In Blumenbergs Küche

Foto Belinda Helmert: Porta Westfalica Kaiser Wilhelm I Denkmal im Monumentalstil im Historismus vom Düsseldorfer Architekten Bruno Schmitz und (Statue) dem Gütersloher Umfeld stammenden Bildhauer Caspar von Zumbusch zwischen 1892 bis 1896. Sechs Jahre waren an der Porta Westfalica 600 Arbeiter an dem 88 m hohen Podest samt Treppen und der 7 m hohen Bronzefigur beschäftigt. https://kaiser-wilhelm-porta.de/

Verzicht auf schnelle Gewissheiten

Hans Blumenberg (1920 in Lübeck geboren) vereint viele Unvereinbarkeiten in seinem opulenten Werk. Dies beginnt mit seiner Person als jüdischer Katholik führt über seinezuletzt ausschließliche Nachttätigkeit des Schreibens und Denkens bishin zu seinem Weg von der Theologie (Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie, 1947) über die Philologie (Paradigmen zu einer Metaphorologie, 1960), Phänomenologie zur Ideen- und Wissenschaftsgeschichte (Die kopernikanische Wende, 1965) bis hin zur Technologie-Forschung (Die Sorge geht über den Fluß, 1987). Nur Ästhetik und Ethik interessierten Blumenberg nie aufgrund ihrer Vieldeutigkeit, die an Beliebigkeit grenzt. Blumenberg lehrte in Gießen, Bochum, Bielefeld und zuletzt in Münster. Er war nicht gläubig, setzte sich aber dezdiert mit dem Christentum in seiner kulturellen Bedeutung als Paradigmenwechsel zur Antike.

Waren vor dem im Mythos, einem weiteren Schwerpunkt Blumenbergs Denken, alle Ungewissheiten gewiss (in „Arbeit am Mythos, 1979 definiert als „Angst vor unbekannten Wirklichkeiten“ ), der die Vieldeutigkeit und Auslegungsmöglichkeit von Wahrheiten („bunter Schein der Wirklichkeit„) , so formt das Christentum den Mythos um zum Dogma. Die Welt wird lesbar, alles hat seinen Ort, sein Wort, seinen Namen. Aus der Bilderhörigkeit entsteht Süprachhörigkeit. Das Geschriebene wird zur Wirklichkeit und ersetzt die Auslegung. Diese Hieroglyphenwelt muss nun entziffert werden.

Der Paradigmenwechsel geht mit der Entzauberung dieser Vertraulichkeit und Selbstverständlichkeit einher, wie die Welt zu verstehen ist. Sinn und Geborgenheit gehen verloren, das ist der Preis des neuzeitlichen Wissens. Die Natur wird jedtzt beobachtet und geht seit Kopernikus (präziser die kopernikanische Wende) in messbaren Zahlen auf . Seither bleibt die Welt ohne anschaulichen Sinn, vereinzelt, atomisiert. Ein metaphysischer Überbau, das Ganze, die Ganzheit, fehlt notwendigerweise. In jedem Nein steckt ein Ja und invers: Weltbeobachtung heißt Eindeutigkeit, heißt aus der Unischerheit heraustreten, zugleich Sinnlosigkeit, denn dieser lässt sich weder messen noch beobachten. Auf Geborgenheit folgt Verunsicherung und Verlust. Disparität und vor allem Misstrauen und Verzicht auf Gewissheiten. „Nichts ist weniger sicher, als daß die Wahrheit geliebt werden will, aber nicht darf, weil sie ungewiss bleiben muss.“ (Die kopernikanische Wende)

Foto Belinda Helmert: (Pilger)Weg zum Kaiser Wilhelm I Denkmal. Der Kaiser (1797-1888, Dreikaiserjahr), lange preußischer König, gilt als Musterbeispiel eines Regenten der erster Diener seines Staates sein will. Im deutschen Nationalismus sah er die Möglichkeit für Preußens Aufstieg zu einer kontinentalen Hegenonialmacht. Er zeigte sich in vielem um- und weitsichtger als sein kriegstreibender Sohn und Nachfolger https://www.kaiser-wilhelm-denkmal.lwl.org/de/

Umwege und Distanz

Laut Blumenberg („Die Sorge geht über den Fluss“) gibt es nur einen kürzesten Weg, und den kann nur einer gehen, aber unendlich viele Umwege, die fruchtbar sind für all die anderen. Unsere Kultur besteht in der Auffindung dieser Umwege. Den kürzesten Weg oder die Abbreviatur als Lebenskunst zu bezeichnen, ist eine Barbarei. So bildet die Technik den fruchtbarsten Umweg der Kultur. „Der Mensch ist nur möglich in der Distanz. Nur wenn er Umwege einschlägt, vermag er zu existieren.“

Technikfeindlichkeit oder Kulturpessimismus lässt sich Blumenberg nicht nachsagen. Der Mensch ist ein technisches Wesen und ein Virtuose der Selbstbehauptung. Nur Dank seiner Erfindungskunst hat er überlebt, vom Finden einer Verteidigungswaffe, die seinen Mangel kompensiert bis hin zum Erfinden von technischen Geräten, die anstelle der vorgefunden eine eigene Welt setzen, die den eigenen Bedürfnissen mehr entsrpicht.

Aus homo sapiens wird homo faber. Aus der Verteidigungswaffe das Handwerk, daraus die Maschine, zuletzt die Automatisierung, inzwischen die Digitalisierung, der seine Welt den Bedürfnissen anpasst und nicht wie das Tier umgekehrt.

Technik ist das Äquivalent des menschlichen Mangels, seiner defizitären Ausstattung„. Die Technik ist folglich ein Produkt der Realität des Überlebens und verweist verwurzelte Notwendigkeit menschlicher Strategie. Sie wird im Laufe der Menscheitsgeschichte nur stringenter, präziser und multifunktionaler, weil der homo faber gelernt hat, die Natur nicht nur zu kopieren (mimesis) sondern neu zu erfinden (poesis).

Die technische Bestimmung der Freiheit erschöpft sich nicht darin, den Menschen als Wesen zu begreifen, der sich selbst durch die technisch veränderte hervorbringt, denn er hat nicht nur Arbeit, sondern er ist zugleich Arbeit und damit Produkt seiner selbst. Auf „Umwege“ ist er der Natur entwachsen.

Foto Belinda Helmert: Blick vom Aufstieg zum Kaiser Weilhelm Denkmal auf Porta Westfalica und die Weser. Die Nähe der Bäume verdeckt die Sicht. https://www.startpage.com/do/dsearch?q=H%C3%B6he%20des%20Standbildes%20Wilhelm%20I%20Porta%20Westfalica&cat=web&language=deutsch

Absolutismus der Wirklichkeit

Wenn Technik von Blumenberg als eine „Methode der Problembehandlung“ bejaht wird ebenso wie der Umweg, ihre „konstitutive Ambivalenz“ – sie bleibt nicht auf das Ursprüngliche fixierbar, sonden erweitert ihre Anwendungsgebiete auf unvorhersehbare Art und Weise – weil sie der „Tendenz der Verselbständigung“ unterliegt, so bejaht er auch die Distanz. Sie wird notwendig zum reflektierten unvoreingenommen Denken, frei von Pathos, Emotion oder Moral, die alle den Blick verengen und damit die Erkenntnis subjektivieren. Unser Verstand ist der Moment des Gelingens durch Distanz zum Gesehenen bzw. zur Wahrnehmung (aisthesis) Dabei produziert er Kultur, die immer etwas Überflüssiges (Luxus) darstellt.

Die Gefahr iust nicht die Technik selbst, sondern die Verführbarkeit des Menschen, der Unvordenkliches nicht in seinen Risiken abwägt und zur hybris neigt. Der mensch muss Herr seiner selbst errungenen Autonomie und gewonnenen Kontrolle über die Natur bleiben. Technik zu dämonisieren ist der falsche, zudem bequem behagliche Weg. Bezogen auf Sartre, der Mensch ist, wozu er sich macht, gilt auch wozu er die Technik macht und einsetzt.

Nicht nur Dinge sind technisch, auch unser Umgehen, Wissen, Wahrheit selbst ist technisch. Folglich erweitert die Technik nicht nur die menschliche Freiheit, sie schränkt sie zugleich auf das Verantwortbare ein (konstitutive Ambivalenz). Es gilt das Paradox: Wir müssen nicht alles machen, aber wir werden es machen, weil wir es können. Die Verführbarkeit ist es, die zum Machtrausch und Missbrauch der Technik führt.

Technik entwickelt ihre Eigendynamik, mit der homo faber Schritt halten muss, will er nicht von ihr überholt werden. Das Subjekt lässt sich durch Machbarkeit verführen; weil die Erfindung und Problemlösung fortwährend unkalkulierbare Risiken erzeugt. Anders gesagt: die technische Bedrohung ist Blumenberg weniger unheimlich als die ursprüngliche Naturgewalt.

Foto Belinda Helmert: Porta Westfalica, Annäherung an das Kaiser Weilhelm Denkmal. Ein legendärer Satz „Wer Deutschland regieren will, muß es sich erobern“;“ – mehr as das wollte er indes nicht.

Beginn der Neuzeit

Der Streit wurzelt in der Renaissance, der Epochenschwelle zur promethischen Entwicklung der Naturwissenschaft mit Kopernikus. Das Wesen der Kunst ist die Gleichzeitigkeit von techné der Imitation und der Invention. Imitatio (mimesis) und inventio (poesis), Kunst der Nachahmung und der Erfindung, sind ursprünglich gleichzeitig, bilden die Einheit von Kunst. Doch die bloße Nachahmung der Kunst genügt nicht mehr, sie muss schöpferische Umgestaltung sein.

So erfindet der Mensch seine Wirklichkeit, eine, die von Natur aus nicht besteht. Die Innovation erfolgt über die Kunst der Selbstbestimmung. Nikolaus von Kues sprich dem idiota (wörtlich Laie) dem Handwerker die neue Macht zu; der Mensch wird zum Demiurgen und bezieht sein Sellbstbewusstsein aus der handwerklichen Neuordnung der Welt. Beispielsweise erfindet er den Löffel, eine Form, die es nirgendwo als Vorbild gibt. Die vorgefundene geschaffene Welt naturans naturata tritt in eine kreativ erzeugte natura naturans über. Die Bewältigung der Weltphänomene erschließt sich ontisch neue Gestaltung.

Paul Valéry schildert in einem Essay „Socrate et l´ objet ambigu“ Sokrates Spaziergang am attischen Strand, wo er ein Objekt (objet ambigu) vorfindet, das er nicht eindeutig besimmen kann. Weil dem so ist, wirft er nach seiner Reflexion das Ding wieder ins Meer, vertraut es folglich wieder dem Ungewissen an. Er entscheidet sich damit laut Valéry für die Philosophie der eindeutigen Bestimmbarkeit und gegen die Vieldeutigkeit und Vielseitigkeit.

Daraus schlussfolgert Blumenberg („Denken in Metaphern, Metapherologie“) die Priorität der Erfindung vor der Nachahmung sei eine Entscheidung der kopernikanischen Wende, einer Wissenschaftsgesellschaft, die Stoizismus und Skeptizismus der Antike hinter sich lässt und auch das scholastische Gottvertrauen. Ihr erster Apologet ist da Vinci, der beides (auch Valéry sagt dies) vereint und aus der Selbstbehauptung die Selbsterweiterung, die Eroberung der Erde ableitet. Diese führt Kopernikus mit der Eroberung der Sterne zu Ende. Valéry spricht von Euphanos aus Samos, einem Architekten (verantwortlich für den ersten Tunnelbau der Antike bei Megara): der Blick der Betrachtung geht weg vom Sichtbaren ins Ungewisse (Höhlenforschung oder astrale Himmelsbeobachtung).

Die Vieldeutigkeit wandelt sich in faktische Eindeutigkeit, die so lange Bestand hat, bis die nächste Ungewissheit eintritt. Ein Wettlauf zum nächsten Zufluchtsort begrifflicher Unbestimmbakreit beginnt. Dr Mythos von Prometheus, der den Menschen etwas singular Unentedecktes bringt und damit auch damit die Herrschaft der Götter, der Naturgewalten, beendet, bildet diesen Paradigmawechsel ab. „Es kann im Bild nichts so schrecklich sein wie im Wort.“ („Arbeit am Mythos“) heißt: Schiffbruch ist nur aus der Distanz, Scheitern nur in der unbeteiligten Reflextion fruchtbar.

Foto Belinda Helmert: Aus-Blick vom Denkmal aus auf die Stadt Porta Westfalica und die Weser. Erst die Distanz macht uns die Größe sichtbar, sowohl der Berge als auch des Flusses vom Denkmal aus und umgekehrt: aus der Ferne wird die monumentale Größe des Artefakts sichtbar.

Schiffbruch als methodischer Optimismus

Distanz ist und bleibt die Blumenbergsche Methode, dem Rigorismus der Wahrheit, der einzig wirklichen Wirklichkeit, gewahr zu werden. Sein berühmtes Gleichnis vom „Schiffbruch mit Zuschauer“ geht auf Lukrez zurück, integriert aber auch prominente Zeugenaussagen Goethes oder Voltaires. Auch hier geht es um Disposition zum Vieldeutigen, das durch subjektive Parameter wie Emotion oder Blickwinkel getragen, die Eindeutigkeit trübt und die klare Erkenntnis unscharf werden lässt. Mit der Viel- nimmt auch die Fehldeutigkeit zu. Was sich in Sokrates Strandpaziergang harmlos vollzieht, weil er sicheren Boden unter den Füßen weiß, kann sich aus Beobachterperspektive nur am Strand, der Küste, wiederholen.

Das Meer verheißt Risiko, Offenheit und Naturgewalt. Der Hafen dagegen Sicherheit, Standpunkt, dem Zurücktreten vor dem Phänomen. Nur aus der Distanz kann Erkenntnis vorurteilsfrei gelingen, weil „der Mensch nur möglich ist in der Distanz„. Er bleibt angewiesen auf Werkzeuge, Medien und seine schärfste Waffe, den Verstand. Erkenntnis: der Weg in die Freiheit ist der ungewisse und sich stets verändernde. Dem gegenüber steht die Enge und Eingeschlossenheit, die Fessel der Gewohnheiten, Sicherheiten. Beides hat und braucht der Mensch, wobei sein Trieb oder seine Sehnsucht nach Sicherheit vor der Kopernikanischen Wende doch die größere, stärkere war.

Wir alle sind Passagiere auf einem Schiff und die Gefahr sorgt auch für mehr Vorsicht, mehr Zuversicht, mehr Standhaftigkeit. Die Weite ist ein Spiel der Einbildungskraft, wie die Kunst, wie jede Reflexion auf eine Spekulation. Die ästhetische Wirkung interessiert Blumenberg daher nicht, sie führt nie zu einer Gewissheit, nicht einmal einer vorübergehenden, temporär begrenzten Erkenntnis mit Anspruch auf Objektivität. Was Hegel den Wendepounkt vom farbigen Schein des Diesseits in die leere Nacht des Jenseits nennt, kulminiert in Blumenbergs Schiffsuntergang.

Für die Überlebenden die Chance, es besser zu machen, für den Beobachter die Möglichkeit, sich objektiv ein Bild vom Geschehen zu machen und daraus zu lernen. Katastrophen ereignen sich, um Krisen-Resilenz zu schaffen, zumindes im Kontext des Weltgeschehens, dem Bewusstsein von und für Unglück, aber auch dem unglücklichen Bewusstsein. Dies ist bei Hegel gleichbedeutend mit der Qual der Erinnerung anstelle des Verdrängens, Vergessens von Vergangenem oder Leugnens in der Gegenwart. Die Katastrophe ist der Umweg in die Freiheit und die Zukunft welche die Utopie als eine erfundene Welt nicht bieten kann. Daher reicht das Bild auch nicht an die Schrecken des Wortes heran, die Apokalypse.

Der Schiffbruch ist Untergang und Neugeburt zugleich, Menetekel und Verheißung, Scheitern als Chance, scheiternde Subjektivität als kollektive Offenbarung. Er macht uns die inneren Widersprüche klar, konfrontiert mit der eigenen Unzulänglichkeit, befreit und engt die Perspektive, den Horizont. Sterblichjkeit, Gebrechlichkeit, Fehlbarkeit – der Mensch als Mangelwesen auf der einen Seite. Auf der anderen aber: Bedingung für einen neuen eigenen Entwurf. Bei Hegel Herr und Knecht in einer Person. Für Blumenberg erzeugt Distanz allein Befreiung von der Unmittelbarkeit und Verzicht auf schnelle und nur scheinbare Gewissheiten, die zum Untergang prädestiniert sind.

Foto Belinda Helmert: Blick auf die Kaiser Wilhelm Statue (7 m Höhe) innerhalb des Porta Sandstein Mauerwerk des Denkmals. Einen Weg, sich Blumenberg zu erschließen, liefert der video-Beitrag (corona-Epidemie) zum 100. Geburtstag von Blumenberg von Birgit Recki https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/32406

Mut zur Nüchternheit und Befreiung

Da die Distanz und der Umweg die entscheidenden Methoden zum besseren Umgang mit der Technik sind, weil nichts selbstverständlich sein kann und darf, ist es nur logisch, dass blumenberg Lebenswelten aufgrund ihrer Nähe, Enge, Subjektivität, nicht für philosophische Wahrheiten oder Wirklichkeiten nimmt. SJede Lebenswelt erklärt sich ausschließlich aus dem Selbstverständlichen und eben nicht als das zu Verstehende oder das Verstandene. Für jeden Außenstehenden bleibt diese Lebenswelt eines darin befindlichen Subjekts hinterfragenswert bzw. fragwürdig.

Im „Höhlenausgänge“ beleuchtet Blumenberg dieses Platonische Gleichnis, das von innerer Freiheit und äußeren Zwang, von Begrenzung und von Konvention handelt, neu. Fraglos wird etwas hingenommen, weil es Sicherheit verheißt und aus Gewohnheit so erscheint. Fremd bleibt dies für den einen, der einen anderen Blick gewonnen hat, der zugleich außerhalb dieser Lebenswelt getreten ist.

Die Ahnung einer anderen Wirklichkeit beruht auf dem Mangel der Ausdrücklichkeit. Alles bleibt fragmentarisch. Das Fragmentarische und das Ungewisse überwiegt und hinterfragt den Anspruch auf Ganzheit, Vollständigkeit, sogar Verstänlichkeit. Dem in seiner Höhle (Lebenswelt) Befangenen spricht sich nur über Vertraulichkeit und Gewohnheit jene Wirklichkeit als Sicherheit aus. Seine Wahrnehmung bleibt begrenzt und beengt, so lange er nicht nüchtern nachdenkt. Zur Nüchternheit bedarf es Distanz und Umweg, Erinnerung an den eigenen Mangel, die Schutzbedürftigkeit.

Schutzlos wird der Erkennende, wenn er nüchtern einen neuen Weg beschreitet wie dies die kopernikanische Wende durch ihre Vertreter taten. Zugleich stellte sich die Sinnfrage neu und anders, die Gesetze des Himmels, der Sterne, der Erde, aller Elemente, die so gewiss schienen an ihrem festen Platz verordnet. Der geordnete vertraute Raum wurde aufgebrochen. Ein Blick in die Weite entstand. Meere wurden überwunden.

Die Höhlen sind gleichbedeutend mit Kulturlesitung, mit einem begrenzten vorübergehenden Gefühl der Sicherheit vor der Übermacht der Natur. Klöster, Opern und andere (selbst wissenschaftliche) Insitutionen verheißen Erlösung vor dem Unerträglichen, dem Ungewissen oder der Ohnmacht. Jeder Weg aus der Höhle beruht auf einem Bruch mit der lebenswelt. Das Ungwise aber steigert wie die Schifffahrt oder eine Bergeroberung, mehr noch ihr Abstieg, die Sorge um die nötige Sorgfalt zum Überleben. In der Höhle zu verbleiben begrenzt die Überlebensdauer. Gleiches gilt für wissenschaftliche Theorien.

Foto Belinda Helmert, Weserbrücke – eine 382 m lange Brücke die zwei Gebirgsketten, Weserbergland un dWiehengebirge. Diese, zum Denkmal führende, ist nur eine von drei Brücken an der Porta Westfalica.

Metapher als Synthese aus Wort und Bild

In der Metapher finden Wort und Bild zusammen. In „Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit“ präsentiert Blumenberg seine Metaphorologie, die besagt, dass es Einsichten gibt, welche sich nicht in wissenschaftlicher Begrifflichkeit formulieren lassen, die jedoch mit einer ganzheitlichen Bildlichkeit illustriert werden können. Diese wird in Einzeldarstellungen unter anderem zur Lichtmetaphorik in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen, zur Schifffahrt als Metapher für das Dasein sowie zur Buchmetapher „Die Lesbarkeit der Welt“ zum Verständnis über das Wort ausgeführt.

Ein wichtige Begrifspaar bilden „Lebenszeit und Weltzeit“ , die zum Paradigmenwechsel des Mittelalters und der Neuzeit gehören. Konnte man in der Scholastik und dem Nominalismus noch Erkenntnisse in Echtzeit, also innerhalb der eigenen Lebensspanne oder wenigstens über Generationen verfolgen, so nimmt die Weltzeit immer mehr und schneller zu, so dass die Lebenszeit nicht mehr annähernd an sie heranreicht. Die Lebenszeit zielt auf Selbstbehauptung ab, die Weltzeit jedoch auf Eroberung und Erinnerung. Aus dem theologischen Absolutismus mit einem persönlich erfahrbaren Gott und seiner Weltordnung ist eine absolute Wirklichkeit entstanden, die keine Rücksicht auf persönliche Zeiterfahrung zulässt.

Nichts erscheint in Stein gemeiselt, alles ist in Bewegung. Brunos Gedankenwelt hingegen zeugt in seiner Grenzenlosigkeit und Kühnheit von jener theologischen Haltlosigkeit, die zur neuzeitlichen DNA gehört. Der Wandel der Mentalitäten geschieht niemals plötzlich und überlieferte Weltsichten haben ihre historische Plausibilität, ganz unabhängig davon, wie sie moralisch zu bewerten sind. https://www.philomag.de/artikel/hans-blumenberg-und-die-epochenwende

Foto Belinda Hemert, Mauer aus Sandstein, Detail. Der braune Portastein kommt vor zwischen Lübbeke, Minden und Lemgo, aber hier bei Porta Westfalica ist er mit über 20 m am mächtigsten. Er wurde bis zum Zweiten Weltkrieg auch vorwiegend in Verden und Nienburg verbaut.

Epochenwende

Laut Blumenbergs philosophischen Geschichtsverständnis gibt es zwischen zwei Zeitaltern stets nur eine Schwelle, „die als entweder noch nicht erreichte oder schon überschrittene ermittelt werden kann.“ („Die Legitimität der Neuzeit“) , daraus entsteht ein „unmerklicher Limes“, der erst posthum erkannt wird, so dass alle Epochen im nachhinein als Epoche erkannt und festgelegt werden.

Es gibt keine Zeugen von Epochenumbrüchen. Die Epochenwende ist ein unmerklicher Limes, an kein prägnantes Datum oder Ereignis evident gebunden. Aber in einer differentiellen Betrachtung markiert sich eine Schwelle, die als entweder noch nicht erreichte oder schon überschrittene ermittelt werden kann.“

Epochenschwelle ist folglich die Phase, ein bestimmter Zeitraum, der einen Paradigmawechsel birgt. Nicht immer wird diese Chance konsequent genutzt. von entscheidender, weil unaufheblicher Bedeutung, erwies sich die Zäsur vom Mittelalter/Scholastik in die Neuzeit/Renaissance. Der Umbrucherfolgte auf allen Ebenen, am wichtigsten aber wurde die Technische Revolution. Für Blumenberg sind dies vor allem der noch mittelalterliche Nicolaus Cusanus (1401-1464) und der schon neuzeitliche Giordano Bruno (1548-1600).

Foto Belinda Helmert: Der Kaiser von hinten und von vorne. Theodor Fontane (1819-98) war ein großer Bewunderer des alten preußischen Königs und Kaisers, kein Freund des Nachfolgers. Blumenberg in seiner Monografie „Vor allem Fontane“: „In ihm verlieren wir das in Deutschland ungewöhnliche Beispiel eines Denkers, der literarisch philosophierte.“ Seine Metapher von „weites Feld“, die auf alles anwendbar erscheint, ist seiner Untersuchung wert.

Gestus und Grenze

Auch wenn Blumenberg häufig örtliche Perspektivwechsel wie auf dem Schiff und von der Küste aus vornimmt oder zeitliche wie Mittelalter-Wissen und Neuzeit-Wissen, geht es ihm weniger um die Relativität und Verfallszeit von Wissen. Noch erwacht zu Beginn der Neuzeit ein seit Jahrhunderten schlafender Erkenntnisdrang plötzlich im Lichte zunehmender Säkularisierung. Die Geschichte ist keine lineare Annäherung an die Wahrheit.

Im aus seinen Notizen entstandenen, 2006 (10 Jahre nach seinem Ableben) postum erschienenen Werk „Beschreibung des Menschen“ stellt Blumenberg eingangs die Frage: »Wovon soll in der Philosophie die Rede sein?« Und fährt dann fort:

»Im Gegensatz zu allen anderen Wissenschaften, in denen man zuerst weiß, worüber geredet werden soll, und dann allmählich klärt, wie solches Reden stattfinden soll, welcher Mittel man sich bedienen wird und in welchen Grenzen Erkenntnis gewonnen werden kann, entscheidet sich für die Philosophie, wovon in ihr die Rede sein soll, schon als eine Sache der Philosophie«.

https://journals.openedition.org/trivium/5461

Die Rechtfertigung der Technik als Naturbeherrschung befürwortet Blumenberg als alternativlos. Ob er auch die Natur(Gen)manipulation berücksichtigen würde, ist eine andere Frage. Der Gestus des Herrschens ist nicht mit dem der Macht zu verwechseln und schon gar nicht mit der Ohnmacht der Vielen gegen die Gewalt der Wenigen. Zumindest rät er zur Behutsamkeit. Sichtbarkeit macht verletzlich.

„Die Vorstellung, der philosophische Logos habe den vorphilosophischen Mythos überwunden, hat uns die Sicht auf den Umfang der philosophischen Terminologie verengt; neben dem Begriff im strengen Sinne gibt es ein weites Feld mythischer Transformationen, die sich in einer vielgestaltigen Metaphorik niedergeschlagen haben. Dieses Vorfeld des Begriffs ist in seinem ‚Aggregatszustand‘ plastischer, sensibler für das Unausdrückliche, weniger beherrscht durch fixierte Traditionsformen. Hier hat sich oft Ausdruck verschafft, was in der starren Architektonik der Systeme kein Medium fand. Hier wird behutsame Forschung noch reiche Bestände erheben können.“ https://www.deutschlandfunk.de/der-geist-ist-sich-selbst-voraus-100.html

Foto Belinda Helmert: Der Talar des Königs von Preußen und erster Kaiser von Deutschland Wilhelm I.

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