Trotzkis Traum der permanenten Revolution

Foto: Pont du diable, Teufelsbrücke (zwischen pest und Cholera) in  Saint-Palais-sur-Mer, Atlantikküste nahe Rochelle. Einer der zahlreichen von Trotzkis Fluchtorte.

Der (politische) Mensch

Ein Theaterstück über das Leben Frieda Kahlo endet mit der Ermordung Leo Trotzkis. Sein Todesjahr 1940 fällt mit der Entstehung des Stückes, 80 Jahre später, zusammen. Eine Sequenz des Stücks zeigt die die Ankunft des designierten Lenin-Nachfolgers, der von Stalins Gefolge zu Tode gehetzt wurde.

Das Foto zeigt Trotzkis ankunft in Mexiko Januar 1937. In der Mitte zwischen dem Ehepaar steht Frida Kahlo, die Trotzki in ihrem Haus Asyl gewährte und ihn sich zum Liebhaber nahm. Die überzeugte Kommunistin war damals 30, etwa halb so alt wie der verehrte Intellektuelle.

https://nienburger-allerlei.de/frida-kahlos-leben-auf-der-buehne/

Vom Menschewiki zum Bolschewiki

Leo Trotzki wird 1879 auf dem flachen Land in Bereslawka geboren, in der heutigen Ukraine, einem Dorf, das heute nicht einmal zweihundert Einwohner zählt. Sein bürgerlicher Name, den er erst im ersten Exil ablegt, deutet seine jüdischen Wurzeln mehr als an: Lew Dawidowitsch Bronstein.

Die Frage, wie Judentum mit Kommunismus vereinbar ist, befremdet daher. Sie waren verfolgte, ausgestoßene, unterprivilegierte, doch gebildete Menschen. Trotzki selbst betont, er sehe sich weder als Russen noch als Juden, sondern als Revolutionär, genauer, als Solzialdemokrat. Dessen Partei bilden die Menschewiki. Erst in der sibirischen Verbannung um die Jahrhundertwende kommt er mit Marx in Berührung.

Die Stichworte sind rasch genannt: Kampf gegen das zaristische (absolute) autoritäre Regime, charismatischer und eloquenter Führer der Mehrheitspartei unter den Revolutionären, den Menschewiki (wörtlich Minderheitler, die sie im Parlament, der Duma, bildeten). Ironischerweise triumphierten die Menschewiki in Georgien, der Heimat Stalins. 1902 bildet Trotzki in London mit Lenin eine WG. Die beiden gehören zunächst unterschiedlichen Parteien des Widerstands an: am Ende setzen sich die Bolschwiki um Lenin durch und weil er das Zaudern der eigenen Parteigenossen erkennt, wechselt Trotzki in deren Lager. Allerdings nimmt er bis zum Ausbruch des Krieges eine neutrale eigenständige Position ein.

https://www.dhm.de/lemo/biografie/leo-trotzki

Sein zweites Exil führt ihn wie auch Lenin und die anderen Revolutionäre in die Schweiz. Der Spartakusbund 1916 im Schweizer Exil entsteht nach Aussöhnung mit Lenin. Er ist maßgeblich beteiligt an der Herausgabe der illegalen Spartakus (benannt nach dem Gladiatoren-Aufstand) als Sprachrohr für den Internationalen Klassenkampf.

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/revolution-191819/spartakusbund.html

Schöpfer der roten Armee, Sieger des Bürgerkriegs

Russland verdankt Trotzki die Durchsetzung des Sowjets, der Räte-Republik, die man auch beim Münchner Aufstand 1919 zu etablieren suchte und vier vier Wochen April und Mai realisierte, bevor sie von der Armee niedergeschlagen wurde. Literaten wie Ernst Toller waren daher Kommunisten wegen Trotzki. Dessen Rede aus dem Jahr 1920 bezieht sich auf die französischen Sozialisten Jean Jaurés und den deutschen Sozialisten August Bebel hinsichtlich der temporären Unterordnung der Demokratie gegenüber der Revolution, die sich nicht demokratisch gestalten lässt. „Die Milizidee bestand in der Aussöhnung aller Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, in der Bildung einer einheitlichen Front in Bezug auf das Land.“

https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1920/04/orgrotarmee.htm

Über die Geburt der Roten Armee, zunächst Freiwillige, dann Zwangsrekrutierung durch allgemeine Mobilmachung, wird viel geschrieben. Trotzki blickt im Jahr seiner Machtfülle 1924 zurück. Er macht deutlich, dass der Weg nach dem Triumph nur eine Freiwilligen-Armee sein kann: Die Revolution erwuchs unmittelbar aus dem Kriege; eine ihrer wichtigsten Losungen war die Kriegsbeendigung. … Die Armee wird auf dem Prinzip der Freiwilligkeit aufgebaut.

https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/trotzki/1922/leo-trotzki-der-weg-der-roten-armee

Ohne den kräftezehrenden ersten Weltkrieg hätte die Revolution kein siegreiches Ende nehmen können. Trotzki weiß, dass der Friede mit den deutschen Aggressoren und Besatzern notwendig ist, aber verzögert werden muss. Die Folge ist der geschichtsträchtige Friede von Brest-Litowsk. Ukraine fällt Trotzki, der einen Frieden ohne Annexionen anstrebt, in den Rücken – sie schließt einen „Brotfrieden“ im Februar 1917. Die Ukrainer (ohne eigene Nation) leben zu diesem Zeitpunkt in zwei Staaten. Ein Teil gehört zu Österreich – Ungarn, der andere zum Russischen Reich. So stehen sich an der Front Ukrainer auf beiden Seiten gegenüber. Es entsteht die „Ukrainischen Volksrepublik“ (UNR), die 1918 ihre Unabhängigkeit vom russischen Reich erklärt.

https://www.dreizackreisen.de/ukraine-zwischen-weltkriegen-sowjetukraine-erster-zweiter-weltkrieg

In den Friedensverhandlungen der Mittelmächte mit der Sowjetregierung in Brest- Litowsk verpflichten sich die Russen, ihre Truppen aus der Ukraine abzuziehen. So entsteht eine unabhängige Ukraine, die jedoch von den Garantiemächten Deutschland und Österreich-Ungarn besetzt und verwaltet wird. Wie Wurzeln des aktuellen Krieges liegen daher im ersten Weltkrieg und einer Entscheidung gegen Trotzkis Politik.

Die Deutschen erhalten das Baltikum. Erst ihre Niederlage und der Siegesfrieden von Versailles macht dies rückgängig.

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg/kriegsverlauf/friede-von-brest-litowsk-1918.html

Trotzki als Gründer der Roten Armee, 1922. Zu diesem Zeitpunkt in der Hierarchie die Nummer zwei nach Lenin.

Innenpolitische Kämpfe, Machtverlust nach Lenins Tod

Für viele, eingeschlossen dem Autoren, ist Trotzki ein Held, unter dessen Führung der Kommunismus einen anderen Verlauf genommen hätte, möglicherweise dadurch auch die Weltgeschichte. Vom Häretiker-Bonus ist die Rede.

https://www.dreizackreisen.de/ukraine-zwischen-weltkriegen-sowjetukraine-erster-zweiter-weltkrieg

Fairerweise muss man konstatieren, das Ende des Ersten Weltkrieges bildet nur den Auftakt einer Terrorwelle und Trotzkis Haltung „Alle Macht den Räten“ kostet im Bürgerkrieg der Weißen gegen die Roten Millionen das Leben. Nach dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk am 18. März 1918 beginnt ein Bürgerkrieg, der faktisch ein nachgeholter Revolutionskrieg. Trotzki, Führer der Roten Armee, ist nicht wählerisch in seinen Mitteln und sein Pyrrhussieg teuer erkauft, Kritik daher verständlich. Unter anderem bleibt der Pluralismus, der Wettstreit der Ideen und der Dialog unter den Kommunisten (Sozialrevolutionären) auf der Strecke. Doch nach dem internen Sieg 1922 will Trotzki zu Toleranz und gegen die Parteidiktatur der Bolschewiki, die er nur als Mittel zum Zweck begreift, angehen. Er muss mit dem Parteiführer Stalin und dem das Zentralkomitee der Kommunistische Partei der Sowjetunion aneinander geraten. Vor allem ist er ein unerbittlicher Kritiker des Bürokratismus und plädiert für direkte Demokratie.

Eine Zäsur findet 1924 mit dem Tod Lenins statt. 1925 muss sein engster, vordem unantastbarer Vertrauter das Volkskommissariat für Militär aufgeben, im Jahr darauf wird Trotzki aus dem Politbüro der KPdSU und Ende 1927 aus der Partei selbst ausgeschlossen. Er flieht schließlich zu Atatürk in die Türkei.

Villa ‚Chere Monique“ in Barbizon bei Fontainebleau. Trotzki verbrachte dort den Sommer 1933.

Innenpolitische Kämpfe, Machtverlust nach Lenins Tod

1928, mit dem Ausschluss einer Partei und drohender Gefangenschaft in Sibirien beginnt die Odyssee Trotzkis durch Europa – Stalin setzt Kopfgeld auf seinen Rivalen aus. Ende Januar 29 beginnt sein Exil, gleichzeitig ein Wettlauf mit dem Tod in Gestalt des stalinistischen Exekutionskommandos. Die GPU und damit KGB Agenten jagen ihn.

https://www.welt.de/geschichte/kopf-des-tages/article225294683/Leo-Trotzki-So-rechnete-Stalin-mit-seinem-schaerfsten-Gegner-ab.html

Klaus Mann versucht eine einheitliche „antifaschistische Front“ herbeizuführen, um das NS-Regime wirkungsvoll zu bekämpfen. Er kann Autoren der unterschiedlichsten politischen Richtungen für die Mitarbeit an der Exil-Zeitschrift „Die Sammlung“ 1933-35 im Querido Verlag gewinnen: Johannes R. Becher, Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Albert Einstein, Leo Trotzki, Ernest Hemingway, Boris Pasternak (1890-1960), Joseph Roth, Walter Mehring (1896-1985). Die Herausgabe der Zeitschrift muss schließlich wegen zu geringer Abnahme eingestellt werden.

1932: Unweit von Bordeaux an der Atlantikküste hält sich Trotzki, geschützt vom französischen Minister Daladier, im beschaulichen Saint-Palais-sur-Mer, nahe Rochefort auf. Es folgt 1934 die Umsiedlung nach Barbizon zwischen den Flüssen Seine und Marne gelegen, nahe dem Schloss Fontainebleau. Der Ort ist als Künstlerkolonie der Barbizonniers, einer Vorstufe der Impressionisten, bekannt (die populärsten Vertreter sind Théodore Rousseau und Jean Baptiste Corot). In seinem französischen Exilzeit schreibt Trotzki, der gefährlichste Emigrant seiner zeit, über die Zukunft des Sozialismus in Frankreich. Er sieht 1934 voraus, dass das Kleinbürgertum an den Faschismus verloren ist und auch, dass die Demokratie in Europa von der Furcht vor dem Kommunismus einbrechen und einer Diktatur folgen wird. Drittens erkennt er die Unmündigkeit des Bürgers und seine Wahl für die Sicherheit anstelle der Freiheit.

https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1936/06/inhalt.htm

Nach dem Sturz Daladiers muss Trotzki nach Oslo ausreisen, nach Kriegsbeginn und damit zwei weiteren Jahren nach Mexiko übersiedeln. Dort wird er zunächst im Casa Azul beidem Maler-Ehepaar Frida Kahlo und Diego Ribero unterkommen. Sein Mörder Ramon Mercader, ein überzeugter Stalinist, hat bald über Trotzkis Sekretärin, die seine Geliebte wird, seine Spur aufgenommen. Auch Trotzkis Umzug und strengste Bewachung können ihn nicht retten.

Der Mörder, von Leibwächtern unmittelbar nach dem Attentat am 20. 8. 1940 überwältigt.Nach 20 Jahren Haft erlag er seinem Krebsleiden auf Kuba 1978.

Letzte Station: Mexiko

1937 erreicht Trotzki die Heimat Frida Kahlos; die Malerin ist eine überzeugte Anhängerin seiner Idee der permeierten Revolution. Gemeinsam mit Frida Kahlo hatte sich Diego Rivera beim mexikanischen Präsidenten Lázaro Cárdenas del Río dafür eingesetzt, Trotzki politisches Asyl in Mexiko zu gewähren.

Drei Jahre später schlägt ihm sein scheinbar Vertrauter Ramón Mercader einen Eispickel auf den Kopf. Am 21. August, ein Tag nach dem Attentat, erliegt Trotzki dem Anschlag.

https://www.welt.de/geschichte/article213896498/Politisches-Attentat-Wie-Stalin-Trotzki-ermorden-liess.html

In seiner Ermordung kulminiert die „stalinistische Säuberung“, die allen Kritikern das leben kostet und dem Diktator die Alleinherrschaft sichert. Neben der Geschichte eines spanischen Attentäters (der seine Zeit nach der Haftstrafe auf Kuba unter dem Schutz Castros verbringt) und vordem eines amerikanischen Leibwächters in Diensten Stalins liefert die causa Trotzki auch die Pointe, dass der misstrauische Intellektuelle den Falschen vertraute.

https://www.sueddeutsche.de/leben/leo-trotzki-ramon-mercader-stalin-ermordung-mexiko-frida-kahlo-1.5520988

Am 20. August 1940 schlug ein Geheimdienst-Agent Trotzki einen Eispickel in den Kopf. Das Foto zeigt Trotzki im Krankenhaus von Mexiko-Stadt, wo er Tags darauf verstarb.

Der Zweikampf

Allzu oft wird die tödliche Feindschaft zwischen Stalin (Täter) und Trotzki (Opfer) auf zwei Antipoden reduziert. Es ist wahr, dass daraus ein Mythos entstand, der übersieht, dass Trotzki selbst grausam agierte und sich, so lange er an der Macht war, tyrannisch skrupellos verhielt. Unter dem eingängigen Schlagwort Rivalen der Revolution verweist man gerne auf die Liste gefallener prominenter Köpfe der Lenin-Ära, Sinowjew, Kamenew, Bucharin.

https://www.spiegel.de/geschichte/josef-stalins-todfeind-wie-leo-trotzki-1940-bei-attentat-starb-a-1161781.html

Die Frage zu beantworten, ob der Kommunismus eine echte soziale Alternative für den Raubtierkapitalismus im Westen hätte werden können, ein Sozialismus mit menschlichem Antlitz, bleibt Spekulation. Definitv sah Stalin eine nationale Lösung vor, während Trotzki, von der permanenten, globalen und damit internationalen Ausrichtung überzeugt, am Gedanken des Welt-Sowjet (Rat) festhielt. So unterstützte Stalin die spanischen Widerstandskämpfer gegen Franco halbherzig und schloss einen Packt mit Hitler. Der Diktator nutzte den strategisch durchaus international wichtigen Bürgerkrieg gegen Franco für seine eigenen innenpolitischen Zwecke.

https://www.nzz.ch/feuilleton/die-sowjetunion-fuehrte-in-spanien-ihren-eigenen-buergerkrieg-ld.1532092

Mythos Trotzki – ein Despot ?

Der Autor leugnet sich seine grundsätzliche Befangenheit, seine emotiuionale Parteinahme in der causa Trotzki. Die Argumente der warnenden Stimmen sind stichhaltig und angebracht. Der Mensch neigt zu Idolen und daher zur Idealisierung. Die Lektüre von „Falsche Vorbilder“ ist daher anzurate : https://www.kas.de/de/web/extremismus/linksextremismus/falsche-vorbilder-leo-trotzki

Dennoch: Den Intellektuellen Trotzki mit Stalin zu vergleichen, trotz seiner geduldeten oder forcierten Gräuel im Bürgerkrieg der roten gegen die weiße Armee, ist so unsinnig, wie Napoleon, Danton oder Garribaldi in diese Nähe eines menschenverachtenden Egomanen wie Stalin zu rücken. Inwiefern der bewaffnete Kampf oder der Ausnahmezustand Handlungsräume humane Agitation oder gar Ethik lässt, ist umstritten. Sie beginnt bei der Frage nach der Legitimation des Krieges, etwa als Verteidigung oder, noch schwieriger, für die Verhinderung oder Eindämmung eines globalen Schlachtfeldes. Die aktuelle Bewertung des Ukraine-Konfliktes zeigt, dass selbst Friedensbefürworter schnell dazu zu bringen sind, Russland in die Steinzeit zurück bomben zu wollen, im Namen der universalen Sicherheit, versteht sich. Zweitens galten Kriege bis in die Ära des zweiten Weltkrieges (meiner Meinung nach bis heute) als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Zitat des Napoleon-Gegners General Carl von Clausewitz). Trotzki Kriegsverbrechen während eines europäischen und nicht nur national lokalisierten Massenkonfliktes zuzuweisen bewegt sich daher am Rande der Scheinheiligkeit.

Thomas von Aquin, überzeugt davon, dass Friede nicht nur erstrebsam, sondern auch zu gewährleisten ist, rechtfertigt den „gerechten Krieg“, sofern drei Voraussetzungen erfüllt sind

https://pdf.live/edit?url=https%3A%2F%2Fbildungsportal-niedersachsen.de%2Ffileadmin%2F1_Startseite%2FSorge_durch_Krieg%2FUnterrichtsmaterial_Ukrainekonflikt%2FUnterrichtsmaterial_Sek._II_Die_Idee_des_gerechten_Kriegs.pdf&source=f&installDate=031223

Er sagt: „Zu einem gerechten Krieg sind drei Dinge erforderlich: Erstens die Vollmacht des Fürsten [auctoritas principis], auf dessen Befehl hin der Krieg zu führen ist. (. . .) Zweitens ist ein gerechter Grund [causa iusta] verlangt. Es müssen nämlich diejenigen, die mit Krieg überzogen werden, dies einer Schuld wegen verdienen. (. . .) Drittens wird verlangt, dass die Krieg Führenden die rechte Absicht [intentio recta] haben, nämlich entweder das Gute zu mehren oder das Böse zu meiden.“ (Summa Theologica II, II, 40)

Die ethische Begründung findet sich auch bei Trotzki: „dadurch werden die Tötung sehr vieler Menschen und zahllose zeitliche sowohl wie geistliche Übel verhindert.“

Trotzki mit seiner (zweiten) Frau Natalja Sedowa (1882-1962) im Jahr 1932. Da hatte er noch eine Flucht von der Türkei nach Frankreich und dann nach Mexiko vor sich. Die beiden hatten sich 1902 kennengelernt, daraufhin lies sich Trotzki von seiner ersten Gattin Alexandra Lwowna Sokolowskaj scheiden, folgte ihm jedoch in die Verbannung. Die gemeinsame Tochter wurde gleichfalls von Stalinisten ermordet, Alexandra verstarb in einem Lager.

Das Werk: die permanente Revolution

Trotzki vertritt von Anfang an die Priorität, dem Menschen ein würdiges Lebensniveau zu sichern. So heißt es in seiner Kopenhagener Rede die Entwicklungen im nachrevolutionärem Russland solle „ihnen gleichzeitig das kostbare Gefühl der Freiheit ihrer eigenen Wirtschaft gegenüber verleihen. Der Freiheit in zweierlei Beziehung: erstens wird der Mensch nicht mehr gezwungen sein, der physischen Arbeit den Hauptteil seines Lebens zu widmen. Zweitens wird er nicht mehr von den Gesetzen des Marktes abhängen, das heißt von den blinden und finsteren Kräften, die sich hinter seinem Rücken herausbilden. Er wird seine Wirtschaft frei, d.h. nach einem Plan, mit dem Zirkel in der Hand aufbauen.

https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/11/koprede.htm

Trotzki ist einer der umtriebigsten und produktivsten Schriftsteller überhaupt. Seine Lehre gilt allgemein als Trotzkismus, um ihn vom Stalinismus abzugrenzen. Neben den unzähligen Aufsätzen und einer umstrittenen Autobiografie (die naturgemäß der Objektivität ermangelt) ragen drei Einzel-Werke heraus. „Geschichte der russischen Revolution“, „Die verratene Revolution“ und „Die permanente Revolution“. Wie jede Schrift enthält sie einen ideologischen und damit propagandistischen Anteil. Sie lässt jedoch eigenständige, vom Kommunismus oder Leninismus abweichende Theorien, Überzeugungen und Lösungswege erkennen. Sie machen aus Trotzki keinen Vertreter, sondern Gründer eines selbständigen Systems zur permanenten Revolution, deren wichtigste Grundsätze folgende sind:

Zunächst die moderate Weiterentwicklung des jakobinischen Grundgedankens während der Französischen Revolution. Der Begriff „die permanente Revolution“ wird von Marx aufgegriffen. Die jakobinische Bewegung führte bekanntlich in einen Bürgerkrieg und den Großen Terror durch Massenhinrichtung, zu Extremismus und Totalitarismus der Schreckensherrschaft unter Robespierre. Die Danton zugeschriebene Maxime „Die Revolution frisst ihre Kinder“, weil diese im Zuge der Gewaltspirale nicht radikal genug sind, bewahrheitet sich auch bei Trotzki. Dieser erweitert den Begriff zu einem systematischen Konzept, das diverse strategische und politische Aspekte miteinander verbindet. Die permanente Revolution umfasst hierbei drei „untrennbar verbundene Teile eines Ganzen“ . In seiner Einleitung heißt es:

Erstens umfaßt sie das Problem des Überganges der demokratischen Revolution in die sozialistische. Dies ist eigentlich die historische Entstehung der Theorie.“

https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1929/permrev/ltperm01.htm

Der Gedanke führt zur Einsicht in die Notwendigkeit des unmittelbaren Übergangs von der demokratischen zur sozialistischen Revolution.

Trotzki verabschiedet sich vom „dogmatisch vulgären Marxismus“; die Diktatur der Proletariats interessiert ihn nicht, da er erkennt, dass seine Abfolge unterschiedlicher sozioökonomischer Transformationen „die Gesellschaft nicht ins Gleichgewicht kommen“ lassen. Im Gegenteil, sie führt zur Konsequenz, den internationalen Charakter der sozialistischen Revolution, deren nationaler Beginn lediglich als revolutionäres Anfangsstadium zu werten. Der Kommunismus kann nur Übergangsstadium sein.

Eine sich unmittelbar auf das Proletariat und durch das Proletariat auf die revolutionäre Bauernschaft stützende Regierung bedeutet noch nicht die sozialistische Diktatur. Ich berühre jetzt die weiteren Perspektiven einer proletarischen Regierung nicht. Vielleicht ist das Proletariat zum Sturze verurteilt, wie die jakobinische Demokratie stürzte, um der Herrschaft der Bourgeoisie Platz zu machen … oder er ist überhaupt unmöglich.

Fazit: Während einer unbestimmt langen Zeit und im ständigen inneren Kampfe werden alle sozialen Beziehungen umgestaltet. Die Gesellschaft „mausert sich“, wird mündig oder geht unter. Eine sozialistische Diktatur bildet auf Dauer keine Verbesserung der Lebensumstände. Ein nationaler Lösungsweg ist ausgeschlossen. Entweder es herrschen überall auf der Welt gleiche Lebensbedingungen, oder Unrecht und Krieg gehen weiter. Wer auf Führer setzt, welche die Welt heilen, wird enttäuscht. So lange die Fälschung der Vergangenheit vorliegt, durch Indoktrination und (Nietzsche nennt es Falschmünzerei) ideologisch geführte Kampagnen, wird der wahre Kern der Revolution verraten.

Ja, Freunde, gelehrt; man wird eben umlernen müssen. Das sind die Unkosten der Reaktionsperiode. Dagegen läßt sich nichts tun. Die Geschichte verläuft eben nicht geradlinig. Vorübergehend gerät sie in stalinsche Sackgassen.“

Bilder, anstelle der eigenen in diesem Blog unter https://www.welt.de/kultur/gallery9088970/Das-Leben-eines-Revolutionaers.html

Karikatur 1918 von A. Barrère: Der mit den Illusionen spielt. Abdruck in der Zeitschrift Fantasio, benannt nach dem Theaterstück von Alfred de Musset 1834.

Drei Zitate, wie sie treffender nicht sein könnten

Der Autor spezialisierte sich während seines Magisterstudiums auf Revolutionsgeschichte. Aus dieser Zeit stammt seine Begeisterung für Trotzki, die ihn philosophisch auf die Grundfragen über die Grenzen menschlichen Handelns in einem Ausnahmezustandes zurückwarfen. Dazu Trotzkis Zitat:

Der Bürgerkrieg hat bekanntlich seine Gesetze, und sie haben noch niemals als Gesetze der Humanität gegolten.“

(Geschichte der russischen Revolution, Band II, Kapitel 10, 1930)

Zudem auf die Frage, wie die Vermeidung von Subjektivität möglich ist. Darum gilt auch unzweifelhaft, dass linker Extremmus genauso in Terror umschlägt wie der rechte.

Nicht jeder erbitterte Kleinbürger könnte ein Hitler werden, aber ein Stückchen Hitler steckt in jedem von uns.“

(Porträt des Nationalsozialismus, 10. 6. 1933, die Weltbühne)

Das dritte von so vielen unschätzbar treffenden pointierten Zitaten Trotzkis lautet:

Seltsam, wie groß die Illusion ist, dass Schönes auch gut ist.“

(Russland und die verratene Revolution, 1936, Kapitel 3, Programm und Wirklichkeit)

Das letzte Zitat könnte Tolstoi entlehnt sein, der sagt es auch in „Anna Karenina“.

Kunst und Wissenschaft dürfen laut Trotzki keine Lenkung dulden. Was Teil der Aufgabe der permanenten Revolution ist. Der Schlussatz aus dem gescheiterten Experiment Kommunismus, das in Bürokratismus erstarrt ist, anstelle den Staat durch die Sowjets in direkter Demokratie abzuschaffen:

am Ende des zweiten Jahrzehnts seines Bestehens ist er weder abgestorben, noch auch nur im „Absterben“ begriffen, schlimmer: er wucherte zu einem in der Geschichte noch nicht da gewesenen Zwangsapparat aus: die Bürokratie ist nicht nur nicht verschwunden, den Massen ihren Platz abtretend, sondern zu einer unkontrollierten, die Massen beherrschenden Kraft geworden; die Armee ist nicht nur nicht durch das bewaffnete Volk ersetzt, sondern es bildete sich eine privilegierte Offizierskaste heraus mit Marschällen an der Spitze, während dem Volk, dem „bewaffneten Träger der Diktatur“, heute in der UdSSR sogar das Tragen von Hieb- und Stichwaffen verboten ist, Bei größter Anstrengung der Fantasie ist schwerlich ein auffallenderer Kontrast auszudenken als der, der zwischen dem Marx-Engels-Leninschen Schema eines Arbeiterstaat und dem realen Staat besteht, an dessen Spitze heute Stalin steht. Ohne den Druck Lenins gesammelter Werke einzustellen (die allerdings zensuriert und entstellt werden) fragen die heutigen Führer der Sowjetunion und ihre ideologischen Vertreter sich nicht einmal, weiches der Grund für ein so himmelschreiendes Auseinanderklaffen zwischen Programm und Wirklichkeit ist. Versuchen wir, es an ihrer statt zu tun.“

https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1936/verrev/index.htm

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