Pücklers Marokko oder kein Platz mehr für den Diwan

Foto Bernd Oei: Marrakesch, Cyber Park, poetisch-szenische Lesung im Rahmen eines kostenlosen frei zugänglichen Kulturfestes mit Musik und Lesung.

Mehr Opposition wagen

Gregor Gysis beeindruckenster Satz bei seinem Gastauftritt im Nienburger Theater am 25.11. lautete: „DIe Oppostion ist dafür da, das politische Klima zu ändern.“ Er sagte auch, dass grundsätzlich politische Inhalte kurz sein müssen, damit sie das Volk verstehe. Und dass, wer die Wahl gewinnen will, immer positiv und nicht wahrheitsgetreu formulieren muss. Seine nachhaltigste Anekdote zur Zeit war die: Selsensky und Putin hatten sich bereits über einen Waffenstillstand geeinigt, doch die USA hätten ihr Veto eingelegt. (https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ukraine-russland-frieden-101.html).

In einer Zeit, in der eine Außenministerin ohne geschichtliches, taktisches oder diplomatisches Grundverständnis fordert, den Krieg für den Frieden zu gewinnen, kann so ziemlich alles schad- und folgenlos gesagt werden. (https://www.fr.de/politik/baerbock-fox-news-usa-putin-ukraine-krieg-trump-biden-tv-auftritt-aussenministerin-news-zr-92521223.html)

Foto Bernd Oei: Fenster/Gitter im typischen rotenb Ziegelmauerwerk der roten Stadt Marrakesch

Auch, dass Palästina kein Recht auf Verteitigung habe und die Anschläge so beispiellos seien wie die Schuld der Deutschen am generellen Elend in der Welt. Gysi hält die Zeit für gekommen, sich mit einer bescheideneren Rolle als die des Weltverbesserers, zufrieden zu geben. Er sieht die beiden Konflikte, den ukrainisch-russischen und den semitisch-arabischen für die globale Herausforderung, entweder Frieden oder komplette Vernichtung zu wählen. Seit es Waffen gibt, wird Gebrauch von ihnen gemacht. Auch Deutschland verdient am Rüsten und will, laut Außenminister Pistorius, „kriegstüchtig“ werden- (nicht verteidigunsfähig, aber kriegstüchtig. (https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/militaer-verteidigung/id_100274062/deutschland-muss-kriegstuechtig-werden-boris-pistorius-wiederholt-rhetorik.html).

Foto Bernd Oei, Marrakesch, Kunst im Cyber Park.( https://www.tripadvisor.de/Attraction_Review-g293734-d656363-Reviews-Cyber_Parc_Arsat_Moulay_Abdeslam-Marrakech_Marrakech_Safi.html). Ein Sinnbild unserer Zeit: die Welt im Würgegriff einiges Tyrannen.

Bäume sind die klügeren Menschen

Es gibt wahrscheinlich nur wenige Menschen, denen es bestimmt war, die Welt auf angenehme, ja wohltuende Weise sichtbarer zu verändern, als Fürst Pückler im 19. Jahrhundert. Der liberal gesinnte Artistokrat verband vier monothesitische Weltreligionen (der ägytpische Aton) unter Echnaton und Nofretete, der semitische seit Moses, der christliche seit Jesus und der mit Mohammed beginnende islamische Monotheismus als gleichranging- und wertig. Er schuf nie gesehene Landschaften (ein Goethe unter den Botanikern), gelangte als einziger Abendländer als Signum auf eine Pyramideninschrift und inspirierte wie kaum ein zweiter zu Reisen in den Orient. Schloss Branitz repräsentiert und visualisiert diese beste aller Welten Idee aus der Summe oder der Quadratur des Kreises. (https://www.kunstverein-hoyerswerda.de/rezensionen/1395-fuerst-pueckler-und-die-religionen-vortrag-von-christian-friedrich-und-volkmar-herold.html)

Im Gegensatz zu Karl May kannte er alles, worüber er schrieb, aus eigener Anschauung. (https://qantara.de/artikel/hermann-f%C3%BCrst-von-p%C3%BCckler-muskaus-orientalische-abenteuer-preu%C3%9Fens-liebster-dandy). Als Visionär brachte er grooße Opfer und überlebte mehrefach den fianziellen Ruin als notwendigen Preis für blühende Oasen in der Lausitz, darunter das geliebte Murnau. So reiste er 1835 nach Ägypten, um Geldgeber für seine orientalischen Pflanzungen und Tiergehege zu erhalten. Aus seinen Schilderungen geht hervor, dass zu seiner Zeit Nordafrika keineswegs ein Entwicklungs- und Preußen ein Fortschrittsland gewesen sein könnte. Ganz im Gegenteil.

Foto Bernd Oei: Marrakesch, jardin Maojorelle, Anwesen Yves Saint Laurent und Roland Bergé. (https://www.tripadvisor.de/Attraction_Review-g293734-d477277-Reviews-Jardin_Majorelle-Marrakech_Marrakech_Safi.html)

Kunst der Natur

»Wenn Kunst sich in Natur verwandelt, So hat Natur mit Kunst gehandelt.« Kein Geringerer als Lessing verfasste diese Zeilen, die Pückler seinen „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ voranstellt. In der Einleitung findet sich folgender bemerkenswerter, weil wieder in Mode gekommener oder gar nie in Abrede zu stellender Grundsatz: „Wir sind, man muß es gestehen, in einem großen Teile von Deutschland, kaum noch zur zweckmäßigen Verfolgung des eignen Nutzens aufgewacht, und nur wenige haben ihren Sinn und ihr Bestreben vorzugsweise, ohne Rücksicht auf Vorteil, bloß dem Schönen zugewendet; eine allgemeine verständige Verbindung beider Zwecke wird noch seltener angetroffen.“ (https://www.projekt-gutenberg.org/pueckler/landgart/chap001.html)

So schuf Pückler, Arbeiter, Handwerker und Künstler in einem, Gartenbaukunst. Außer ihm schätzte zu Lebzeiten vielleicht nur Goethe die Gärtnerei so hoch wie er. Der Fürst war sich auch für den Import von Mutterboden nicht zu schade, die er für die Anzucht zurecht für unerlässlich hielt. Geradezu sensationell verhielt es sich mit dem freien Zugang zu seinem mühevoll ins Leben gefufenen Pflanzungen und Landschaften, die er jedermann zubilligte. Die Parkkultur ist damit primär ihm zu verdanken.

In Marokko, Marrakesch, gilt der Park jardin Majorelle als die kulturelle Sehenwürdigkeit per se. Lange Zeit war sie kostenlos, obschon der Pflege-Aufwand gewaltig war und ist. Der relativ hohe Eintrittspreis von 25 Euro ist für geneigte Touristen noch zu verschmerzen – für Einheimische schlichtweg astronomisch. Zudem kann man den Eintritt nicht vor Ort buchen oder begleichen, sondern ausschließlich übers Internet. Was sich als sinnvoll für die Taktung der Besucherströme erweist, ermgölicht nebenbei eine Apartheidspolitik und rigide Überwachung jeder einzelnen Nutzerbewegung im Park. Die duale Welt ist daher auch in Marrakesch angekommen.

Foto Bernd Oei, Marrak(e)sch, Jardin Majorelle, Blick von der Villa auf das Wasserbassin (houz).

Das käufliche Glück

Der Fürst wusste, worauf es ankommt: „Alles beinah schafft Geld und Macht, aber kein Crösus und kein Alexander vermögen die tausendjährige Eiche in ihrer Majestät wieder herzustellen, wenn sie einmal gefällt ist… dennoch aber weiche das Einzelne, wo es Not ist, auch hier dem Ganzen„. So ähnlich und gewiss sinngemäß muss wohl auch Yves Saint Lurent gedacht und gehandelt haben, als er den Jardin Majorelle übernahm und auf 4000 m² erweiterte. ‚Der Gründer war ein Bewunderer des Meisters und ein Pückler kleineren Formats. Öffentlich zugänglich wurder er jedoch erst nach seinem Tod.

Der etwa hundert Jahre nach Pücklers Ägypten-Sponsorenreise geborene Modedesigner Laurent besaß algerische und damit maghrebinische Wurzeln. Sein literarisches Vorbild: Lautréamont (Isidore Ducasse). Er erwarb den Garten und verbrachte seine letzten Lebensjahre darauf mit seinem Lebensgenossen Pierre Bergé hermetisch abgeriegelt. Ihre sterblichen Überreste ruhen an einer Gedenkstätte im Park. Nach dem Tod des Modezaren ging der Garten in die Hände des Staates über und es wurde mit dem Bau eines Museums für berbische Kunst, u.a. Keramik und Schmuck, begonnen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Jardin_Majorelle). Durch seinen weltbekannten letzten Eigentümer erfuhr der Garten eine touristische Aufwertung ohnegleichen. Auch wenn er in Größe und Vielseitigkeit nicht mit Pücklers Park Murnau vergleichbar erscheint: es handelt sich um eine absolute Sehenswürdigkeit, die man Einheimischen nicht verwehren sollte.

In „Aus Mehemed Alis Reich“ beschreibt Pückler nach seiner Rückkehr aus Ägypten die Lebensweise der Bauern (Fellachen) und ihre Wohnungen, die jenen im Maghreb sehr ähneln: „Die Häuser der Fellahs sind meistens kleine Hütten von an der Sonne gedörrten Lehmsteinen oder auch nur von getrocknetem Lehm aufgeführt, ohne eine andere Öffnung als die Türe. Aber diese Wohnungen sind meistens dicht und warm im Winter, immer vor leichtem Regen und Unwetter, was ohnedem so selten hier eintritt, geschützt, schattengebend im Sommer und geräumig genug für die geringen Bedürfnisse dieser Leute ….“ (https://www.projekt-gutenberg.org/pueckler/mehemed/mehe105.html)

Foto Bernd Oei: Jardin Majorelle, Berbisches Nationalmuseum von außen. Die Lieblingsfarbe Majollis als auch Laurents war Lapsilazulli.

Der Diwan kennt keine demokratischen Seiten

Goethe, mit Pückler vertraut, war wie dieser Freimaurer und eher Pantheist als Christ. So heißt es in seiner zwölfbändigen Sammlung aus historischen Anekdoten, Aphorismen und Lyrik „West-Östlicher Diwan“ (1819-27) im Kapitel Hebräer: „Ein großer Teil des Alten Testaments ist mit erhöhter Gesinnung, ist enthusiastisch geschrieben und gehört dem Felde der Dichtkunst an.“ (http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Gedichte/West-%C3%B6stlicher+Divan/Noten+und+Abhandlungen+…/Hebr%C3%A4er). Im Nachlass-Kapitel enthalten sind die resümierenden Verse: “ Wer sich selbst und andere kennt / Wird auch hier erkennen: / Orient und Occident / Sind nicht mehr zu trennen“. Goehtes Liebe gehörte allerdings mehr den persischen als den arabischen Dichtern.

Als Anhänger Montesquieus Klima- und Milieutheorie glaubte er an den Zusammenhang von Witterung, Landschaft und politischer Mentalität. Im Orient erklärte er das Fehlen jeglicher republikanischer Gesinnung wie folgt: „In der Republik bilden sich große, glückliche, ruhig-rein tätige Charaktere; steigert sie sich zur Aristokratie, so entstehen würdige, konsequente, tüchtige, im Befehlen und Gehorchen bewunderungswürdige Männer. Gerät ein Staat in Anarchie, sogleich tun sich verwegene, kühne, sittenverachtende Menschen hervor, augenblicklich gewaltsam wirkend, bis zum Entsetzen, alle Mäßigung verbannend. Die Despotie dagegen schafft große Charaktere; kluge, ruhige Übersicht, strenge Tätigkeit, Festigkeit, Entschlossenheit, alles Eigenschaften, die man braucht, um den Despoten zu dienen, entwickeln sich in fähigen Geistern und verschaffen ihnen die ersten Stellen des Staats, wo sie sich zu Herrschern ausbilden.“ http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Gedichte/West-%C3%B6stlicher+Divan/Noten+und+Abhandlungen+…/Fortleitende+Bemerkung) Bei aller Liebe zur Toleranz und zum Fortschritt sah er in der alten Ordnung (Weimarer Klassik) die Aristokratie als die einzig wünschenswerte und vernünftige Lebensform.

Foto Bernd Oei: Zwei (sich liebende) Sukkulenzten. Der lateinische Begriff meint „Die Saftreichen“ Kakteen vermögen über Jahre Wasser zu speichern. Die Gattung Euphorbia gehört zu den Überlebenskünstlern in der Sahara, welche die 26fache Fläche von Deutschland hat. Orient und Okzident vereint?

Marokko und der Sufismus

Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf. Deutschland ist Entwicklungsland. Bildungsnotstandsgebiet. Und hat ein Problem mit sich selbst. Die Bürger: verweichlicht, leicht einzuschüchtern und manipulierbar. Denken und verantworten überlassen sie gerne anderen. Schuldzuweisung und Verordnungsliebe hingegen sind geblieben, geradezu verwachsen mit seinem Fleisch und Blut. Vor allem ist es gespalten: in Nord und Süd, noch mehr in West und Ost und am meisten in Selbstverliebte und Selbsthasser. „Aus der Schale des gebrochenen Herzens tritt die neugeborene Seele hervor“ (s.u.)

Auch Marokko kennt keine Demokratie, sondern Dynastien, die der Gewalt des Stärkeren folgen. Einst waren die Berber ein mächtiges Volk, das ihren Zenit wohl unter der Herrschaft der Almohaden-Dynastie im 12.-14. Jahrhundert besaß, die sich im Bau der Koutoubia-Moschee architektonisch niederschlug. Man schreibt dieser Zeit rigiden Moralismus zu, könnte ebenso von fest verankerten Wertesyxtemen sprechen, die unsere moderne Zeit heute nicht mehr kennt. Gestürzt wurden sie in Marokko, speziell in Marrakesch, von den Mereniden und die Fès zu ihrer Hauptstadt machten. Der Maghreb zerfiel in einzelne Regionen, aus denen zuletzt unter Einfluss des Abendlandes die Staaten Marokko, Tunesien und Algerien hervorgingen.

Vor den Mereiden und Almohaden herrschten die Almoraviden, welche Marrakech (arabische Schreibweise) 1070 gründeten. Der heute vorherrschende Sufismus (Darqawiyya) des Landes ist dagegen verhältnismäßig neu und entspricht der goetheanisch-pücklerischen Zeit. Er spielte eine entscheidende Rolle im Zusammenhalt gegen Unterdrückung, wie sie der Maghreb durch das Osmanische Reich und anschließend Frankreich erfuhr. Ein geistiges Pendant im Okzident bildet geistiger oder spiritueller Humanismus. (https://marokko.com/kultur/esprit/marokkanischer-sufismus-heute). Ein Sufi Dichter schrieb: „Die Augen sind zwei Fenster, aus denen die Seele hinausschaut.“ (Hazrat Inayat Khan, https://mymonk.de/11-weisheiten-der-sufis/). Was, wenn die zwei nicht mehr zusammenfinden? Muss der homo sapniens mit dem Silberblick dann ewig schielen?

Foto Bernd Oei: Berberschrift über den Lampen eines Restaurants am Eingang/Ausgang von Jardin Majorelle

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