Purpur verstehen – Traklsound

Foto Belinda Helmert: Purpur im eigenen Garten, Liebenau

Farbklang

Denkt man an Georg Trakl (Salzburg, Februar 1887 – Krakau, November 1914) und seine expressionistische Lyrik so fallen meist zwei Assoziationen zusammen. Schwermut und Farbreichtum. Dabei kommt es nicht selten zu Katachresen, wie sie fast jeder Tilgungsfrei mit sich bringt und Fabsymbolik, die gerade in der Epoche des Expressionismus (Benn, Heym, George) und vorher im Symbolismus (Hofmannsthal, George, Rilke) augenscheinlich sind. Vor allem fügt sich weder Trakls Farbspektrum noch seine Form der Melancholie in den gängigen Interpretationsspielraum ein. Etwas ganz Eigenes und Unverwechselbares kennzeichnet seine Lyrik und seine Farb-Impressionen. Da Mutter und Schwester Gretl hochmusikalisch waren , erscheint Farbklang angemessen. Die meisten der folgenden Gedichte stehen im Archiv http://www.deutsche-liebeslyrik.de/trakl_georg.htm

Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen, soll Purpur dienen. Porphyra nannten die Griechen das aus Schneckenblut gewonnene kostbare Rohmaterial. Die Philosophen nannten den verzweigten Baum des Wissens Porphyrbaum, lateinisch Arbor porphyriana – dies geht allerdings auf die Überlieferung des Neuplatonikers Porphyrios zurück. Und ähnlich verzweigt gestaltet Trakl seinen persönlichen Farbsymbolismus. Der genaue Sinn variiert von Kontext zu Kontext. Auch Purpur kann eine ambivalente Bedeutung erlangen, etwa für Reinheit, Stolz, Traum – aber ebenso für Fluch, Schuld, Untergang.

Bekannt ist die Mischfarbe aus Rot und Blau für die Insignien der Macht; einen Purpurmantel trugen nur Herrscher. Doch Trakl verwendet dies bestenfalls im Sinne von „edel“, würdevoll und das auch nur in manchen seiner Gedichte. Vorangestellt sei ein kongeniales Zitat des Malers W. Kadinsky: (beide dürften sich kaum begegnet sein): „ Im allgemeinen ist die Farbe ein Mittel, um direkten Einfluß auf die Seele auszuüben. Die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit den vielen Saiten. “ Hat Gott purpurne Augen? – denn die Farbe ist mit Allmacht verknüpft.

Foto Belinda Helmert: Purpur im eigenen Garten, Liebenau

Purpurne Trauben – Purpurner Mund – Purpurlaub

Selten steht Purpur nur für sich. Meist in Verbindung mit einem Nomen, etwa Trauben. Als Eingangsbeispiel für die Rahmung mit anderen Farben und in Trauer gesetzt (das Elegische ist Trakls Grundton) „An den Knaben Elis“ gelten. Volltext: https://www.gedichte7.de/an-den-knaben-elis.html. Von mir eingelesen:

Elis bedeutet Vollkommenheit. Dazu konvergiert der Hyazinth-Mythos, das von einem makellosen Knaben Hyakinthos handelt, den Apoll liebt und aus Versehen mit einem Diskuswurf tötet. Er verwandelt ihn anschließend in Rittersporn, aus der Familie der Hyazinthen. Der Name Elis bedeutet Makellosigkeit/Vollkommenheit, er verweist auf den hebräischen Namen Elias und eine spartanische Landschaft im Nordwesten der Peloppones. Diese standen mit den Phöniziern in Verbindung, welche die Farbe Purpur exportierten.

Professionell vertont mit weiblicher Stimme: https://www.youtube.com/watch?v=cbJfns1GZP0

In „Stundenlied“ – Volltext: https://www.textlog.de/trakl/gedichte/stundenlied aus dem Zyklus „Sebastian im Traume“ taucht die Farbe zweimal auf: „Purpurn zerbrach der Gesegneten Mund.“- dies zielt durch das Attribut auf das Sakrale und „Purpurn färbt sich das Laub im Herbst„; die Funktion der Anapher ist erfüllt. Die Traube folgt im Vers auf Purpur bereits in der nächsten Zeile. Dies veranschaulicht, dass sowohl die Jahreszeit, in welcher die Rebe bekanntlich geerntet wird, die Segnung für eine gute Ernte und die Traube bzw. Wein häufiger im Zusammenhang mit Purpur stehen. Zudem rückt die Farbe in die Nähe des Todes. Eingelesen von mir:

Foto Belinda Helmert: An der Großen Aue, Liebenau

Purpurherbst

In „Nähe des Todes“ – Volltext https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/trakl_gedichte_1913?p=47 lautet das entsprechende Verspaar „Da aus des Einsamen knöchernen Händen / Der Purpur seiner verzückten Tage hinsinkt.“ Wieder verbindet Trakl Eros der Liebenden, Trauer (Schwermut) und Thanatos, auch etwas Sakrales (Weihrauch) fehlt nicht. Eingelesen von mir:

Von Charles Baudelaire, dem Trakl so manches entlehnt und verdankt, stammen die Zeilen:

Im tiefen und dunklen Zusammenhang
Des Echos, das weit entfernt wieder erwacht,
So lang wie der Tag und lang wie die Nacht,
Entsprechen sich Farben, und Düfte, und Klang.

Auch Baudelaire denkt/dichtet in Bildern und Farben; als eifriger Besucher der von der Akademie zurückgewiesenen Bilder (tableaux refüsés) und Bewunderer Delacroix arbeitet er Trakl motivisch gewissermaßen vor. https://www.deutschelyrik.de/trakl.htm

Zu der eigenartigen Farbzuweisung mit der Katachrese (Bilderbrüche), da Farbe und Gegenstand/Lebewesen nicht konvergieren, gehören auch die Träume. in „Drei Träume“ https://www.textlog.de/trakl/gedichte/drei-traeume Traum II, zweite Strophe:

„Meine Seele gebar blut-purpurne Himmel
Durchglüht von gigantischen, prasselnden Sonnen,
Und seltsam belebte, schimmernde Gärten,
Die dampften von schwülen, tödlichen Wonnen.“

Foto Belinda Helmert: Purpur im eigenen Garten

Purpurne Hölle

In „Passion“ (1. Fassung) lautet die letzte Zeile „Purpurn erblüht im Herzen die Höllenblume.“ – damit wird klar, dass Purpur nicht nur dem Sakralen, sondern ebenso dem Satanischen zugeordnet wird. Generell bilden Ambivalenz und Katachrese wesentliche Strukturelemente Trakls. Beliebig ist nichts bei Trakl. In den drei Fassungen wird manches verändert, der Bezug zum „hyazinthenen Haar“ bleibt. Vordem findet sich der Vers „Weh, der schmalen Gestalt des Knaben, Die purpurn erglüht“. Volltext: https://www.textlog.de/trakl/gedichte/passion-1.

Doch bereits zuvor findet die aus Schneckenblut gewonnene Farbe zweimal Erwähnung: „Weh, der schmalen Gestalt des Knaben, die purpurn erglüht“ … „Auf purpurner Flut / schaukelt wachend die silberne Schläferin„. Auch hier zeigt sich die Verschränkung von Eros und Thanatos, die Einbindung eines Mythos – orphisch und der Verweis auf Schuld. Die Verbindung zur Schwester Gretl spricht sich in diesem Gedicht deutlicher aus. Eingelesen von mir:

Häufig ist dem Trakl-Sound auch etwas Betrunkenes zu eigen. In seiner reimlosen Prosalyrik „Winternacht“ wird das lyrische Erleben „betrunken von purpurnem Wein“ mit der Finsternis der Nacht und dem schwarzen Frost verbunden. „Nach Mitternacht verläßt du betrunken von purpurnem Wein den dunklen Bezirk der Menschen, die rote Flamme ihres Herdes.“ Volltext: https://www.textlog.de/trakl/gedichte/winternacht– Professionelle eingelesen unter: https://www.youtube.com/watch?v=z5mCtcWKIqY Von mir selbst:

Foto Belinda Helmert: Purpur im eigenen Garten

Purpurblumen und Purpurne Sterne

Auch in dem etwas längeren prosalyrischen Text „Traum und Umnachtung“ https://www.textlog.de/trakl/gedichte/traum-und-umnachtung#google_vignette knüpft Trakl an die Assoziationskette an und verbindet diesen mit Tod: „Weh, des Abends am Fenster, da aus purpurnen Blumen, ein gräulich Gerippe, der Tod trat.“ Wiederholt fällt die Überkreuzung mit einer anderen Farbe auf. Trakl bezieht fast jedes Nomen auf eine Eigenschaft und nicht selten ist dies eine Farbe, zudem in Verbindung mit der Katachrese, dem Bilderbruch. Die bisherigen Beispiele belegen, dass es um Grenzen geht, die Trakl überschreitet. Wie die Farben aus Rot und Blau, Leidenschaft und Ruhe, zusammengesetzt sind, stellt Trakl scheinbare Antinomien häufig wie selbstverständlich nebeneinander.

Alle Gedichte alphabetisch geordnet sind einzusehen unter https://www.zgedichte.de/gedichte/georg-trakl.html#A

Stunde kam, da jener die Schatten in purpurner Sonne sah,“ und : O, die purpurne Süße der Sterne“ sind dem Poem „An einen Frühverstorbenen“ entlehnt. Der Frühverstorbene in diesem Gedicht ist das Kind des lyrischen Ich Trakl, der sich so gut wie nie in Ich-Form benennt. Volltext: https://www.textlog.de/trakl/gedichte/an-einen-fruehverstorbenen#google_vignette. Dass die Sonne nicht purpurfarben sein kann, wohl aber im Untergang befindlich so gedeutet wird, siehe Benn und Nietzsche, ist ein weiteres Merkmal, das sich bei Trakl wiederholt. Purpur wird entweder mit Würde oder mit Wehmut verknüpft; die Farbe soll Emotionen evozieren. Eingelesen von mir:

Foto Belinda Helmert: Purpur im eigenen Garten

Purpurne Früchte, Purpurner Schlaf

In „Abendländisches Lied“ heißt es „O ihr Kreuzzüge und glühende Martern/ Des Fleisches, Fallen purpurne Früchte“ … „O, ihr Zeiten der Stille und goldenen Herbste / Da wir friedliche Mönche die purpurne Traube gekeltert„. Hier gedenkt Trakl der Tradition, dass in Klöstern der Weinanbau und seine Kultivierung vorangetrieben wurde. Volltext unter https://www.gedichte7.de/abendlaendisches-lied.html und eingelesen von mir:

In „Ruh und Schweigen“ – Volltext unter – https://www.textlog.de/trakl/gedichte/ruh-und-schweigen – lauten die Verse „In blauem Kristall / Wohnt der bleiche Mensch, die Wange an seine Sterne gelehnt / Oder er neigt das Haupt in purpurnen Schlaf.“ Eingelesen von mir

In „Klage“ (erste Fassung) lautet die entsprechende Zeile „An schaurigen Riffen zerschellt der purpurne Leib“. Volltext: https://www.gedichte7.de/klage.html

In mehreren Gedichten fallen Substantive wie Kahn, Schwester zusammen wie die Farbe Purpur zwischen Rot, Blau, Schwarz und Silber steht. Eine innere Logik, der Bilderwelt Trakls geschuldet, stiftet eine extern nur schwer zugängliche Verbindung. Fakt bleibt die Assoziationskette des Dichters.

Foto Belinda Helmert: Purpur im eigenen Garten

Purpurne Seuche, Purpurnes Blut, Purpur-Sonne

In „An die Verstummten“ äußert Trakl “ Rasend peitscht Gottes Zorn die Stirne der Besessenen / Purpurne Seuche,“ Volltext unter https://www.gedichte7.de/an-die-verstummten.html. Hier geht es die Stadt und ihre modernen Phänomene, z.B. Prostitution. Eingelesen: https://www.youtube.com/watch?v=2E-oW4T78_I

Purpur zeigt die Grenze zur Finsternis. Der Übergang vom Sichtbaren zum Unsichtbaren liegt im Purpur. In diesem Sinne kann Purpur als Grenzgänger bezeichnet werden und voller Widersprüche sein. So kommt Purpur zunächst als Blutfarbe vor, die Gefahr anzeigt. In „Sebastian im Traum:“ „Aus der Wunde unter dem Herzen purpurn das Blut rann.“ Ausgehend davon ist Purpur mit Leiden verbunden: und tritt als Flammenfarbe auf, die in direkter
Verbindung zu Leiden steht. Ein Beispiel dafür ist der letzte Vers aus „In der Heimat“: „Die Kerzenflamme, die sich purpurn bäumt.“ Licht allgemein ist bei Trakl mit Purpur assoziiert, etwa mit der untergehenden Sonne. So lautet der erste Vers aus „Kaspar Hauser Lied“: „Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg.“

„Am Abend“ verdeutlicht hingegen wieder den Grundton des Trakl-Sounds, die Schwermut. „Schritt und Schwermut tönt einträchtig in purpurner Sonne.“ Bei aller Verzweigung und Ambivalenz, die sowohl in der Farbe als auch in dem Lyriker selbst angelegt ist, bildet die Melancholie doch das Fundament, den Baum des Porphyrios, der sich dann verzweigt. Einerseits verbindet sich Purpur mit Leben (Farbe des Blutes) und Macht (im historischen Sinne), andererseits mit Melancholie, z. B. in „Unterwegs“: „O, wie dunkel ist diese Nacht. Eine purpurne Flamme / Erlosch an meinem Mund. In der Stille / Erstirbt der bangen Seele einsames Saitenspiel.“ Vollext: https://www.literaturnische.de/Trakl/seb.htm

Das Gedicht stellt einen integralen Bestandteil des Zyklus m“Sebastian im Traum“1915, der letzten Phase seines Wirkens, greift typische Motive Trakls auf: Dunkelheit, Verfall und Hoffnungslosigkeit. Die „purpurne Flamme, die an meinem Mund erlischt“ kann als das Ende von Hoffnung, Ausdruck oder Leben gedeutet werden, was den Verfall der Menschheit symbolisiert. Purpur als Farbe der Schwermut und taucht in all seinen wichtigen Dichtungen
auf, insbesondere in seiner vierten und letzten Phase. http://www.georgtrakl.de/4-phase.html

Foto Belinda Helmert: Purpur im eigenen Garten

Purpurne Schatten der Schwermut

An schaurigen Riffen zerschellt der purpurne Leib.“ (Klage). Lebensuntauglichkeit attestiert man den an Schwermut leidenden Menschen. Im Umgang schwierig. Alkoholiker, morphiumsüchtig. Eine Personifikation des Untergangs, der auch die k.u.k. Monarchie betraf. Lieblos aufgewachsen. Vielleicht nur eine Liebe: Gretl, möglicherweise nicht ganz geschwisterlich. Seelenverwandtschaft und Halt in der schwankenden Zeit. Stoff für Romane. Menschenscheu, schweißgebadet. Kunst als Rettungsanker. Farben als beispiellose Befreiung vom Alltäglichen. Im Gegensatz zum Drogenrausch steht die strenge Form seiner Lyrik – eine Architektur, die den Zufall ausschließt. https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-georg-trakl-oesterreichischer-dichter-geburtstag–100.html

Seine Gedichte dokumentieren den Verfall – zeitlos. „Es ist ein namenloses Unglück, wenn die Welt so bodenlos entzweit wird „. Das Attentat von Sarajewo als Auslöser einer Kettenreaktion der Vernichtung. Hilfe geben, wo keine Hilfe mehr hilft. Alle Straßen münden in schwarze Verwesung – vermutlich sein letzter Satz, die letzte Zeile in „Grodek“. Die Schlacht mit den „blutigen Häuptern“ ist das Ende, zumindest für Trakls Leben. Grodek, professionell eingelesen: https://www.deutschelyrik.de/grodek.html

„Der Brenner“ als Lebenselixier. Nachts schlaflos. Schreibt verschiedene Gedichte. Hat Halluzinationen. So die Beschreibung des Arztes nach Trakls toxischer Selbstvergiftung. So beginnt das Portät „Herbst eines Einsamen“ 1976: https://www.youtube.com/watch?v=v_Je5QxGFEM

Lutz Görners führt gleichfalls mit dem Bild des Drogensüchtigen ein. Er rezitiert, seine Explikation fällt bestenfalls biografisch aus. https://www.youtube.com/watch?v=Zd9Wj8oejzE

Mehrere Vertonungen von Trakls Bildern der „morbiden Schönheit“ liefen vor. ‚Trakl Sound liegt daher inzwischen vor eingelesen von bekannten Schauspielern.

Das enfant terrible ist heute en vogue, wird kommerziell gehyped. „Ich verstehe sie nicht, aber ihr Ton beglückt mich“ befand der Rationalist Ludwig Wittgenstein, der Trakl umgerechnet heute 100 000 Euro stiftete. Eine virtuelle Führung durch das Trakl-Werk in Innsbruck samt Explikation der wissenschaftlichen Erforschung seines Lebens ist einzusehen unter https://www.youtube.com/watch?v=7E-kmgEiGdM

Empfehlenswert sind auch die eingelesenen Texte auf https://www.youtube.com/watch?v=RGnJ0CGnSP4 und https://www.youtube.com/watch?v=qb2-cAJUfvo

Empfohlene Beiträge

Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!


Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert