Scharfrichter Wedekind

Foto Belinda Helmert: Kopf mit 12 Augen von Horst Antes (1991), Georgsplatz Hannover. Von Wedekind sind große Hände und ein überdimensionierter breiter, kahlgeschorener Kopf überliefert.

Flegeljahre – ein deutscher Strindberg

Frank Wedekind wird am 24. Juli 1864 in Hannover am Friedrichswall nahe dem neuen Rathaus (1901 erbaut) geboren. Bis 1872 verbingt Wedekind seine Kindheit in Hannover an der Leine, danach emigriert seine Familie in die Schweiz, zunächst in den Kanton Aargau, später schloss der schwierige Schüler Wedekind in Lausanne mit der Matura ab. Der Vater heiratet eine um 30 Jahre Jüngere und stritt sich in Strindberg-Manier mit ihr. Der Sohn überwirft sich mit ihm, doch am Ende endet er in derselben Ehehölle enden wie er und heiratet gleichfalls eine Frau, die seine Tochter hätte sein können. Tilly Newes , eine Schauspielerin aus Graz (https://www.oberstdorf-lexikon.de/persoenlichkeiten/literaten/wedekind-tilly.html) Protagonistin seiner Stücke.

Entscheidend: Wedekind, der Strindberg verehrte und eine intensive Beziehung zu dessen Frau Frida Uhl unterhielt (https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/land-und-leute/frida-uhl-august-strindberg100.html) – die Angst vor der weiblichen Stärke und ihre daraus resultierende Eifersucht sollte beide Dramatiker verbinden. Die Bekanntschaft beginnt in Paris, wohin beide Exzentriker und „Staatsfeinde“ fliehen. Beide lehnen sich gegen die konservative Staatsmacht und verlogene bürgerliche Doppelmoral auf. Beide verbindet eine Hassliebe zu den Frauen, die sie in revolurionärer Kunst verdichten.

Ab seitem25. Lebensjahr avanciert München zum hauptsächlicher Wohnsitz des „enfant terrible“ (Skandalautors), der ausschließlich in seinen Stücken spielt, mit roten Haaren und dominanten Gebärden auftritt. Er gründet die satirische Zeitschrift Simpilcissimus. Er wird auch führendes Mitglied im ersten politischen Kabarett des Kaiserreiches „Die 11 Scharfrichter“. Auch hier überlappt die Idee mit Strindberg, vor kleinem Publikum auf Pomp zu verzichten und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zwei Bewunderer sind hier genannt: Heinrich Mann und Berthold Brecht.

1890–1891 entsteht Wedekinds wohl berühmtestes Stück „Frühlings Erwachen“. Es ist eine satirische Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich zur Zeit des Wilhelminismus. Auf Satire setzt Wedekind auch in Zukunft seinen Hauptfokus. In München gründet er 1896 das Satiremagazin „Simplicissimus“. Weil sein satirisches Gedicht über Kaiser Wilhelm II als Majestätsbeleidigung gilt, muss er sich 1898 nach Paris absetzen, da ein grober Verstoß gegen das Gesetz vorliegt .(https://lektuerehilfe.de/frank-wedekind)

Foto Belinda Helmert: Hannover, Neues Theater am Georgsplatz, östliche Stadtmitte, Galerie. Hier spielt man u.a. Heizn Erhard (https://www.neuestheater-hannover.de/special/heinz-erhardt-heute-wieder-ein-schelm/), ein Boulevard- und Unterhaltungstheater. Erhard ging von 1919-24 in Hannover zur Schule.

Foto Belinda Helmert; Neues Theater, Innenhof. Es ist das älteste Privattheater der Stad und im Geist der Sechziger gegründet worden. (https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/B%C3%BChnen,-Musik,-Literatur/B%C3%BChnen/Spielst%C3%A4tten-in-und-um-Hannover/Neues-Theater)

»Mich schuf aus gröberm Stoffe die Natur“

So beginnt der an „Faust 1“ angelegte Prolog in „Erdgeist“. Zweiter Satz: „Und zu der Erde zieht mich die Begierde.“ (Goethe: Das ewig Weibliche zieht mich hinab“). In meinem Buch „Die Stunde des Fleisches“ über Emile Zola komme ich auf Wedekind zu sprechen, da seine „Lulu“ mit Zolas „Nana“ mehr als nur Analogien aufweist, andererseits Wedekind den Schritt vom Naturalismus in den Expressionismus antizipiert, sogar vollzieht. Der BR Podcast „Kalenderblatt“ beginnt mit der Frage: Was macht eine Frau aus? Sind Frauen Huren, wenn sie die partriarchalische Struktur durchbrechen? (https://www.br.de/mediathek/podcast/das-kalenderblatt/25-02-1898-urauffuehrung-von-frank-wedekinds-erdgeist-1/1849915) In „Erdgeist“ (1898 Uraufführung Leipzig) spielt nicht nur den Conferencier Wedekind den Tier-Dompteur.

Wedekinds Stück thematisiert keineswegs die Emanzipation der Frau, sondern den gesellschaftlichen Aufstieg des Proleten in Gestalt der gossenhaften Lulu, einer promiskuitiven Kindfrau, die die Männerwelt in ihren Bann zieht und zerstört. Bereits der Prolog erscheint als programmatisches Manifest des Stücks und erinnert an den die in »Nana« angedeutete Ästhetik des Bösen. Lulu zeigt sich frei von Tugend und Scham: »Mich schuf aus gröberem Stoffe die Natur, /Und zu der Erde zieht mich die Begierde / Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht / Dem guten«. (Erdgeist, 2. Fassung von 1903, Prolog)

In Wedekinds Drama dominiert die sozialdarwinistische Lehre Spencers von der Evolution durch den Stärkeren. Der Kampf zwischen den Menschen wird zudem auf archaische Grundtriebe zurückgeführt. »Hier kämpfen Tier und Mensch im engen Gitter ,/ Wo jener höhnend seine Peitsche schwingt / Und dieses, mit Gebrüll wie Ungewitter ,/ Dem Menschen mörderisch an die Kehle springt;/Wo bald der Kluge, bald der Starke siegt ,/ Bald Mensch, bald Tier geduckt am Estrich liegt.« (1. Akt, 1. Szene). https://www.projekt-gutenberg.org/wedekind/erdgeist/erdgst11.html

Wie der charisamatische Wedekind – bezeichnenderweise als peitschenspringender Tierbändiger- im „Krieg der Geschlechter“ auftrat, thematisiert der Podcast des WDR, der auf die Erinnerungen von anatole Renier, Enkel und Autobiograf über seinen Großvater Wedekind, oft zur Sprache kommen lässt. (https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-frank-wedekind-dramatiker-geburtstag–100.html). Dieser hat auch Lieder des Satirikers vertont.

Foto Belinda Helmert: Hannovers Oper am Opernplatz, gegenüber dem Varietétheater GOP und dem Neuen Theater am Georgsplatz

Sexuelle Gewalt

Nicht nur Lulu bzw. Erdgeist und Pandora stilisieren die obsessive Leidenschaft bis hin zu sadomasochistischen Abgründen der menschlichen Leidenschaft. In „Der Gefangene“ verdeutlicht Wedekind, wie er sich selbst sah, als Opfer seiner Triebe. (https://www.evangelisch.de/audios/225826/17-01-2024/ohrenweide-podcast-der-gefangene-von-frank-wedekind). Pikanterweise ist dieser radikale Individualismus, das Ausleben sexueller Freiheit, ein gesellschaftliches und damit kollektives Problem, das zahlreiche andere wie Triebumlenkung auf Gewalt, in sich birgt. Das die Gesellschaft zu Wedekinds Zeit noch nicht so weit war wie er, spricht für ihn und die Avantgarde. Es ist das Schicksal von Künstlern, verkrustete Strukturen mittels satirischer Mittel aufzubrechen, notfalls um den Preis eigener Gesundheit und Erfolg (verstanden als behagliche Zufriedenheit des Bürgers).

„Frühlingserwachen“ wird erst 1906 und damit 15 Jahre nach seiner Niederschrift in Berlin uraufgeführt und dies wiederum mit geringem Erfolg. Bereits der Untertitel „Eine Kindertragödie“ sagt einiges über das Stück und seinen Autor aus. So lautet der erste Satz des vierzehnjährigen, mehr vergewaltigten als verführten und völlig undaufgeklärten Mädchens Wendla: „Warum hast du mir das Kleid so lang gemacht, Mutter?“ (https://www.projekt-gutenberg.org/wedekind/erwachen/chap01.html)

Das Paradoxe bildet Gegenstand der audible-Hörfassung von „Frühlings Erwachen“ mit einer Stellungnahme von T. Mann und Tilly Wedekind, die von Überblendungen handeln. Existentialismus: Schauspieler aus Not. Nietzsche sagt, der moderne Mensch müsse Schauspieler sein und damit auch gelebter Widerspruch. (https://www.audible.de/pd/Fruehlings-Erwachen-Hoerbuch/B004WK25WA). Das Polemische dient als Mittel zur Offenbarung.

Obszönität und Promiskutitivtät triumphieren in ihrem Untergang. Der gesellschaftskritischen Dreiakter thematisiert die Geschichte mehrerer pubertierender Jugendlicher, die mit den Problemen psychischer Instabilität und der gesellschaftlichen Inakzeptanz ihrer sexuellen Neugier konfrontiert sind. Kritisiert wird  die im verklemmte bürgerliche Moral , insbesondere des Willhelminismus und die Folgens der Tabuisierung des Lustriebs. Jungen Geschöpfe zerbrechen wie zertretene Frühlingsblumen. Wedekind nutzt die Allgegorien , verbindet sie mit grotesk überzogenen Charakteren, die dem Werk humoristische Züge verleihen.

Schon das Ende erscheint symbolisch: Moritz bleibt alleine am Friedhof zurück. Sein Freund Melchior hat sich erschossen, aus Versagensängsten (er fiel durch das Examen) und weil er seine Sexualität unterdrücken musste. Wendla, von Moritz geschwängert, ist an den Folgen der von ihren Eltern erzwungenen Abtreibung gestorben. Der liberal-satanische Moritz scheint in seiner Welt zwar überleben, aber nicht glücklich werden zu können. „Mir bleibt die Verzweiflung.“ (3. Akt 7. Szene)

Die (Lebens)Lüge steht über allem, man nimmt sie sogar mit ins Grab; so steht auf dem Grabstein Wendlas, die nur vierzehn Jahre alt geworden ist, steht die Lüge »gestorben an der Bleichsucht« .

Die Eltern und Lehrer erweisen sich als verlogen; sie leben ihren Kindern nichts vor, sondern lösen schwere Konflikte in ihnen aus. Durch die Tabuisierung und Kriminalisierung der Sexualität kommt es zu grotesken Missverständnissen und Misshandlungen, z.B. der Gleichsetzung von Gewalt und Eros. Moritz sagt zu Melchior: „Wir können alles. Gib mir die Hand! Wir können die Jugend bedauern, wie sie ihre Bangigkeit für Idealismus hält, und das Alter, wie ihm vor stoischer Überlegenheit das Herz brechen will.“ (3. Akt, 7. Szene)

Moritz trägt indirekt Schuld an dem Tod seiner Mitschüler. Weder hat er der unwissenden Wendla beigestanden noch sie aufgeklärt von den Folgen seines Tuns. Er hat dem ahnungslosen Melchior einen Aufsatz „Über den Beischlaf“ geschrieben, für den dieser von der Schule verbannt wird. Wedekind zeigt aber, dass auch Moritz nur ein Opfer seiner Halbbildung und liberalen Erziehung der Mutter ist. Er klagt die Moral der Eltern an: sie mordet die Kinder. Die Richter sind die Verbrecher. Dies könnte einem Zitat Nietzsches entsprechen : “ Umwertung aller Werte”.

Tod und Leben treten in allegorischer Form auf: der Tod, als Spiegelbild von Moritz mit dem Kopf unter dem Arm; das Leben als vermummter Herr am Grabe. Die Namen der Lehrer und die Thematisierung ihrer Unmenschlichkeit mittels Metaphern sind auffällig. Knochenbruch, Sonnenstich, Knüppeldick, Zungenschlag, Fliegentod, um nur einige zu nennen. sie erziehen die Jugend nicht, sondern unterdrücken sie und dies mit sadistischer Befriedigung.

Vordergründig geht es um pubertäres Erwachen der Sexualität, das an der puritanischen Heuchelei und moralischem Rigidimus scheitern muss. Der Suizid erscheint nicht nur als Ausweg aus individueller Verlassenheit und Trostlosigkeit, sondern als Abgesang auf ein stiefmütterlich behandeltes Leben. Die Dirne wird daher zur einzig ehrbaren, weil echten und aufrichtigen Person. Moralische Konvention erweist sich als lebensverneinende Dsturktivität.

Wedekind geizt nicht mit Persiflagen, so spielt er bereits im Titel an Heinrich Heines Gedicht „Die Heimkehr“ aus dem Buch der Lieder an: „Herz, mein Herz, sei nicht beklommen, / und ertrage dein Geschick / Neuer Frühling gibt zurück / Was der Winter dir genommen.“ (https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/BdL/Heimk-46.html)

Ein pikantes Detail am Rande bildet der Umstand, dass Wendla geschlagen werden will, weil sie Lust in der Erniedrigung findet. Melchior, der dies zunächst nicht will, findet darin solche Befriedigung, dass er vorübergehnd die Kontrolle über seine ausgeübte physische Gewalt verliert. Die sich verselbständigende Erotomanie bleibt daher mit obsessiver Kraftentladung verbunden. So verweist das Ende des ersten Aktes bereits auf den Ausgang des Stücks.

Foto Bernd Oei: Leine-Promenade

Foto Bernd Oei: Marstall-Stadttor (ehem. Brühltor) an der Leine, Eingang Ballhof. Das 1714 entstandene Tor führte einst zum Reithof und trägt das Wappen des welfischen Königs und Kürfürsten Braunschwig-Lüneburgs, eng verwandt mit dem englischen Königshaus. Wedekind hieß Benjamin Franklin, weil sein Vater, durchaus anti-monarchistisch gesinnt, in Amerika gewesen war und den Namen mit Demokratie verband.

Tantenmörder

Wedekind sang und begleitete sich selbst an der Gitarre in oft schaurigen Balladen. Eine davon, die viel über erwachende Mordlustz und Nähe zur Sexualität ausdrückt, ist „Der Tantenmörder.“ In der Version von Juliane Fechner klingt das so: https://www.literaturbude.de/der-tantenmoerder-frank-wedekind/

Das Mauritat, das auf einen Gerichtsfall basiert, hängt eng mit „Die 11 Scharfrichter“ zusammen. Auch das Sozialdarwinistische kommt darin zu tragen, ebenso wie die Absurdität einer Gesellschaft, die in Trivialität versunken, sich als erhaben dünkt. (https://www.swr.de/swr2/literatur/frank-wedekind-der-tantenmoerder-100.html). Der Spott bringt ihr zur Werbung, die Lyrik und die Ballade wird zur Waffe gegen das Spießbürgertum. Wieviel die eigene Anti-Moral Attitüde und wie viel wahrhaftige Überzeugung ist, bleibt in der Schwebe. Der Podcast des SWR integriert auch die Version eines der frühesten Gedichte durch die Tochter Pamela Wedekind.

Dass „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ , welches mit dem Tod Lulus durch den Frauenmörder von Soho Jack the Ripper endet, noch so häufig gespielt werden, liegt auf der Hand: die Faszination an der entfesselten Sexualität, dem ewigen Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau und der Lust, die sich selber will und nicht nach Verstand oder Vernunft fragt. Was früher an der Zensur „kleben“ blieb – Wedekind reagiert ,mit „Die Zensur“ (1907) einem eigenen Stück darauf – ist heute ein anerkanntes Prinzip: Provokation als Stilmittel, um den Kulturbetrieb als solches in Frage zu stellen. Kunst und Kommerz sind längst eine unheilvolle Allianz eingegangen, geradezu zweckggebunden. So kann eine wahrhaftige Kritik an der Politik nur misslingen.

Passend zur leiblichen wie seelisch-geistigen Hinrichtung erscheint Wedekinds Bonmot: »Der Mensch wird abgerichtet oder er wird hingerichtet.« (Die Büchse der Pandora, 3. Akt, 6. Szene). Die von Nietzsche negativ als Dressur des Geistes bezeichnete Sozialisierung des Bürgers, die Wahrhaftigkeit und Anstand häufig konterkariert, entfaltet sich schonungslos in »Erdgeist« und »Die Büchse der Pandora«. Wedekind fordert eine Rückkehr zu dem dionysischen Kern des Menschen, der mit ungehemmter Kraft seiner Libido nachgeht und nicht rücksichtslos dem Narzissmus frönt, indem er sexuelle Lust stigmatisiert.

Lulu sagt etwas Entscheidendes, was die Prostitution (von Baudelaire als die ehrlichste Arbeit lyrisch eingeführt) adelt: »Ich habe nie in der Welt etwas anderes scheinen wollen, als wofür man mich genommen hat, und man hat mich nie in der Welt für etwas anderes genommen, als was ich bin.« (3. Akt, 8. Szene) http://www.zeno.org/Literatur/M/Wedekind,+Frank/Dramen/Die+B%C3%BCchse+der+Pandora/3.+Akt. An anderer Stelle heißt es aus ihrem Munde: „Das glänzenste Geschäft in dieser Welt ist die Moral“.

Foto Bernd Oei: Hannover, Altes Rathaus am Marktplatz, Stufengiebel Seitenansicht. Das Rathaus blickt auf eine mittelalterliche Gründungszeit im frühen 15. Jahrhundert zurück. In diesem neogotischen Zustand fand es Wedekind Ende des 19. Jahrhunderts vor, da es vom Spezialisten für Neugotik, dem Architekten C.W. Hase, der in Hannover die zweite Hälfte seines Lebns verbrachte, so zurückgesetzt wurde. https://de.wikipedia.org/wiki/Altes_Rathaus_(Hannover)

Foto Bernd Oei: Altes Rathaus Am Marktplatz, Frontseite

Foto Bernd Oei: Brunnen vor dem Alten Rathaus

Ein Zensor ist ein Beamter, der Dinge empfiehlt, indem er sie verbietet.

Tod und Teufel kommen u.a. in Wedekinds gleichnamigen Drei-Szenen-Stück (1905) in Anlehnung an Strindbergs „Totentanz“ vor. Man kann den Autoren und seine Stücke allesamt allegorisch lesen und auch vom tragisch anmutenden, aber immer vorhersehbaren Ende her. Das Todesmotiv ist schließlich omnipräsent, nicht nur in „Frühlingserwachen“ oder „Erdgeist“, in dem auch direkt gemordet wird. Prostitution macht den Geist des Fleisches sichtbar.

Der erste, von einetr Frau wiederholte Satz – mal als Frage, mal als Schrei artikuliert – im Stück lautet „Wie lange will man mich hier noch warten lassen!“ (https://www.projekt-gutenberg.org/wedekind/todteufl/todteuf1.html. Das Ende: der scheinbar schändliche Verführer und Frauenschänder erschießt sich selbst und seufzt: „Der Sinnengenuß – Menschenquälerei – Menschenschinderei – – – – endlich – endlich – Erlösung!

Die Uraufführung erfolgte im „Intimen Theater“ in Nürnberg 1906. Noch bei seinem eigenen Beerdigung erregte Wedekind Aufsehen und Tumulte. (https://www.ardaudiothek.de/episode/das-kalenderblatt/tumult-bei-frank-wedekinds-beerdigung/bayern-2/78822046/)

Wenn einem, wie in Wedekinds Fall, alles verboten wird und Steine in den Weg gelegt werden, so kann man entweder aufgeben oder die negative Energie, die Zurücksetzung und Nichtbeachtung als Motivation in Wut umwandeln und den Widerstand gegen das Establishment zum Äußersten treiben. Letzteres hat Wedekind getan.

Foto Bernd Oei: Hannovers Marktkirche, Eingangsportal, Relief, Detail

Foto Bernd Oei: Marktkirche, Turm mit Eingangsportal. Die lutherische ist zugleich die älteste der heute noch existierenden Kirchen in Hannover und ein Wahrzeichen der Landeshauptstadt. Der 97 m hohe Turm in Südlage Richtung Leine überlebte den zweiten Weltkrieg. Nicht so das 61 m lange Seitenschiff.

Foto Bernd Oei: Marktkirche, Seitenansicht https://www.deutschlandfunk.de/das-leben-des-grossvaters-100.html

Neben den Gebrüdern Mann war Jakob Wassermann von großem Wert für Wedekind. (https://www.literaturportal-bayern.de/autorenlexikon?task=lpbauthor.default&pnd=118629867). Der jüngere Bruder schrieb einen bemerkenswerten Essay, hauptsächlich über das heute stiefmütterlich behandelte, für Wedekind selbst aber als Schlüsseldrama geltende „Der Marquis von Keith“ (1901). Der am Vorabend des Ersten Weltkrieges verfasste Essay zählt zu dem Besten, was über den polarisierenden „Bohème“ geschrieben wurde. Er spricht darinb vom „Einbruch des Ungeheueren“. https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiotexte/thomas-mann-frank-wedekind-tondokument-100.html

Der ältere Mann blickt in „Ein Zeitalter wird besichtigt“ auf den bewunderten Weggenossen zurück, leicht verklärt und vor allem politisch motiviert. Wedekind bezeichnet er als reale Vorlage für die Figur des Terra in seinem heute in Vergessenheit geratenem Roman „Der Kopf“ (Teil einer Trilogie, 1925): „Terra habe ich so sehr an Wedekind angenähert, daß er seine Sprache und Sätze aus seinen Stücken spricht.“ Er ist es auch, der das Groteske im dichterischen Schaffen Wedekinds aktzentuiert. Folgerichtig liese sich Wedekinds „Lulu“-Fortsetzungsdrama auch mit „Professor Unrat“ bei H. Mann vergleichen. Am Ende gehen die Spießbürger unter und damit dem Begräbnis des Wilhelminischen Reiches auch voraus.

Was bleibt

Obschon der wegen Majestätsbeleidigung verurteilte Wedekind zu Lebzeiten im konservativen königstreuen Hannover unbeliebt blieb, wurde posthum der ehem. nach im benannt. Es gibt daher eine Wedekindstraße und Wedekindplatz im nördlichen Staddteil Vahrenwald-Lisgt mit heute über 70 000 Einwohnern.

Wedekindplatz https://de.wikipedia.org/wiki/Wedekindplatz_(Hannover)

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