Sterben ist alles

Foto Bernd Oei: Hoya, Kirchplatz, Martinskirche, Paartanz (2005) , Bronze von Norbert Thoss, geboren in Braunschweig, gestorben in Hoya (https://de.wikipedia.org/wiki/Norbert_Thoss). Erinnerungen an den „Todestanz“ Heinrich von Kleist mit Henriette Vogel am 21. 11. 1811 am Kl. Wannsee, Berlin

Kleistsche Todeslust

Manche Menschen lassen sich nur von rückwärts begreifen. Bei Heinrich von Kleist sollte alles aus der Todesperspektive betrachtet werden. Darauf war sein Leben (Todesplan) ausgerichtet. Fast alle sterben für die Liebe oder wünschen sich einen Menschen zum miteinander leben. Er suchte von Anfang an einen Partnerin, mit der er zusammen sterben konnte. Im Film „Amour fou“ der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner 2014, der auf Originalaussagen von Kleists beruht, äußert sich der sterbensmüde Dichter gegenüber der gewählten Todesbegleiterin, seine Cousine Marie von Kleist (die eine Heirat mit einem Franzosen vorzog) wie folgt:

Der Satz „Mir ist auf Erden nicht zu helfen“ ging kleist-charakteristisch um die Welt. Jemand, der nur begehrt, was nicht ist und an allem Überdruss hat, was ihm begegnet, der als nur das negative Sein begehrt, der ist von frühromantischer Todeslust verzehrt und besessen. Nur der Mangel nährt die Sehnsucht, das innere Feuer ist der Schmerz.

Der Film thematisiert einzig die letzte Station des schwermütigen von Kleist, das Schicksalsjahr 1811 und die aus seiner Sicht glückliche Wendung, da Sophie Henriette Vogel, ein durchaus im zufriedene bürgerliche Ehefrau eines Landrentmeisters (https://de.wikipedia.org/wiki/Henriette_Vogel) tödlich erkrankt und bereit für den Schwanengesang ist, womit sie Kleists Diotima (Hölderlins Susette Gontard) wird. Das Unterfangen Sterbelust nimmt seinen Anfang:

Die Frage, wann und durch welche Tür wir gehen, begleitet uns das ganze Leben über. Von Kleist war ein gläubiger Christ, er wusste auch, dass Selbstmördern keine Bestattung zuteil wird und dass sie keinen Anspruch auf das Paradies haben. Seine wohl intensivste literarische Auseinandersetzung mit der kirchlichen Seite bietet „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“, die in meinem Buch Grenzgänger „Kleist bunte Träme – Leben am Abgrund“ (2021) Berücksichtigung findet.

Die Erzählung (zwei Fassungen) datiert auf November 1810 – der Todesplan steht längst fest, nur die geeignete PARTNERIN lässt auf sich warten.

Foto Bernd Oei: Eingang zur Martinskirche in Hoya, ehem. Grafschaft und Garnisionsstadt des Königreich Hannovers, heute Landkreis Nienburg, ca. 4000 Ew.

Sicher ist, dass er sich vom künstlerischen Standpunkt und der Mystik vom Katholizismus stärker angezogen fühlt und im sich abzeichnenden Kulturkampf zwischen Preußen und Österreich, der um die Vormachtstellung der Religion und der Politik im Vormärz ausbricht, auf die Seite der Säkularisierungsgegner wie sein Freund von Raumer stellt. Verbrieft sind allein schon durch seine Bekenntnisse und Berichte über Messen seine Vorliebe für Oratorien Händel, Liturgien Bachs und italienische Kirchenmusik.

Zwischen Frühromantik und Klassik

Als Schriftsteller bleibt von Kleist ein hybrider Charakter. Der Autor will ihren Kern weder wie in der Romantik mystifizieren und ein Märchen als Lehrgedicht komponieren, noch im Sinn der Aufklärung eine rationale Erklärung liefert für das, was seiner Meinung nach unerklärbar bleibt, vielleicht sogar bleiben muss. Auch in seinem Leben schwankt der Zweifelnde häufig und ist von Paradoxa geradezu durchsetzt. Diesen Zweifel verdankt er der Lektüre Kants, der den Rationalismus in Mystik und Zufalls-Glaube lenkte. Dass von Kleist die Französische Revolution als Wiederkehr der Bilderstürmerei wertet, liegt daher nahe.

Auch in Kleist Adaption der Legende von der Heiligen Cäcilie mischen sich mystische und rationale Ebenen; an dem Eindringen in die Kirche besteht kein Zweifel, auch nicht an der Geistesabwesenheit der vier Brüder, die dem weltlichen Leben entsagen und eine tierische Existenz fristen, die nur zur Mitternachtsstunde durch gemeinsames Intonieren eines Liedes, gloria in excelsis deo von Bach, unterbrochen wird.

Angesprochen, ob er verrückt bzw. krank sei, erwidert Heinrich Henriette Folgendes:

Foto Bernd Oei: Martinkirche Hoya, eigenständige Pfarrkirche seit 1326. Errichtet neben der Burg des Landgrafen im 11. Jahrhundert als romanische Steinkirche. von der Burg fehlt heute jede Spur. (https://www.kulturkreis-grafschaft-hoya.de/index.php/der-verein/unsere-lokations/das-kulturzentrum-martinskirche)

Mystik

Heinrich von Kleist ist tief religiös, anfänglich protestantisch, dann katholisch und gewiss der Mystik verfallen. Daher bietet sich auch für eine Abbreviatur seines Lebens eine Triade an. Am Anfang folgt alles einem Lebensplan, der Pflicht, Ordnung und Bildung an die erste Stelle setzt. Doch die Maxime, frei zu denken und nichts dem Zufall zu überlassen, wird zur Manie. Die Kantkrise macht dem jungen Mann, der mit aller Kraft seinen Platz erobern, seinen Standpunkt verteidigen möchte, klar, dass der Mensch die Welt weder begreifen noch besitzen kann. Grundsätzlich stehen sich in seinem Werk pietistisch rationaler Wertekanon und sakrale Mystik stets gegenüber; im weiteren Sinn auch Protestantismus und Katholizismus.

Am deutlichsten wird dies in seinem „Kätchen von Heilbronn – Die Feuerprobe“ – die als letztes seiner Werke zu Lebzeiten am 1. September 1811 in Bmberg ihre Uraufführung erlebt. Zu diesem Zeitppunkt ist von Kleist mehrfach gescheitert: als Journalist bzw. Verleger, als Dramatiker, als liebender Mensch – selbst sein Gesuch zur Wderaufnahme in die freiwillig verlassene preußische Armee, stößt auf Ablehnung. Die Verbindung von Kirche, Tod, Gott und Krieg reicht weit zurück; von Kleist ist nicht nur Poet, sondern auch Soldat und Aristokrat.

Foto Bernd Oei: Hoya, Martinskirche, Rückseite. In der ersten Hälfte des 15. Jh. wurde die Kirche im spätgotischen Stil umgebaut.

In der apokalyptischen Novelle „Das Erdbeben von Chili“ übersteht einzig eine Kirche hat das Erdbeben (Auslöser für die Theodizee-Frage bei Kant); in dieser findet ein Gottesdienst statt, den die beiden Liebenden mit ihrem Neugeborenen besuchen. Die Hasspredigt von der Kanzel herab begründet die Katastrophe mit dem Sündenfall, man wird auf das Paar aufmerksam, der Volkszorn entlädt sich, man  tötet Jeronimo und schließlich auch Josephe, die entkommen könnte, ebenfalls. Nicht nur das Paar samt Kind, sondern auch das gleichfalls zu ihnen gestoßene Paar mit Neugeborenen wird brutal erschlagen; die Lynchjustiz hat obsiegt. Der als Mensch so sanfte Kleist scheint das Gemetzel zu lieben. Das Inferno tobt durch all seine Schriften.

Theodizee

Mit Blick auf die Katastrophe in Lissabon 1755 galten Erderschütterungen in literarischen Kreisen als Chiffre für die Theodizee. Kant betont den Sündenfall, Rousseau das mögliche Paradies durch bewusste Abkehr von der Zivilisation, Voltaire die Unsinnigkeit die Ordnung der Natur mit einer moralischen zu verknüpfen. Von Kleist schenkt der durch Naturgesetze bedingten Instabilität, dem Chaos, größte Aufmerksamkeit, als sei damit Gottes Zorn auf homo sapiens erklärlich. Ein Blick auf die Chronologie seiner Werke zeigt, dass traumatisierende Kriegserfahrung und obsessive Gewaltschilderung bzw. Ohnmachtsanfällen Hand in Hand gehen. Engel und Teufel finden nicht nur in „Die Marquise O“ ihren Widerhall – jene Lektüre, durch die auch Henriette Vogel auf Kleist aufmerksam wurde und die sich auch als Gottesgericht rezipieren lässt.

https://gsta.preussischer-kulturbesitz.de/ueber-uns/newsroom/dossiers/kleist-ausstellung/lebensstationen.html

Von den Gebäuden bzw. Orten dominieren in seinen Werken Kloster und Kirche, wenngleich häufig in negativem Kontext von Verbannung, Strafe und Rache. Es liegt die Vermutung nahe, dass von Kleist die Auslegung und Konfession, nicht aber den spirituellen Kern der Religion und den esoterischen Charakter des Glaubens kritisiert. Hinsichtlich des Endes im „Marionettentheater“ erscheint es sinnfällig, vom vergeblichen Versuch, in das Stadium des paradiesischen Zustands zurückzukehren, nachdem vom Baum der Erkenntnis gekostet wurde. Die Vorherrschaft irdischer Gewalt ist nicht zu leugnen. Doch der Sturz der Kathedralen richtet sich gegen ein falsches Gottesbild und der Ausgang nach dem Lynchmord bleibt offen: wie in der Kreuzigung Christi könnte eine Besinnung und Umkehr erfolgen. Katastrophe meint wörtlich Wende- und Umkehrpunkt.

Foto Bernd Oei: Hoya, Martinskirche. Mitte des 18. Jahrhudert kam es zum Umbau im barocken Stil. 1830 erfolgte der neue Turmbau im klassizstischen Stil mit Sandsteinverblednung (https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturzentrum_Martinskirche_(Hoya)

Gewalt- und Mordfantasie

Das physische Übel der Naturgewalt erfährt eine Gleichsetzung mit der moralischen der Revolution. Im „Erdbeben von Chili“ (eine Reaktion auf Kants Theodizee-Frage nach dem Erdbeben von Lissabon)

Den physikalischen folgen psychische Verletzungen; symbolisch dargestellt durch eine Mutter, die ihr Kind nicht mehr stillen kann. Traumatisierung wird angedeutet durch traumwandlerischen Eigensinn, Spuren Gottes in der Welt der Trümmer[1] sind nicht nur die Kathedralen, sondern die Orientierungslosigkeit von oben und unten, rechts oder links, hinten oder vorne. Die Auflösung von Zeit und Raum erinnert an den radikalen Eingriff der Revolutionäre durch Profanisierung der Gebäude und des Kalenders. Dass nur eine Kirche überlebt ist bedeutsam vor dem historischen Hintergrund, dem Wendepunkt des Revolutionsverlaufs durch Napoleons, der als Befreier wirkt, bevor durch ihn das Werk der Zerstörung auf ganz Europa übergreift. Um wirken zu können, muss alles kaputtgeschlagen werden, nichts darf überleben, was vorher Bestand hatte.

Dass von Kleists Werk überbordert von Gewalt- und Mordfantasien ist zu evident, um es zu übersehen. Daher läuft auch sein eigener libidinöser Todeswunsch auf den Doppel-Suizid hinaus, der auch in seiner Poesie häufig vorherrscht. Allerdings feierten er und Henriette ihre letzten Stunden wie ein Fest. Spätestens bei der Niederschrift seines Marionettentheater-Essays November 1810 steht sein Entschluss fest. Zum Zeitpunkt der Entstehung Ende 1810 haben Kleists Suizidpläne konkrete Formen angenommen und durch die Bekanntschaft der todkranken Henriette Vogels auch ein kongenialer Sterbepartner gefunden. Die letzten Zeilen werden so als romantische Sehnsucht nach dem Tod deutbar.


‚Foto Bernd Oei: Hoya, Martinskirche, Seitenansicht. Nach 17 jährigem Leerstand wurde das Gebäude 1984 der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht.

Von Kleists bis ins letzte Detail inszenierter Tod ist mit dem Begriff Selbstmord nicht vollständig oder befriedigend erfasst. Die Tötung Henriette Vogels, Frau des Rendanten Friedrich Ludwig Vogel ist nach den Begriffen der Zeit ein Mord, die Selbsttötung eine Konsequenz von unerhörter Sachlichkeit. Zudem kann dem Doppel-Mörder Kleist nicht sein tiefer christlicher Glaube abgesprochen werden.

Ihr fröhlicher Spazier-Gang in den Tod gleicht dennoch einer Hinrichtung, Selbstbestrafung und Anklage. In der Literatur kündigt er sie ohnehin an; kaum ein Werk kommt ohne gewaltsames Sterben aus. In von Kleists Dichtungen sind Konsequenzen rechtlichen Charakters aus vorangegangenen Taten. Nicht ohne Bedeutung auch der Ort: auf einer leichten Anhöhe, nahe der Brücke, die den heutigen Kleinen und Großen Wannsee trennt, in Sichtweite der großen Heerstraße zwischen dem militärischen und dem politischen Zentrum des Staats, zum immer währenden Gedenken für alle, zum fortdauernden Vorwurf aber an das Königshaus. Das hat man dort gewusst und verstanden; die Prinzessin Marianne deutet es am 8.1.1833 in ihrem Tagebuch an.

Spaziergang und Brautnacht

Um con Kleist verstehen zu können, muss man seinen Tod als Lebensmittelpunkt betrachten. In all seinen Werken wird mehrfach getötet und gestorben, aus Liebe oder Hass, aus Rache oder um Gnade zu finden. Das verschworene Todes-Liebespaar schreibt verzückte Abschiedsbriefe wie im Rausch. Die letzte Nacht findet im Gasthof Stimming – unwillkürlich muss man an Stimmung denken – statt.

In seiner Novelle „Die VErlobung von Santo Domingo“ zeigt er sich an der Aufarbeitung der Historie und an einer gegenläufigen Auffassung vom „Neger“ als minderwertige Rasse interessiert. Eine biografische Spur legt er mit dem Schweizer Gustav, dessen Heimat an den Ufern der Aar liegt; dort hat Kleist als Wahlschweizer vor seiner Kantkrise selbst gesiedelt. Auch der Selbstmord seines Protagonisten mit dem Schuss durch den Mund verweist auf die eigene Todessehnsucht, den feststehenden Todesplan samt schaurigen Details wie den blutigen Frauenleichnam Tonis als auch den Gehirnresten an den Wänden. Beides ist aufgrund der eigenen Todesinszenierung mit Henriette Vogel nachträglich von Relevanz.

Foto Bernd Oei: Grabstein Kleist/Vogel am Kleinen Wannsee , Bismarckstraße-. Auf dem Grabstein steht „Er lebte, sang und litt / in trüber, schwerer Zeit; / er suchte hier den Tod / und fand Unsterblichkeit.“

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