Unsere einzigen Freunde sind die Berge

Medina von Fès, Gerberviertel

Foto Bernd Oei: Fès, Medina, Gerber-Suk, Chouara. Die gesundheitsschädliche Verarbeitung von Tierhaut hat sich bis heute kaum geändert. Das Gerberviertel soll mit der Stadtgründung im neunten Jahrhundert identisch sein. (https://de.wikipedia.org/wiki/Chouara-Gerberei)

Das vergessene Volk

Man sagt jemanden das Fell über die Ohren ziehen. Die eigentliche Bedeutung bezieht sich auf die Arbeit des Kürschners, der dem Pelztier das Fell über die Ohren zieht. Später wurde dies dann im überttragenen Sinn zum geflügelten Wort für Betrug. Und betrogen wurde das Volk der Kurden in jedem Fall und gleich mehrere Male.

Über Jahrhunderte wurden Kurden systematisch verfolgt. Ein Reich Kurdistan (https://de.wikipedia.org/wiki/Kurdistan#/media/Datei:Umgriffe_Kurdistans.png)hat es zwar nie gegeben; die Gebiete liegen verstreut auf syrischem, türkischem, iranischem und irakischem Staatsgebiet. Zentrum bildete seit jeher die Region Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris. Viele der ca. 40 Millionen Kurden stammen aus Arbil, Kirkuk oder Dauk. Einige werden offiziell als Flüchtlinge anerkannt, andere nicht. Wieder andere haben sich in den Großstädten wie Istanbul weitgehend assimiliert und geben sich erst auf den zweiten Blick als Kurden zu erkennen. Dabei wurde die Sprache und Ausübung der Kultur in allen Staaten mal mehr mal weniger streng bis drastisch verfolgt.

Foto Bernd Oei: Fès, Suk in der Medina, nahe dem Gerberviertel Chouara.

Historisch lag das kurdische Gebiet im osmanischen Reich. Nach dem ersten Weltkrieg, mit dem es zusammenbrach, sollte die Ethnie ein eigenständiges Gebiet erhalten. Es kam anders. (https://www.youtube.com/watch?v=-FyFCXCuGoc). Die Größe des Gebiets ist mit Deutschland vergleichbar. Damit bilden sie das numerisch größte Volk der Welt ohne eigenen Staat.

Die Flagge der Kurden und des legendären, teilweise tabuisierten Kurdistan ähnelt der iranischen (grüner Längsstreifen oben, weiß in der Mitte, rot unten), nur invers (rot oben, weiß mittig, grün unten) mit einer goldenen Sonne als Emblem. Der Ursprung ist sehr alt, dennoch ethnisch ungeklärt und mit Nomadenstämmen verbunden. Entscheidend wirkte sich der sunnitische Zweig des Islams auf das Volk aus: etwa 80 Prozent zählen zu ihnen.

Verschiedene Mächte gewährten ihnen Autonomie, mitunter um sie als Verbündete zu gewinnen, etwa gegen die christlichen Kreuzzüge auf Jerusalem. Man nutzte die mit Streitigkeit verbundene Diversität unterhalb der etwa fünfhundert Stämme, um ein eigenes Staatsgebiet zu verhindern. Die Folge waren Diskriminierung bis zur Zwangsevakuation.

Foto Bernd Oei: Über den Dächern von Chouara. Blick auf das Gerberviertel im Herzen der Medina von Fès, eine der ältesten und größten der Welt, was sie zum Weltkulturerbe macht. (https://www.skr.de/marokko-reisen/sehenswuerdigkeiten/fes/?gad_source=5&gclid=EAIaIQobChMIobW40cqCgwMVO4VoCR1EbgicEAAYASAAEgLkfPD_BwE)

Der europäische Verrat

Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Kurden aufgrund ihrer geleisteten militärischen Hilfe gegen die deutschen und türkischen Kriegsfeinde zunächst von den Siegermächten unterstützt. Durch die Modernisierung der neu entstandenen Türkei unter Kemal Atatürk wandten sich diese aber dem vermeintlich verlässlicheren Bündnispartner zu und widerriefen ihre Versprechungen.

Kein eigener Staat inkludiert Repressalien, der in einem Giftgaskrieg Sadam Husseins kulminierte. Die in den Siebziger Jahren gegründete PKK gilt zurecht als Terrororganisation, doch sollten die Missstände, die zu ihrer Führung führen, nicht unter den „Teppich gekehrt“ werden.

Drei verschiedene Sprachen – Kurmandschi im Norden, Sorani in der Mitte, Südkurdisch mit dem dominierenden Ilam – existieren unter den Kurden, nebst politischen und kulturellen Unterschieden. Man erinnert sich vielleicht: auch der deutsche Traum einer eigenen Nation scheiterte mehrfach an der sprachlichen, religiösen und kulturellen Identitätsfrage, da zwischen Nord und Süd, Ost und West ein beträchtliches Gefälle herrschte, das bereits in der Antike eine dauerhafte Einigung germanischer Stämme vereitelt hatte.

Eigenständigkeit ist Staaten generell ein Dorn im Auge. Dazu kommen Rohstoffe oder Ressourcen wie Wasser. Er ist der Grund dafür, weshalb Westmächte keine Instabilität, die mit einer Staatsgründung verbunden wäre, riskieren wollen.

Foto Bernd Oei: Marrakesch, Medina, Palast Bahia aus der Zeit der Alawiden-Dynastie Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts. (https://riads-marrakesch.de/bahia-palast/) Im Jahr, als die Türken vor den Toren Wiens standen, etablierten sich diese arabische Dynastie. Sie haben weder etwas mit den kurdischen Aleviten in der Türkei noch den syrischen Alawiten gemein. Die Franzosen beendeten die Herrschaft der Alawiden, der Palast mit seinen 8000 m² und seinen 160 Räumen galt als größter seiner Zeit in Marokko.

Die dem Tod ins Auge sehen

Die Peschmerga (überetzt die dem Tod ins Auge sehenden) hatte gegen die radikalen Islamisten (IS) Gebiete zurückerobert. Die Kurden wollten diese Regionen nicht mehr zurückgeben. Die Folge war ein militärischer Feldzug des Irak, der Anfang des zweiten Millenniums zu einer Migrationswelle, v. a. nach Deutschland führte. Etwa eine Million leben jetzt in der Republik, zum Teil in einer Parallelgesellschaft. (https://pdki-de.org/17-dezember-der-tag-der-erinnerung-an-peschmarga/)

Türkische Angriffe auf kurdische Gebiete innerhalb ihrer Staatsgrenzen sind umstritten. Einerseits gibt es ein Recht auf Verteidigung der Souveränität, andererseits werden Konflikte zum Anlass für ethische Säuberungen genommen, die gegen geltende Menschenrechte verstoßen.

Das Verständnis zwischen Türken und Kurden war bis zum ersten Weltkrieg und danach relativ entspannt. Die meisten Kurden kamen unfreiwillig unter Obhut der neu gegründeten Türkei. Anders als im Irak erging es ihnen dort sehr schlecht; sie wurden zwangsassimiliert. Bis in die Neunziger Jahren besaßen sie weder ein Recht auf Sprache noch auf ihre traditionellen Kleidungsstücke und erst recht keine parlamentarische Vertretung oder Medienpräsenz. Daher fühlt sich diese Ethnie mit Recht als Menschen zweiter Klasse.

Foto Bernd Oei: Bahia Palast in Marrakesch, historisches Staatsmerkmal und Museum. Seit dem Ende der Kolonialzeit befindet sich der Bahia-Palast im Besitz des Königs. (https://www.marrakesch.com/sehenswurdigkeiten/bahia-palast/)

Blutige Aufstände und Attentate sorgten für weltweite Ächtung, die es der türkischen Regierung erlaubte, hart gegen die unerwünschte Opposition vorzugehen. Im Zuge der Aufnahme der Türkei in die EU kamen sich beide Seiten näher. Der Krieg in Syrien und die Radikalisierung des Islams verhinderte eine Aussöhnung oder gar friedliche Lösung. Die Türkei warf, möglicherweise auch gerechtfertigt, den Kurden vor, den Staat gezielt zu destabilisieren. Es wäre Unrecht, die eine Gewalt durch die andere zu legitimieren. Noch größeres Unrecht ist aber, die Situation so zu belassen, wie sie augenblicklich ist.

Foto Bernd Oei: Bahia-Palast, Marrakesch, Detail: Zzedernholz – getäfelte Decke des Schlafgemachts des Großwesirs Bou Ahmed, das kurz vor seinem Tod vor 1900 fertiggestellt wurde. Das ursprüngliche Inventar wurde nach Entmachtung der Alawiden geplündert.

Die Tragödie von Mannheim

Die Konflikte sind, wie auch zwischen Ukrainern und Russen oder Semiten und Arabern, nicht lokal begrenzt. U.a. kam es in Mannheim September 2012 zu einer Eskalation der Gewalt auf einer Demonstration. (https://www.welt.de/politik/deutschland/article109110732/Kurdische-Gewaltorgie-erwischt-Polizei-eiskalt.html). Die Autorin der Welt spricht von 80 verletzten Polizisten durch „politisch gezielt angestachelte jugendliche Randalierer“. Mir rund 40 000 angereisten Kurden aus verschiedensten Regionen war es die bis dato größte Versammlung, die einen kurdischen Staat forderte.

Die genannten Zahlen variieren in den Medien. So spricht der Spiegel von der doppelten Zahl gegenüber dem Bericht in der Welt. Zudem verweist er auf Provokationen vor der Kundgebung und türkische Gegendemonstranten. (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kurdisches-kulturfest-randale-in-mannheim-80-polizisten-verletzt-a-854753.html)

„Es gab zwei Wellen der Gewalt und über Stunden eine Art Belagerungszustand.“ So die Worte des Autors in der Mannheimer Rhein Neckar Zeitung. (https://rheinneckarblog.de/08/schwere-ausschreitungen-beim-20-kurdenfestival-in-mannheim/15818.html) Abgesehen von der seltsamen Formulierung „eine Art von“ fehlen die Hintergründe. Es wird nur aufgelistet, welcher Schaden entstand und suggeriert, dass Deutschland keine ausgelagerten Konflikte dulden darf. Einzig die Zeit kolportiert den Anlass des Tumults, der offensichtlich lange unterdrückte Emotionen freisetzte: das Verbot bzw. der Übergriff auf einen Teenager, der mit der Fahne Kurdistans das kurdische Kulturfestival betreten wollte. „Die vom Veranstalter beauftragte Sicherheitsfirma alarmierte die Behörde, als es zu einem Streit um einen 14-Jährigen kam, dem wegen einer verbotenen Fahne der Zutritt zum Gelände verboten worden war.“ (https://www.zeit.de/gesellschaft/2012-09/kurden-deomnstration-verletzte)

Foto Bernd Oei: Alawiden-Architektur im Palast Bahia, Marrakesch, in ausgeklügelt konzipiertes Labyrinth aus kunstvoll verzierten Räumen, kleinen Innenhöfen, wunderschönen Gärten und Wasserspielen. (https://www.marokkoinformationen.eu/uebersicht/stadt-marrakech/palais-bahia/palais-bahia.htm).

Derzeit unterrichtet der Autor in Eystrum Jesiden aus dem nordirakischen Gebiet geflüchteter Kurden um Mossul. Möglicherweise wurde ihnen ihre Liebe zum Pfau zum Verhängnis, denn auch aufgrund ihrer Verehrung von Melek Taus, dem Engel-Pfau, wurden sie dort verfolgt. (https://www.sonntagsblatt.de/artikel/kirche/wer-sind-die-jesiden-daten-und-fakten-zur-religionsgemeinschaft). Der blaue Pfau nimmt eine vergleichbare Stellung als Symbol für das Paradies ein wie die blaue Blume in Novalis´Dichtung.

Der letzte große Aufstand der Kurden mit dem Ziel eines eigenen Staates ereignete sich im Irakt 1991. Eine Lobby oder wenigstens eine gewichtige Stimme besitzen die Kurden bis heute nicht. Dies verwundert, da Kurden überwiegend prosemitisch gesinnt sind (https://www.juedisches-europa.net/archiv-seite-4-1/3-2014/kurden-unsere-freunde-und-verb%C3%Bcndete/).

„Gegenwärtig ist der Irak ein politisch geschwächter Staat den die Konfrontation zwischen Schiiten und Sunniten zerreißt.“

Dies führt zurück zum Titel: „Wir haben keine Freunde außer den Bergen“ (kurdisches Sprichwort).

historische Aufnahme eines Wasserrads , dem Noria. Das vermutlich älteste befindet sich in Hama, Nordsyrien mit einem Durchmesser von 27 m. Hama liegt zwischen Aleppo und Damaskus und zählt heute über eine halbe Million Bewohner. Jeder fünfte in Syrien lebende Mensch ist kurdischer Abstammung; die meisten von ihnen leben in Aleppo und Damaskus.

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