Über die Heimatlosigkeit auf Erden

Hund mit Eselsohren und Regenbogenfarben

Foto Belinda Helmert, Ein Loblied der Regenbogenfamilie mit Bilderbuchfarben: Hund mit Eselsohren

„Ich will Herde werden“

Schrieb der Kulturphilosoph, gläubige Katholik und dennoch scharfe Religionskritiker Gilbert K. Chesterton, den meisten Deutschen nur bekannt als Autor von Kriminalromanen und Erfinder des Pater Brown. Dieser äußerst vielseitige Schriftsteller (https://de.wikipedia.org/wiki/G._K._Chesterton) sprach – angesichts seines Zeitalter des Extremismus von links wie rechts – in seinem Essay „Verteidigung des Unsinns“ um die Jahrhundertwende von einer „düsteren Prüfungszeit des Idealismus„. Er kreierte wunderschöne Metaphern wie „leuchtende Paradiese des Kollektivismus“ für die irreligiöse Priesterschaft des Kommunismus. Für Kommunisten bildet Eigentum keinen Zweck wie der Zahn, sondern Zahnschmerz.

Moderne Diskussionen werden von Leuten geführt, die nicht wissen, was die Ziele stets sind: polemische und marktgerechte Pseudo-Demokratie, die Pluralismus mit gesunder Streitkultur verwechseln. Die Heimatlosigkeit des Menschen ist Chesterton entlehnt, dem Verfasser von „Was unrecht ist an dieser Welt“, (https://www.projekt-gutenberg.org/chestert/wasunrec/titlepage.html) einem Buch, dasvor dem Ersten Weltkrieg entstand, als die wenigsten sich das Szenario eines zweiten Weltkrieges auszumalen wagten. Seine Gedanken lesen sich aktueller denn je: gesucht wird in der Politik stets der unpraktische, aber füg- und gehorsame Mann.

Von Eiern und Hennen

Als das Ei gelten stets die Fakten des Zufalls, Materialismus genannt; als Henne hingegen die Idee eines Plans oder Systems, von Philosophen als Idealismus gepriesen. Beides entspringt dem Selbstzweck des Denkens. Da stritten sich zwei kluge Köpfe, Wittgenstein der eine, Popper der andere mit Namen, um die Vorherrschaft von Sein und Denken und wollten am Ende ihre Debatte mit dem Schühakten austragen. Der Atavismus ist stets näher als man glaubt.

rerum cognoscere causas. Das heißt: Erkenne die Ursache der Dinge. In diesem Bestreben bieten sich einige als charisamtische Führer an und viele Millionen, die ihnen bereitwillig, oft bis in den Tod folgen. Democracy dies in the darkness. (https://www.tagesspiegel.de/politik/fur-das-gute-gegen-das-bose-3814594.html). Auf dreimal d folgte bekanntlich dreimal g.

Vergil meinte, dass es sich lohne, den Dingen auf den Grund zu gehen. Schau in den Abgrund und du erkennst dich selbst. So formulierte es Nietzsche. Der moderne Mensch verfolgt lieber diejenigen, die anderer Meinung oder Gesinnung sind. Der Gutmensch predigt Frieden mit der Waffe in der Hand. Bigotterie hießen es die Alten, jene Riesen, auf denen wir Zwerge nun stehen. Auf den Punkt gebracht: Schrecken wir Menschen auf dem Weg zur Vollkommenheit bereits vor Verbesserungen zurück?

Vom Versagen der Demokraten

Wen wollen wir zur Verantwortung ziehen, wenn Gott (der Autokrat) tot ist und die Demokratie nicht hält, was sie verspricht. Vor allem, weil sie nur so gut und stabil sein kann, wie die Menschen, die ihr dienen. Bloß zu folgen genügt eben nicht. Ein Gläubiger, der nur betet und nicht handelt, verrät den Gedanken an das Heilige. Blinder Gehorsam, Dogmatismus, Unterwerfung, am Ende sogar Fanatismus: nicht nur Chesterton erkennt im Zweifel einen notwendigen Schutz,m in der Skepsis eine Haltung, mit Vorurteilen divergent umzugehen. Nicht die Vollkommenheit, sondern die schlichte Verbesserung sollte das Ziel sein.

Angekommen in einer Zeit, in der es nicht mehr aufwärts und vorwärts zu gehen scheint, sondern alles stagniert, bröckelt, rückläufig ist. Revolutionen und Kriege lenken ab oder versuchen es. Nur gibt es in der Geschichte keine Revolution, die nicht zugleich Restauration von Altbekanntem ist. Gleicht unser Universum einem unvollendeten Tempel? Existiert Gott am Ende wirklich, ist aber fehlbar und nicht allmächtig, und dient am Ende der Verlust des erträumten Glücks einer bescheidenen Zufriedenheit, die den Namen Demut vierdient?

Führung und Fügung

Wir müssen gewinnen, um zu begreifen, dass wir alles verloren haben. Unsere blaugelb beflaggte Welt ist nicht des Ideals müd, sondern der Kirche und damit ihrer Realität. Vergessen wir nicht, Christen waren Märtyrer und aus ihnen wurden die Henker von heute. Sie waren es in ihrem missionarischen Wüten im Außen und in ihrem eifrigen Verbrennen der Ketzer im Inneren. Ihre Irrtrümer haben nichts mit Gott oder Glauben zu tun, nur mit Fanatismus und Besessenheit zu herrschen. Schon die Französische Revolution bewies Kopflosigkeit. Der Mensch brraucht, ja sehnt sich nach Führung wie Fürgung. Wenn es Gott nicht gäbe, man müsste ihn erfinden, wie Voltaire es pointiert. Gewiss, ohne Glaube ist der Mensch verloren. Heimatlos, orientierungslos, trostlos.

Wann haben wir begonnen, die Freiheit gegen die Versachlichung, Eigentum und Sicherheit einzutauschen? Wann die Neugierde der Wissenschaft geopfert und wozu die Normalität der Mediokrität? Nun haben wir viele Kirchen und wenig Vertrrauen oder Zuversicht. Statt dessen trotziges Festhalten an Feindbildern und Klischees. Der Pragmatiker, so Chesterton, baut gerne Häuser, die etwas besser sind und die armen Leuten ein Dach über dem Kopf bieten. Er tut es nicht aus Philantropie, sondern aus Eigennutz. Er weiß, dass Obdachlosigkeit der erste Schritt zur Heimatlosigkeit und Nomadentum der letzte Ausweg vor dem Marodieren und Havarieren ist.

Mein Schloss braucht ein Schloss

My home is my castle. Ein englisches Sprichwort, das an Zweideutigkeit nichts zu wünschen übriglässt: ziehe ich die Zugbrücke hoch, bin ich gleichzeitig sicher und gefangen. Gefangen in meiner Scheinwelt, in meiner Sicherheit. Ein Schloss bleibt mit mit einer Kette verbunden, sonst ist es nutzlos. Eine Wohnung ersetzt keine Heimat. Der ursprüngliche Sinn der aus einem Gesetztext des 17. Jahrhundert entnommene Maxime lautet: die Privatsphäre ist sowohl von anderen Menschen als auch von der Staatsgewalt zu respektieren und die Privatsphäre sowohl von anderen Menschen als auch von der Staatsgewalt zu respektieren ist und mit allen Mitteln verteidigt werden darf mit allen Mitteln verteidigt werden (https://www.huecker.com/archiv/redewendungen/my_home.shtml).Kein Mensch soll heimatlos sein, das wäre die logische Konsequenz.

Flüchtlingswellen bedrohen die innere Sicherheit. Neben dem offensichtlich Gestrandeten gibt es seelische innere Enteignung und Enterdung. Zuviel Optimismus schadet. Sozialismus und solidarität mögen auf den ersten Blick befreiend wirken, aber sie widerspiegeln nicht den Traum der Welt oder des Weltbürgers, der überall zu Hause ist („Wherever I lay my hat that´s my home“). Der Demokrat lacht häufig, lächelt aber selten. Der Aristokrat hingegen lächelt viel und lacht bestenfalls im Keller. Will heißen: Der Mensch ist nahezu für jede Idee (auch die absurde der Weltherrschaft) bereit zu sterben, aber nur für wenige Ideale geussvoll zu leben empfänglich. Chesterton führt das darauf zurück, dass die meisten Menschen Ideen nicht ganz klar sind und Fantasmen gerne mit Liebhaberei verwechselt. Für den Bau von Luftschlössern gibt es hingegen (leider) keine Regeln.

Wenn es stimmt, dass Gott tot ist, dann auch, dass die meisten wohl nicht wissen, was ein lebendiger Gott sein kann. Chesterton formuliert, man könne die Wahrheit auch so sagen, dass sie nicht geglaubt werden will. Der Überfluss an Farben macht blind für das Wesentliche. In unserem Bemühen alles zu tolerieren, inflationieren wir eigene Werte, Übertzeugungen, vor allem aber Haltung. Die Aufgabe von Kultur, so Chesterton, besteht darin, eine Auswahl zu treffen und Utopie von Dystopie zu trennen. Dazu bedarf es beides: Heimat und zu Hause, also ein Dach über dem Kopf. Schlau pointiert: „Wenn wir unser Eigentum retten wollen, müssen wir es verteilen.“ (Kapitel 8, Freiheit und Häuslichkeit) Im Übrigen trat Chesterton an, um die beiden negativen Auswüchse der Philosophie, die er als Dystopie empfand, Nietzsche und Marx zu bekämpfen. Letzterer instrumentalisiert Sprache für die Politik und Propagand, erstgenannter zur verwirrenden Eloquenz.

Standpunkt neuer Nationalismus

Chesterton entdeckte das Mittelalter mit seinen klaren Sturkturen und gesunden gewachsenen Autoritäten für sich. Zu seiner Zeit wurden erstmals den heranwachsenden Mädchen die Haare kurz geschnitten, dem Symbol verlorener Weiblichkeit und Natürlichkeit. Möglicherweise hat er Recht mit seiner Behauptung, der Pöbel kann nur Revolution machen, wenn er konservativ ist. Selbst wenn er irrt, lohnt sich der Gedankengang, weil es dem Wesen des Denkens entspricht, seinen Standpunkt im Kontrapunkt zu setzten. Deutschland mangelt es an Patriotismus, also mobilisiert es eine neue Form des Nationalismus: wohin nur haben wir uns verlaufen?

Da zu befürchten steht, der letzte Satz könnte missinterpretiert werden als eine Wiederauferstehung der NS-Ideologie völkischer oder gar rassischer Selbstverherrlichung. Der neue Nationalismus ist ein Buch von Michael Thumann mit dem Untertitel Wiederkehr einer totgeglaubten Ideologie (was falsch ist, denn bestenfalls war dieser Ansatz in Deutschland verboten), das auf dem Klapptext so beginnt: „Ein altes Gespenst geht um die Welt: Ein neuer und autoritärer Nationalismus bedroht die liberalen Demokratien.“ (https://www.aufbau-verlage.de/die-andere-bibliothek/der-neue-nationalismus/978-3-8477-0430-0).Gleichermaßen trifft der zeitgenössische Autor eine Kernaussage von Chesterton: „Alle Nationalisten eint: Immer sehen sie in den anderen die Schuldigen und sich als Opfer.

Der der neue Nationalimus besteht in einem fadenscheinigen Wir: Wir müssen zusammenhalten und wir müssen (den Krieg?) gewinnen. Der neue Nationalismus besteht in einer Pseudo-Kultur, einer künstlichen Hegemonie. „Das 21. Jahrhundert hat eine bunte Reihe von neuen Nationalisten hervorgebracht, die diese Ideologie im Laufe ihrer Karriere als Werkzeug der Macht entdeckten.“ (https://internationalepolitik.de/de/der-lange-atem-der-neuen-nationalisten) Schreibt Thumann, Korrespondent der Zeit und damit einflussreicher Journalist, der bedenklichden Größen wie Putin, Erdoan oder Trump begegnet ist.

Chesterton fürchtete den Sozialismus, vielleicht auch als Totengräber Gottes. Er fürchtete ihn nicht als Ende des Kapitalismus. Sein letzter Satz in „Was unrecht ist an der Welt“, der hauptsächlich über geistige Entwurzelung, sprich Heimatlosigkeit des Denkens handelt, lautet: „Der Sozialismus ist dessen Erfüllung, nicht dessen Umstoßung. Ich erhebe gegen den Sozialismus nicht Einspruch, weil er unseren Kommerz revolutionieren wird, sondern weil er ihn so grauenhaft unverändert lassen wird.“ Der Originaltitel indes lautet fragend: What’s wrong with the world?

Nicht nur der graue Osten mit seinen Diktatoren hat es versäumt, die Dinge besser zu machen, als sie waren. Auch das Warenhaus Europa, der große Bruder in Übersee, selbst der Papst, haben ihre Versprechen gebrochen.

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