Ball bellisimo

Foto Belinda Helmert: Bremen, Schlachthof, 40. Bremer Karnevall-Abschlussball. Initiatorin Janine Jaeggi heizt mit ihrer Löwen-Truppe dem sambatrunkenen Publikum ein – wohl zum letzten Mal.

Lichtenberger ein Aufklärer?

Abgesehen davon, dass Georg Lichtenbergs Aphorismen eher heiter und sinnlich, mitunter auch besinnlich wirken: Hat ein bucklichtes Männlein wie er nicht alsPhysiker oder als Aphorist es eher vermieden, seine Zeitgenossen in eine neue Epoche zu überführenß. Das in der Nähe Darmstadts 1742 neuntgeborene Kind eines Pfarrers lernte zunächst hessisch babbeln, bevor es das Licht der Göttinger Universitätstadt ersah.Heute würde man den kurzbeinigen verwachsenen gnom (infolge der Scharlach) wohl weniger zum Gespött erklären als seinerzeit, aber steinig dürfte der Weg ach heute noch sein. Umso mehr verwunderlich, dass Lichtenberg nicht ins Meldodramatische oder Misanthoopische abglitt, sondern Hunger nach Frohsinn entwickelte..

Es gibt so manchen Satz, der amüsant klingt, obschon er bittersüßer Schokolade gleicht. Etwa den, in seiner Kürze kaum langweiligen: „Der gesunde Gelehrte: der Mann bei dem Nachdenken keine Krankheit ist.“ Hat das nun philosophischen Tiefgang à la Kant, mit dem der umtriebige Vielschreiber ja nahezu befreundet war? Lichtenberg bildete wie Göttingen seinerzeit nahezu das Epizentrum deutscher,ja europäischer Geisteswelt. Man muss schon ein wenig nachdenken, sogar Gehirnschmalz investieren, um über die Trivialität und den Spott des ersten Gedanekenflugs hinwegzukommen.

Um noch einb Bonmot hinterherzuschieben, dass vielleicht deutlich macht, was Lichtenbergs Trommelschläge auszeichnet: „Es ist nicht gesagt, daß es besser wird, wenn es anders wird. Wenn es aber besser werden soll, muß es anders werden.

Am Ende fällt Tuchlsoky in der Weltbühne diese milde Urteil:

Foto Belinda Helmert: Auftakt zum 40. Samba-Karneval-Ball. Die Gruppe aus Hamburg kombinierte Samba mit Reperbahn und Chanty-Einlagen, deren Rhythmus angepasst werden musste. Ein Rap auf Hamburg meine Perle durfte auch nicht fehlen.

Das Blumennmädchen

1764, dem Todesjahr der Mutter, begann Lichtenberg mit den Eintragungen in die „Sudelbücher“, die heute seinen literarischen Ruhm ausmachen. Es sind Gedankenexperimente,wie man sie vorher nicht kannte und die an damalige Tabus rührten. Wenige Jahre später reist nach Englsnd und erlebt ein, imVerhältnis zu Deutschland modernes Regime. Erstaunlich, dss der Transzendentalist Kant mit dem Sensualisten und Experimentphysiker Lichtenberger eine gemeisname Linie finden konnten.Einem , der frei heraus sagte, was er dachte „Alle Erkenntnis, und vor allem die Unterscheidung von klarer und undeutlicher Wahrnehmung, beruht „auf der Befindlichkeit meines Körpers in der Welt““ und mit disem in engen Briefkonktakt stand.

Trotz oder wegen seiner Zoten liebte ihn Goethe. Er liebte Aphorismen wie diesen: „Wir sind alle Blätter an einem Baum, keines dem anderen ähnlich -das eine symmetrisch,das andere nicht, und doch gleich wichtig dem Ganzen.“

In jungen Jahren ist er vol lGroll aufgrund seiner erlittener Qual, der sich erst mit der eigenen erfüllten Sexualität legte. Diese fand er spät in dem Blumenmädchen Maria Dorothea Stechard, die früh verstarb,aber ihn als Kindfrau 1777 mutmaßlich zumersten mal beglückte. Drei Jahjre genügten wohl, um aus einem Zyniker, gefangen im nicht gerade gesegneten Leib, einen glücklichen und philantropischen Denker zu machen.

Foto Belinda Helmert: 40. Bremer Karneval, l Abshlussgala, zweite Gruppe, die Blumenchoreographie.

Sudelbücher

36 Jahe spießiges Göttingen, seinerzeit dennoch eine der renommiertes Universitäten des Landes. Ein Professor, der nicht so viel verdiente wie heutzutage, doch iner Frau, einem Mädchen, das Lesen und vielleicht sogar das Denken beibrachte. Ein Spießbürger wie Kant , auch kein Weltmann, gefangen in Königsberg, mit Humor die Zeit bekämpfte wie es eben ging und seine Standesgenossen durch den Kakau zog. In einer Zeit, in der Natur- und Geisteswissenschaften noch nicht so getrennt waren wie im 21. Jahrhundert. Am Ende machen die Pointen den Unterschied und den Literaten. Auf Letztere verstand er sich gut. https://www.deutschlandfunk.de/georg-christoph-lichtenberg-witzig-scharfsinnig-pointiert-100.html

Noch hutre fragt ,man sich: hat Lichtenberg die krisis der Moderne, insbesondere der Wissenschaften, denen er selbst zugehörte. frühzeitig erkannt, wenn er in seinen Sudelbüchern die Frage stellt: „Wo damals die Grenzen der Wissenschaft waren, da ist jetzt die Mitte?

Foto Belinda Helmert: Sambatänzerinnen dürfen nicht fehlen bei der Abschlussgala im Bremer Schlachthof, Stadtteil Findorff. Im ehemaligen Schlachthoft, zwischenzeitlich auch DZwischen-Auffangslager (Missler-HALLEN) und heutigen Kulturzentrum finden im Jahr etwa 300 unterschiedliche Veranstaltungen mit insgesamt etwa 100.000 Besuchern statt.

Derselbe Spötter wusste nach seiner ERfahrung mit dem kindfreundlichen Blumenmädchhen zu sagen: „Wer in der Liebe und an der Liebe nie gezweifelt hat, der hat nie ganz geliebt. Wer sich am Ende nich miot der Liebe versöhnt, der hat vermag nie ganz zu lieben.“

Am Steinhuder Meer traf Lichtenberg auf Herder, Kloppstock und die Königin Dänemarks, die aufgrund einer öffentich gewordenen Liebschaft von ihrem Hof verbannt worden war. Bis nach Helgoland hinauf trieb es den umtriebigen Spötter. Er lernte den für seinen rauen Humor empfänglichen englischen König kennen, und viele andere illustre Hochwohlgeborene. Man kann also nicht sagen, dass ein extrovertierter Zwerg mit zwei kolosallen Buckeln seinerzeit von vornherein aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden wäre. Für eine ordentrliche Professur als Experimentalphysiker reichte es allemal. Am Ende besaß er REcht in seinen Gedanken, das man Philsophen vonm Kind auf erziehen müsse wie eine spzeille Spezies.

Bereits mit 30 Jahren unmittelbar nach seinem Besuch beim englischen König brachte er der vielbelesene Sonderling in die Göttinger Taschen-Calenders heraus, überies erfolgreich. Lichtenberg warb in der Monatszeitschrift für das damals modernste Staatensystem Europas, die parlamentarische Monmarchie. GGleichwohl nahm er es mit der Experimentalphysik sdehr genau und mied Vorlesungen, wo immer er konnte. Aus heutiger Sicht ein Knallertyp…

Foto Belinda Helmert: Der Tambourmarin und Conferencier des letzten Samba-Karnevals in seinem Element. einmal im barocken Erscheinungsbild.

Foto Belinda Helmert: Dresscode verboten. Pomp ist grenzenlos. Der Conferencier nach dem persönlichen Kostümtausch.

Radikalität plus Obszönität

Lichtenberg war gewiss vieles, doch primär Satiriker. Er konnte Natur- und Geistewswissenschaften, Aufklärung und Revolte verbinden wie kein zweiter. nach seinem Gusto wird nicht verstandene Ordnung endlich Unordnung, Wirkung nicht zu erkennender Ursachen. Seinem Credo nach lebten die meisten Menschen leben mehr nach der Mode als nach der Vernunft. Sein Spott galt Kritikern, welche die Kunst beherrschten, Bücher zu beurteilen, ohne sieje gelesen zu haben oder Philistern im Allgemeinen.

Unter seinen Bewunderern fanden sic Goethe im Alter, Schopenhauer, Schleiermache, Jean Paul, Mörike, Nietzsche, Tolstoi, Hofmannsthal,Thomas Mann, Karl Kraus, Benjamin, Tucholsky, Canetti und dies obwohl oder gerade aufgrund seiner Leidenschaft zur Naturphilosophie, die am ehesten mit der Spinozas konmvergierte. Über allem stand bei Lichtenberg stets das individuum, der unverstellte Indivualist.

Foto Belinda Helmert: Die Truppe um die Karnevalsgründerin Janine Jaeggi. Ihr Mann und treuer Mitstreiter, verkleidet als Hase namens Martin will nicht gewusst haben, dass alle anderen als Löwen auftreten. Alles fing vor 40 Jahren so klein an und endete in der größten Samba-Veranstaltung Europas.

Aus klein mach groß

Auf den Tod der jungen Geliebten, dem Blumenmädchen Stechard im Alter von nur 17 Jahren verzichtete Lichtenberg, selbst todkrank, auf eine lange Trauer und nahm die Gemüsehändlerin Kellner zur Frau, gleichfalls im Kiundesalter. Mit ihr, die sogar die Märzrevolution noch erlebte, hatte er sogar noch vier Kinder. Man muss daher sagen, auch die scheinbaren Krüppel dieser Welt taugen seelisch, geisitg und körperlich etwas, bringen es zu wissenschaftlichen Meriten und jungfräulichen Geliebten. Einem Mann, der von sich selbst sagte, er sähe ein Sandkorn immer noch besser als ein Haus, weil er im Kleinen, in der Miniatur, im Detail die Welt entdeckte, muss man das verzeihen. Daher passend zum Karneval-Motto sein Sudelbuch-Aphorismus: „Das Maß des Wunderbaren sind wir, wenn wir ein allgemeines Maß suchten, so würde das Wunderbare wegfallen und würden alle Dinge gleich groß sein.“

Foto Belinda Helmert: Finale in der Schlachthalle. Der 40. Sambakarneval unter dem Motto „Uns blüht was “ klingt aus.

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