Schellings Offenbarung der Impotenz

Kirschbaum im Licht

Foto: Bernd Oei: Lichtspiel im Kirschenbaum Liebenau, Nähe Scheunenviertel. Schellings Schrift Von der Weltseele (1798) als die höhere Physik trägt den sperrigen Untertitel: Entwicklung der ersten Grundsätze der Naturphilosophie an den Prinzipien der Schwere und des Lichts.

Offenbarung als Synthese

Für die einen bildet Schelling den Gegenpol (Begriffsphilosophie) zu seinem langjährigen Freund und Mitstreiter Hegel – der Bruch mit ihm setzt ein, als der Dritte im Bunde, Hölderlin, sich in seinen geistigen Elfenbeinturm verabschiedet – für die anderen ist er ein vom Weg abgekommener Naturphilosoph, der über die Religionsphilosophie zur Mythologie und der katholischen Mystik zurückkehrt. Fakt ist, dass der junge Schelling ein radikaler Anhänger der Revolution, als alter Mann sich freute, dass der König von Bayern, sein Gönner Maximilian, während der Märzrevolution auf die Studenten schießen lies.

Fakt ist auch, dass Schelling den Übergang von Fichtes (absolut) subjektiven Transzendentalismus zum (absolut) objektiven Transzendentalismus leistet und bis 1808 (Der Phänomenologie des Geistes Hegels) mit „Über das Wesen der menschlichen Freiheit“ auf dem Höhepunkt der Naturphilosophie stehend, als der wichtigste Idealist der Frühromantik gilt. Karl Jaspers bezeichnet ihn ehrfurchtsvoll als „letztes großes Universitätsereignis“ (in „Schelling: Größe und Verhängnis, Vorwort“).

Um einem roten Faden zu folgen und sich nicht im schellingschen Universum zu verlieren, geht dieser Beitrag nur auf seinen Begriff der Offenbarung ein, neben der Potenzlehrere definitiv der zentrale Begriff zum Verständnis seines Werkes. Er gilt ihm als Synthese von absoluter Freiheit und Notwendigkeit, der , „mit welchem erst der Innerste Mittelpunkt der Philosophie“ erreicht ist. (Schelling: „Das Wesen der menschlichen Freiheit“, Vorbericht)

Anfänglich eine persönliche Fußnote: während meiner Universitätsjahre 90 bis 94 in Bremen hatte ich vier Semester Kant (Hegselmann), vier über Hegel (Pasternack) und vier über Schelling (Schraven). Letzterer strebte die ordentliche Professur an, habillierte über Schelling und reiste eigens, um die notwendigen Stunden abzuleisten, zwei Jahre von München nach Bremen mit dem Zug für die vierstündigen Vorlesungen an. Daher bot sich die Gegenheit, den frühen bis zum späten Schelling kennnezulernen. Interessanterweise folgten außer meiner Wenigkeit ausschließlich Südkoreaner den Kolloquien; der Kreis wurde zusehends geringer, am Ende der letzten Semesterwochen saß ich mit Martin Schraven alleine im Semesterraum. Dies zur Popoularität von Schelling, zumindest in Bremen Anfang der Neunziger Jahre. Zum Vergleich: Hegel war (in einem allerdings kleinem Raum) mit bis zu fünfzehn Seminaristen immer voll. Schraven ist immer noch für die Uni Bremen aktiv und ist Herausgeber der Monografie 1849 Niedergang der Revolution und Ausarbeitung der reinrationalen Philosophie. Et hat in Schelling sein Betätigungsfeld, seine Erfüllung, ja sogar seine Offenbarung gefunden.

Der frühe Schelling um die Jahrhundertwende verschreibt sich der (höheren oder spekulativen) Physik, die mit der Lichtmetaphorik und den Naturgesetzen Analogien zum menschlichen Geist knüpft und die Natur als Geist Gottes (eine Art Emanation) begreift. Der spinozistische Einfluss dominiert sichtbar: „Aber jedes Atom der Materie ist eine ebenso unendliche Welt als das ganze Universum; im kleinsten Teil tönt das ewige Wort der göttlichen Bejahung wieder.“ Nachzulesen in Schelling, „Von der Weltseele“, Kapitel Über das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur (http://www.zeno.org/Philosophie/M/Schelling,+Friedrich+Wilhelm+Joseph/Von+der+Weltseele/%C3%9Cber+das+Verh%C3%A4ltnis+des+Realen+und+Idealen+in+der+Natur)

Es mag erstaunen: Apokalypsis ist der griechische Begriff für Offenbarung. Er vermeint Enthüllung Gottes zur Belehrung der Menschen. Das lateinische Äquivalent lautet declaratio. Schelling verwendet Offenbarung tatsächlich erstmals 1809 in der Freiheits-Schrift, seiner Entgegnung auf Hegels Phänomenologie (dem absolut absoluten Transzendentalismus). “ …. ich will das Christentum im Zusammenhange mit der großen Geschichte von der Schöpfung her darstellen als Offenbarung menschlicher Freiheit.“ (WmF)

Foto Bernd Oei: Nienburg, St. Martinskirche, Nordseite. Erwähnung findet sie erstmals im 13. Jahrhundert, aber Frankenkönig Karl der Große weilte schon in ihrer Vorgängerin, einer Basilika, um sich mit seinem ärgstenWidersachen, Sachsenkönig Widukind zu treffen (letzterer lies sich schließlich taufen und die Fehde war beendet). Schelling denkt über Kant hinaus den sich offenbarenden Gott als „Ermöglichung von Geschichte“ und als „Vollzug von Freiheit„.

Infernalische Triebhaftigkeit

Schelling bezeichnet die zum Wesen des Menschen gehörende Natur des Bösen als Streben nach Unfreiheit und bezeichnet diese infernalische Triebhaftigkeit als zur „Offenbarung Gottes notwendig“. Offenbarung wird zu dem Äquivalent von hegels Selbstbewusstsein: sie ist zunächst a priori absolut, wird gespalten in gut und böse und zuletzt reflexiv erfasst, geht aber über den Begriff und das reine Denken hinaus.

Der Grund von Trennung, damit verbunden dier Individualität des Willens (das Besondere) entspringt dem universalen „Wille zur Offenbarung“, Das Böse liegt in der Selbstheit des Ich vor, ein Trieb des Ego und zugleich der Selbsterkenntnis, -Selbstbehauptung und Selbstanschauung.

Selbstbewusstsein ist folglich ohne Fähigkeit, das Böse zu denken und auch zu tun gar nicht möglich. Durch diesen infernalischen Trieb entsteht überhaupt erst im Individuum der Wunsch, freizukommen von der kreatürlichen Selbsbezogenheit und den Eigenwillen. Konsequenz daraus ist die Selbstoffenbarung. Das Ich erkennt seine Möglichkeiten, die ihm die Schöpfung zuteil hat werden lassen und entscheidet sich frei zu sein von dem bösen Schaffensdrang.

Das Kriterium der Offenbarung bildet Anfang und Ende einer Kette der Evolution zur persönlichen wie allgemeinen Selbstvervollkommnung (Entelechie), die „erste Manifestation in der Natur, so nämlich, dass auch hier der höchste Gipfel der Offenbarung, der Mensch, aber der urbildliche und göttliche Mensch ist, derjenige, der im Anfang bei Gott war, und in dem alle anderen Dinge und der Mensch selbst geschaffen sind.“ (Schelling, WmF, Philosophische Untersuchungen)

Schelling spricht von der Offenbarung auch als einer geometrischen Notwendigkeit, das Irrationale und Zufällige mit dem Rationalen und Notwendigen zu verbinden. Der reale und lebendige Begriff der Freiheit ist daher gleichzeitig ein Vermögen des Guten als auch des Bösen.

Charakteristisch für Schelling ist die Erklärung eines moralischen oder geistigen Problems aus der Naturwissenschaft heraus. Im humanen Geist leben Materie und Idee, Dunkel und Licht vereint. Da Licht nur zu wirken vermag, wo es auf Materie trifft, muss das Böse als reales Prinzip für die Verwirklichung des Guten als das ideale Prinzip notwendig sein, da die Unterworfenheit sinnlicher Gesetze die Voraussetzung für die Befreiung aus den Fesseln des Erkennbaren im Glauben zu finden sind.

Foto Bernd Oei: Nienburg, St. Martinskirche, östliche Seitenansicht Gotisches Backsteinschiff mit Zwerchgiebeln. (https://www.mittelweser-tourismus.de/poi/pfarrkirche-st-martin-nienburg-1/) Schelling wurde 1775 in einem schwäbischen Pfarrhaus in Leonberg geboren. Er promovierte über den Ursprung des Bösen, wird 1799 in Jena Nachfolger Fichtes (entlassen aufgrund des Atheismus-Vorwurfs). Ab 1804 wendet er sich Böhme und damit der katholischen Mystik zu. Aus dem Natur- wird ein Religionsphilosoph.

Kunst

Nachdem Schelling festgelegt hat, dass Offenbarung die „Verbindung des allgemeinen mit dem besonderen Willen“ ist und sich im Anblick der ganzen Natur (verstanden als Materie oder Leib Gottes) vollzieht, erklärt er Kunst als ihr Symbol. „Kunst ist Offenbarung des Göttlichen„, das einzig wahre und ewige „Organon“ heißt es am Ende in der Philosophie der Offenbarung 1830/31. Die kürzeste Zusammenfassung lautet: Offenbarung des Absoluten (dem Zusammenhang von allem, dem Ding an sich: (absolut subjektiv in der) Kunst, (absolut objektiv in der) Philosophie und (absolut absolut in der)Religion, die (entscheidend) höher gewichtet wird als bei Hegel. Die zweite und endgültige Fassung der PdO erscheint 1841/42 eine Dekade nach der Urfassung. Alles läuft nun auf die Selbstoffenbarung Gottes hinaus: „Es gibt keine höhere Offenbarung weder in Wissenschaft noch in Religion oder Kunst als die der Göttlichkeit des Alls: Ja, von dieser Offenbarung fangen jene erst an und haben Bedeutung nur durch sie.“ (Schelling, PdO, Kunst der Philosophie).

Die Kreuzigung Jesus nennt Schelling einen „symbolischen Wendepunkt“ in der Geschichte der Philosophie, der Religion und der Kunst. Letztere wurde für Schelling immer mehr zur Mythologie. In und mit der Kreuzigung im Evangelium setzen Gnosis(Erkenntnis von Wissen, epistemé) und esoterische Erkenntnistheorie ein, die mögliche Versöhnung (Aufhebung der Trennung von Körper, Geist und Seele) wird erstmals real. Schelling wirkt einer von Kant und Hegel intendierten Vernunftreligion damit entgegen.Alles wird symbolisch erst im Christentum, so auch die Trinität und alles Heilige. Er scheut nicht die Paradoxie: „Gott ist keine bleibende, ewige Gestalt, sondern nur eine von Ewigkeit beschlossene, in der Zeit aber vergängliche Erscheinung.“ (Schelling PdO, Philosophie der Kunst) Kunst ist daher Emanation, Ausfluss des Absoluten.

Foto Bernd Oei: Nienburg, St. Martinskirche, südliche Seitenansicht. In den Jahren 1830/31 erfolgte eine Restaurierung und damit auch die heutige Ansicht der protestantischen Kirche. 1896 wurde der 72 Meter hohe neugotische Turm auf den alten Turmsockel gesetzt. Schelling bezeichnet in „Vorlesungen über Philosophie“ Archtektur als „erstarrte Musik.“ Analog Goethe: Die Stimmung, die von der Baukunst ausgeht, kommt dem Effekt der Musik nahe.

innere Konstruktion der Natur

Kunst erweist sich als symbolische Handlung der Offenbarung, sie ist laut Schelling auch immer sakral. Schelling postuliert (wie Hegel) „Außer der Vernunft ist nichts und in ihr ist alles“; jedoch setzt er die Bewegung im Objektiven der Natur an und führt sie hier dem Absoluten zu. Im Gegensatz zu Hegel eignet sich nicht der Geist die Natur, sondern invers, die Natur (Gott) den (menschlichen) Geist an. Alles Wissen wird real durch sie und ihre Gesetze hervorgebracht und schließlich dem Geist offenbart: „…es müßte überall, wo unser letztes Denken und Erkennen noch hinreicht – im ganzen Kosmos unseres Wissens – zugleich als Urgrund aller Realität herrschen.“ Schelling in „Vom Ich als Prinzip der Philosophie“, § 1,Dieses mystisch kontemplative Gefühl findet sich u.a. in Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“.

Subjektiver Geist ist actus, erleidender Geist der Natur ist passivum. Am Ende kehrt sich das Verhältnis um: Geist ist ideal und Natur das reale Prinzip, in der Offenbarung ist beides versöhnt, der vermeintliche Dualismus aufgehoben. Der Beginn von Schellings Schaffen ist Identitätsphilosophie, welche er als höhere bzw. spekulative Physik bezeichnet. Sie ist durchzogen von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Analogien zur Genesis. Aus dem metaphorischen wird zunehmend mythisches Denken. Aus dem, was in der Naturerkenntnis offenbar im Sinn von offenkundig (evident) ist, entsteht innere Weltauslegung.

Offenbarung ist „innere Konstruktion der Natur“, die sich äußerlich als Formprinzip zu erkennen gibt. Die einfachste Formel lautet immer: Offenbarung als den erscheint uns als Moment der Aufhebung zwischen idealem und realen Prinzip.

Bernd Oei: Nienburg, dreischiffige St. Martinskirche, Turm, Nordansicht. Der Name Nienburg geht auf die neue Burg zurück, die Bischöfe von Minden Anfang des 11. Jh. nahe des wichtigen Weserübergangs erbauen ließen. Aus dieser Zeit stammt der Sockel des Turms, der im 30 jährigen Krieg zerstört und im Todesjahr Hegels 1831 in seine heutige Gestalt versetzt wurde. Die Kirchturmspitze stammt sogar aus dem Jahr 1980.

Potenz der Impotenz

Kunst erweist sich als symbolische Handlung der Offenbarung, sie ist laut Schelling auch immer sakral. Den Schlusstein seines Systemphilosophie setzt Schelling bekanntlich in der Spätschrift „Mythologie der Offenbarung“. Alle Philosophie (namentlich die Hegels) vorher bezeichnet er als negative, als Begriffs- oder Vernunfphilosophie, die in und mit der Logik endet. Sein Anspruch ist es, überbegrifflich anschaulich und lebendig zu werden. Erst in der Mythologie und damit der eigenen Weltanschauung (eben der Offenbarung), wird das Reich der positiven Philosophie lebendig und konkret.

Das französische Pendant (die Übersetzung) für positive Philosophie heißt treffender participation mystique, der Verbundenheit mit allen irdischen und mit dem göttlichen Wesen. Damit einher geht das Ende des rein rationalen Denkens, wie es in Hegel kulminiert. Der Psychologe C.G. Jung setzt es mit dem kollektiven Unbewussten gleich. Ein anderer Begriff (obschon Schellings Spätphilosophie sich klaren Terminologien bewusst entzieht) ist Weltprozess oder Weltgeist, auch Weltseele führt er an. Wenn man die Trinitätslehre darauf überträgt, entsteht auch eine Dreifaltigkeit zwischen den drei genannten Worten.

Schelling postuliert, erst im Christentum werden auf allen drei Ebenen – geistig, seelisch und körperlich – Dinge offenbart und Gott damit wirklich (er bleibt nicht abstraktes Ideal). „Der Geist der Natur ist nur scheinbar der Seele entgegengesetzt, an sich aber das Werkzeug der Offenbarung. Er wirkt zwar als Gegensatz der Dinge, aber nur damit eigene Wesen als höchste Milde und Versöhnung aller Kräfte hervorgehen können.“ (Philosophie der Offenbarung, 15. Vorlesung)

Kierkegaards Worte, nachdem er 1841 eigens aus Kopenhagen nach Berlin gereist war, um diese Worte (aus dem Mund von) Schelling zu hören: „Ich bin zu alt, um Vorlesungen zu hören, ebenso wie Schelling zu alt ist, um sie zu halten. Seine ganze Potenzenlehre bekundet die höchste Impotenz.“

Philosophie kann offenbar doch lustig. ( http://philosophisches-jahrbuch.de/wp-content/uploads/2019/01/PJ65_S147-161_Dempf_Kierkegaard-h%C3%B6rt-Schelling.pdf)

Schellings Geburtshaus in Leonberg , 13 km westlich von Stuttgart (https://www.erlebnisregion-stuttgart.de/a-schellinghaus)

Weltseele

Was Schelling so überaus wirksam macht, ist der Versuch einer Antwort auf das Verhältnis von Natur und Geist. Schelling findet die Lösung seiner Probleme im Postulat eines ursprünglich absoluten Geistes, der sich in Natur und Geschichte vergegenständlicht und damit entzweit hat. Trotz dieser Spaltung bilden Natur und Geist aufgrund ihres gemeinsamen Ursprungs im Absoluten eine Einheit, in der alles mit allem verbunden ist. „Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn. Hier also, in der absoluten Identität des Geistes in uns und der Natur außer uns, muß sich das Problem, wie eine Natur außer uns möglich seye, auflösen“. Als Metapher für dieses Prinzip eines unauflöslichen Zusammenhangs von Mensch und Universum, Makro- und Mikrokosmos, das „die ganze Natur zu einem allgemeinen Organismus verknüpft“, gebraucht Schelling den Begriff der „Weltseele“.

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/deutsch-und-literatur/novalis-schellings-naturphilosophie100.html

Foto Andreas Butz: Grabmal Schellings in Ragaz, Schweiz. Schelling stirbt hier in der nordöstlichen Schweiz 1854 im Alter von fast 80 Jahren. Er hat Hegel um 23 Jahre überlebt. Inschrift: Dem ersten Denker Deutschlands lies sein Mäzen und ehemal. Schüler König Maximillian II gravieren. Unter Philosophie verstand Schelling die absolute Einheit von Wissen, Glauben und Handeln, die es vereitelt, in Selbstwiderspruch zu geraten. Man tut mit absoluter Freiheit das absolut Notwendige.

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