Wie Zeiten sich ändern

Von Eselkarre und Panthersprung

Foto Bernd Oei: Fès, typisches Verkehrsmittel in der autofreien Medina: der Esel samt Lastkarre

Thomas Edward Lawrence, besser bekannt als Lawrence von Arabien, lebte von 1888 – die Geburt fiel zeitlich mit der schrecklichen Mordserie von Jack the Ripper (ein ungelöster Mordfall) zusammen – bis 1935 – kurz vor seinem Tod erschien der Krimiklassiker „Mord im Orienexpress“ von Agathie Christie. Er erlebte damit das Ende des ruhmreichen viktorianischen Zeitalters, eine Epoche, die nahezu 64 Jahre währte und 1901 endete. Auf die Queen folgten zwei Männer aus dem Haus Sachsen Coburg und Gotha: Edward VII und George V, mit denen ein gewisser Abschwung einherging. Das umfasste u.a. die Zeit des irischen Widerstandes, der in der Gründung einer eigenen Republik mündete, das Wahlrecht der Frauen, die Weltwirtschaftskrise und den erfolgreichen Kampf der in Gewerkschaften organisierten Arbeiter, die nun einen Mindestlohn, gesetzlich verankertes Krankengeld und Urlaub erhielten. Nebenbei fand auch der Erste Welkrieg statt.

Foto Bernd Oei: Fès, Königsstadt in Marokko, dar Glaoui. Das palastähnliche Haus wird vom ehemaligen Hofmaler der marokkanischen Königs bewohnt und dient als Museum.(https://en.wikipedia.org/wiki/Dar_Glaoui). Seine Entstehung fällt in die Jahrhundertwende, dem Ende des viktorianischen Zeitalters und die des jungen T.E. Lauwrence, der Marokko nie, aber die arabische Welt betrat und sie zu seiner eigenen Behausung machte.

Um den deutschen Bündnispartner, das Osmanische Reich zu schwächen, wurden im weiten Wüstenland die arabischen Stämme mobilisiert, für oder auf Seiten der Engländer gegen die Türken zu kämpfen. Lawrence, illegitimer Spross einer leidenschaftlichen Affäre seines irischen Vaters und einer englischen Muztter, ehemals Hausdame, befand sich bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges naturgemäß in Kairo, denn er galt längst als Spezialist für den Orient. Obschon nur Leutnant und gemessen an Jahren eher jung, betraute man ihn aufgrund herausragender Fähigkeiten (Logistik, Sprach- und Geografiekenntnisse, sowie einen guten Draht zu Arabern im Allgemeinen) mit der heiklen Aufgabe, das Reich der Osmanen zurückzuerobern.

Foto Bernd Oei: Fès, Palast Glaoui, Detail: Fenster und geflieste Wand im typischen Blau der „blauen Stadt“. Der Palast liegt in der Medina, nahe dem Bab Boujeloud, dessen heutiges Staddtor mit dem „Panthersprung zu Agadir“ koinzidiert. Der Baubeginn des Glaoui fällt in die des Muhammed bin Abd al Raman, bekannt als König Mohammed IV, der in Fès geboren und von den Franzosen besiegt wurde, womit die Kolonialisierung begann.

Mittels Guerillakrieg, strategisch gezielten Überfällen auf die Versorgungslinien, u.a. Eisenbahn, sowie Führungsqualität im Umgang bei Streitigkeiten zwischen den verfeindeten arabischen Stämmen (die ihn zu Exekutionen zwangen) gelang Lawrence das schier Unmögliche. Zahlen- und waffentechnisch weit unterlegen nutzte er die Weite des Raumes und gewann das gesamte arabische Territorium zurück. Das osmanische Reich (3, 4 Mi km²) brach zwar nicht unmittelbar, aber indirekt nach den verheerenden Niederlagen im Ersten Weltkriegen auseinander. Vergleichbar sind die Gebietsverluste nur mit denen der k.u.k. Monarchie (676 000 km²).

In die britische Obhut fiel 1920 auch Palästina, auf dessen Boden 1948 offiziell Isreal gegründet wurde. obschon es märchenhaft klingt, lautete der Wortlaut bei der Gründung des Staates Israel wie folgt: „dass nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina […] beeinträchtigen würde“. Dieser Satz enbtstammt der Balfour Doktrin (https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag7046.html)

Unbestritten wusste Lawrence von den unlauteren Absichten der Briten, welche mit vollmundigen Versprechen auf Freiheit und Autonomie die arabischen Stämme in den entbehrungsreichen Feldzug gelockt hatten. Er wusste um seinen Verrat, der notwendig war, einer vermeintlich größeren Sache zu dienen. Die Briten erhielten in dem geheimen Abkommen das eine, tendenziell arabische Stück vom Kuchen, die Franzosen den anderen, eher afrikanischen Teil, u.a. den Maghreb. (https://de.wikipedia.org/wiki/Sykes-Picot-Abkommen). Immerhin setzte er seinen wichtigsten Verbündeten, Faisal, von dem diplomatischen Abkommen zulasten der Araber, in Kenntnis. Sein treuer Weggefährte aus dem Geschlecht der Haschimiten (Joradanien) wurde König von Irak, das allerdings unter britischer Weisungsbefugnis stand. Die Unabhängigkeit erreichte er, ohne sie zu erleben, 1932. (https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigreich_Irak).

Das Buch „Sieben Säulen der Weisheit“ (1922), nach der eine Felsengruppe im Wadi Rum., Jordanien, benannt ist, enthält mitunter philosophische Sätze. Der eindrücklichste aber ist politisch und ganz und gar fundamental: „Wir waren aufgewühlt von Ideen, die nicht auszudrücken und die nebulös waren, aber für die gekämpft werden sollte. Wir durchlebten viele Leben während dieser verwirrenden Feldzüge und haben uns selbst dabei nie geschont; doch als wir siegten und die neue Welt dämmerte, da kamen wieder die alten Männer und nahmen unseren Sieg.“

Fès hingegen bildete niemals Gegenstand seiner Erwägungen, zumal es längst den Franzosen „versprochen“ war, die es bereits teilweise in ihren Besitz gebracht hatten. (https://travel-see-xperience.com/2022/12/11/fes-das-kulturelle-und-religiose-herz-marokkos/)

Foto Bernd Oei: Fès, Palast Glaoui, Detail: Fenster zum obligatorischen Garten, der von außen nicht erkennbar ist. Zwölf Wohnungen mit insgesamt 24 pr#ächtig verzierten Türen, dazu Bad (Hammam), Küche und Speisezimmer, erwarten den Besucher. Neben den bemalten Holz aus Zeder wartet Stuck, meistens Marmor, auf die Gäste

Die Natur Arabia

Der geneigte Leser erfährt vieles Wissenswerte über die uns fremde Kultur des Orients. So bereits im ersten Kapitel: „Der Araber ist von Natur enthaltsam; und der allgemeine Brauch, früh zu heiraten, hatte in den Stämmen ungeregelte Gewohnheiten fast ganz ausgeschaltet.“ (https://www.projekt-gutenberg.org/lawrence/7saeule1/chap002.html) Lawrence begrub sein altes, britisches Ich und borgte sich eine neue: die arabische Seele. Er kleidete sich nicht nur oder sprach wie ein Araber, sondern er begann wie sie zu fühlen und zu denken. Er war sich sicher, dass die westliche Welt mehr von ihrem Wesen lernen könne als umgekehrt.

Aphorismen wie jener: „Die Kunst zu regieren erfordert mehr Charakter als Verstand“ bleiben von zeitloser Gültigkeit. Eine andere Weisheit sei im Original zitiert: “An opinion can be argued with; a conviction is best shot.“ Über eine Meinung lässt sich diskutieren, ein Beweis die beste Einstellung.“ Sein Leben lang war Lawrence Soldat, diente nach seiner spektaktulären Zeit im Orient unter falschen Namen der britischen Luftwaffe, um in seiner posthumen Veröffentlichung „The Mint“ ein flammendes Plädoyer für den Frieden abzulegen. Vor seinem tragisch wirkenden Motorradunfall litt er an Depressionen.

Foto Bernd Oei: Fès, dar Glaoui, Detail horizontale Stuckarbeit. Der Name des Palastes geht auf Thami El Mezouari El Glaoui zurück, einen anerkannten Führer der Berber. Dieser kämpfte sowohl gegen die Franzosen als auch Mohammed V um die Unabhängigkeit Marokkos. (https://de.wikipedia.org/wiki/Thami_El_Glaoui)

Foto Bernd Oei: Fès, Palast dar Glaoui, horizontaler Stuck. Dar bedeutet Haus. Die Metapher dar al Islam bezeichnet das islamische Herrschaftsgebiet.(https://de.wikipedia.org/wiki/D%C4%81r_al-Isl%C4%81m)

Eine Handvoll Staub

In die Zeit von Lawrence fallen die britischen Autoren Joseph Conrad, John Galsworthy, E. M. Forster, D. H. Lawrence, Ruyard Kipling, Virginia Woolf, Evelyn Waugh Aldous Huxley und George Orwell. Großzügig gerechnet fällt auch Henry James darunter, der die amerikanische gegen die britische Staatsangehörigkeit tauschte. Evelyn Waugh vermittelt in „A handful of dust“ (Eine Handvoll Staub) 1934 den Abgsang eines entmachteten und gelangweilten Landadels, dem nichts mehr bleibt außer Flucht und eine Odysee, die im Nirgendwo (genau genommen der britischen Kolonie Guinea) . Die tragisch endende Hauptfigur Tony Last ist in allem das Gegenteil von T.E. Lawrence, ausgenommen dem englischen Snobismus. Zynischerweise verbringt Tony Last, der wohl besser Tony Lost gehießen hätte, seine letzten Tage mit dem stets wiederholten Vorlesen zwei Bücher von Charles Dickens, dem Inbegriff der narrativen Erzählkunst innerhalb der Blützezeit des vikotrianischen Zeitalters, während seine untreue Frau, Anlass seiner Flucht, ihr Glück in den Armen eines ehemaligen besten Freundes findet.

Ironischerweise konvertierte Waugh zum Katholizismus und bekannte sich zu den alten, im Grunde retroperspektiven Werten. Wie viele hielt er aus Verzweiflung an der Gegenwart an einer notwendig zu überwindenden Verfangenheit fest, welche für die Misere seiner Generation verantwortlich zeichnete. Er liebte Dickens, why not, und machte in all seinen Werken Anspielungen auf ihn. Kulturpessimismus trotz Vorliebe zur englischen Größe, die, man darf es nicht verschweigen, auf den Rücken heutiger Entwicklungs- und Schwellenländer ausgetragen wurde, darunter Indien. Fast ein Drittel der Welt gehörte England, Amerika inklusive.

A Handful of Dust entlehnt T.S. Elliot eine Zeile aus The Waste Land, Das wüste Land, ein 433 Zeilen umfassendes Gedicht von T.S. Elliot aus dem Jahr 1922. Eliot war gleichfalls ein Amerikaner, der nach England übersiedelte und die hiesige Staatsbürgerschaft annahm. die entsprechende Zeile steht im ersten Buch Zeile 30 lautet: „I will show you fear in a handful of dust.“ (https://www.poetryfoundation.org/poems/47311/the-waste-land). Zur Überraschung vieler handelt es sich um Deutschland, den Starnberger See und deutsche Verse sind eingebettet Frisch weht der Wind Der Heimat zu Mein Irisch Kind, Wo weilest du?

Sowohl Elliot als auch Waugh erwähnen Hyazinthen, duftend Frühlingsblumen, die Ovid in seinen Metamorphosen nutzt, um den Mythos von dem schönen Sohn des Spartiatenkönigs zu erzählen. Seine Schönheit erweckte die Liebe von Apoll und den Neid von Zephyr, der ihn mit einer Diskusscheibe tötete. Die Wiederkehr in veränderter Form stand im Fokus seines Werkes; dies gilt auch für Eliot und mehr noch für Waugh, insbesondere seinen ersten Roman „Decline and Fall“, Verfall und Untergang. Dorcht kehrt ein zu Unrecht aus dem EliteInternat Oxford geworfener Student nach einer odyssee und Gefängnisaufenthalt als Lehrer in anderer Identität an die alte Wirkungsstätte zurück. Mit Lawrence verbanden Waugh Erfahrungen in Afrika.

Foto Bernd Oei: neu angelegter Park in Fès nahe der Stadtmauer entlang der Zitadell und Borj Sud (https://de.wikipedia.org/wiki/Borj_Sud)

Auf dem Weg nach Agadir

Im Islam, das keine Bilder, sondern ausschließlich Ornamente kennt, übernimmt die Zahl 40 diese Funktion.Die Farben weiß, schwarz, grün und rot widerspiegeln die arabischen Stämme. Die Flagge Marokkos zeigt seit 1915 mit seinem grünen Pentagramm das Sigel Salomos, der in der arabischen Welt Sulaiman heißt. Grün ist die Farbe des Islams und rot die des Scherifen von Mekka, der heiligen Stadt des Islams, nach der alle Gebete und Moscheen ausgerichtet werden. Der Scherif von Mekka, Ali ibn el Kharish, spielt auch eine Schlüsselrolle in der Erhebung der arabischen Stämme gegen die osmanischen Besatzer.(https://www.sterntours.de/jordanien-reisen/reisefuehrer/lawrence-von-arabien/)

Zwar hat das Musikstück und Video von Mike Batt Ride to Agadir nur bedingt mit Lawrence Feldzug zu tun, denn er betrat niemals den Boden des heutigen Marokkos (https://www.youtube.com/watch?v=b7_y-F8VtSo), doch seine Impressionen und Text widerspiegeln die Aufbruchsstimmung aus einer aussichtslosen Lage heraus. Churchill wählte Lawrence zu seinem Berater (https://www.deutschlandfunk.de/wer-war-lawrence-von-arabien-100.html). Pikanterweise kommt in dem Songtext von Mike Batt eine Zeile aus Waughs Roman „Eine Hand voll Staub“ vor, der ursrünglich „Eine Hand voll Asche“ lauten sollte: „für die Asche unsrer Väter, für die Kinder unserer Söhne.“ Und ebenso eine Sentenz aus Lawrence „Seven Pillars of Wisdom“: „Doch wir, die Wenigen, wir waren in der Überzahl“. Zufall, Magie oder einfach der Übersetzung geschuldet?

Foto Bernd Oei: Fès, Medina, vermutlich die älteste des Landes mit einer Steitenstraße: Im Atelier eines Künstlers, der ungewohnt Figuren malt.

Hintergrund des Songs von Mike Batt war der „Panthersprung nach Agadir“, die Weilhelminische Groß- und Weltmachtpolitik, welche auf die Einverleibung der Franzosen von Fès und Marrakesch mit militärischem Aufmarsch reagierte. In die Zeit des wirkenden Lawrence of Arabia fiel der Wettlauf um die wertvollen Ressourcen der Kolonien in Afrika, die mit dem Begriff Imperialismus umschrieben wird. Die zweite Marokkokrise, der die Parole „Westmarokko in deutscher Hand“ zeitigte, obschon nur Kriegsschiffe vor dem Hafen von Agadir lagen, widerspiegelt deutsche Diplomatie der damaligen Zeit. Eines der Kriegsschiffe trug den bezeichnenden Namen Panther. Während die nationale Presse „Endlich eine Tat“ jubilierte, nahm die SPD eine pazifistische und mahnende Rolle ein. Wie die Zeiten sich doch ändern.

Foto Bernd Oei: Fès, Medina. Der Künstler bei der Arbeit….

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