Roths Briefe an Zweig

Foto:Arena von Nîmes, Durchgangsstation Roths seiner Reportage „Die Weißen Städte“, zugleich Hochzeitsreise mit seiner „Frau Friedl“, die wenig später an Schizophrenie erkrankte.

Roth: „Den Einwohnern von Nîmes kommt es gar nicht in den Sinn, daß den Kinematographen von der Arena nicht nur die Jahrhunderte scheiden. Sie leben sorglos, und mit vergnügter, beharrlicher Ahnungslosigkeit flechten sie die Epochen der Geschichte ineinander, wie Blinde Körbe flechten, die sie niemals sehen werden. Sie wissen nicht, was sie tun, aber vielleicht erfüllen sie eine große Aufgabe. Das ist die Unschuld der Menschen, die im Schatten der Geschichte wachsen.“

Quellen:

Promotion Dominik J. Leugering, „Joseph Roth als Briefeerzähler. Autobiografische Rolleninszenierung“, Universität Nürnberg-Erlangen, 2020 (file:///C:/Users/Privat/Downloads/Leugering_Dissertation-2.pdf)

Renate Lunzer, „Ich glaube nicht an Morgen, vielleicht an Übermorgen. Ein bisher
unveröffentlichter Brief von Joseph Roth an seinen Übersetzer Enrico Rocca“. In: Die Presse, Nr. 14268
16./17.9., Spectrum. Wien, 1995

Madelaine Rietra, Joachim Siegel (Hg.) „Jede Freundschaft mit mir ist verderblich. Joseph Roth und Stefan Zweig. Briefwechsel 1927-38“, Göttingen, 2005 (https://www.wallstein-verlag.de/01%20Roth-Zweig%20Briefwechsel%20Leseprobe.pdf)

Die Bilder erinnern an Roths Reisebericht zur Artikelserie „Die weißen Städte“, die für die FZ auf seiner Reise durch Südfrankreich entstanden, die u.a. in „Rot und Weiß – Wanderer zwischen Städten“ zusammen mit der Chronik „Juden auf Wanderschaft“ März 2022 erschienen (https://www1.wdr.de/kultur/buecher/roth-rot-und-weiss-100.html). Auszüge daraus unter https://www.zeitzug.com/interviews/die-weissen-staedte.html

Die folgenden Aufnahmen zeigen Les Beaux, Nimes, Arles, Vienne, Avignon, Tarascon, Beaucaire, Lyon, Tournon

unkommentierte Zitate zu Vortrag in O(o)stende 30.09. 2022 für die Stefan Zweig Gesellschaft, chronologisiert:

1930

Foto Bernd Oei, Les Beaux, Salon der Provence. Provencalisch Baou schroffer Felsen
Roth, Die weißen Städte: “ Ein paar Meilen weiter, Avignon schon nahe, liegt das Zauberschloß Les Beaux, das weiße Schloß der Poesie.“

„Ihre Freundschaft allein ist seit Monaten der einzige Trost, den ich erlebt habe. Oft aber schreibe ich einfach nicht, weil ich mich nicht konzentrieren kann.“

(Roth an Zweig, 27.06.1930, S. 171)

„Welch ein Schicksal haben wir, deutsche Schriftsteller zu sein! Wir werden nicht in die Hölle kommen, wir werden aus dem Fegefeuer, das unser Leben ist, in den Himmel gelangen, direkt aus diesem barbarischen Walhalla in den Himmel. … Sie sollen wissen: ich bin gefaßter, gleichsam ausgesöhnter mit dem Schicksal.“

(Roth an Zweig, 15. 10. 1930)

Foto Bernd Oei, Les Beaux, Region Bouches du Rhône,
Roth: „Aber Les Beaux ist zerklüftet. Das Mittelalter ist tragisch. Nicht weil es zerstört wurde. Ganz erhalten, wäre es noch tragischer.“

1932

„Vergessen Sie nicht, dass ich seit meiner finsteren Kindheit zur Helligkeit emporstöhne“ (Roth an Zweig, 18.09.1932, S. 227)

„Ich glaube, daß ich nicht schreiben könnte, wenn ich einen festen Wohnsitz hätte.“

(An Zweig betreff der Entstehung des Radetzkymarsch an acht verschiedenen Stationen)

1933

„Ich kann, ohne mit Ihnen gesprochen zu haben, absolut nichts Neues anfangen.Ihre Güte und Ihre Klugheit muß ich haben. … Ihre Klugheit ist groß, aber Ihre Menschlichkeit verhindert Sie, Schlechtes zu »sehn«, Sie leben vom Glauben und von der Güte. Aber ich sehe und ahne manchmal durchaus und verblüffend treffliche Dinge von der Schlechtigkeit.“
(Roth an Zweig, 18.1. 1933)

„Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.“

(Roth an Zweig, 30. 01. 1933)

„Ich bin ein alter österreichischer Offizier. Ich liebe Österreich. Ich halte es für feige, jetzt nicht zu sagen, daß es Zeit ist, sich nach den Habsburgern zu sehnen. „

( Roth an Zweig, 28.04.1933, S. 262)

Foto: Bernd Oei, Vienne, Auvergne-Rhône Alpes.
Roth: „Die Hügel umschlossen die Stadt, ohne sie einzuzwängen. Immer noch war Platz genug, um zu wachsen und sich auszubreiten. Immer noch war Grün zwischen den Steinen. Die Stadt wuchs in das Land hinein, und das Land schmiegte sich an die Stadt. Natur und Kunst waren einander ebenbürtig.“

„Sie wissen nicht, daß ich im Begriffe war, Thomas Mann, Döblin, Schickele wegen ähnlicher Erklärungen anzugreifen. Als ich das von Ihnen erfuhr, war es wie eine Ohrfeige. Dabei konnte man noch den Dreien zu Gute halten, daß sie von dem Scheiß-Bermann-Fischer materiell abhängig sind. Sie sind von der Insel unabhängig. Sie mußten,meiner Meinung nach, zu der Zeit, als Sie Ihren Brief schrieben, schon die ohrfeigende Schlußbemerkung gekannt haben, mit der die famose Reichsstelle die Loyalitätserklärung der Drei tapferen Schneiderlein geschmückt hatte: sie stünde nach wie vor nicht zu der geistigen Haltung der loyalen Dichter. Nun, ich begrüße den Abstand, der Sie von den Dreien trennt: Diese schrieben an ihren Verleger mit dem Bewußtsein, daß es publik werde: Sie telegraphierten sogar. Sie aberschrieben privat an die Insel. Ich begrüße nicht, daß Sie überhaupt geschrieben haben. Gewiß trennt mich viel von Feuchtwanger. Aber nur, was Menschen trennen kann. Von allen aber, ohne Ausnahme, die heute für Deutschland, mit Deutschland, in Deutschland öffentlich tätig sind, trennt mich genau das, was Menschen vom Tier scheidet. Gegen stinkende Hyänen, gegen den Auswurf der Hölle ist selbst mein alter Feind Tucholsky mein Waffenkamerad. Und wenn die »Sammlung« tausendmal Unrecht hätte: gegen Goebbels, gegen Mörder, gegen die Schänder Deutschlands und der deutschen Sprache, gegen diese stinkenden Luther-Fürze hat sogar die Sammlung Recht. … Rolland hat Recht. Unter gar keinen Umständen darf ein aufrechter Mann die Politik fürchten. ,,, Es ist ein Hochmut, olympischer sein zu wollen als Hugo und Zola. Aber ich gebe zu, daß es Temperamentssache ist, ob man eingreift oder nicht. … Wenn wir nicht die Wahrheit sehen und auch vor Fürzen erschauern: wer soll denn sonst das Wahre sehn? … Es ist ein Kampf auf Leben und Tod zwischen der europäischen Kultur und Preußen. Merken Sie das wirklich nicht? Nehmen Sie meinetwegen öffentlich keine Partei. Bewahren Sie meinetwegen sogar noch einen – mir unbegreiflichen – Respekt vor all Dem, was Sie das »Elementar-Nationale« oder sonstwie nennen wollen. Aber ich beschwöre Sie, hören Sie endlich mit jedem Versuch auf, nach Deutschland auch nur die dünnsten Fäden zu spinnen. Nehmen Sie keine Rücksicht auf die Insel. Jedermann, ganz gleichgültig, wer er ist, wie er früher war, der öffentlich heute in Deutschland tätig ist, ist eine Bestie. … Alles kommt von Ihrer schwankenden Haltung. Alles Böse. Alles Mißverständliche. Alle dummen Zeitungsnotizen über Sie. Sie sind in Gefahr, den moralischen Kredit der Welt zu verlieren und im Dritten Reich nichts zu gewinnen. Praktisch gesagt. Moralisch aber: Sie verleugnen eine 30 jährige Vergangenheit. Wozu? Für wen? Für einen Geschäftsfreund. … Aber jetzt ist die Stunde der Entscheidung da. Stärker als im Krieg. Jetzt angesichts dieser höllischen Stunde, in der die Bestie gekrönt und gesalb wird, hätte selbst ein Goethe geschwiegen. Ich kann Ihre Haltung nicht billigen. Ich bin ein besserer Freund als die Insel. Und mir allein zuliebe hätten Sie den unseligen Brief nicht schreiben dürfen … zwischen uns Beiden wird ein Abgrund sein, so lange Sie innerlich nicht ganz, nicht endgültig mit dem Deutschland von heute gebrochen haben. Lieber wäre mir, Sie lämpften mit dem Gewicht Ihres Namens dagegen. Wenn Sie das nicht können, bleiben Sie wenigstens still Schreiben Sie nicht an die Insel, an Den oder Jenen. Um »Unannehmlichkeiten« dem Adressaten zu ersparen. Sie schaffen Sich selbst damit stärkere. Sie sind klug genug, um zu wissen, daß heutzutage in Deutschland der Inhaber der Insel ebenso ein staatlicher Funktionär ist, wie die Reichsstelle. Sie hätten also wissen müssen, daß Ihr Brief keinprivater bleiben kann. Schon jeder gewöhnliche deutsche Staatsbürger ist ein arschleckender Angestellter des Staates; geschweige dann der Verleger der Insel, oder Fischers. (Ich wünsche ihnen allen das Konzentrationslager.) … Noch einmal: Sie müssen entweder mit dem III. Reich Schluß machen, oder mit mir. Sie können nicht irgendeine Beziehung zu einem Vertreter des III. Reiches haben – und das ist dort jeder Verleger- und zugleich zu mir. … Ich beschwöre Sie noch einmal, bewahren Sie Ihre Würde!““

(Roth an Zweig, 7. / 8. 11. 1933)

Foto Bernd Oei: Arles, Bouche du Rhône, Les Alyscamps (Nekropole).
Roth: „In Arles liegen die Denkmäler außerhalb der bürgerlichen Sphäre. Sie sind im mittelalterlichen und späteren Arles heimisch geworden. In den »Alyscamps« haben sich die ersten Christen verborgen, und die mittelalterlichen Arlesier haben sich da begraben lassen. In der Arena haben sie sich eine Zeitlang gegen Stürme feindlicher Belagerer verteidigt. Aber weder die Lebenden noch die Toten haben den römischen Bauten etwas von ihrer fernen Unberührtheit genommen.“

„Vielleicht führen wir zwei verschiedene Sprachen … Jede Hoffnung ist aufzugeben, endgültig, gefaßt, stark, wie es sich gehört.“

(Roth an Zweig, 09.09.1933)

„Sie sollen nie einen Brief von mir bekommen, in dem ich irgendetwas verschweige, oder in dem ich irgendetwas vor Ihnen verberge, oder zurückhalte … Ich kann mich selber nicht ‘historisch’ betrachten. Ich kann aber auch nicht fortwährend diesen Einbruch privaten Unheils in mein literarisches, also, wenn Sie wollen, ‚eigentliches‘ Leben literarisch umsetzen“.

(Roth an Zweig, 22.12.1933, S. 298)

1934

„Wer so klug baut, aufbaut, den Hörer spannt – und die Spannung so handwerklich kunstgerecht fast bis zur letzten Zeile steigert, der weiß wohl, was gelungen heißt. Das Handwerkliche kann ich bei Ihnen nur lernen, und mein handwerkliches Gemüt freut sich beim Anblick dieser kleinen, dem Laien unsichtbaren Verschweißungen […] Dieser handwerklichen Meisterlichkeit scheint mir die Psychologie zu entsprechen und das, was ich das Moralische des Dichterischen nennen möchte. Es ist ganz großartig, wie sich die Psychologie der erzählenden Person immer stärker identifiziert mit der Psychologie des Objektes und wie zugleich dadurch auch für jene, denen das Objekt unmoralisch erscheinen muß, dessen Moralität gehoben wird. […] Ganz am Schluß wird also etwas Privates mitgeteilt. Das wird ein Bekenntnis, das verringert die notwendige Distanz zwischen Ihrer Person und dem Leser.“

( Roth an Zweig, 18.02.1934, S. 315f.)

Warum sprechen Sie mir von Alkohol? Sie wissen, daß ich längst nur Wein trinke.“
(13.4. 1934)

„Ich habe noch etwa 6000 Francs vonde Lange zu erwarten. Selbst wenn ich keine Familie hätte, könnte ich diese Summe unmöglich so strecken, daß ich in der nötigen Ruhe den Roman zu Ende schreibe.“ ( Roth an Zweig, 02.08.1934, S. 367f.).

„Dieser alten Leute wegen [Roths Schwiegereltern, die nach Palästina auswandern und die kranke Tochter Friedl in einer Anstalt zurücklassen wollen] habe ich so viel für meine Frau getan, jetzt verläßt die Mutter ihr Kind, ich allein bin die Mutter.“

(Roth an Zweig, 18.09.1934, S. 380)

„Ein starker Mensch bleibt am Leben. Ich gehe an ganz kleinen lächerlichen Dingen zu Grunde … Sie haben recht, recht mit Ihren Ratschlägen, aber was fange ich damit an, mit diesen Ratschlägen, Sie kennen nicht und wissen nicht, Sie wissen doch nicht wie mir zu Mute ist, Sie haben mich nur gescheit gesehen – und ich bin es nicht, ich habe es nur gespielt!“

(31.10. 1934)

Foto Bernd Oei: Tarascon, Bouche du Rhône, Burganlage, links des Flusses, 1411 vollendet.
Roth: „Es war im Mittelalter die Hauptstadt eines Rhône-Arrondissements. „Im Schloß an der Rhône wohnten die noblen und tapferen Herren. Das Schloß ist heute ein Gefängnis.“

1935

„Machen Sie sich bitte um mein Trinken gar keine Sorgen. Es konserviert mich viel eher, als daß es mich ruiniert. Ich will damit sagen, daß der Alkohol zwar das Leben verkürzt, aber den unmittelbaren Tod verhindert.“
(12.11. 1935)

erklärender Kommentar zu folgedem Zitat: Roth verzweifelt und sich schuldig fühlend, erwägt einen Bruch mit seiner Familie (Andrea Manga Bell – zwischen 1929 und 36 seine Geliebte – und ihre Kinder):
„Ich teile wahrhaftig nicht ein, sondern aus. Und, wenn ich das nicht tue, so muß ich allein bleiben, Das heißt also: ich trenne mich, gegen mein Gewissen, von den 3 armen Menschen, die von mir leben. Ich kann es tun. Aber ich brauche ein Jahr, um diese Tat zu überwinden, ebenso, wie ich zwei Jahre gebraucht hatte, um die Krankheit meiner Frau [Friedl Roth] zu überwinden, an der ich immer noch glaube, schuldig zu sein. Was also könnte ich einteilen Kann man billiger wohnen, als für 600 francs, im Foyot? […] Mit Küchengeruch und ‚Familienleben‘? Ich muß frei sein, aber ich will nicht schlecht sein.“

(Roth an Stefan Zweig, 01.09.1935, S. 427f.)

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Briefe nicht weniger gewissenhaft schreibe, als Bücher. Bestimmt aber nicht Briefe an Sie!“

(Roth an Zweig, 18.10.1935, S. 430)

„Sie können mir sagen, daß es meine Pflicht sei, der Literatur zu dienen. Ich diene ihr nicht. Die Literatur ist eine irdische Angelegenheit; mein Beruf. […] Ein Schriftsteller, das ist ein weltlicher Mensch.“

(Roth an Stefan Zweig, 17.11.1935, S. 441)

„Wen soll ich rufen, wenn nicht Sie? Sie wissen, daß Gott sehr spät antwortet, meist nach dem Tode. Ich will nicht sterben, obwohl ich den Tod nicht fürchte.“

(06.12.1935)

Foto Bernd Oei, Beaucaire, vom chateau de Tascaron aus, rechts der Rhône.
Roth: „Beaucaire. Das war einmal der größte Jahrmarkt des Orients und des Okzidents. Beaucaire war die lauteste europäische Messestadt, jedes Jahr, zwischen dem 21. und dem 28. Juli. Hierher kamen die Griechen, die Phönizier, die Spanier, die Türken, die Franzosen, die Italiener und die Deutschen.“

1936

„Dieser Brief hier macht mir das Schreiben an meinem laufenden Roman unmöglich.“

(Roth an Zweig, 20.01.1936, S. 445)
„Die galizische Welt ist in dieser Zeit noch weitgehend ohne elektrisches Licht und damit abhängig von dem natürlichen Tag-Nacht- Rhythmus, sowie einfachen Hilfsmitteln wie Kerzen, Fackeln, Öl-, Petroleum- und Gaslaternen.“

„Ich kenne, glaube ich, die Welt nur, wenn ich schreibe, und, wenn ich die Feder weglege, bin ich verloren.“ (Roth an Zweig, 17.02.1936, S. 452)

„Was ein armer kleiner Jude ist, brauchen Sie nicht ausgerechnet mir zu erzählen. Seit 1894 bin ich es und mit Stolz. Ein gläubiger Ostjude aus Radziwillow. Lassen Sie das! Arm und klein war ich 30 Jahre. Ich bin arm. Es steht aber nirgends geschrieben, daß ein armer Jude nicht versuchen darf, Geld zu verdienen. Um solch einen Rat allein habe ich Sie gebeten.“

(Roth an Stefan Zweig, 02.04.1936, S. 465)

„Sehen Sie denn nicht, was das schon für ein Zusammenleben ist, wenn ein 42jähriger Mensch, der 20 Bücher geschrieben hat, wirklich im Schweiße seines Angesichts, und der sehr viel Unglück gehabt hat, in dieser Lage noch arbeitet. Ich schreibe jeden Tag, nur um mich zu verlieren, in erfundenen Schicksalen.“

(Roth an Zweig, 30. 4. 1936, S. 467)


Über Stefan Zweig 1935:

Foto Bernd Oei: Die Rhône, von der pont d´Avignon aus fotografiert. 807 km lang und waserreichster Fluss Frankreichs.
Roth: „Man sieht auf den großen, schönen Fluß, der eine der wichtigsten Straßen der Römer war. So sind hier schon vor beinahe zweitausend Jahren die römischen Männer und Frauen gesessen, die Krieger und die Frauen der Krieger und die jungen Bräute.“

In einem Brief an Stefan Zweig aus dem Exil im Pariser Hotel Foyot am 14. August 1935 bemerkt Roth mit Blick auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten kritisch, dass Stefan Zweig zwar zu Recht bisher „keine kleinen Polemiken gemacht“, zu Unrecht jedoch zu lange „Zurückhaltung“ gezeigt habe. Hinsichtlich der beobachteten Resignation zieht Roth Thomas Mann vergleichend hinzu, wenn er ihn erwähnt als den, der „sowie mehrere Männer“ seines und Stefan Zweigs Grades ebenfalls eine Haltung der „Resignation“ eingenommen habe, die „auf einen großen Teil der anständigen Menschen“ übergegangen sei.

(Joseph Roth an Stefan Zweig, 14.08.1935, S. 420)

Stefan Zweig an Joseph Roth
Hinreichend viele Gründe für eine solche ‚Resignation‘ erkennt auch der angesprochene Stefan Zweig, ohne sich zu konkreten Eingeständnissen oder Handlungskonsequenzen veranlasst zu sehen. Vielmehr entgegnet er offensiv mit moralischer Kritik und resümiert in einem späteren Brief an Roth nachdenklich und nicht unkritisch „...was dies jetzt für ein widerliches Gegeneinander“ sei. Es werde ein „Feldzug gegen Thomas Mann, Hesse und Kolb“ geführt,

„…meist von Leuten, die, wenn sie sich eine Vorhaut rasch hätten ausborgen können, still oder laut in Deutschland säßen.“

(Zweig an Joseph Roth, 1935, S. 448).

„…. ich wußte mit meinem gräßlich wachen Voraussehen, daß zunächst für die Emigration die Curve noch nach abwärts geht, um wiederaufzuschwingen, weil kein Nachwuchs da ist und Männer wie Sie dann erst in das rechte Relief treten, wenn die Überdrängung aufgehört hat) Aber wie gesagt – ein Plan muß gemacht werden für die nächsten Monate. Sie müssen über den toten Punkt hinweg.“

(Zweig an Roth, 21.01.1936)

Foto Bernd Oei: Brücke von Avignon Pont Saint-Bénézet,Südostufer, zu Füßen des Rocher-des-Doms-Felsens in unmittelbarer Nachbarschaft zum Papstpalast.
Roth: „….deren Bau 1177 begonnen wurde. Sie war nur für Fußgänger und Reiter bestimmt. Denn sie ist zwar 900 Meter lang, aber nur 4 Meter breit. Im 13. Jahrhundert wurde sie abgebrochen. Heute sieht man nur noch eine halbe Brücke. Ihr letzter Pfeiler ruht in der kleinen Insel in der Mitte des Flusses.“

„Ich lese einmal in der Woche die Zeitung und habe dann an den Lügen aller Länder genug, das Einzige, was ich tue, ist, daß ich versuche hie und da einem Einzelnen zu helfen –nicht materiell, meine ich, sondern auch Leuten herauszuhelfen aus Deutschland oder in Rußland oder sonst in Nöten: vielleicht ist das die einzige Art, in der ich activ zu sein vermag. Ich widerspreche nicht, wenn Sie mir sagen, daß ich flüchte. Wenn man Entscheidungen nicht durchkämpfen kann, soll man vor ihnen davonlaufen – Sie vergessen, Sie,mein Freund, daß ich mein Problem im »Erasmus« öffentlich gestellt habe und nur eines verteidige, die Unantastbarkeit der individuellen Freiheit. Ich verstecke mich nicht, schließlich ist der Erasmus da, in dem ich auch die sogenannte Feigheit einer concilianten Natur darstelle ohne sie zu rühmen, ohne sie zu verteidigen – als Faktum, als Schicksal. Und ebenso der »Castellio« – das Bild des Mannes, der ich sein möchte. Nein, Roth, ich war nie eine Sekunde einem wahren Freunde untreu. … Es hilft Ihnen nichts, Roth, Sie können mich nicht abbringen von Josef Roth. Es hilft Ihnen nichts!“

Zweig über Roth Juli 34:

„Roth ist jetzt für mich ein Alptraum. Ich sehe nicht, wie man ihn menschlich, materiell und künstlerisch über Wasser halten kann, wenn er so weiter macht.“

Zur Erinnerung: Die Kehrseite der Medaille ist Roths große Humanität und Hilfsbereitschaft. 1930 wird seine Frau wegen psychischer Probleme in das Sanatorium Rekawinkel eingeliefert. Der Autor fühlt sich für ihre Krankheit verantwortlich und zahlt große Summen für kostspielige Privatsanatorien. Als ihm dies nicht mehr möglich ist, wird Frieda im Dezember 1933 in die Landesirrenanstalt „Am Steinhof“ eingeliefert. Dort ist der Aufenthalt gratis und der Gatte muss nur für die Verpflegung aufkommen. 1940 wird Frieda Roth im Rahmen des NS-Euthanasie-Programms ermordet.

(Zweig an Roth, 10.10. 1937)

Foto Bernd Oei, Pont d´Arignon vom Papspstpalast aufgenommen.
Roth: „Hier ist eine freundliche, beinahe einladende Festung. Sie zu belagern, wäre ein Genuß. Vor Bewunderung würde man vergessen, sie zu bekämpfen. Um sie zu erobern, müßte man sie umwerben. Hier flösse kein Blut. Hier gäbe es keinen grausamen Tod.“

weitere Quellen: „Die Hölle regiert“, Focus N3. 34, 2021 (https://www.focus.de/magazin/archiv/literatur-die-hoelle-regiert_id_17934543.html)

Deutschlandfunk, „Der Schriftsteller Joseph Roth. Der Untergang der Alten Welt“, 22.08. 2022 (https://www.deutschlandfunk.de/der-schriftsteller-joseph-roth-vom-untergang-der-alten-welt-100.html)

Volker Weidemann, “ Das Buch der verbrannten Bücher“, Kapitel „Die Hölle regiert! Stefan Zweig und Joseph Roth – eine Freundschaft in Briefen“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008 (https://literaturkritik.de/id/19339)

Joseph Roth – Sefan Zweig. Der Briefwechsel (https://www.koellerer.net/2012/01/23/joseph-roth-stefan-zweig-der-briefwechsel/)

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