Wer erkennt, verkennt das Ereignis

Foto Bernd Oei: St, Michael in der Münchner Altsatdt, Neuhauser Str. 6 Detail: Erzengel Michael tötet die Inkarnation des Bösen. Statue von Hubert Gerhard /1550-1620) , der auch für den Residenzbrunnen verantworlich zeichnet.

Phänomen – das unbekannte Wesen

Der Philosoph und Mathematiker Edmund Husserl (1859–1938) gilt als einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts und als der Begründer der Phänomenologie. Er lieferte wichtige Beiträge in vielen philosophischen Disziplinen, insbesondere in der Erkenntnistheorie und der Philosophie des Geistes. Sein Ziel war es, durch eine unvoreingenommene Beobachtung und Analyse von Bewußtseinsphänomenen zu klären, wie wir die wirkliche Welt erkennen. Zwei , in der Ausrichtung rivalisierende Kreise entstanden noch zu Lebzeiten des in Mähren gebürtigen Husserls. Die „Münchener“ Sektion wurde 1895 von Theodor Lipps in München begründetet unter dem Namen „Akademischen Verein für Psychologie“; die 1906 von Theodor Conrad in Göttingen (wo Husserl auch von 1913 bis 1916 wohnte) ins Leben gerufene trug den Namen „Philosophische Gesellschaft Göttingen“. Der Schwerpunkt der beiden Kreise ergibt sich aus der Namensgebung.

Seine letzte universitäre Vorlesung hielt er am 25. Juli 1928 an seiner längsten Wirkungsstätte in Freiburg, wo sich auch sein Archriv befindet. Die meisten seiner Veröffentlichungen publiziert er im Logos, in er er als Mitherausgeber der Zeitschrift fungierte. Der (Mohr) Verlag saß bis zur Einstellung nach der Machterfreigung Hitlers von 1910 bis 1933 in Tübingen.

Im Aufsatz „Philosophie als strenge Wissenschaft“ (1911), eine der bedeutendsten Schriften schließen an „Logische Untersuchungen“ (1900/1901) an im Bestreben, die Philosophie durch ein klares und festes Prinzip als den Naturwissenschaften ebenbürtige Wissenschaft zu begründen. Nur als Phänomenologie des Bewusstseins kann Philosophie zu einer strengen Wissenschaft anstelle einer Weltauslegung werden.

Phänomenologie wurzelt in „Logischen Untersuchungen“ und basiert auf eine neuartige Methode zur Untersuchung und Erforschung des Bewusstseins. Sie beschäftigt sich mit dem Phänomen des Bewusstseins und seiner verschiedenen Erscheinungsformen. Das Phänomen ist „das was erscheint“; die Logik ihre präzise Entstehung und Verarbeitung, die Ereignis und Erlebnis scheidet wie Zeit und Dauer. Phänomenologie ist Wissenschaft von den Dingen, wie sie uns erscheinen müssen. Es ist die „Lehre von den Erscheinungen und Bewusstseinsformen„. https://shribe.de/phaenomenologie/

Foto Bernd Oei: München, Altstadt, St. Michael, dreigeschossige Jesuitenkirche, 1597 (Frühbarock) geweiht. In der Fußgängerzone zwischen Marienplatz und Stachus gelegen. Im Giebel thront Christus als Salvator (Retter), in der Nische des Erdgeschosses der Erzengel Michael, der im Kampf um den wahren Glauben alles Böse dieser Welt mit der Lanze tötet. https://www.muenchen.de/sehenswuerdigkeiten/kirchen-und-kloester/st-michael

Wesen ist wesentlich

Unter anderem unterschied Husserl in ein ‚innerweltlich Zuhandenes‘ und ein ‚faktisch Vorhandenes‘ (Außenwelt). Martin Heidegger widmete seinem (im Nationalsozialismus verleumdeten) Lehrer Husserl „Sein und Zeit“ und geht in den Kapiteln 39 bis 44 auf das innerweltliche Sein ein. https://de.wikibooks.org/wiki/Martin_Heidegger_%E2%80%9ESein_und_Zeit%E2%80%9C/_Sechstes_Kapitel_%C2%A7%C2%A7_39%E2%80%9344

Ein anderer zentraler Begriff Husserls ist „Wesen„‚ (eidos), das Heideggers Ontologie in Wesung, Wesenheit differenziert und den der Begründer der Phänomenologie in „Ideen einer reinen Phänomenologie“ 1913 prägnant ausführt. Zur Differenzierung in eine Opposition Erscheinung/Wesen ist eine Wissenschaft des Wesens erforderlich, die sich nun in einer eigens zu etablierenden Wesensanschauung auf die Erscheinungen, die Phänomene richten muss. Diese Wesensschau – Devise „Zu den Sachen selbst!“ – bleibt verbunden mit dem Bestimmten der Erscheinungen in der kantianischen Tradition von den Bewusstseinsakten her. Sie hat „mit dem ‚Bewußtsein‘, mit allen Erlebnisarten, Akten, Aktkorrelaten zu tun“, insofern sie deren Voraussetzungen in
kantischer, transzendentaler Weise bloßlegen und „den freien Horizont der ‚transzendental‘ gereinigten Phänomene“ ermöglicht.

Gegenüber der Psychologie als empirische Tatsachenwissenschaft der psychischen Phänomene setzt Husserl somit eine „reine oder transzendentale Phänomenologie … als Wesenswissenschaft (als ‚eidetische‘ Wissenschaft) … transzendental reduzierter Phänomene„. Bewusstseinserlebnisse werden als Akte verstanden, die immer schon auf ein Objekt gerichtet sind. Folglich sind sie intentional: das Objekt kann existieren oder bloß vorgestellt oder auch erinnert sein. Objekte werden in ihrem intentionalen Charakter betrachtet, jedoch abgesehen von den mitgegebenen Inhalten. Ziel ist, die Beseitigung jeglicher subjektiven Meinung, Vorurteil oder Zufälligkeit im Bewusstseinsakt herzustellen.

Wir wollen auf die ‚Sachen selbst‘ zurückgehen. An vollentwickelten Anschauungen wollen wir uns zur Evidenz bringen, dies hier in aktuell vollzogener Abstraktion Gegebene sei wahrhaft und wirklich das, was die Wortbedeutungen im Gesetzesausdruck meinen; und erkenntnispraktisch wollen wir die Disposition in uns erwecken, die Bedeutungen … in ihrer unverrückbaren Identität festzuhalten.“ Hussel unterscheidet strikt zwischen „konkreten“ (direkt, unmittelbar) und „unkonkreten“ (indirekten) Vorstellungen.

Husserl differenziert ferner vier verschiedene Bewusstseinsstrukturen, die er noema heißt: darunter versteht er eine Vierheit, die durch subjektive Modifikation des originär gegebenen Bewusstseinsinhalt entsteht: Wahrnehmung, Fantasie, Erfahrung und Erkenntnis. Das Phänomen selbst bezeichnet er als das Originäre oder eine sich selbst charakterisierende „autonome Wesenseinheit“.

Das Wahre liegt im Wesen selbst. Jedes Phänomen besitzt eine Wesenhaftigkeit, die durch Wesensschau annähernd erkannt werden kann, sofern Vorurteilslosigkeit besteht. Wesensschau verdrängt den technischen und fördert den natürlichen Umgang mit der „Sachse selbst.“ Husserl nennt Vorurteilslosigkeit auch die „natürliche Einstellung“, in der Welt als Wirklichkeit ihrer selbst erkannt wird. Ein Begriff, der im Zusammenhang mit dem Wesen häufig auftaucht, ist „Horizonthaftigkeit“. Darunter ist die Kombination von Geschichte und Ideologie in ihrer Wechselwirkung auf das Ich – Bewusstsein (das sich selbst zu erhalten sucht) zu verstehen. Zeitliche und räumliche Rahmenbedingungen verstellen unsere wahre Objektschau, unabhängig vom Grad unserer subjektiven Situation. Horizont vermeint die „Gemeinheit“ – die Region – aller Ideen innerhalb unserer Lebenswelt. Der Horizont manipuliert das Ich – Bewußtsein, da er die Vorurteilslosigkeit eingrenzt.

Das Wesentliche liegt im Freisein (der Enthaltung) von jeglicher Intentionalität. Husserl sieht – im Gegensatz zu Kant – Intentionalität als Vermögen, das Originäre (Wesen an sich) mit Zeitbewußtsein zu verbinden, also Wesen in Hinblick auf etwas zu beurteilen (z.B. Ursächlichkeit, Wirkung). Die Absicht dient daher als „retentionale Schleppe“ von Ideologien, die aus der Horizonthaftigkeit (spezifischer Lebensumstände) erwachsen. Husserls Begriff für objektive, neutrale, zeitlose und damit warhrheitsenthaltende Erkenntnis lautet in Anlehnung an Platon epoche. In ihr liegt die „Entdeckung der Welt als ein Ganzes“ und nicht als eine Summe von Vergangenem und Zukünftigem vor. Husserls spricht von einer Wesensschau durch eidetische Reduktion.

Foto Bernd Oei: München, Altstadt Nationaltheater (Bayr. Staatsoper) am Max Joseph Platz, Klassizismus mit korinthischen Säulen, zweiter Wiederaufbau 1963 mit „Die Frau ohne Schatten“, Musik Richard Strauß, Libretto: Hugo von Hofmannsthalhttps://de.wikipedia.org/wiki/Nationaltheater_(M%C3%BCnchen)

Wie wirklich ist Wirklichkeit

Das Eidetische (Wesentliche) muss reduziert werden auf das „Feld des Wesens“, befreit von Evidenz, Nutzen und Zweckr, die zu ideologischem Vorurteil und damit selektiven Wahrnehmungen als auch Vorstellungen führen. Das pure Sein, welches die phänomenologische Methode entdecken und freilegen will, beinhaltet ein Wissen um das „reine Bewußtsein“ selbst. Da es um die Struktur von Bewußtsein an sich geht, muß die Methode transzendental – subjektüberschreitend und subjektkonstituierend – sein. Es geht darum, alle Intentionen im Bewusstsein aufzudecken und selbiges auf seinen Kern eidetisch zu reduzieren. Alles andere ist naive Wirklichkeit. Die Wahrnehmung spiegelt dann ausschließlich das Ereignis selbst wider, kommentarlos.

Wirkliche Wirklichkeit erlangen wir nur durch Reduktion; diese führt zurück zur Sache selbst, in dem Subjekt und Objekt ungetrennt und damit als Identität vorliegen. Die Reduktion löscht das Begehren aus der Wahrnehmung, ebenso das Historische und das Ästhetische (die rezipierte Sinnlichkeit). Die Reduktion erst ermöglicht „wirkliche Wirklichkeit“. Eine Stufe vor dieser Wirklichkeit steht die Gewissheit. Zwischen dem ungefilterten Anfang, der naiven Wirklichkeit und dem Ziel, der wirklichen Wirklichkeit liegt ein Durchgangsstadium, die wesentliche Wirklichkeit.

Foto Bernd Oei: München, Altstadt, Frauenkirche, 1494 (Spätgotik) geweiht. Lateinische Inschrift: Heimlich enteilen mit gebrechlichem Fuß Schicksal, Zeit und Stunde. Die Türme ragen ca. 100 m hoch auf https://www.muenchen.de/sehenswuerdigkeiten/top-sehenswuerdigkeiten/frauenkirc

Husserliana X „Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins

EXISTENZPHILOSOPHIE ist der kleinste gemeinsamer Nenner von Jaspers, Heidegger, Sartre, Marcel, Merleau Ponty, die alle ihre Wurzel in Husserl haben. Für Heidegger wird, wie bereits der Titel „Sein und Zeit“ intendiert, das Verhältnis der Existenz, des Daseins, zur Zeitlichkeit entscheidend. Er unterscheidet auch nicht in Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft, sondern Angst, Sorge und Neugier als deren Modi. Vorausgegangen ist der Bersonsche Unterscheidung von physikalischer (also externer sich ereignender) Zeit und psycher (also intern erlebter) Dauer. Bei Husserl wird dies zu Erlebnis und Ereignis; jenen Schlüsselbegriffen, aus denen er Bewusstseinsstrom bzw. Erlebnisketten (Protention, Intention, Retention) ableitet. Dies führt u. a. auch zur Differenz von Erinnerung (Existenzialität der Dauer) und Gedächtnis ((Faktizität der Zeit) ) wie software und hardware: letzteres ist Faktizität der Zeit, ersteres der Dauer.

Ein Aspekt des Erlebnisstromes bilden vorausschauenden Rückblicke nennt Husserl „Protentionen“ (von lat. protenus: unmittelbar sich anschließend, zusammenhängend). Sie stellen einen Zusammenhang von Vergangenem und Zukünftigem oder einen „Quasi-Modus“ der Verzeitlichung dar: das äußere Ereignis wird zu innerem Erlebnis. Keinesfalls ist hier Zukunft aus der reinen Gegenwart, dem Ereignis an sich geformt. Ebensowenig wird die Vergangenheit aus der reinen Gegenwart heraus gebildet. Protentionen sind vielmehr Erfüllung und Erfüllt-Sein einer unserem Bewußtsein entzogenen Prophezeiung.„Die Wiedererinnerung ist nicht Erwartung, sie hat aber einen auf die Zukunft … gerichteten Horizont.“

Foto Bernd Oei: Uhr nahe Flughafenturm am ehem. Flughafen München-Riem bis 1992, heute Messestadt, Büro- und Wohnviertel für ca. 16 000 Menschen. https://de.wikipedia.org/wiki/Messestadt_Riem

Zeit ist nicht gleich Zeit

Husserl unterscheidet nun innerhalb des von ihm postulierten Quasi-Modus im Erlebnisstrom „Zeitinhalt“ von einer „Zeitstellung“. Die Dauer entsprechend der Form bildet ein System, welches ist nicht vorstellbar ohne ihren Zusammenhang, sie kann folglich nicht absolut wirken. Der „Zeitinhalt“ ist revers gar nicht anders denkbar als ein absolutes Kontinuum, sonst wäre er kein identifizierbarer Inhalt mehr. Während die Zeitstellung den Inhalt einreiht (Husserl spricht vom „setzen„) in die Gegebenheit des relativen Zusammenhangs, erhält die Dauer ihre jeweilige Gegenwart.

Invers kann eine Vergegenwärtigung nur existieren, wenn unabhängig der Dauer und Zeitstellung (Bezogenheit der Dauer auf einen fixierbaren Zeitpunkt) ein Inhalt vorliegt, auf den sich die Erinnerung bezieht, gleich welchen Fixpunkt sie wählt. Infolgedessen ist die „Erinnerung in einem beständigen Fluß“. Eine ganze Generation von Bewusstseinsstrom ( u. a. Faulkner, Woolf, Joyce) bzw. Bewusstseinsprotokoll- Stilisten (angefangen mit Schnitzler in „Leutnant Gustl“ und vervollkommnet in Fräulein Else“) baut auf diese Erkentnnis auf. Für die anglophile Welt waren allerdings William James bzw. Charles Peirce wegweisend. Ein französisches Beispiel liefert „Les lauriers sont coupés“ von Édouard Dujardin.

Foto Bernd Oei: Brunnen zwischen Augustinerstraße und Frauenplatz gegenüber Frauenkirche . 1972 von Bernhard Winkler als Wasserglockenbrunnen gestaltet. Seit 1980 trägt er den Namen Wasserpilz-Brunnen. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-brunnen-frauenplatz-1.5635467

Farben der Zeit

Da die Erinnerung sich ständig neuen Zeitstellungen ausgesetzt sieht, ist sie per se veränderlich; Husserl spricht von der „Färbung“. Erinnerung ist daher a priori Modifikation von originär Angeschautem, sie verlieht rückwärtig schreitend der Zeit ein Gesicht (Dauer). In einer Metapher spricht Husserl auch vom „Hintergrund“ des Gedächtnis.

Der abgebildete Zeitinhalt dagegen ist uneigentliches Zeitgeschehen, er istwesentlich unanschaulich und damit, um in der Metapher zu bleiben, „Vordergrund“. Da Vordergrund ohne Hintergrund nicht sein kann, bleibt die Intentionalität aus Zeitinhalt und Zeitstellung eine gedoppelte.

Erwartungen sind eine andere Form der Anschauung, Husserl nennt sie „umgestülpte Erinnerungsanschauung“, weil sie das Jetzt von Vergangenheit (Erfahrung) und Zukunft aus doppelt bestimmen. Die Erinnerung ist das ge- und damit das vorbestimmte Sein (der Hintergrund), die Erwartung das bestimmende Sein (der Vordergrund). Wer sich erinnert, nimmt Sein als etwas Gegebenes hin, wer erwartet, hat einen Plan von dem, was ihm gegeben sein kann. „Zum Wesen des Erwartens gehört es, daß es ein Wahrgenommen –sein – werdendes ist.“

Die Fähigkeit sich zu erinnern nennt Husserl Retention (von lat. retentio, das Zurückhalten/retinere: zurückhalten); sie besteht aus der Eigenschaft, etwas Abwesendes in Anwesenheit zu bringen (sich vorzustellen, als wäre es existent bzw. präsent) und dabei notwendigerweise auf bestimmtes Anwesendes zu verzichten. Vordergrund und Hintergrund tauschen die Räume/Perspektiven. Daher ist die „gleichzeitige Erinnerungan Dauer und Folge unmöglich.

Foto Bernd Oei: München Riem, schilfbewachsener Messesee (390 m lang, m maximal 94 m breit) in der Nähe des Flughafenturms mit Modellen aller Berge der Alpen.

Zeitfabrikation durch Musik

Zur Veranschaulichung dient ein Beispiel aus der Musik. DasOhr nimmt einzelne Jetztmomente (hier Töne) wahr , aber ihrr Realität (Melodie) wirkt immer als Ganzes: ohne Erinnerung wäre dies nicht möglich. Die Sukzession einzelner Zeitmomente konstituiert Wahenehmen; das Wesen der Musik ist ihre Retention. Der Ton sinkt zurück, das ist sein Bild für Retention, das Festhalten von Vergangenem und bildlich gesprochen verklingende Zeitlichkeit: sie hat Dauer im Gehör.

Der Fluss der Zeit besteht im Bewusstsein von Tönen, welche Kontinuität aus der permanenten Vergänglichkeit schöpft. Die Konstruktion aus vorher- nachher Zeitpunkten schafft ein Intervall oder eine Strecke, die „Ton-Erstreckung“. Ein permanenter Bewusstseinsstrom ist nun nichts anderes, als ein vom Bewusstsein permanent neu konstituierter Zusammenhang aus einzelnen Toneindrücken. Zeit wird ständig neu erzeugt durch das Festhalten von Vergangenem und Verknüpfen mit dem Gegenwärtigen.

Der Ton behält seine Zeit, aber er „entflieht im Bewußtsein“. Der Ton an sich erklingt und der Ton für sich erscheint, indem er verklingt. Bewusstsein erst ermöglicht Vergänglichkeit und Dauer, denn die aktuellen Jetztpunkte bilden lediglich eine Reihe, noch keine (verknüpfte) Dauer. Was Zeit ist, hängt allein vom Bewusstsein ab, welches retentional wirkt. Unter Retention versteht Husserl ein „Zurücksinken“, physikalisch analog zur Kontraktion. In der „primäeren Erinnerung“, wie Husserl die Rention auch heißt, erfolgt beiläufig die Interpretation empfangener Reize. Aus ihr entsteht ein Motiv, eine Melodie.

Die Retention als mechanischer Vorgang selbst ist eine zeitliche Perspektive und gleicht dem Nachstellen, Husserl spricht von der „Verdunklung„, das intentionale Bewusstsein hingegen ist eine rein räumliche Perspektive, ein Vorstellen, die Husserl „Aufhellung“ heißt. Entscheidend ist hier, dass Erinnerung keineswegs ein Vorgang des Reproduzierens ist, sondern kreativ, dynamisch (durch stete Aktualisierung) und originär, so subjektiv wie nur möglich. Das Gedächtnis hingegen ist objektiv und statisch. „Primär erinnerter Ton ist prinzipiell etwas anderes als wahrgenommener Ton bzw. primäre Erinnerung (Retention) von Ton ist etwas anderes als Empfindung (Intention) von Ton.“

Foto Bernd Oei: München, Maximilliansbrücke, Vordergrund Monument, Hintergrund Maximilianeum, benannt nach dem Erbauer, König Max II Bauzeit 1857-74 im Stadtteil Haidhaiusen. Beispiel für Kulissenarchitektur, die seit 1949 Sitz Bayerische Landtag. Die MAXIMILLIANSBRÜCKE (1857–1863) verbindet Haidhausen mit Lehel. Die Figurengruppe von Franz Drexsler zeigt Pallas Athene an der Spitze, repräsentativ für Weisheit, da sich in der Nähe die Maximillianuniversität befindet. https://municharttogo.zikg.eu/items/show/108. UnteresFoto Bernd Oei: Detail der Muse der Wissenschaft.

Schöpfer eigener Zeit

Entscheidend ist die Phänomenologie, weil sie verdeutlicht, dass jedes Individuum, da es verzeitlicht, in seiner eigenen Lebenswelt ist, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit besitzt, diese zu verändern und seine Wahrnehmung intentional protentional und retentional auszurichten. Das Erlebnis ist dann keineswegs etwas Zugefallenes, sondern etwas Gemachtes, Verändertes und der reinen Wirklichkeit entzogene Sein. Wiedererinnerung, von Husserl „sekundäre Erinnerung“ genannt, ist nicht eine stumpfe Wiederholung, sondern wiederum ein aktiver Wahrnehmungsakt.

Zwischen der primären und der sekundären Erinnerung liegt die Empfindung; die Sukzession bestimmt den Verlauf des Bewusstseinsstroms: auch dieser ist qualitativ eine Selbstkonstruktion. Eine weitere wichtige Schlussfolgerung lautet: keine Erinnerung kommt ohne Intention, ohne Erwartung aus.

Foto Bernd Oei: München, Riemer See (700 Meter lang und etwa 150 Meter breit.) am ehm. Flughafen https://www.muenchen.de/freizeit/seen/riemer-see

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