den Krieg zu gewinnen wird wichtiger als ihn zu beenden und künftig zu vermeiden. Menschen, werden wieder einmal zu Kanonenfutter bzw. Raketenziele degradiert. Der Mensch nur noch Mittel zum Zweck? „Das ungeheure Wachstum von Technik … verstrickt uns in ein Netzwerk von Mitteln und Mitteln der Mittel … das uns von unseren eigentlichen und wirklichen Zielen abdrängt“ (S. 45/46).

Kunst, Kultur, Sport dürfen nicht politisch instrumentalisiert und ökonomisiert werden. Auch wenn es naiv klingt, weil die Entwicklung diesem frommen Wunsch spottet, so zeigt sich doch, wohin dieser falsche Weg führt. Selbst Kriege werden kommerzialisiert, nicht nur in puncto Rüstungsindustrie oder Sicherung von Rohstoffen, Schwächung von Absatzkonkurrenten. Vor allem auch, weil dadurch eine „formlose Unendlichkeit“ entsteht, das Gefühl, von einer unendlich wachsenden „unendlichen Vielzahl der Kulturelemente wie erdrückt zu sein.“ (S. 47)

Verdrängt werden der Ziele und Zwecke durch die Mittel und Wege, so liese sich die Krise der Kultur heute wie damals nach (und vor) dem Krieg zusammenfassen. Vielleicht ist Kriegsspielzeug schon ein schlechtes Omen, wie es Wilhelm Raabe in „Der Hungerpastor“ ahnt, wo sein Schützling, selbst noch ein Kind, in einer Fabrik Herren und Knechte, Soldaten und Waffen herstellen muss. Vergessen scheint, dass der Ursprung des Karnevals in der Gleichstellung aller, folglich die Inversion der sonst aufrecht erhaltenen Hierarchien, liegt. Er war eine politische Katharsis, das Unerträgliche für eine gewisse Zeit (Kulturleistung) ertäglicher zu gestalten.

Höchste Aufgabe der Kultur ist, den Menschen besser zu machen, zu vervollkommnen. Dies kann nur gelingen, wenn kein Pathos und keine Pathologie vorherrschen, sondern Lebensstimulanz. Wir verlernen uns mitzufreuen. Stattdessen herrschen Neid, Missgunst, Misanthropie in deutschen Landen. Nur hierzulande glaubt man wirklich, dass Qualität von Qualen herrührt. Mit meinen Worten: Alles geht viel zu schnell, so dass der Mensch nicht mehr Schritt zu halten vermag mit dem Fortschritt, den die Technik uns aufzwingt. Weniger ist manchmal mehr. Um es mit Simmel (ein Satz, gesprochen fast zwei Minuten Hörzeit) zu sagen (S. 48):

Foto Belinda Helmert: Abflug für den 40. Bremer Karnevalsumzug. Der schräge Vogel ist Martin, einer der beiden Gründer des Samba-Festes. Die Römer feierten im Dezember (kurz vor Weihnachten) ihre Saturnalien. Aus Divide et impera wurde für eine Woche „Jeder ist gleich“. Die Welt wurde gefeiert von gleichberechtigten Gästen. In dieser Zeit ruhten sogar die Waffen (schreibt Tacitus, der Jüngere) und alle waren vogelfrei. Die Römer kannten kein Konfetti, daher regnete es tatsächlich Rosenblätter.

Gegenseitige Abhängigkeit von Haben und Sein

1900 veröffentlicht Simmel „Die Philosophie des Geldes“. Philosophie des Geldes besteht aus einem analytischen Teil, in dem bestimmte Begriffe erläutert und auf ihre Wechselbeziehung aufeinander untersucht werden; der zweite Teil ist synthetischer Art und behandelt die Auswirkungen des Geldes auf Freiheit, Persönlichkeit und Lebensstil. Geld umfasst mehr als die monetären Bereiche, ist Bestandtteil der Ideengeschichte des Menschen und der Ideologie aus Eigentum und Anspruch auf Wachstum.

Als Sozialdarwinist wird für Simmel Geschichte zum Wettlauf der Kulturen und der Klassenkampf zu einer sozialen Frage der idealen Überlebensstrategie. Die Philosophie des Geldes trägt dem (Willhelminischen) Kampf um den „Platz an der Sonne“ Rechnung. Einige Aussagen sind treffend, die Verbindung mit Metaphysik teilweise konstruiert, aber aus historischer Sicht bemerkenswert. Seine Interdisziplinarität verleiht Simmel einen Reiz, der über fehlende Originalität teilweise hinwegsehen läßt.

Das erste von insgesamt sechs Kapiteln auf etwa 600 Seiten trägt den Titel „Geld und Wert“. Die erste darin enthaltene Deutungshypothese steht auch gleich zu Beginn: „Wirklichkeit und Wert als gegeneinander selbständige Kategorien, durch die unsere Vorstellungsinhalte zu Weltbildern werden.“ https://www.projekt-gutenberg.org/simmel/philgeld/chap002.html Eine Gliederung erfolgt zusammengefasst in meinen Worten:

Die kürzeste Zusammenfassung des (für mich) interessantesten Kapitels, dem Zusammenhang von Geld und Freiheit, lautet: „Gegenseitige Abhängigkeit zwischen Haben und Sein“. Mit Vorteilen für den Besitzenden/Habenden, denn Gelöstheit (eine Form der Freiheit) wird vermittelt durch Geldbesitzs. Sie befrreit von existentieller Not. Laut Simmel kann der Mensch nicht frei entscheiden oder handeln, wenn er sich existentiell bedroht sieht.

Foto Belinda Helmert: Bremen, Sielwallkreuzung. Die müden Tänzer gehen nach Hause (vorerst) – abends und nachts traten die Gruppen in verschiedenen Lokalen der Bremer Innenstadt auf. Der Philosoph fragt sich: Welche Substanz liegt in der Distanz? vor allem, wenn sie ausgetanzt ist.

Geld haben macht frei …

Die Philosophie des Geldes“ hat einen analytischen und einen synthetischen Teil. Der analytische ist nach kantischer Vorgabe (theseis-antithesis-synthesis) untergliedert in Wert und Geld, Substanzwert des Geldes und Geld in Zweckereihen. Diese Untergliederung beleuchtet den psychologisch-indivudellen, den materiell-objektiven und den ideellen Vermittlungsgrund des Geldes. Dadurch wird Geld als Eigenwert, als Wert, um etwas zu erreichen und als Zweck, der zwischen subjektiven und objektiven Symbol vermittelt, dargestellt. Geld hat folglich einen sujektiven, objektiven und notwendigen Anteil an der Wirklichkeit; es schafft eine Gesetzmäßigkeit, die dem Reich der Zwecke in der Natur ähnelt.

Außer Frieden erscheint kein Wert so unabdingbar wertvoll und Kulturleistung zu sein wie die Freiheit. Beides könnte man sich mit Geld zwar nicht erkaufen aber doch privilegiert annähern. Der Zusammenhang von Geld und Freiheit ist dialektischer Natur: Wer nichts hat, kann nichts verlieren und Geld schafft zwar Besitz, aber auch die Notwendigkeit, ihn vor Verlust schützen/ sichern zu müssen. Andererseits erscheint Freiheit nicht nur als Naturrecht oder gar Notwendigkeit, sondern eben auch als Luxus und genau genommen als nie zu verwirklichendes Ideal. Mit Geld kann man sich die eine oder andere Freiheit gönnen wie ein seltenes Gut.

Dass es Simmel nicht (allein) um Geld als ökonomischer Faktor zu tun ist, geht bereits aus seinem Vorwort hervor:

So gibt es einen subjektiven Wert (Idee, Bedeutung, Gegenwert) und einen materiellen objektiven Wert (Tauschwert). Die Freiheit, die ich habe, etwas zu kaufen kann ich nur haben, nicht sein und dieser Grad an Finanziellem handlungsspielraum ist objektiv messbar. Die Freiheit, etwa zu sein und zu gelten kann invers nicht über den Kauf, das habitat erfolgen, auch wenn gewisse Leute das glauben (das Auto als verlängertes Körperteil). „Der Geldpreis einer Ware bedeutet das Maß der Tauschbarkeit“. Das Individuum ist aber nicht ein- oder austauschbar, sondern quasi unbezahlbar

Die Geldnot ist die existenziellste überhaupt, alle anderen Sorgen sind ihr nachgeordnet oder eine Folge der Unselbständigkeit, da Selbständigkeit, Freiheit etc. mit Geldbesitz verknüpft sind. Paradoxerweise ist der Mensch darum nicht freier, nur weil er Freiheit hat.

Foto Belinda Helmert: Polizeisperre an der Sielwallkreuzung. Das Sicherheitskonzept für dem Karnevallsumzug wurde nochmals hochgefahren. https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/samba-karneval-bremen-sicherheit-100.html Die Gleise erscheinen symbolisch wie ein Scheideweg. Die Barrieren dahinter beschränken die Freiheit in eine Richtung.

Zuerst Herr, dann Knecht der Freiheit

Geld bestimmt zwar ökonomisch den Wert des Habens (nicht des Seins), ist selbst aber moralisch völlig wertlos oder wertfrei. Moral bildet das Gegengewicht zum Geld, mit dem sich Gutes oder Schlechtes bewirken/bezahlen lässt. Das gilt für jeden Tausch. Auch Freiheit selbst ist ein Tausch. Hier erweist sich Simmel als Kantianer, denn Freiheitberuht für ihn auf einem „Wechsel von Verpflichtungen“. Es gehört zum paradoxen Wesen der Freiheit, das sie Pflichten enthält, ja sogar daraus hervorgeht, denn sie kann nur mit und im Anderen erfolgen, niemals für sich allein.

So kann beispielsweise auch nicht jeder Weg in die Freiheit führen; sie sich zu gewinnen oder zu verteitigen nicht frei von Selbstverpflichtung erfolgen. Der Einzelne ist nur frei darin, sich selbst Werte zu wählen, für die er einsteht, nicht in der Wahl der Mittel, diese zu verwirklichen. “Die Setzung des Zieles erfolgt aus dem Charakter, der Stimmung, dem Interesse; den Weg aber schreibt uns die Natur der Dinge vor; die Formel, die über so viele Lebensverhältnisse mächtig ist: daß das Erste uns freisteht und wir beim Zweiten Knechte sind …“ (Synthetischer Teil, Kapitel 4, Das psycholgische Auswachsen der Mittel zu Zwecken)

Freiheit wird eingetauscht gegen Arbeit (Freizeit gegen Arbeitszeit), das Individuum leistet sich Freiheit, indem es sie sich vorher verdient. Die Leistungsgesellschaft hat die Arbeit ent-individualisiert. Zum einen wird die Arbeit im Zeitalter der Industrialisierung (und potenziert in der Digitalisierung) immer mehr zum Akt der Entfremdung (Massenproduktion, Massenmedien) und der Arbeiter zu einem Rädchen im Getriebe (heute virtueller Wirklichkeit).

Zum anderen spielt für das Selbstbewusstsein und die Anerkennung der Gesellschaft die Tätigkeit selbst (das Produkt) keine Rolle, sondern nur die Rentabilität. Lax verdirbt Geld den Charakter? Simmel: „Das Geld zerstört zunächst den Eigenwert und zuletzt auch die Persönlichkeit des Individuums.“

Foto Belinda Helmert: Was Leib und Seel zusammenhält – nach dem Unmzug des 40. Bremer Sambakarnevals. Dieser hatte eines frei von Geldsorgen begonnen und muss nun, weil ein solcher Aufwand nicht ohne finanzielle Zuschüsse aufrecht erhalten werden kann, vorerst eingestellt werden. Abgesehen davon haben die Macher ein Geschäft aus dem Karneval entwickelt und dieses Modell erweist sich als nicht mehr frei von Sachzwängen.

Sein und Haben unabhängig machen, um sie neu zu verbinden

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis in Bezug auf Freiheit und Unfreiheit, die durch Geld entsteht lautet schlicht: das „Ich“ kann nicht unabhängig von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seine Freiheit leben oder definieren. Geld scheidet zunächst Haben und Sein, auch Freiheit von Unfreiheit, um hernach wieder eine Verbindung zu erzeugen, die allerdings nicht mehr dem Subjekt überlassen bleibt. Sein und Haben werden unabhängig/autonom und bleiben im zweiten Schritt (wie Hegels Herr und Knecht-Verhältnis) doch aufeinander angewiesen.

Wenn „Ich“ nur wollen kann, was es soll oder muss, so ist dies kein Herr-Sein mehr. Wenn das Individuum nur Reste der Freiheit erhascht, die ihr das Kollektiv zubilligt so ist dies wie ein Künstler innerhalb einer Gruppe, in der er seine Kunst aufführt: eine einmalige Figur und doch nur Teil des Ensembles. die äußere Unfreiheit manifestiert sich im Inneren. Das Ich tanzt, wie die anderen tanzen. Es spielt freiwiliig, doch nur die Musik, die auch die anderen spielen. Unfreiheit nach außen setzt sich im Inneren fest. Im o-Ton:

Foto Belinda Helmert: Sambatrommeln im Abseits? Hauptbestandteil der feurigen Rhythmen sind große und kleine Trommeln. Diese bilden unbestreit bar das älteste Musikinstrument. Die ägyptische Urform (man fand sie als Grabbeilage) war indes zylinderförmig.

Fremd im eigenen Land

Simmel sagt: Der beste Kenner eines Landes und seiner Gesellschaft ist der Fremde, der bleibt. Nun lautet der Umkehrschluss: Der Deutsche gilt in Deutschland nichts mehr, ist fremd im eigenen Land. Der Anblick aller dionysisch erscheinenden Ausgelassenheit (wobei der kulturell religiöse Hintergrund beim Sambafestival wohl fehlen dürfte) erlaubt den Gedanken: Wundervoll ist die Nüchternheit des Trunkenen; entsetzlich die Trunkenheit des Nüchternen.

Diese trunkene Nüchternheit erleben wir im Umgang mit Geld und der Politik, die nun offenkundig nicht nur Geldpolitik betrifft, sondern die Durchdringung der Ökonomie in alle, selbst ökologische Fragen. Simmel: „Zwischen diesen Polen also bewegt sich die Skala unserer Bedürfnisse“. Geld ist die reinste Form des Werkzeugs. Aber sie entfremdet das Individuum auch von seiner Mit- und Umwelt. Nebenbei haben wir nach Auffassung Simmels die Natur oder gar die Welt niemals unterworfen, sondern ihr nur unverhältnismäßig große Wunden geschlagen.

Daher scheinen wir also um so freier zu sein, je mehr wir besitzen; der Sinn des Besitzens ist, dass wir mit ihm machen können, was wir wollen. Wenn wir die Welt aber nicht besser machen können, sollten wir sie zumindest nicht schlechter hinterlassen als vorgefunden. Dies im Gepäck haben wir Freiheit nicht mehr, zu schalten, wie wir wollen und zu sein, wie wir sind (agressiv). Wir müssen uns damit begnügen, frei zu sein, indem wir Dinge und Menschen lassen, wie sie sind.

Foto Belinda Helmert: Gesicht des Karnevals. Manch Karnevalist wirkt wie ein Kavallerist, der mit Kriegsbemalung Feinde abzuschrecken vermeint.

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