Foto Belinda Helmert: Bielefeld, Innenstadt, Rondell vor dem Kachelhaus links und dem Brauhaus Joh. Albrecht mit altem Mirabellenbaumbestand https://harms-markt.de/nachbarschaft/auf-gute-nachbarschaft-mit-der-mirabelle/ Viele Kacheln ergeben ein Haus, aber nur dann, wenn sie richtig gesetzt sind. Weder beim Hausbau noch beim Gärtnern verlassen wir uns nur auf Instinkt und glauben, dass die Mehrheit schon weiß, wie es funktioniert.
Was ist gerecht? Der platonische Philosophenstaat
Politische Philosophie beginnt mit Platon und Aristoteles. Der erstgenannte fordert die Philosophen an der Macht, eine Regierung der Elite, weil er glaubt, dass die Philosophen zugleich die besseren Menschen sind und aufgrund ihres Denkvermögens auch die größere Empathie besitzen und noch wichtiger die Regierung ohne Eigeninteresse betreiben. Im Philosophenstaat verwirklicht sich die Idee des Guten, Vernünftigen, Nützlichen und des Schönen: sie hörte auf den Namen Gerechtigkeit dikaiosyne: sie stellt sich heraus als eine Synthese aus Kardinaltugenden.
Platon glaubt an die unverrückbare Dreiheit der Stände (Volk, Wächter, Philosophen) wie der entsprechenden Seele begehrend, zornmütig (mutig) und besonnen. Gerecht ist derjenige, der alles in sich vereint, wobei der Trieb auch lebensbegehren, Eros etc. in sich trägt. Wesiheit (philosophia) ist eine Synthese aus Besonnenheit (sophrosyne) und Tapferkeit, Denken und Handeln. Der Zorn hat seinen Wert: gemeint ist natürlich nicht der Wutbürger, sondern engagierte, willensstarke, entschlosse Zivilcourage. Ein Land ohne Interessen ist eine Totgeburt. Ein Politiker ohne Vision und Leidenschaft ein Zombie. Mäßigung beugt Fanatismus und Unilateralismus vor, sie schützt vor moralischer als auch ökonomischer Korruption
Die Dreiheit, das magische Dreieck kehrt auch wieder in den Regierungsformen: Herrschaft der Vielheit, der wenigen oder des Einen. Demokratie, Plutoktratie, Monarchie. In einem guten Tyrannen wächst kein Despot heran., Zumal sich die Philosophen untereinander (eine Form der Gewaltenteilung) unterstützen. Platon fordert eine Meritokratie, in der das leistungsprinzip gilt.
Abgesehen davon, dass viele in seinem Modell ausgeschlossen sind, plädiert Platon für Gleichberechtigung des Geschlechts und rechtlich für Gleichbehandlung des Nährstands, Werhstands und des Herrscherstands. Er argumentiert gegen die Weitergabe von Vermögen (das die Reichen immer reicher werden lässt) und von Ämtern oder Titel. Damit spricht er sich gegen Erbaristokratie aus. Aristokratie bedeutet für ihn Herrschaft der Besten. Der Dämon (daimon) ist nichts Schlechtes, sondern das innere Gewissen. Moral und Politik bleiben untrennbar verknüpft.
Foto Belinda Helmert: Kachelhaus, Eckhaus Hagenbruchstraße 13 / Goldstraße, Bielefelder Altstadt und Fußgängerzone. Erbaut 1927 von Wilhelm Harms, Lebensmittelhändler. Nicht im Krieg zerstört, ist es im Erdgeschoss nachzu identisch erhalten geblieben. https://de.wikipedia.org/wiki/Kachelhaus
Foto Belinda Helmert: Kachelhaus, Frontseite. Die gebürtige Bielefelderin Karen Gershon, gebürtig Käthe Loewenthal (1923-93) verfasste das Gedicht „Wilhelms Harms‘ House„, das Stefan Zweig animierte, mit ihr in Briefkontakt zu treten. Auch ihr Roman „Shalom, Ruth, Shalom“ spielt in der Anfangszeit in Bielefeld und beschreibt das Kachelhaus.
Das politische Tier: Aristoteles und der Wechsel
Sein Schüler Aristoteles stimmt in vielem zu und auch sein Modell nimmt keine Rücksicht auf die Sklaven, die Zugereisten und andere Minderheiten, die genau genommen die Mehrheit der polis ausmachen. Er beurteilt die drei Regierungstypen doppelt, woraus sechs Formen entstehen. Eine schlecht geführte Demokratie kippt um ein Terror des Proletariats, die persönliche Meinung und das Vorurteil gewinnen die Oberhand über die sachlichen Erwägungen. eine gut geführte Demokrtie hingegen kann in Friedesnzeiten nützlich sein, tendiert dann jedoch zur Oligarchie, so wie die schlechte Demokratie zur tyrannis neigt.
Eine gut funktionierende Oligarchie nimmt keinen Bezug zum Geld und hat ein transparentes Ämtersystem; in ihr gibt es weder Nepotismus noch Ämtermissbrauch. Sie droht jedoch jederzeit in eine Demokratie umzuschlagen, wenn das Leistungsprinzip vernachlässigt wird. Daher sollen politisch aktive Bürger mehr Rechte als passive haben und soziale Parasiten keine Ämter ausüben. Eine schlecht funktionierende Oligarchie neigt zur Despotie, weil sich bald ein Haifischbecken entwickelt und durch kluge Schachzüge aus dem Gleichgewicht der Kräfte am Ende nur einer das Übergewicht haben wird.
Eine gut funktionierende Tyrannis ist keine Depotie, sondern der Monarch handelt zum Wohl des Volkes wie ein fähiger General zum Wohl seiner soldaten. Besonders in Kriegszeiten ist die Tyrannis der Demokratie überlegen. Eine schlechte oder dauerhafte Tyrannis mutiert zur Despotie. Evident: das wohl und Wehe hängt weniger vom System als von seinen Umständen und den ausführenden Personen ab. Ein moralisch schlechtes oder ungebildetes Volk kann keine positive Demokratie entwickeln, sie verkommt. Ein inkompetenter Führer wird zweifellos nur über Gewalt, Angst und Zwang regieren können. Ein nur auf Geld- oder Erbarisotkratie ausgerichtetes System kann die Balance nicht halten.
Summa summarum hält aber auch Aristotles, immerhin Repräsentatn der attischen Demokratie, relativ wenig relevant für die Ausbildung des für ihn elementaren Gemeinschaftssinns, der vernünftiges politisches Handeln (zweckgerichtet, telos) erst ermöglicht.
Foto Belinda Helmert: Juwelier Schlüter, gegründet 1818 in der Obernstraße 15: eines von zahlreichen Schmuckgeschäften in der Bielefelder Altstadt. https://www.juwelier-schlueter.de/ Es scheint, als hätte der Einfluss von Geld noch immer die größte Aussicht auf politische Herrschaft. Das System kann sich nur ändern, wenn auch die Besitz- und Geldlosen andere Werte für wichtiger erachten und nicht sozialen Aufstieg mit ökonomischen Erfolg gleichsetzen.
Foto Belinda Helmert: Sandsteinfigur Hephaistos, Juwelier Schlüter, Fassade, Detail. Der Vulkan- und Schmiedegott war ein Gefangener: in seiner blinden Passion für Aphrodite konnte im nur Promiskuität begegnen. Wer Gewalt säht, wird diese ernten. Wer dumm bleiben will, wird dumm gehalten ….
Nicht alles was glänzt ist Gold – der Leviathan und seine Schuppen
Augustinus fordert den Gottesstaat und damit die Prioriät religiöser Gesinnung als Handlungsanweisung (Ethos) für die Politik. Im gegenübetr erklärt Machiavelli im „Das Prinzip“ nicht nur den Laizismus, sondern die rigorose Abkopplung aller Moral aus der Politik. Er spricht von erfolgsorientiertem und nicht mehr wünschenswerten Handlungen: er errichtet konsequent den von Fichte restaurierten Handelssaat und verwirft jegliche Utopie.
Entscheidend auch für die aktuelle Lage ist Thomas Hobbes, gefolgt und verefeinert von Hume und Locke. Der britische Empirismus und Utiltarismus wurzelt in dem Leviathan, da hier die Politik(wissenschat) zur Religon erhoben wird. Entscheidend sind nicht die Wandlung des Naturrechts (Prinzip jeder gegen jeden, homo homine lupus est) und das damit latent vorhandene Bild vom schlechten Menschen, der erst durch Erziehung und Bildung zum guten Bürger wird. Entscheidend ist das Gewalt-Staatsmonopol und die Gewaltenteilung, kurz die konstitutionelle Monarchie, die Exekutive und Legislative trennt. Montesquieu fügt ihr dann die dritte Gewalt, die Judikative hinzu, die gleichfalls als Säule unabhängig stehen muss.
„Der Leviathan“ inkludiert zwei Prinzipien: more geometrico und ultima ratio. Unter more geometrico gewinnt der Rationalismus „Die Kunst, Staaten zu schaffen und zu erhalten, besteht wie die Arithmetik und die Geometrie aus sicheren Regeln“ heißt es bei dem Philosophen, der auch Jurist und Mathematiker war und das Kalkül (den Verstand) mit Vernunft gleichsetzte. Utima ratio hingegen zielt auf die Souveränität ab; während ökonomischer Liberalismus den Handel leitet, entscheidet pragmatisch die Nützlichkeit (Mehrheit der Vielen bei größtmöglichen Gewinn und kleinsmöglichem Schaden für die Wenigen) über die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Kriege können in seltenen Fällen nützlich sein. Natürlich war Hobbes traumatisiert von den vielen Bürger- und Religionskriegen seiner Zeit und stellte kollektive Sicherheit über individuelle Freiheit.
Mit Hobbes führt nie mehr der Einzelne Krieg, sondern ausschließlich der Staat. Die Unterwerfung ist unwiderruflich und unantastbar. Das Gold hat seinen festen Wert, es muss nicht glänzen. Es genügt, dass einige Wenige zum Nutzen von Vielen handeln. Der Beamtenstaat war geboren. Politik wurde mit Handeln auf dem Markt mit Angebot und Nachfrage gleichgesetzt. Die Regierten waren in erster Linie Funktionsträger. Ihren leiblichen Bedürfnisse musste Rechnung getragen werden: ein florierender Staat war zugleich der beste aller Drachen.
Foto Belinda Helmert: Alter Markt in der Obernstraße, Bielefelder Fußgängerzone, barocke Bürgerfassaden Ende des 17. Jh.
Gewaltenteilung und Milieu: Montesquieu und die Mäßigung
Montesquieu und die „Esprit des Lois“ führend die Vor- und Nachteile der Reigerungsformen auf Mentalität zurück und diese hing von den Faktoren Klima, Lage (Berg oder Tal, Küste oder Binnenland), aber auch der Entwicklung des Geistes ab (daher esprit). Menschliche Gesetze sind nicht die zweite Wahl (wie Platon es noch postuliert) sondern dienen der Gewaltenteilung und der Sicherung von unantstbaren Grundrechten – sie können aber genausogut Unrecht und Grausamkeit legalisieren. Montesquieu fordert nicht nur die naturgemäße Berücksichtigung der Grundlagen für politisches Handeln die sondern auch die Aufhebung der Trennung von Legalität und Legitimität. Unter letzterem verstand er vor allem Mäßigung. Mit Augenmaß strafen war wiederum gleichbedeutend mit der Abschaffung von Folter. Wenn wir ehrlich sind: sie existiert heute noch, verdeckt zumeist, auch in den so genannten zivilisierten Staaten, die sich zumeist auf Demokratie berufen.
Bei Montesquieu wird der Wille zur Gleichheit entscheidend, auch wenn er ihn aus Sicht der Aristokraten denkt und nicht volksnah plebiszitär. Seine Opposition gilt der absoluten, nicht der parlamentarischen Monarchie und gewiss nicht der Abschaffung des Adels, der gebildet und leistungsstark war – das Ancien Régime hatte noch nicht abgedankt. „Die Mäßigung, die in der Republik von den Bürgern selbst ausgeht, wird also in der Monarchie von außen durch Institutionen und institutionelle Arrangements erreicht.“
Foto Bernd Oei: Neues Rathaus am Niederwall 23, am Rand der Fußgängerzone, Bielefelder Altstadt
Foto Von David.Renz, Altes Rathaus und Theater, Obernstraße, 1904 erbaut. https://de.wikipedia.org/wiki/Altes_Rathaus_(Bielefeld)
Rousseau und der wilde Mensch
Um den letzten Gegner der Demokratie anzuführen, der gleichzeitig Stichwortgeber der amerikanischen Verfassung und der französischen Revolion war und hinsichtlich der Pädagogik wegweisend für die Erziehung des Menschens mit Empathie, darf die Utopie vom guten, edlen Wildne nicht fehlen. Rousseau hielt anders als Hobbes den Menschen von Natur aus gut. Erst die Zivilisation würde ihn schwächen, sukzessive seine gesunde Eigenliebe (amour propre) in schädliche Selbstliebe (amour de soi) pervertieren.
Auch Rousseau war kein Freund von Gewalt, doch wenn, so musste sie von unten ausgehen. Zwei Prinzipien des Staatsvertrages (contrat social) sind relevant: so wie der Vater seine Fürsorgepflichten vernachlässigt, darf der Bürger (citoyen) sich einem anderen Staat anschließen. Freie Grenzen, mündige Bürger, Kosmopoliten des Rechts. Der staatlich , weil vertraglich gebunde Bürger (bourgeois) hingegen bleibt in freiwillger Knechtschaft ein Sklave seiner Triebe. Die Republik ist daher die einzig mögliche Form, an der Politik gleichberechtigt teilzunehmen, da in ihr ständig Verträge (Abkommen, Kompromisse) geschlossen werden müssen.
Rousseau war keineswegs ein Idealist, den man auf die Formel zurück zur Natur reduzieen darf, sondern ein Wegbereiter der Transnationalität, des modernen Europas. Er forderte eine Parität aus Rechten und Pflichten und logischerweise eine Verlässlichkeit der Unantastbarkeit von Grundrechten, damit der Bürger (citoyen) nicht zum bloßen Befehlsempfänger staatlicher Wünsche (bourgeois) mutier.
Zweitens unterscheidet Rousseau einen Volkswillen im Sinnd direkter Demokratie (volonté génerale), d. h. Ideal, das die Selbstregierung einer Gesellschaft bestimmen soll, indem sie die Gesetzgebung inhaltlich auf den Erhalt und das Wohlergehen der Gesellschaft als politischer Körperschaft ausrichtet. Dies ist zwar ein unerreichbares Ideal, aber ein durch die Aufklärung und Mitwirkung mündiger Bürger eine erstrebenswerte, weil Zug zum Zug verwirklichte Idee. Was rousseau nun gar nicht wollte war der volonté de tous, der abstrakte Wille der Mehrheit, gar aller. Auch er sah die meisten Menschen als polktisch unreife Kinder an.
Foto Belinda Helmert: Bielefelder Konsens, 1990 gegründete Bürgerbewegung, Detail. Das Ziel des Vereins ist die Stadt für ihre rund 340 000 Bewohner schöner zu machen. Durch seine zahlreichen Parks ist Bielefeld proportional zu seiner Fläche eher dünn besiedelt. https://pro-bielefeld.de/
Foto Bernd Oei: Lutterbach am Waldhof (heute Gymnasium), Fußgängerzone Bielefeld. Den Großsteil seiner 12 km durchfließt er die Stadt. Nur 2,5 km sind jedoch sichtbar, der Rest verläuft unterirdisch. Der Name verweist mitteldeutsch auf hell, rein, sauber, pur.
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