Kessler, der Pazifist

Foto Belinda Helmert: Artischocke im eigenen Garten. Nur eine von zehn eigenhändig aufgezogenenkam in dieser Größe mit eigener Blüte durch. Immerhin vier sind kleiner oder ohne Blüte, haben aber ihr erstes Jahr überlebt. Mögen aus den zahlreichen Friedens-Ge- und Versuchen auch einer reüssieren.

Wahlbetrug – Abdankung geht anders

Angesichts des Wahlbetrugs in Sachsen am 01.09, – ausgerechnet am Weltfriedenstag und parallel zur Friedensfestival am Müchner Marienmarkt Frieden, aber friedlich (bitte)! – Bernd Oei sei ein Zitat von einem äußerst wandelbaren Einzelgänger vorangestellt: Deshalb ist es auch kein Gegensatz, ein guter Deutscher und ein guter Europäer sein; ein Konflikt zwischen national und international existiert nicht. Die internationalen Formtendenzen sind in dem selben Sinn national wie die engeren, heimatlichen. (https://tour-de-kultur.de/2018/10/27/zettelkasten-39/)

Die Rede ist von Graf Henry Kessler (1868-1937), den Mann, der alle kannte und den zuletzt fast niemand mehr so recht kennen wollte. Anfänglich Kriegsbefürworter (obgleich Opportunist zum Kaiser Wilhelm II, avancierte er, der „gescheiterte“ Diplomat und Weltmann zu einem getreuen Schüler Bertha von Suttners „Die Waffen nieder“ (https://liwi-verlag.de/bertha-von-suttner-die-waffen-nieder/). Natürlich kannte der „rote Graf“ die Friedensaktivistin persönlich. Scheinbar vergeblich, denn zu seiner Zeit war mit Frieden kein Staat zu machen und galt als Volkshetze . Die Gesetze zum Schutz des Friedens erlebten beide nicht mehr. https://www.verfassungen.de/ddr/friedensgesetz50.htm Heute wird demnach verfassungswidrig regiert.

Die Friedensgesetze waren eine Folge der unfassbaren Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Obgleich Kessler an der Front diente, bekam er keine Schlacht zu sehen. Er führte ein privilegiertes Leben, auch im Trommelfeuer.

Der Kaiser hat abgedankt. Die Revolution hat gesiegt. “ So beginnt sein Tagebuch-Eintrag am 9. September 1918 anlässlich des abgedankten Kaisers Wilhelm https://www.youtube.com/watch?v=tl8RFiWZlpI Stand 02.09. (nach der Wahl ist vor der Wahl) Die Linke hat es nur über die Grundmandatsklausel in den Landtag geschafft. Vordem war in Sachsen die alte Regierung klar abgewählt worden und das Regierungsmandat der Afd angetragen worden. Abdankung geht anders.

Fotro Belinda Helmert: Landleben in Schinna, Klosteranlage, ehem. Benedektiner-Abtei, dessen Motto stabilitas loci, der enge Bezug zur ortsgebundenen Gemeinschaft war. Das Kloster stammt aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, seit zwei Jahren Austragungsort „LebensArt Landpartie“ https://www.dieharke.de/lokales/nienburg-lk/mittelweser/garten-wohnen-und-lifestyle-in-schinna-lebensart-laedt-zur-landpartie-ein-WYZAQXNK6REZJFIE5CXCSLJTR4.html

Im Osten stets Neues

Die Afd ist bekanntlich gegen den Krieg. aus welchen Gründen und ob sie eine Lobbyistenplattform für Putin darstellt, ist eine andere Sache. Eine Sperrminorität hat das einstige Aushängeschild des Ostens damit in jedem Fall. Ebenso dubios erscheinen die nachträglich erworbenen Stimmen der Grünen, die im letzten Moment über die 5% Hürde stolperten. Drittstärkste Partei mit annähernd 12 % wurde erwartungsgemäß das Wagenknecht-Bündnis. Das „Kopf an Kopf“-Rennen entschied zunächst die Afd, im Nachgang doch die CDU für sich. Immerhin Dreiviertel der Bevölkerung ging an die Urnen.

Wen Kessler zuletzt, also nach 1918 gewählt hätte, scheint klar: die einzige aktiv für Frieden und Gespräche eintretende Partei ist die demokratisch gewählte Afd, die man gerne mundtot machen möchte. Natürlich spricht sich auch die Partei Wagenknechts für Verhandlungen aus; ein Grund sie zu wählen war oder ist sicherlich ihre Opposition zum vermeintlichen mainstream. Da sie jedoch offen für Koaliation mit der CDU und kategorisch gegen die mit der Afd war/ist, scheidet sie aus dem Kreis jener Politiker aus, deren Priorität der Frieden und nicht die Regierungsbeteiligung ist.

Unbestechliche Geistigkeit, moralische Integrität, Gutmenschentum: dazu bekennen sich alle. Seltsame Zeiten, in denen die einst rechtspopulistische Afd der Idee des Völkerbundes (nicht zu verwechseln mit NATO oder Europäische Union) näher steht als die einstigen Linken, die für die Ostpolitik https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/508315/vor-50-jahren-bundestag-stimmt-fuer-ostvertraege/ standen und die jetzt überdacht werden muss. Ein Brandbrief der SPD wendet sich so gegen die Brand-Politik wie die Grünen von heute sich gegen die Ideen, Ziele und Ideal der Gründungsmitglieder stellen.

https://www.mdr.de/geschichte/zeitgeschichte-gegenwart/politik-gesellschaft/ostpolitik-russland-ukraine-krieg-willy-brandt-egon-bahr-spd-rohdewald-historikerbrief-winkler-100.html

Wieder kommt Kessler ins Spiel: ein Mann, der nicht nur in sich viele Gesichter und Anteile besaß, sondern auch mit den unterschiedlichsten, mitunter konträr in Streit liegenden Menschen (etwa 16 000) des öffentlichen Lebens ins Verbindung stand, meist sogar enger und vertrauter als dies zu erwarten ist. Einen Beitrag über den Nietzschebewunderer, Mäzen, Kunstdirektor, Verleger, Autor (von Essays und einer Rathenau-Biografie) und Visionär liefert der ursprünglich vierteilige Film Der Mann, der alle kannte (und dem am Ende seines Lebens fast niemand mehr kennen wollte): https://www.youtube.com/watch?v=oYs4FOh4y4o

Foto Belinda Helmert: Biene auf Sonnenblume, eigener Garten, Liebenau. Wie die Biene war Kessler ein leidenschaftlicher Sammler (u.a. bibliophil) und wie die Sonnenblume drehte er sich, den Stillstand ignorierend, immer in neue Richtungen, heliotrop der Sonne entgegen

Kesslers Ost-Wende und Thüringens Ost-Bekenntnis

Graf Kesslers Tagebücher, wohl die umfassendsten und zeitgeschichtlich interessantesten, weil aussagekräftigsten der Zeit zwischen den ‚Epochen, wurde mir zuteil durch einen „halben Freund“ wie wir uns wertschätezend nennen. Er verband die Widmung mit der Widergeburt eigener brachliegenden Ressourcen, darunter das Interesse an Büchern, Philosophen, Vorbildern. Das Cover zeigt das Portrait von Edvard Munch 1906 mit Sonnenhut und Smoking. Kessler war kein Freund oder Bewunderer des norwegischen Sonderlings, doch er ebnete ihm den künstlerischen Weg, weil er subjektiven Geschmack von objektiver Bedeutung und Größe zu unterscheiden wusste.

Eine Fähigkeit, die vielen Politikern heute abzugehen scheint. Wer in den Siebzigern aufwuchs, kennt die Gesprächskultur und die Köpfe, den wechselseitigen Respekt selbst im Streitgespräch (der Debatte) und auch wenn es Polemik damals schon gab, so ging der Dialog nicht darin auf. Stupide Generalisierungen verboten sich von selbst. Intelligenz und Ethik bildeten eine quasi verschworene Einheit und das Recht auf (zivilen) Ungehorsam war stillgeschwiegenes Gesetz. Amerika bildete nicht nur den großen Bruder, sondern auch ein Damoklesschwert. Kritik am Imperialismus galt als demokratisches und subsidares Selbstverständnis. Kessler, der zwischen Siegern und Blöcken vermittelte, fiel die Konzillanz des östlichen Beinahe-Nachbarn auf. Er hielt trotz seiner anglophilen Prägung (Englisch als Mutterspfrache, eine irische und abgöttisch verehrte Mutter, Ausbildung in London und Paris) den gradlienigen Iwan für weniger schrecklich als das boulevardeske Spiel amerikanischer Politiker. „Die Russen haben heute eine sehr konzilante Antwortnote überreicht, in der sie Entschädigung für die Sozialisierungsschäden versprechen….“ (Genua, 22. 4. 1922, Buch S. 229). Sozialisierungsschaden meint Verzicht auf den Schadensersatz für die enteigneten Werte, also Verstaatlichung von privaten Wirtschaftsgütern.

Den historischen Kontext liefern die Rapallo-Verhandlungen, die in den vom später deshalb ermordeten Rathenau unterzeichneten Verträgen mündeten. https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2006_3_2_fleischhauer.pdf die Verträge spalteten nicht nur eine Nation, zwei Lager (Blöcke: die westlichen Allierten und die spätere Sowjetunion), sondern auch Historiker. Spaltung gab es schon immer, aber auch perspektivisches Denken bei allen Winkeladvokaten.

Bei der Reichstagswahl vor hundert Jahren im zweiten deutschen Reichstag (Weimarer Republik, Demokratie in ihren ersten Gehversuchen) im Mai 24 triumphierte die SPd so hauchdünn vor der DNVP, der Deutschnationalen Volkspartei, wie am 1. September vermeintlich die CDU vor der AfD. wichtigster Unterschied: DSe SPD war damals pazifistisch, die DNVP unter dem Rüstungs- und Medienunternehmer Alfred Hugenberg und Reichskanzler (Wilhelm Marx) war das Mitglied einer anderen Partei (Zentrum). Hitlers Putschversuch in München unmittelbar vor den Wahlen endete mit einer leichten Festungsstrafe, faktisch ein Freispuch. Die junge Republik erlebte die zweite ihrer großen Zerreißproben: Krisen begleiten Demokratien seit ihrer Erfindung. Kessler über die Rolle der Franzosen, Bloc national: „Feigheit, die noch übeler ist als die Borniertheit der anderen“. (S. 230)

Foto Belinda Helmert: Gewöhnliche Stockrose an der eigenen Gartenmauer in Liebenau, Flusseite Große Aue. Als Kulturhybride wurde sie aus China importiert (15. Jh.l) Die Alcea rosea profitiert von der globalen Klimaerwärmung. Ihr arabischer Name Malve verweist auf „die glücklich Machende“

Manipulation der Stimmzettel

Das LKA hat Ermittlungen wegen des Verdachts auf Wahlbetrug aufgenommen. In Dresden und Radeberg sind laut Polizei etwa 130 Wahlzettel manipuliert worden. Nutznießer war laut Berichten die Partei ‚Freie Sachsen‘, die auf 2,2 Prozente kam. Naturgemäß gilt auch diese Partei als rechtsextrem, wie Freiheit an sich und für sich bereits als extrem und extrem als Synonym für rechts eingestuft wird.

Die Manipulationsvorwürfe lenken von dem Sieger und dem Mandat der Wahl ab. Bei der Landtagswahl in Thüringen, gleichfalls am 1. 9. 24 erhielt die AfD mit über 34 Stimmen, alsoannähernd jeder dritten eines Wählers, die meisten Stimmen, gefolgt von der CDU. die Grünen erreichen hierzulande gerade mal 1,6%, das Wagenknecht-Bündnis schafft es mit unwesentlich mehr Anteilen natürlich auch nicht in den Landtag. Der Osten kann also Diversität.

Hier in Thüringen, Erfurt, klagt die Siegerpartei dennoch: Bei der Landtagswahl in Thüringen seien AfD-Stimmen vernichtet worden, mit Fotos dokumentiert. Die quelle heißt correctiv, eine ausschließlich von Spenden finanzierte Rechereche-Gesellschaft, die sich für unabhängigen Journalismus einsetzt. Demzufolge haben Demonatage und Betrug dort Tradition und gehen Hand in Hand zum politischen Traualtar.

Foto Belinda Helmert: Brunnen in Nienburg, Lange Straße, Fußgängerzone im Abendlicht. Politische Sonnenuntergangsstimmung. Keßler schreibt Genua 1922, den 27.4. „Trübe Regenwolken ziehen niedrig über die Wellen. Dieses Wetter ist das richtige Sinnbild der politischen Lage, die stürmisch und trübe ist.

Maillol als Gegengewicht zu Rodin

Kessler kannte, förderte und bewunderte Rodin (die erste Ausstellung seiner Werke war in Weinmarer Kunstmuseum unter seiner Leitung zu sehen) sowie Rilke und Verhaeren, doch mehr noch Hofmannsthal und Hauptmann als Poeten und Aristide Maillol. In Kessler suchten und fanden Ambivalenzen Synergie; auf ein esimples Schwazr-Weiß Schema lies er sich niemals reduzieren. Seine Vielseitigkeit verhinderte, dass er auf einem Gebiet (wie spezialisten es tun) mit den ganz Großen Schritt zu halten vermochte; er rutschte ins zweite Glied. Seine Diversität ermöglichte ihn Kontaktpflege mit polarisierenden Größen seiner Zeit, zugleich verhinderte sie wahre Intimität. Als Kunst-Sammler stand für ihn immer die Sache selbst im Mittelpunkt. https://www.podcast.de/episode/623817515/4-beruehmte-kunstsammler-harry-graf-kessler

Kessler und der katalane Maillol lernten sich 1904 in Banyuls-sur-Mer (Okzitanien, Frankreichs Südösten) kennen. Ich lernte den reizenden Grenzort, an einer Steilküste liegend, 2018 kennen. Als chef d´oeuvre gilt La Méditerranée (siehe Bild unten). Kessler schreibt den Gedanken des Künstlers nieder, der ebenso als gleichnis für Politik stehen könnte. „Diese Figur ist meine Lehrmeisterin gewesen. Von einem Rodin, der das durchgemacht hätte, wäre nichts geblieben“ (https://www.projekt-gutenberg.org/kessler/aufreden/chap026.html

Für Kessler indes blieb Kunst, darin wesengleich mit Hofmannsthal, die neue erkenntnisstiftende und bewusstseinserweiternde Religion. Dies geht aus seinem Aufsatz 1899 „Kunst und Religion“ hervor. https://www.projekt-gutenberg.org/kessler/aufreden/chap001.html

Kesslers Tagebuchnotiz in Banyuls am 6.1. 1925, S. 305: „Gegen zehn bei Maillol … Kleine hockende Frauenfigur… Das Gespräch ging dann über auf das thema von den schlanken und den kurzenb, gedrungenen Frauen.“ Maillol verrät, das seine Frau klein und kurzbeinig sei, sich auf die Suche nach den Harmoniegesetzen für ihre Ästhetik gemacht zu haben. Hätte ihm das Schicksal eine Langbeinige als Gattin vergönnt, so wäre aus ihm ein Spurensucher der harmonischen Länge geworden. Diese Anekdote blegt , dass nicht nur gilt form follows fuction, sondern ebenso function follows form. Anders formuliert: Der Zufall des konkreten eigenen Erlebens schreibt die Geschichte und nicht nur umgekehrt. Am Ende des Eintrags schreibt Kessler, Malliol gleiche einem „griechischen Hirtendichter„. Pikanterweise ging er in seinen Griechenlandreise auf, wohingegen sein Begleiter Hofmannsthal (Autor des Dramas „Elektra“) sich dort fremd vorkam. Dies gilt auch für seinen eigenen Kunstgeschmack, welcher der Neoromantik und dem Jugendstil (Henry van de Velde) zuneigte, gleichwohl er Impressionismus und später Expressionismus durch gezieltes Protektorat und Kunstankäufein Deutschland etablierte, ja salonfähig machte.

Gildensolzialismus

Der Begriff bildet den Titel eines weiteren Kunst-Essays von Kessler mit dem Schlüsselsatz „Das Problem ist nicht, dem Arbeiter mehr Lohn oder mehr Lebensannehmlichkeiten (etwa auf dem Wege patriarchaler Fürsorge) zu schaffen, sondern ihn zu einem freien Mann zu machen! Das Gegenteil der »gottgewollten Abhängigkeit« muß die Norm werden.“ https://www.projekt-gutenberg.org/kessler/aufreden/chap018.html

Kessler war einer der ersten und wenigen Aristokraten, welche die Armut des Volkes und das Schicksal der Arbeiter rührt. Beides hält er für wegweisend für die Zukunft der Welt, da Existenznot und mangelnde Bildung anfällig für Radikalisierung sind. Er antizuipierte, dass Lösungen global, die Ausführung jedoch lokal verlaufen müssen. Auch wenn der Satz think global act local nicht von ihm stammt, so gilt er als Pate ihrer Idee. „Der Begriff einer die einseitige, bloß politische Demokratie ergänzenden, allseitigen, funktionellen Demokratie, deren Ziel sich knapp in Nietzsches kraftvoll aktivistischen Worten formulieren läßt: »Freiheit sich schaffen, zu neuem Schaffen.

Bekannter dürfte sein Aufsatz „Die Kinderhölle von Berlin sein“ (1921), der gleichfalls im gutenberg-Projekt einsehbar ist. Die Probleme einer auseinanderklaffenden Schere zwischen Kriegsgewinnern und Kriegsverlierern stiftet auch die wichtigste Analgogie zu den aktuellen Wahlen, der zunehmenden Spaltung in Ost und West und Ideoloogien, die Ideen unter sich begraben und Wahlbetrug offenbaren.

Foto Belinda Helmert: Artischocke im eigenen Garten, Liebenau. die Artischocke, Cynara scolymus, ist eine Herzkrankungen und Arthritis entgegenwirkende Heilpflanze und fand über Persien den Weg aus der Türkei in heimische Gärten. Plinius der Ältere, Historiker, erwähnt sie in seinen „naturalis historia“. Heute ist Ägypten das größte Artischocken – Anbauland.

Gartenlaube-Militarismus

Eine Einführung in Leben und Wirken, einhergehend mit der nietzscheanischen Überzeugung, dass Leben ausschließlich als ästhetische Existenz gerechtfertig werden könne, liefert der Beitrag https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-harry-graf-kessler-todestag–100.html. So lautet einer seiner zahlreichen, ebenso amüsanten wie kritischen Kommentare zum wilhelminischen Zeitgeist (der Kaiser war ein Bewunderer seiner Mutter und häufiger Gast bei den Kesslers): „Alle Philister freuen sich über Hindenburg; er ist der Gott aller derer, die sich ins Philistertum zurücksehnen und die schöne Zeit, wo man nur zu verdienen und zu verdauen brauchte, mit einem nach oben gerichteten Augenaufschlag“. Der bekennende Ästhet und Nietzscheaner der ersten Stunde (Kesseler gehörte zu den wenigen zugelassenen Besuchern des siechen Philosophen) fügt in Weimar anlässlich seines Besuchs bei der bornierten Schwester Elisabeth Förster Nietzsches, einer begeisterten Hiteranhängerin, hinzu: ‚“Der widerwertige Eindruck, den die Verbrüderung von Gartenlauben-Militarismus mit engstrignigen Genralstäblertum bei Frau Förster -Nietzsche heute nachtmittag machte, dauert fort.“ (Tagebuch, Weimar, 15.5. 1925, S. 337)

Auch dieser Gedanke weist Analogien zum wieder erweckten Militarismus auf, wo verantwortungslose Generäle und Minister andere den Kopf hinhalten lassen für eigene Waffen-Allmachtsphantasien, um mit Panzern Frieden zu schaffen. Ebenso tragisch die Verkennung der wahren Gedanken des Künstlers und seine absurd, groteske und perverse Zurschaustellung bzw. Inanspruchnahme für niedere Zwecke. Die Regierung sagt heute, was die Menschen von gestern hören wollten, doch sie begeht Verbrechen und vergeht sich an den Menschen von morgen. Grundproblem, so Kessler, ist die unheilige Verschmelung von politischen und sexuellen Motiven; der Krieg dient als martialische Entladung einer Ersatzhandlung.

Foto Belinda Helmert: NähmaschinenKunst im eigenen Liebenauer Garten – aus alt mach neu. die Singer Maschine wurde von deutschen Auswandern 1851 erfunden. Mit ihrem Aufstieg ist der Export zahlreicher wissenschaftlicher Glanzleistungen verbunden, die aus politischen Gründen in die USA flüchteten. Zugleich steht das Brüderpaar Singer exemplarisch für jüdische Diskriminierung, welche den Exodus (Alia) auslöste. Amerikas Vormachtstellung basiert auch auf semitische Wurzeln. Fremdenhass, Xenophobie hat schon immer nur Nachteile für das eigene Volk gebracht. Aus dem Kriegsfanatiker Kessler wurde ein Pazifist.

Obgleich nicht verschwiegen werden kann, wie entschieden sich Kessler im Ersten Weltkrieg für die Sache der Nation, für das Deutsche allgemein einsetzte, so stand er der Entwicklung zum Zweiten Weltkrieg schon sehr frühzeitig entschieden entgegen. Er durchschaute die wahren Interessen der NSDAP klug, frühzeitig und scharfsinnig. Repräsentativ dafür sein Eintrag aus Berlin anlässlich der im Mai 32 erfolgten Demissionierung Brünings, die er richtig als Hindenburgs Kniefall vor der neuen Macht durchschaut und der Regierungserklärung seiner Marionette Papens:

Ein kaum glaubliches Dokument, ein miserbabe stilisierter Extrakt finsterster REaktion, gegen das die Erklärungen der kaiserlichen Regierungen wie hellste Aufklärung wirken würden. Die Sozialversicherung soll abgebaut… das deutsche Volk durch Rechristianisierung für den außenpolitischen Kampf gestählt … werden: alle anderen Parteien, Sozialdemokratie, liberales Büregertum und Zenttrum werden als nicht national und moralisch zersetzend angeprangert.“ (S. 519)

Geschichte wiederholt sich. Kessler indes gestattete sich den inneren Wandel, quasi die personifizierte Metamorphose. Gewöhnlich denkt man an einen Wendehals oder einen der Mode hinter- oder nachlaufenden Mitläufer. Kessler jedoch war, abgesehen von seiner Scheu, sich privat zu geben, immer bereit zu lernen und sich zu revidieren, wenn er irrte. Eben diese Fähigkeit soll offensichsichtlich in unserer Zeit, dem 21. Jahrhundert als das der KI , systematisch untergraben werden. Inkompetenz und moralische Verwerflichkeit haben Hochkonjunktur. Als ob einem Anstand und Haltung weggespritzt werden sollten.

Eine ausführliche Rezession zu Kesslers 9000 Seiten umfassende n Tagebüchern: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-50392

Foto Belinda Helmert: Arrangierter Protest: Wir waschen uns mit Spritzen in Unschuld. Corona-Lügen, Impfzwang gestern, Putin-Lügen und Kriegszwang heute. Kritik an Israel verboten, Palästina zum Abschuss freigegeben. Brave new world.

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