Lyrik: Unschuldig schuldig

Foto Belinda Helmert: Loibetal im Barnimer Land nahe Bernau/Berlin, Ufersteg. Hier führte der krebskranke Exilant Honecker vor seiner Ausreise nach Chile Gespräche mit dem Pfarrer von Lobenau Uwe Holm. https://www.kirche-mv.de/nachrichten/2020/januar/vor-30-jahren-wurde-erich-honecker-im-lobetaler-pfarrhaus-aufgenommen

Nur zwei Dinge

So heißt das 1886-1956) letzte Gedicht des evangelischen Pastorensohns Gottfried Benn, der einige Jahre der konservativen Revolution (ein Ausdruck seines Brieffreundes Ernst Jünger) oder dem rechten Variante des Sozialismus (Nationalsozialismus, Faschismus) nahe stand. Wie bei Heidegger vergaß man dies nicht im kollektiven Bewusstsein, doch entschuldigte manches, vielleicht sogar vieles, in der Nachkriegsaufarbeitung. Am Ende lebte und starb Benn, erfolgreich bei Frauen und in der Literatur, zwischenzeitlich sogar einflussreich, und was blieb? Nur zwei Dinge, die Leere in sich und das „gezeichnete Ich“ Vertont und eingelesen: https://www.deutschelyrik.de/nur-zwei-dinge.html

Einst will der Sprachästhet „die Dinge mystisch bannen durch das Wort“. Der Dermatologe will die Welt zeigen, wie sie ist und so dichten, dass es keinerlei Interpretation mehr bedarf, weil in den Zeilen alles gesagt ist, was zu sagen ist. Benn will die Dinge mystisch bannen durch sein dichterisches Wort und vor dem Warencharakter bewahren; er weiß er um den Verfall der Aura und des Erlebnischarakters durch Bildungsphilister und Naturwissenschaftler: „alles lässt sich verworten“.

In dem dreistrophigen Kreuzreim-Poem zum Abschluss seines Dichter-Lebens heißt es lakonisch : „es gibt nur eines ertrage …. dein fernbestimmtes du musst“ Die zwei Dinge sind „die Leere“ und „das gezeichnete Ich“. Letzteres beinhaltet die Schicksalsverfallenheit, die sein Vorbild Nietzsche in amor fati noch mit Liebe ohne Spur von Trauer anzunehmen bereit ist. Das Attribut fernbestimmt konvergiert nicht mit dem Willen zur Freiheit, wie ihn Nietzsche versteht.

Benns finales Credo erinnert an etwas, das man will, aber nicht mehr vermag. Dieser melancholische Zug deutet sich aber schon früh an, denkt man an die Erwiderung auf Nietzsches „Gott ist tot“: „Wir sind so schmerzliche durchseuchte Götter / und dennoch denken wir des Gottes oft.“ (Gedicht Gesänge, 1928) Benns Lyrik ist meist prosaisch und seine Prosa lyrisch. Gedichte sind teilweise Gewichte, nichts Leichtverdauliches haftet ihnen an, mitunter lesen sie sich wie Nekrologe. Seine Essays sind nicht nur Abfolge von Reflexionen und die Novellen nicht einfach Erzählungen, sondern stets zwei Dinge: Inszenierung und Zeichnung oder Maske auf der einen und das nackte Selbst auf der anderen Seite.

Fotot Belinda Helmert: Lobetal, Alte Schmiede. Die Schmiede wurde 1926 für die seinerzeit mit Pferden betriebene Landwirtschaft gebaut. Durch Strukturanpassungen verlor das Gebäude seine bisherige Bestimmung und stellte den Betrieb nach der Wende ein. Die Gemeinde erhielt in Rekonstruktion, die Bausubstanz und wesentliche Einrichtungen erhalten werden konnten. 1999 wurde das Haus als Touristentreff eröffnet.

Morgue (Erster Gedichtzyklus)

So heißt das Pariser Leichenhaus. 1907 veröffentlicht Rilke ein GEdicht mit diesem Namen, 1911 Georg Heym. Benns früheste Lyrik trägt den Titel „Morgue“ (1912) angehörigen Gedichte provozieren, schockieren, und protestieren bewusst gegen das traditionelle Schönheitsempfinden; aufgrund ihres verstörenden Charakters fallen sie der Bücherverbrennung anheim.

Eine eigene unverwechselbare Sprache bricht sich hier Bahn, die kompromisslos mit objektiven mitleidslosen Blick sezierend Körperteile durchdringt. Dies ist Nietzsches Diktat von Vivisektion geschuldet. Benn schneidet Leichen auf und teilt dies seinem Leser ungefiltert mit. Körper und die Realität dichterisch einzufangen fasziniert ihn. Auch Nietzsche betont die große Vernunft der Leiblichkeit, die gerne verdrängt wird. Leichen-Poesie entsteht mit dem Gestank der Verwesung und der Schönheit einer blühenden Aster, wenngleich auch sie aus dem Leib herausgeschnitten werden muss. Doch wie schreibt Benn über den Geschmack der der Masse? Tant pis. „Die Öffentlichkeit ist der Gestank einer Senkgrube und die Politik das Gebiet von Reduzierten.

Zur morbiden Dekadenz-Atmosphäre der Moderne tritt, bedingt durch seine OP – Tätigkeit, ekelerregender organischer Verfall (Eiter, Geschwüre etc.) hinzu, bisweilen unter Einführung medizinischer Fachtechnologie in die Poesie. Als Beispiel für diesen auf Autopsie beruhenden Milieu-Realismus dienen die drei Quartette im Kreuzreim von „Requiem“dessen Titel eine gänzlich andere Erwartungshaltung auslöst. „Auf jedem Tisch zwei. Männer und Weiber / kreuzweis. Nah, nackt, und dennoch ohne Qual. / Den Schädel auf. Die Brust entzwei. Die Leiber / gebären nun ihr allerletztes Mal. / Jeder drei Näpfe voll: von Hirn bis Hoden. / Und Gottes Tempel und des Teufels Stall /nun Brust an Brust an eines Kübels Boden / begrinsen Golgatha und Sündenfall. / Der Rest in Särge. Lauter Neugeburten: / Mannsbeine, Kinderbrust und Haar vom Weib. / Ich sah von zweien, die dereinst sich hurten,/ lag es da, wie aus einem Mutterleib.

Das Sezieren gehört zu Benns Alltag. Weshalb also nicht aus dieser Wirklichkeit schöpfen ? Zu hören ist aus dem Morgue-Zyklus „Kleine Aster“: https://www.youtube.com/watch?v=CJJWmQoFmOE und „Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke“ https://www.youtube.com/watch?v=RicAxg36ZUI

Foto Belinda Helmert, Lobetal, Alte Schmiede, Innenraum. n die Offene Schmiede kommen gern Senioren und Bewohner der Wohnstätten oft mit Besuch, Einwohner Lobetals und ihre Gäste, Wanderer und Radler. Es gibt täglich Kaffee und Kuchen und altes aus der Zeit der Industrialisierung zu sehen.

Rausch

Der ästhetische Rausch, Benns Enthusiasmus für den Sprachvirtuosen Nietzsche, steht lange im Vordergrund seiner eigenen Lyrik.. Rausch ist für den frühen Benn elementar, nicht nur weil er Drogen konsumiert, sondern auch in seiner Überzeugung, dass Poesie (Kunst im Allgemeinen) ein Erwckunhjgserlebnis, Epiphanie, Rausch sein muss. Bezugnehmend auf „Kleine Astern“ kehrt er wie häufig zu alten Motiven zurück, hier in „Astern“ 1935, in der Mitte seines Schaffens und am Scheidepunkt angelangt, da ihn bis zum Röhmputsch die NSDAP als dynamische „Bewegung“ zusagt. Seine dichterische Antwort werden nach der Enttäuschung „Statische Gedichte“ lauten. Vordem nimmt er zur Mythologie Zuflucht. Der Name Aster kommt vom altgriechischen Wort für „Stern“ (aster) her, so dass die sternenförmigen Blüte Erde und der Himmel wegen des sternenförmigen Blüte verbindet. Eingelesen: https://www.deutschelyrik.de/astern.html Von Astern kommt Benn auf Rosen, denen er spät (1950) ein eigenes Gedicht widmet. https://www.deutschelyrik.de/rosen.html

Blumen und ihr Duft oder ihre Form imaginieren und symbolisieren diesen Rausch. Man muss an Baudelaire, dem Vater der modernen Lyrik und seine „Blumen des Bösen denken“, aber auch an Nietzsches „Weoll ihr meine Rosen pflücken?“

Offensichtlich löst sich der Sinn von Alltags-Sprache über den Sinn für Sprache in Sinnlosigkeit auf; die Worte sind Klang oder Farbe, deren Sinnlichkeit berauscht. Die Bedeutung tritt in den Hintergrund, wird poetisch neu kodiert und erhält so das, was Benn „Mythos“ heißt. Dazu ein Auszug aus seiner Rede auf Heinrich Mann, der in seinen „Römischen Erzählungen“ gleichfalls Nietzsches Diktat der Kunst als Rauschzustand aufgreift: „Die artistische, die dionysische Kunst, die neue Kunst, die Artistik, die postnietzscheaniscnachnietzschesche Epoche, wo immer sie groß wurde, wurde es erkämpft aus der Antithese aus Rausch und Zucht. Auf der einen Seite immer der tiefe Nihilismus der Werte, aber über ihm die Transzendenz der schöpferischen Lust. Hierüber hat uns nichts hinausgeführt, keine politische, keine mythische, keine rassische, keine kollektive Ideologie bis heute nicht.

Foto Belinda Helmert: Alte Schmiede, Lobetal, Innenraum, Amboss. Passend zu Nietzsche „wie man mit dem Hammer philosophiert“. Künstler sein, heißt für Benn, sich unter Zwang ausdrücken, in sich abgeschlossene Gebilde schaffen, das Absolute in abstrakte, harte Formen hämmern.

Wahn – vor dem Fallen, dem Schweigen:

Der obrige Zeile ist dem Vers des dreistrophigen Quartetts „Rosen“ entnommen. In seinen späten „Statischen Gedichten“ sind auch Bäume, Inbegriff der Bewegungslosigkeit, ein Thema. Schaut man sich z.B. das Poem „Es ist ein Garten“ an, so fallen doch drei Dinge auf: das lyrische Ich versteht sich als Brücke (auch als Graben) zwischen zwei Sinnesbereichen. Dies verweist auf Benns Autobiografie „Doppelleben“, aber auch seine „Zwei Reiche“- Lehre , Kunst und Leben sind bei ihm getrennt und doch bestand ein im Poem der ersten Strophe aufgenommener „Graben“ zwischen beiden scheinbar unvereinbaren Polen, z. B. durch das objektive Blau und das subjektive rauschbereit.

Zum zweiten der Rausch in Verbindung mit Kindheit, ein bei Nietzsche wiederkehrender Topos (u.a. das erste Kapitel „Drei Verwandlungen des Geistes“ in „Also sprach Zarathustra“). Zum dritten das Glück das im Vergessen liegt. In Benns dreistrophigen Kreuzreim-Poem herrscht eine signifikante Redundanz vor :“Es ist“. Aus dem Refrain wird ein Schlager (Benn zog sie klassischer Musik vor), ein narkotischer Zustand. Auch deshalb hält er am Reim fest, obschon Benn doch so vieles von der traditionellen Rezeptionsästhetik auf den Kopf stellt. Von mir eingelesen:

Drittens das „Glück im Vergessen“, ein von Nietzsche hervorgehobener Aspekt der positiven Seite des Verdrängens. Ein wenig Unglück fördert das Glücksempfinden sogar. Benn sieht wie Nietzsche Philosophie dm Vergessen eine notwendige Voraussetzung für den Genuss des Augenblicks und die Voraussetzung für das vorurteilslose Empfinden des Jetzt., im Gegensatz zu einem übermäßigen Fokus auf die Vergangenheit. Er sieht im Vergessen eine Möglichkeit, sich von belastenden Erinnerungen zu befreien und Raum für Neues zu schaffen. Eingelesen unter https://www.planetlyrik.de/lyrikkalender/gottfried-benns-gedicht-es-ist-ein-garten-den-ich-manchmal-sehe/

Foto Belinda Helmert: Lobetal, Baum an der Uferstraße des Mechesees.Gespeist wird das stehende Gewässer durch im See liegende Quellen und Niederschlagswasser. In der Seemitte befindet sich eine Sandbank. Der See ist von Schilf umgeben, der an einigen Stellen unterbrochen ist. Der Baumstumpf steht unweit des Pfarrhauses von Uwe Holm, der von seinen Mitbewohnern wegen der Aufnahme des Ehepaars Honecker scharf angegangen wurde.

Brecht aus und lasst die Krüppel mähen !

So lautet der Beginn von „Ithaka„, das Bezug nimmt auf die ionische Insel an der Westküste Griechenlands, die in den Illiaden des Odysseus eine Rolle spielt und die Benn nach Kriegsende 1919 zu einem Miniatur-Drama innerhalb seiner „Rönne-Novellen“ (der Chronik eines Irren) gestaltet. „Das Gehirn ist ein Irrweg. Ein Bluff für den Mittelstand. Wir wollen den Traum. Wir wollen den Rausch. Wir rufen Dionysos und Ithaka. “ Die Nähe Benns zu den glückseligen Inseln und der Antike mit ihren glückseligen Inseln ist offenkundig

Benns Appell zum Aufbruch ist omnipräsent in derLyrik: „Brecht aus und lasst die Krüppel mähen ! / O strömt euch aus! O blüht euch leer! / Denkt: Ithaka: Die Tempel wehen Marmorschauer von Meer zu Meer.“ Selbst im wesentlich späteren, aus acht Quartetten bestehenden Gedichts „Gesänge“ (1928) heißt es: „ Die weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume. / Die Sterne, schneeballblütengross und schwer. / Die Panther springen lautlos durch die Bäume. / Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer –

In der dramatischen Szene seines zu den Rönne-Novellen gehörigen Lesedramas „Ithaka“ plädiert Benn gegen das Rationale und für den Rausch. „ In Ithaka scheint sich die angestrebte Revision der empirischen Realität zu verwirklichen und die Utopie sich realisieren zu lassen. Doch gibt Benn diesen Gedanken auf und zeigt das Scheitern dieser Utopie oder die Unmöglichkeit, in der realen Welt auf. Um es mit Benns Essay 1948 zu pointieren. „Der Ruhm hat keine weißen Flügel-“ Benn nimmt hier Balzacs Worte auf; „Der Ruhm hat keine weßen Flügel, sagt Balzac; aber wenn man wie ich die letzten fünfzehn Jahre lang von den Nazis als Schwein, von den Kommunisten als Trottel, von den Demokraten als geistig Prostituierter, von den Emigranten als Renegat, von den Religiösen als pathologischer Nihiilist öffentlich bezeichnet wird, ist man nicht so scharf darauf, wieder in diese Öffentlichkeit einzudringen.https://www.planetlyrik.de/wp-content/uploads/2018/09/Ju%CC%88rgen-P.-Wallmann-%E2%80%9EDer-Ruhm-hat-keine-weissen-Flu%CC%88gel%E2%80%9C.pdf

Balzac gebraucht die Metapher cette fille aux ailes blanches in seiner 1831 veröffentlichten Künstler-Novelle „Das unbekannte Meisterwerk“ (Le chef-d’oeuvre inconnu), auf das Nietzsche und später Stefan Zweig zurückgreifen, weil es die Kunst über das Leben erhebt und den Künstler in Wahnsinn enden lässt.

Fotot Belinda Helmert: Querdenker? Quer liegender Baum am Ufer des Mechesees in Lobetal. 1990 stand Lobetal im Fokus der Weltöffentlichkeit. Honecker und seine Frau sollten an einen Ort kommen, der abgeschieden von der Öffentlichkeit ist. Und da ist man auf Lobetal gekommen. Man fürchtete Übergriffe auf das Pfarrhaus und Lnychjustiz. https://www.deutschlandfunkkultur.de/honeckers-asyl-in-lobetal-ich-wuerde-es-wieder-tun-100.htm

Wahn-Sinn

Das Turin-Gedicht Benns über Nietzsches Zusammenbruch am 3. Januar 1889 https://www.literatpro.de/magazin/nietzsche-und-das-pferd-zusammenbruch-und-wahnsinn steht nicht nur für seine eigene Rezeption, sondern auch sinnbildlich für das Scheitern des dichterischen Anspruchs, etwas bewegen zu können. In drei Quartetten fasst Benn das Drama zusammen. http://www.giuliotortello.it/Turin.pdf. Von mir eingelesen:

Was Benn mit Nietzsche zutiefst verbindet ist, nach seinen eigenen Worten Heimweh nach Sprache und mythisches Denken. Auffällig ist der prosaische Stil, in die er Sätze Nietzsches montiert, aber zudem mit Epsom nahe London und dem baskischen Pau Orte einbaut, die dieser nie bereist hat, so dass Wahrheit und Lüge in der Dichtung verschmelzen. Zum Mythos gehört untrennbar die Vermengung von Fiktion und Fakt.

Zudem wendet sich Benn an das Laufen in seiner wörtlichen wie metaphorischen (Verlaufen)-Bedeutung, da Nietzsche es häufig in Verbindung mit Gedanken, winden und Wolken gebraucht. U. a. heißt es in „Jenseits von Gut und Böse“ (VII, 224) „unsre Instinkte laufen nunmehr überallhin zurück, wir selbst sind eine Art Chaos“.

Von Anfang an steht Benn für den Wahnsinn, der sich von stupiden Irrsinn unterscheidet ein. Der Wahn kann sinnstiftend sein. vielleicht sogar hellsichtig. Der Wahn ist notwendig, um dem Irrsein der Zeit, Aufrüstung, Krieg oder Bücherverbrennung, zu ertragen. In seinem Essay “Bekenntnis zum Expressionismus“ analysiert die auch heute nicht ungefährliche Verquickung von Funktionalismus, Rassismus und automatisiertem Wirtschafts- und Finanzbetrieb mit dem Menschen als Produkt. Nicht nur in den Rönne-Novellen kommt das Verrückt-sein zur Sprache – hier sogar in der Perspektive eines Menschen, der den Wortsinn gegen bloße Assoziation eintauscht.ier schreibt Benn aus der Perspektive eines Ver-Rückt-Seins, das den Kausalnexus auflöst und damit alle Denk-Konventionen sprengt. Die Gedanken tanzen, funkeln, gurgeln, wie es Zarathustra verlangt. In seiner Zwei-Reiche Theorie stehen Kunst und Politik getrennt nebeneinander. Doch hofft Benn zu diesem Zeitpunkt noch, dass der Dichter Einfluss nehmen kann auf die Politik

Benns Begeisterung für den Nationalsozialismus hält bis zum Röhmputsch an; erst danach distanziert sich Benn von dem Konzept, Politik als Vorspiel des abstrakten „Willen zur Macht“ zum Gestalt (Leib) annehmenden „Willen zur Kunst“ zu betrachten und begreift die Kunst selbst als Macht, die den Willen gestaltet, als als den bestimmenden Trieb, der Politik in Frage stellen und mitunter auch zerstören muss, um aus dem Erstarrten Raum für Neues zu schaffen. Benn hat, wenn er von der „der Bewegung“ spricht, stets die Willenslehre Nietzsches als Phänomenologie des Leibes vor Augen: „Der Körper ist offenbar etwas Flüchtiges, nicht der chemisch-physikalische Morast des neunzehnten Jahrhunderts mit den Absätzen des Positivismus im Gesicht, sondern er ist nichts als ein inneres Prinzip, und wenn man daran rührt, bewegt sich alles.“ (Essay Lebensweg eines Individualisten).

Foto Bernd Oei: Lobetal, Mechesee. Die Aufnahme der Honeckers in diesem Dorf war ein Akt der Gnade, der aufnehmende Pfarrer Holmer hatte sich in seinem Beruf einschränken müssen und sah sich dem Volkszorn ausgeliefert, stimmte aber aus christlichen Gründen dem Asyl zu.

A,m Ende steht bei Benn die Einsamkeit – sie beginnt bereits 1936 bei der Berliner Olympiade, die Benn miebenso wie Leni Riefenstahls Propaganda-Ästhetik missfällt. Er ist zu diesem Zeitpunkt längst kein Parteigänger der NSDAP mehr und muss sich hinterfragen, wie er diesem Volkswahn jemals etwas hatabgewinnen können. Dies kommt in „Einsamer nie“ deutlich zum Tragen. Nachzulesen sind die drei Quartette im umschließenden Reim unter https://www.planetlyrik.de/lyrikkalender/gottfried-benns-gedicht-einsamer-nie/ Eingelesen sind sie nachzuhören unter https://www.deutschelyrik.de/einsamer-nie.html

Das „Gegenglück“ zum Rausch der Dinge, wie sie Riefenstahl ästhetisch einfängt, bildet der reflektierende Geist. Finalisierend im Essay „Lebensweg eines Intellektualisten“: „So ist der Dichter zwar enthusiasmiert von der Leiblichkeit bis hin zum Körperkult der Nazis, aber doch nie so weit, dass er die rohe Gewalt mitzutragen bereit ist. Schuldlos schuldig würde man heute auf mildernde Umstände plädieren.

Empfohlene Beiträge

Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!


Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert