Schopenhauers Einfluss auf Fontane

Foto Belinda Helmert: Neuruppin, Rosengarten mit Blick auf die Karl Marx Statue. Theodor Fontane wird am 30.12.1819, zwei Jahre nach seinem
befreundeten Namenskollegen Storm in Neuruppin, Brandenburg geboren. Er stammt aus einer in Preußen heimisch gewordenen Hugenottenfamilie.

Mitleid, Kontemplation, Resignation

Und das Wort, es ward Riese, Und sein Name: Schopenhauer.“ Nach seiner Rückkehr aus London 1859 macht Fontane die Bekanntschaft von Karl H. Von Wangenheim, der ihn mit der Lektüre Schopenhauers erstmals in Kontakt bringt. Brieflich äußert sich der Autor erstmals Dezember 1873 über den Philosophen in Bezug auf Schopenhauer-Abend, denen er mit seiner Frau im Hause des Freundes beiwohnt. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich bereits
tiefere Kenntnis angeeignet, denn er hält einen Vortrag über dessen „Geistersehn und was damit zusammenhängt“. Elementar für seinen Schopenhauer-Abend- Austausch wird der Altersfreund und Nachbar Hermann Wiesike, in dessen Brandenburgerischer Villa Plaue an der Havel Fontane regelmäßig ver-
kehrt, v.a. in der Zeit ab 1874. Der Politiker (Mitglied des Deutschen Reichstages) richtet regionale Schopenhauertage ein undverkehrt sogar brieflich mit Nietzsche, zu diesem Zeitpunkt noch sein prominentester Befürworter.
Ein wiederkehrender Punkt in Fontanes Werke bildet die Überzeugung, dass Mitleid die höchste, den Menschen vom Tier unter-scheidende Tugend darstellt. So auch in seinem Roman „L´Adultera“: „Und mitleidig sein ist noch viel mehr als bloß gütig sein und ist eigentlich das Beste, was die Menschen haben.”
1883 schreibt Fontane seiner Tochter Mete „Schopenhauer hat ganz recht: das Beste, was wir haben, ist Mitleid.

Fontane beschäftigt sich zwar ausführlich mit Schopenhauer, doch ist er nicht sein Schüler. Vielmehr steht er seiner pessimistischen Weltanschauung lange kritisch gegenüber, bewundert vielmehr einzelne Weisheiten und die geschliffene Sprache seiner Aphorismen. Dieses Interesse hält lebenslang an. Dazu gehört vor allem Gelassenheit gegenüber dem Tod. So verweisen auch die letzte Gedanken des sterbenden Stechlin auf Schopenhauer: „Das Ich
ist nichts – weiter nichts, und dieser Vollzug, auch wenn er Tod heißt, darf uns nicht schrecken. In das Gesetzliche sich ruhig schicken, das macht den sittlichen Menschen und hebt ihn.“

Foto Belinda Helmert: Neuruppin, Fontanes Geburtshaus, Löwen-Apotheke, Karl Marx Straße, Detail. Der Vater, Der Vater ist Apotheker mit Bürgerrecht.Auf-
muss aufgrund seiner Spielschulden die Löwenapotheke in der Stadtmitte in der heutigen Karl-Marx-Str. 84 verkaufen und die Familie siedelt nach Swinemünde um.

Gelassenheit als Altersweisheit

Schopenhauers Quietiv wie er diese durch freiwillige Entsagung (Askese) gewonnene Ruhe bezeichnet, wirkt auf Fontane. Dieser Rückzug ins Innere entspricht einer stoischen und auch buddhistischen Haltung. Daher sind vor allem die Spätwerke Fontanes, die heute seinen Ruhm zum Wesentlichen bestimmen, von dieser Gelassenheit bei gleichzeitiger Betonung von Mitgefühl und Empathie getragen.Daher wird Fontane vor allem in „Über die Grundlage der Moral“ fündig. Darin betont Schopenhauer den egoistischen Charakter des Menschen, der nur durch seine Fähigkeit zum Mitleid gemindert wird. „Es gibt nur drei Grundtriebfedern menschlicher Handlangen: Egoismus, der das eigene Wohl will, Bosheit, die das fremde Wehe will und die Kraft, welche das fremde Wohl will und das ist Mitleid.“

Durch Reflexion bzw. Kontemplation die Vergeblichkeit eigenen Strebens sowohl zu erkennen als auch anzuerkennen führt im zweiten Schritt zur Resignation, die den Rückzug des Ich, dem Ende alles eitlen Wünschens und Strebens,mit sich bringt. In diesem Zustand ist jeder Mensch zum Mitleid befähigt als das einzige Gefühl, welches die Natur so nicht kennt und worin der Mensch aus seiner animalischen Existenz heraustritt. Diese Dreiheit, die
dem Pessimismus, der tiefen Einsicht in die Notwendigkeit aller Dinge wie sie sind und nicht wie sie sein sollen, geschuldet bleibt, zeichnet auch Fontanes Spätwerk aus.

Grundsätzlich stellt der Pessimismus in Schopenhauers Philosophie eine Hürde für den Genießer Fontane dar. Gemeint ist weder ein zufälliger noch temporärer oder situativer, sondern ein philosophisch begründeter Pessimismus, der das Leiden für unveränderlich erachtet. Ein Remedium verschafft lediglich kontemplative Distanzierung wie etwa der Rückzug in die Musik oder die Entsagung gewisser weltlicher Freuden: „Der Mensch gelangt zum Zu-
stande der freiwilligen Entsagung, der Resignation, der wahren Gelassenheit und gänzlichen Willenslosigkeit.

Foto Belinda Helmert: Neuruppin, Löwenapotheke, Fontanes Geburtshaus. Zunächst ergreift auch das älteste der fünf Geschwister den väterlichen Beruf. Aus der Löwen- wird nach dem Bankrott des Vaters die Adler-Apotheke. Sein Verhältnis zur Pharmazie bleibt zwiespältig, da er den Abstieg des Vaters miterleben muss.

Realismus führt in den Materialismus

Fontanes Heiterkeit und grundsätzlicher Optimismus stehen diesem Leidenskonzept zunächst entgegen. Die Bekanntschaft mit seinem Grundstücksnachbarn Wiesike ist deshalb von Bedeutung, weil der Schopenhauer-Enthusiast vorlebt, dass man auch mit so einer Einstellung gut auskommen kann und durch sie keineswegs suizidal gefährdet ist. Fontanes tiefe Zuneigung zu Wiesike überträgt sich auf sein anfänglich skeptisches Schopenhauer-Bild. So schreibt er in der „Vossischen Zeitung” 227 am 18. Oktober 1880, dass „der Pessimismus nicht ruiniert, sondern unter Umständen
auch eine fördernde, humanitäre Seite hat” . Über die Lektüre von „Parerga und Paralipomena” urteilt er schließlich: „Geistvoll und interessant und anregend ist alles; vieles zieht einem einen Schleier von den Dingen oder den Augen fort und gewährt einem den Genuß freudigen Schauens; über Dinge, über die man aus Mangel an Erkenntnis oder auch aus einer gewissen Feigheit im unklaren war, wird man sich klar: man hat die angenehme Empfindung: das erlösende Wort wurde gesprochen … “

Schopenhauers Prophezeiung, der Realismus führe geradewegs in den Materialismus, betrachtet Fontane als erfüllt. Dieser Gedanke wird deutlich in Fontanes „Frau Jenny Treibel“, wo alles nachdem Geld trachtet und zudem Schmid, der Gegenpol zur Großbourgeoisie sagt: „ich werde Pessimist und nehme für den Rest meiner Tage Schopenhauer und Eduard von Hartmann unterm Arm.“ Die einseitige Ausrichtung auf den Mammon führt auch
in Fontanes Romanen zum Niedergang der Moral, des Anstands und der Bildung.

Foto Belinda Helmert: Neuruppin, Schlossgarten, in dem Fontane als Kind gewiss noch nicht spielen durfte. „Ruppin hat eine schöne Lage – See, Gärten und der so genannte Wall schließen es ein …“ Seit Fontane seine Geburtsstadt so liebevoll beschrieben hat, kamen viele hierher, um sie kennenzulernen.

Dekadenz und Egoismus

Ein tragendes Moment in Schopenhauers Denken ist die allgemeine Dekadenz-Bewegung, das Gespür für Krise und Untergang, das vor allem den Geist den Fin du Siècle betrifft, der auf die Gründerjahre folgt. Von allen Vertretern des poetischen Realismus übt Fontane am wenigsten Kritik am Adel und hält Bismarck bis zuletzt die Treue. Wie Nottinger herausarbeitet, erhält. das Phänomen der Dekadenz besonders in „L´Adultera“, „Cécile“ und dem
von einer morbiden Atmosphäre geprägten „Der Stechlin“, Gewicht. In letzterem kann aufgrund der Verfallserscheinung des Dorfes sogar von einem Dekadenzroman gesprochen werden.

Zudem fällt auf, dass Fontanes Abkehr von einem durchgängigen auktorialen Erzähler zu einer personalen und multiperspektivischen Erzählform auch dem Zweifel an der Objektivität oder Glaubwürdigkeit einer mehr oder minder neutralen Beobachters geschuldet ist. Die Schnelllebigkeit der Zeit, die tiefen Erosionen, welche der industrielle Fortschritt mit seinen unerwünschten und teilweise unvorhersehbaren Nebenwirkungen zeitigt, dürften zu einem erschütterten Grundvertrauen Fontanes beigetragen haben. Seit den Achtziger Jahren erwähnt er Schopenhauer als feinsinnigen Essayisten, der die Krisis des Geistes durchschaue.
Gegenüber seinem Freund, den Juristen Georg Friedländer postuliert Fontane, der Kleinadel sei „kusttodt und allem Literarischen abgewandt“ (Brief vom
2.11.1896). Schon vordem beobachtet er einen „Philisterzug und überspannte Standesanschauungen“ (12.10.92). Die tiefe Freundschaft mit Friedländer dokumentiert, dass Fontane kein Antisemit ist und gleichzeitig, dass dies für das Gros der preußischen Bourgeoisie sowie des Adels seit der Reichsgründung zutrifft. Fontane nennt ihn „aufgestreifte falsche Adelsmacht“ (14. 5. 1894) Dies kommt besonders in dem sozialkritischen Werk „Stine“ zum Ausdruck, in dem sich sowohl der Adel als auch das Bürgertum, vertreten durch das Vermieterehepaar Polzin, von seiner schlechtesten Seite zeigt.

Im Mittelpunkt steht lange Zeit nicht Schopenhauers Philosophie von der Fontane zugibt, dass er sie nur teilweise versteht, sondern der praktische Nutzen, die Anwendbarkeit seiner „Aphorismen“ auf das Leben, etwa in der Art von „Wir denken selten an das was wir haben und darum umso öfter an das, was uns fehlt“. Daher sind die Passagen der Krisenbewältigung und der Kausalnexus von Ursache bzw. Grund und Folge elementar für Fontane.

Foto Belinda Helmert, Neuruppin, ältestes Fachwerkhaus, Poststraße. Neuruppin (26000 Ew.) wurde nach dem Stadtbrand 1787 mit einem regelmäßigen Straßengitternetz und drei großen Plätzen im Stil des Klassizismus wieder aufgebaut.

Sollen und Wollen – die Ästhetik Melusines

In „Der Stechlin“ erscheint Melusine als Platzhalter oder Sprachrohr Schopenhauers Ästhetik und Weltflucht. „Wo das Sollen fehlt,
fehlt auch das Wollen.“
Im Original heißt es bei Schopenhauer: „Du kannst tun, was du willst: aber du kannst in jedem gegebenen
Augenblick deines Lebens nur ein Bestimmtes wollen und schlechterdings nichts anderes als dieses eine.“

In Melusines Gespräch mit Woldemar, das reich ist an Literaturverweisen, sagt dieser: „Unsre ganze Gesellschaft (und nun gar
erst das, was sich im besonderen so nennt) ist aufgebaut auf dem Ich. Das ist ihr Fluch, und daran muß sie zugrunde gehen. Die
Zehn Gebote, das war der Alte Bund; der Neue Bund aber hat ein andres, ein einziges Gebot“.

Fontane greift hier den Egoismus auf, das rücksichtslose Vorankommen-Wollen, das Schopenhauer als ein Blendwerk eines freien individuellen Willens betrachtet, der nichts anderes ist, als ein Trick der Natur, die sich zum Selbsterhalt über diese Illusion des Einzelnen stets rücksichtslos über dessen Interessen hinwegsetzt. Daher bildet im Großen der See als universale Naturmacht – er wird leben, während die Stechlins sterben – und Melusine, die mit
dem Gewässer mehr als jeder andere verbunden ist im Kleinen, den Ausdruck allgemeiner Notwendigkeit, aber auch Klarheit, quasi das Gegenstück zu Schopenhauers Erdkugel-Gleichnis.

Foto Belinda Helmert: Neuruppin Gymnasium, das Fontane besuchte in der Karl Marx Straße. Die Inschrift am Gebäude, die der Schüler Fontane lesen musste, lautet auch heute noch Civibus Aevi Futuri – „Den Bürgern der kommenden Zeit“. Die römischen Ziffern bedeuten das Gründungsdatum 1790.

Macht der Natur Mensch denkt – Natur lenkt

Für Schopenhauer gilt die Maxime: „Notwendigkeit ist das Reich der Natur; Freiheit ist das Reich der Gnade.“ Ebenso die Erkenntnis, dass der Wechsel das allein Beständige ist , weil die einzige Kontinuität in der Diskontinuität, dem Wandel liege und dass im Kleinsten und Besonderen stets das Allgemeine enthalten ist :„In jedem Mikrokosmos liegt der ganze Makrokosmos, und dieser enthält nichts mehr als jener.“
Keine Figur kommt Schopenhauers Denken und der Begründung seines „Willens zum Leben“ als dem Individuum übergeordnete Naturmacht so nahe wie Fontanes Melusine in „Der Stechlin“; sie sieht in der Natur eine Lehrmeisterin für das Große und Ganze und erblickt in dieser den Kreislauf des Werdens und Vergehens: „Ich respektiere das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles Alte, soweit es Anspruch dar- auf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem sollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen Zusammenhang der Dinge nie vergessen. Sich ab- schließen, heißt sich einmauern, und sich einmauern ist Tod.“

Foto Belinda Helmert: Neuruppiner Stadtmauer mit Wichmannlinde. Der einzige märkische Heilige hatte nicht nur als Prior und Mystiker den Grundstein für das von ihm und seinem Bruder Gebhard 1246 gestiftete Dominikanerkloster gelegt, sondern maßgeblich auch die erste Blütezeit der am Ufer des Ruppiner Sees gelegenen Siedlung mitbefördert, die schnell zur bedeutenden mittelalterlichen Landstadt Neuruppin avancierte.

Kunst als Rettung

Melusine missbehagt jedoch der gesellschaftliche Wandel, der sich verbreitete Egoismus und der Verlust wahren Glaubens.. Sie selbst bezeichnet sich wie Schopenhauer als ihrer „ganzen Natur nach ungläubig“, aber „wenigstens demütig“ oder doch mit dem „Willen dazu, mit dem Egoismus aufzuräumen“ zu haben. Dadurch fließen in ihrer Person drei wesentliche Grundzüge Schopenhauers zusammen: Mitgefühl, Naturerkenntnis und Willensstärke, sich dem Strom der Zeit entgegenzustellen.

Dazu kommt ein viertes Element: die Vorliebe für die Kunst als Möglichkeit, sich der Täuschung des Lebens zu entziehen.. Der Künstler besitzt die Fähigkeit, die Gegenstände losgelöst von ihren zufälligen Zusammenhängen rein und unverstellt aufzufassen, er wird zum „Weltauge“, das die Idee der Dinge hinter dem Dinglichen erfasst und den Befreiungsschlag „aus dem Rad des Ixion“ , dem ewigen Kreislauf des Leidens, ermöglicht. Daher hat Woldemar für Melusines Geschmack zu wenig Fantasie, was sie ihm auch zu verstehen gibt. Wenngleich sie dessen Hochmut teilt, ist die Gräfin im Gegensatz zu Schopenhauer voller Lebenslust und kennt keine Misanthropie.

Laut Schopenhauer reißt sich die ästhetische Erkenntnis sich von ihrer Funktion, im Dienste des Willens zu stehen, los, und nimmt an den Dingen wahr, was sie an und für sich sind und nicht, was sie in Bezug auf unseren Willen darstellen. „…dann ist, was also erkannt wird, nicht mehr das einzelne Ding als solches; sondern es ist die Idee.“

Foto Bernd Oei: Neuruppin, Klosterkirche Sankt Trinitatis, größte Kirche der Stadt, zusammen mit dem zugehörigen Kloster 1246 errichtet und bildet mit ihren markanten Türmen das Wahrzeichen der Stadt, Sicht von der Stadtmauer. Die nach dem bedauerlichen Abriss des ruinösen Dominikanerklosters im 16. Jahrhundert auf einer kleinen Anhöhe gelegenen und glücklich erhalten gebliebenen Stiftskirche Sankt Trinitatis, die ‚Dreifaltig-/Dreieinigkeit’, bildet mit ihren beiden neogotischen Kirchtürmen von alters her das weithin sichtbare Wahrzeichen Neuruppins.

Starke Frauen

Eine Zusammenfassung des spät entdeckten Schopenhauer-Einflusses auf Fontane liefert der langjährige Präsident der Schopenhauer Gesellschaft 1975 Arthur Hübscher in seinem Beitrag zum Jahresbuch mit dem simplen Titel „Melusine.“ Auf ihn bezieht sich auch Sophia Wege in ihrer Habilitation „Metaphysischer Realismus. Arthur Schopenhauers Willensphilosophie im Erzählwerk Theodor Fontanes“ 2023. Die Autorin unterscheidet in dessen Prosa Werke mit starkem „willensphilosophischem Profil“, zu dem „Der Stechlin“ und Melusine im Besonderen und Werke mit einer dualen Willenskomposition, zu denen „L´Adultera“ zählt. Unter metaphysischen Realismus ist ein Grundmodell der Psychologie des Willens, damit Vorläufer zu Freuds Seelentheorie, zu verstehen, in der auch dem Unbewussten eine tragende Rolle zukommt.

Auffallend gut gelangen Fontane die weiblichen Charaktere: Effi Briest, Cécile, Grete Minde, Frau Jenny Treibel, Stine oder Mathilde Möring, Melanie van der Straaten, um nur einige der Vorgängerinnen von Melusine zu nennen. Melanie ist die Protagonistin in „L Ádultera“ (Die Ehebrecherin)

Ein wiederkehrender Punkt in Fontanes Werken, bildet die Überzeugung, dass Mitleid die höchste, den Menschen vom Tier unterscheidende Tugend darstellt. So auch in „L´Adultera“: „Und mitleidig sein ist noch viel mehr als bloß gütig sein und ist eigentlich das Beste, was die Menschen haben.” Fontane erzählt in seinem Roman den Werdegang der Adeligen Melanies an der Seite ihres älteren Berliner Ehemanns, einem steifen Kommerzienrat, der überaus eifersüchtig ist. Zur Abschreckung und im Grunde auch als Vorwegnahme eintreffender Ereignisse hat er eine Kopie von Tintorettos „Die Ehebrecherin“ anfertigen und in der Gemäldegalerie aufhängen lassen. Damit kann er das Unheil nicht verhindern, sondern fordert es vielmehr nur heraus.

Foto Bernd Oei: Neuruppin Stadtmauer mit Blick auf den 14 km langen Ruppiner See. Das Ufer beeindruckt durch Klarheit und Weite.

sich selbst erfüllende Prophezeiung

Der Gang Melanies durch diese Bilderreihe, insbesondere ihre Reflexionen zu Tintorettos „Christus und die Ehebrecherin“ aus dem Johannesevangelium wirft die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Bildung ist die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Sprache auf, die im Narrativ eng verknüpft sind. So ist die bildhafte Redewendung „den ersten Stein werfen“ auf die Mahnung Jesus, nicht selbstgerecht zu urteilen zurückzuführen und appelliert an Zurückhaltung und Maß bei der Strafe. Hinzu tritt das Musikmotiv. So entbrennt zwischen Melanie (inzwischen zweifache Mutter) und ihrem Liebhaber die Leidenschaft das gemeinsame Musizieren und die Begeisterung über Wagner. Nun auch die Musik ist ein weites Feld – nicht nur die Ehe….

So wird l´audltera , die schöne Sünderin, ein „eigentlich ein gefährliches Bild“ zum Auslöser einer sich erfüllenden Prophezeiung, die der plump wirkende Kommerzienrat mit seinem Mangel an Sentimentalität und Takt befördert. Melanie spricht ihre Reflexion aus: „Weil man ihr immer wieder und wieder gesagt hat, wie schlecht sie sei. Und nun glaubt sie’s auch oder will es wenigstens glauben. Aber ihr Herz wehrt sich dagegen und kann es nicht finden… Und daß ich dir’s gestehe, sie wirkt eigentlich rührend auf mich. Es ist soviel Unschuld in ihrer Schuld… Und alles wie vorherbestimmt .

Foto Bernd Oei: Neuruppin, Belinda Helmert und Blick auf den Ruppiner See

Selbstbewusst

Das Gemälde lässt erst eine erotische Sehnsucht in der jungen Ehefrau keimen. Die Verführung wird zudem durch kaltherzige und schuldzuweisende Rede des eifersüchtigen Gatten geweckt und gesteigert. Die Musikleidenschaft tröstet Melanie über die nicht gestillte Lebensfreude und Eros hinweg. „Denn ohne Lieb und ohne Lust ist nichts in der Welt.“

Wiederholt erweist sich Fontane als Freund der literarischen Referenz und zitiert oder paraphrasiert mal kokettierend eigene oder fremde Textpassagen. Der Bezug seines Romans zu Italien (er endet in Venedig) ist bereits durch das Tintoretto-Gemälde gegeben. Melanie kokettiert unter intertextuellen Verweis auf Shakespeares „Romeo und Julia“: „Daß wir hier in zwei Lagern stehen und daß sich das van der Straatensche Haus, das nun auch das Ihrige sein wird, in bilderschwärmende Montecchi und musikschwärmende Capuletti teilt. Ich, tout à fait Capulet und Julia.“

Melanies Gatte zahlt einen hohen Preis dafür, dass er die Treue seiner Frau auf die Probe stellen will. Am Ende kommt es nicht nur um Ehebruch,sondern zur Scheidung, die allerdings die selbstbewusste Melanie forciert, obgleich sie damit ihre beiden Töchter zurücklassen muss. Sie erweist sich als eigenständiger und starker, emanzipierter Charakter. Woran Effi Briest zerbricht, wächst Melanie von Stratten.

Foto Belinda Helmert: Neuruppin, Rosengarten, Der große Marx und der kleine Bernd

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