Bildungsnot und LANDESTROST

Foto: Belinda Helmert, „Landpartie“ auf Schloss Landestrost in Neustadt im Rübengebirge mit Blick auf die Kleine Leine (https://www.schloss-landestrost.de/)

Die Lücke im (negativen) Horizont

Man spricht von Bildungslücken (einer bleichen, weil abgegriffenen Metapher) oder „Horizontverflachung“ (eine Metapher, die das Internet nicht kennt und vom 2018 verstorbenen Philosophen Paul Viriilio stammt). Zwei Drittel der Schüler sind defizitär aufgestellt (https://www.spiegel.de/panorama/bildung/ifo-studie-zeigt-bildungsluecken-bei-schuelerinnen-und-schuelern-a-528e1009-e9c5-483b-a630-2937a9c95767). Weltweit – in Deutschland soll laut Ifo (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung( die Wissenswüste nur etwa 24 Prozent betragen, so der Spiegel in seinem Artikel November 2022. Lehrermangel, Folgen der Corona-bedingten Schulausfälle, vertagte Modernisierung der Klassenräume seien ursächlich dafür. Über die Imissglückte Inklusion, die invasive Ausmaße angenommen hat, spricht niemand. Auch nicht darüber, dass es Quereinsteigern für den Schulunzterricht so schwer gemacht wird wie nur irgend möglich und der Behördendschungel so dicht ist wie nie zuvor.

Traumatisierte Kinder, lethargisch, verunsichert, hyper-ängslich und schüchtern füllen die Klassenräume. Entseelte, ausgebrannte Lehrer stehen diesen, im immer noch im domainant geprägten Frontalbericht, resignativ gegenüber (https://bildungsluecken.net/). Eine Blase sind die haltlosen Versprechungen der Politik, die offensichtlich gar kein Interesse an einem gebildeten, aufeklärten Schüler hat, weil der sich zum mündigen und kritischen Staatsbürger entwickeln könnte. Von Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung wird nur geredet, de facto wird sie sabotiert und desavoutiert. Für jene, die letztgenanntes Verb nicht kennen: es meint bloßgestellt.

Foto Belinda Helmert: Froschbrunnen in der Fußgängerzone Neustadt am Rübenberge.

Rückstand und Verwüstung

Nebenbei bemerkt sollten sich Honorarkräfte unter den Lehrern – die wenigsten Quereinsteiger werden fest angestellt – nicht darüber wundern, dass ihre Lohnabrechnung mit erheblicher Verzögerung erfolgt mit dem Hinweis, die Hierarchien zu beachten und sich im Ton nicht zu vergreifen, wenn sie nachfragen, wo die überfällige Überweisung verbleibt. Themaverfehlung? Weit gefehlt: Der Saldo-Rückstand liese sich leicht mit dem von Bastian Betthäuser (keine poetisierte Erfindung) genannten Bildungs-Rückstand im Deutschlandfunk vergleichen, über den der Deutschlandfunk in seinem Beitrag Januar 2023 berichtet (/https://www.deutschlandfunk.de/lernrueckstaende-durch-corona-pandemie-nach-dem-lockdown-blieb-der-bildungsrueckstand-100.html) vergleichen. Hier wird von der Gefährdung der Demokratie durch defizitären psychosozialen Bereich und mangelndem Wissen, gewarnt.

Foto Belinda Helmert, Gänsemarsch als Skulpturenlandschaft im Grünen auf Schloss Landestrost

Soziale Verwahrlosung in und durch Schulen bei Schülern als auch Lehrern ist ein Faktor in der Bildungswüste Deutschland. Die Tagesschau berichtet im Dezember 2022 über eine wissenschaftliche Studie der IQB (https://www.youtube.com/watch?v=zx1f5QdkjEQ). Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen sagt in seinem detaillierten Bericht (https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/iqb-bildungstrend-die-wichtigsten-ergebnisse/) viel über die soziale und regionale Schere aus, nimmt dabei den „Zuwanderungshintergrund“ nicht aus. Kompetenzrückgang lautet der Schlüsselbegriff, er betrifft den gesamten, an Anspruch verflachenden Unterricht. Die Handy- und Computergeneration verlernt das Lernen im realen Leben zunehmend.

Foto Belinda Helmert, Gulli im Schloss Landestrost

Maskierte Desiformation

Aus der Dialektik des Stillstands (Walter Benjamin) und des „rasenden Stillstands“ (Paul Virilio) – beides der quantitativen Informationszunahme bei gleichgleibender Qualität der Informationsverwertung geschuldet – ist ein rasanter Rückschritt hervorgegangen. Das betrifft sowohl die Schüler- als auch die Lehrerseite, allen Weiterbildungsmaßnahmen zum Trotz. Unter dem Titel „Verschwende deinen Speicherplatz“ griff die SZ in ihrem Artikel September 2018 anlässlich des Todes des Dromologen Virilio dessen Vergleich auf, dass die Hardware beschleunigt und die Software im selben Zeitraum verlangsame (https://www.sueddeutsche.de/digital/netzkolumne-erfindung-des-wracks-1.4141206). An die von ihm proklamierte „Maschinenzeit“ hat sich die Maskenzeit angeschlossen, mit verheerenden Auswirkungen auf das Atem- und Denkvermögen.

Virilio stellte fest, der Horizont verschwinde, Projektion verkomme zur Introjektion. Im Klartext: Nicht welches Gut und welches Wissen man besitze verleihe dem Menschen Macht, sondern vielmehr die Geschwindigkeit, mit der er selbige übermitteln und sich so zu Nutzen machen kann (https://sdnue.de/dromologie-medien-eschwindigkeit-und-ein-negativer-horizont/). Der Artikel „Tempo! Tempo!“ der Zeit September 2018, wartet mit einem Zitat des verstorbenen Philosophen auf: „Die Welt ist alles, was der Unfall ist“. Die Bildungsnot ist folglich ein voraussehbares, ein einkalkuliertes Missgeschick. Von Filtern und Blasen durch selektive Wahrnehmung ist in dem Artikel (https://www.zeit.de/kultur/literatur/2018-09/paul-virilio-nachruf?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.startpage.com%2F) die Rede. Virilio spricht von Enthüllung der Identität des Objekts, wenn er von Desinformation spricht. Wenn die Bildung in den Keller geht ….

Foto Belinda Helmert: Weinkellergewölbe (Kasematte) der ehem. Hofkellerei des alten Fritz und heute der Firma Duprès, einziger Sekthersteller Niedersachssens auf Schloss Landestrost.

Vom Wert der Dummheit

Was ist der Mensch, wenn er verroht, sei es durch Verbildung (hier spricht Nietzsche von der Verzärtlichung), sei es durch Verblödung (Nietzsche nennt es Herdentrieb). „Schwärmendes Geschmeiß“ der Gebildeten lautet eine Metapher aus dem Zarathustra-Epos. Ihr stellt der Philologe den humanistisch tradierten Wert wahrer Bildung als „Unsterblichkeit edelster Geister“ und „vornehmlich wahrhaftiges Kunstbedürfnis“ gegenüber. Vornehm ist so gut wie nichts mehr in Deutschlands Schulen und unsterblich schon gar nicht. Tucholsky muss man googeln und Satire sieht sich durch tik tok ersetzt. Nietzsche antizipiert Virilio mit der unschlagbaren Pointe: „Die Bildung wird täglich geringer, weil die Hast größer wird.

Ob Bildung, wie er meint, eine Geschmacksfrage ist? Ein Instrument, dass die Klugen von den Mediokren unterscheidet. Die Verflachung beginnt systematisch an den Schulen und setzt sich bei der Aus- und Weiterbildung, der höheren Qualifikation fort. Wir verdummen in Deutschland, das ist offensichtlich. Das seinen Namen nicht mehr verdienende Bildungssystem verbaut die Zukunft schreibt der Kinderpsychiater Michael Winterhoff. Er exempflifiziert das mediale Hypen mit anschließendem Fall Down à la Hollywood. Von einer TV Sendung , die immer noch unter dem irreführenden Begriff Talk (Gesprächsrunde) firmiert, als Vorzeige- Fachmann gereicht, von Fachleuten, neidischen wie kompeteten eher gemieden, sprach er telegen vom emotionalen Missbrauch der Kinder. Er wurde, Logik der TV Reklame, zum Bestseller-Autoren. u.a. mit dem Titel „Warum unsere Kinder Tyrannen werden„, bevor er als Scharlatan entlarvt, denunziert und an den öffentlichkeitswirksamen Pranger gestellt wurde. Seine Medikamentenverschreibung für Jugendliche wurde justiziabel 2021 als schewere Körperverletzung gewertet (https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/kinderpsychiater-winterhoff-anklage-100.html). Ein Schwein im Schatspelz?

Foto: Belinda Helmert, Blick auf den Seitenflügel des Schlosses Landestrost, in dem heute u.a. die VHS Neustadts lokalisiert ist.

Tyrannei der Selbstgerechten

Auch Dummheit kann weh tun und einer Körperverletzung gleichen. Im Blitzlichtgewitter geht die Hauptaussage des umstrittenen Psycho-Gurus unter: Bildung in Deutschland: eine Katastrophe. Kinder und Gesellschaft nehmen Schaden! so bewarb der Buchhandel seine Kultstatus erreichenden Sachbücher. Da verweist jemand mit einem Bild-Jargon-trächtigen Subtitel auf ein offensichtliches Problem. Der Prophet muss gehen, doch die Wüste bleibt. Die Zeit mit ihrem intellektuellen Anspruch schwingt sich zum Richter der Nation auf: „Winterhoff gilt als der Thilo Sarrazin der Erziehung in Deutschland“ schreibt sie und diffamiert den Bestsellerautor (https://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2019-05/deutschland-verdummt-michael-winterhoff-bildungssystem-paedagogik-kinder) Juni 2019 in einem Aufwasch mit dem ausgeschlossenen SPD Mitglied (Randnote: Gerhard Schröder ist noch dabei). Der Gang nach Canossa, das Kesseltreiben gegen die „Querdenker“, die Meinungsmache als Volkshetz-Kultur.

Foto: Belinda Helmert, Weiden-Weg auf Schloss Landestrost , gerne auf Hochzeiten geschlagen und an Flussniederungen.

Früher hieß es: Die Rente ist sicher. Heute spricht man von sicherer Bildung oder gesicherter Bildung, allerdings nur im Zusammenhang mit Datenschutz im digitalen Netz bzw. dem digitalen Unterricht, der auf Fernsteuerung basierte und soziale Kontakte unterminierte. Eine Chance für online-Unterricht-Anbieter unds für selbstgesteuertes, weil eigenständiges Lernen. Das Mantra „Wir schaffen das“ klingt allen Berufsoptimisten in den Ohren. An der Bildung wird nicht gespart, wiederholen alle Politiker. Risiko- und Belastungsstuerung wurden Dauerthemen durch den Brandbeschleuniger Corona. Ein magisches Zauberwort lautete Resilienz. „Für Lehrerinnen ist Resilienz im Schulalltag eine wichtige Kompetenz, die dabei hilft, gelassener mit unterschiedlichen Verhaltensauffälligkeiten einzelner Kinder und mit klassendynamischen Prozessen umzugehen. Auch für Schülerinnen in der heutigen Zeit ist eine gute Widerstandsfähigkeit wichtig,“ so das Landesprogramm Nordrhein Westfalens (https://www.bug-nrw.de/arbeitsfelder/resilienz), wo die Bildungslücken seit Übernahme der Grünen allarmierende Wellen schlug. Unter der Führung von Landesministerin Hannelore Kraft (SPD) 2010 bis 2017 (Bildungsministerin in beiden Legislaturperioden: Sylvia Löhrmann, Grüne/Bündnis 90) verschlechterte sich die Lage an und in den Schulen dramatisch. Der Grundschulverband sprach von einer Bildungskatastrophe (https://grundschulverband-nrw.de/neuauflage-bildungskatastrophe/). Die Wurzeln liegen demnach vor Corona im selbstgerechten grünen Bildungswahn, der keine rosaroten Blüten trieb.

Foto: Belinda Helmert, Royal Red Hortensien, Ausstellung Landpartie auf Schloss Landestrost

Sich dumm schauen

Nichts scheint bequemer, als sich vor der Glotze oder in der Schule verdummen zu lassen. Der humorige Karl Marx formulierte im Paarreim „In seinem Sessel behaglich dumm, sitzt schweigend das deutsche Publikum!“ (https://gedichte.xbib.de/Marx%2C+Karl_gedicht_In+seinem+Sessel.htm). Auch einstein meldete sich zum Thema: die Dummheit sei so (relativ) unendlich wie die Unendlichkeit des Universums. Menschen sind die einzigen Tiere, die Dummheit kultivieren. Die Art und Mode wechselt, das Übel selbst jedoch bleibt. Drei Fragen drängen sich auf: Haben die Eltern die Kinder oder die Kinder die Eltern mit ihr angesteckt? Ist das schulische Versagen auf ein sytemisches, möglicherweise gewolltes, mit Sicherheit aber toleriertes gesellschaftliches Totalversagen zurückzuführen? Folgt auf die geförderte Verdummung und der rasanten Verbreitung von Informationsflut die Weisheit des Esels? Der zumindest sagt auch ia, wenn er nein meint.

Foto: Belinda Helmert, Schloss Landestrost, in der Spätrenaissance erbaut. (https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Landestrost)

Esels-Latein

Esel sind durchaus nicht dumm, wie der Autor aus eigener Erfahrung (Stevensonweg) weiß und Verhaltensforscherin Carola Otterstedt bestätigt: „“Ein Esel verharrt, analysiert die Situation, gleicht sie mit seinen Erfahrungen ab und entscheidet dann.“ (https://www.sueddeutsche.de/wissen/tiere-sind-esel-wirklich-stoerrisch-und-dumm-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220721-99-102655). In der SZ führt sie Juli 2022 aus, dass Menschen das Verhalten von Eseln missdeuten. Es erinnert an die Weisheit, dass Menschen gerne das, was sie nicht verstehen, ablehnen und für dumm halten. Die auf einem Schloss in aufgewachsene Autorin Marie von Ebner-Eschenbach: „Was nennen die Menschen am liebsten dumm? Das Gescheite, das sie nicht verstehen.“ Mähren ist geopolitisch verschwunden, geografisch weiterhin Realität. Schlösser hingegen sind weithin sichtbar, erfüllen heute jedoch eine gänzlich andere Funktion. Nicht anders verhält es sich mit Bildung: sie existiert, doch anders und im Verborgenen. Beides ist ein Land ohne Nation und ein Anspruch mit tragischer Verneinung. Auch ein Verfallsdatum haben Schloss, Bildung und geopolitisches Niemandsland. Stell dir vor, es ist Schule und niemand geht hin.

Neulich saß ich im leeren Klassenzimmer und fühlte mich ganz nah an Becketts Bühne. Warten auf Godot. Der Unterricht war weder abgesagt noch der Raum umdisponiert worden. Es fehlte schlicht an Nachfrage. Wissbegier ist eine Zier, doch besser lebt sich´s ohne ihr.

Um mit Heinrich Heine über den kleine Unterschied, der oft Großes bewirkt, zu enden: „Der Kluge bemerkt alles, der Dumme macht über alles eine Bemerkung.“ (Ein nicht nachweisbares, möglicherweise nur zugeschriebenes, aber umso trefflicheres Zitat)

Foto: Belinda Helmert, Eingang Schloss Landestrost, Detail mit lateinischer Inschrift. Eine tote Sprache, sagt man zu ihrem Begräbnis.

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