Foto Belinda Helmert: illuminiertes Nienburger Riesenrad auf dem nächtlichen Altstadtfest
Fortsetzung meine inneren Dialogs mit von den Aphorismen Rolf Friedrich Schuett, dessen Zitate kursiv gedruckt sind.
Leibniz treibt Weltanalysen nur bis zu Monaden und nicht bis ins unendlich Kleine und Nichts.
Foto: Bernd Oei, Wunstorf, Synagogengasse, Blick auf Lange Straße, Fußgängerzone
Fürwahr, die Monade, von Leibniz das Fenster zur Welt genannt, verweist zum einen auf Newtons Atommolekühle im geistig-seelischen Sinn, zum anderen auf die Zusammenhänge, in Kleinsten immer das Große und Zusammenhängende zu sehen. Darum geht es auch nie nur um einen Virus, eine Epidemie oder Hygiene, sondern um den Umgang mit Menschen, den Reifegrad in Krisenzeiten und das gelebte Recht der Menschenwürde. Naturforscher Linne meint, im Kleinsten zeigt die Natur ihre größten Wunder – erweiternd gilt auch: ihre größten Schrecken und Abgründe.
Chefaufklärer Kant rekonstruiert die reale Weltstruktur aus Sinnesdaten und freier Subjektivität. Gut sei allein der gute Wille, das Rechte zu tun. Gott bleibt eine notwendige Idee und wissenschaftliche Arbeitshypothese.
Foto: Bernd Helmert, Wunstorf, Kuh- oder Hirtenbrunnen, Lange Straße von H.G. Ruwe
Dem möchte man entgegenhalten: nein, Empiriker war Kant nicht und sah den neurologisch bewiesenen Konstruktivismus voraus. Von freier im Sinne freiwilliger Subjektivität kann keine Rede sein, sie ist geradezu die Folge aüpodiktisch notwendiger Zwecke und Kausalketten. Darum spricht Kant immer vom „Bürger zweier Welten.“ Als Sinnenwesen („homo phaenomenon“) ist der Mensch den Naturgesetzen unterworfen, als Verstandeswesen („homo noumenon“) gehört er einer intelligiblen Welt an. Als Verstandeswesen fragt der Mensch nach den Grundsätzen für sein Handeln. Sie können (Fluch der Aufklärung) nicht mehr aus einem göttlichen Schöpfungsplan entwickelt werden, sondern die Grundsätze müssen in der Vernunft selbst, insofern sie „praktisch“ wird, aufgefunden werden. Folglich gilt nicht mehr der Mensch denkt, Gott lenkt, sondern: der Verstand (wie ein Ochse den Sinnen unterstellt) denkt, die Vernunft lenkt – und die Möglichkeit dazu, sie zu gebrauchen, teilen alle Menschen dieser Welt, selbst die ungebildeten.
Aus Kants Dialektik regulativer Wissenschaftsideen (Gott, Welt, Seele) macht Hegel (im Anschluss an Fichtes absolutem Subjektivismus) den panlogischen Idealismus, wo jeder Satz nur durch seinen Gegensatz hindurch bedeutet, was er sagt. Hegel vollendet die europäische Metaphysik von freier Subjektivität aus.
Foto Belinda Helmert, Strahlenkranz Riesenradmitte auf dem Nienburger Altstadtfest
Hegel im Sinne des Verkomplizierens noch schwerer zu machen als er ohnehin schon ist, arin bestand Ernst Blochs Meisterstück. In seinen Erkäugerungen zu Hegel schreibt er jedoch erhellend: „Methode und System also, sie sind an Hegel nicht trennbar, sie liegen beide am panlogischen Idealismus, an der Anagnorisis und ihrer Statik, sie haben aber ebenso beide Licht, sich mit Licht verbindend. Auch am System ist vieles herüberrettbar, auf die Füße stellbar.“ Dass hier der Neomarxist aus ihm spricht ist unübersehbar. Ebenso, dass seine Illumination gleichzeitig das Original verdunkelt. Wie viele Denker haben andere schon vom Kopf auf die Füße stellen wollen. Wie viele sind in ihrem Bemühen, dem Meister gerecht zu werden, vom Weg abgekommen und haben ihnen bitter Unrecht zugefügt. Wie viel Gut Gemeintes ist wohl zu Bös Getanem mutiert?
Fr. Schlegebals Fragmente deuten nur an, dass Hegels „wahres Ganzes“ ganz unwahr ist. Er rettet schon wie Adorno das Individuum vor der Allgemeinheit, schüttetaber das kosmische Ganze nicht mit dem sozial Totalitären aus. Fr. Schlegel betont gegen Hegels Fortschrittsoptimismus den Verfallspessimismus seit dem Mittelalter.
Foto Belinda Helmert, Wunstorf, das Innere der Stadtkirche St. Bartholomaei.
Wahr ist der Satz Adornos, dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt. Wahr ist auch, dass die Wahrheit nie ein Ganzes, sondern sich aus der Summe vieler einzelnen Fragmente ergibt, so dass sie nie als Stück gefunden, geborgen oder entschleiert zu werden vermag, sondern imme rnur partiell und temporär. Ob Hegel nun das Individuum einem abstrakten Absoluten, dem Weltgeist geopfert hat und Adorno in seiner „Kritik der Aufklärung“ das Residuum der Subjektivität aus dem Objektiven zu retten vermochte, noch dazu in Odysseus, der personifizierten List der Vernunft? Schlegel jedenfalls will die Welt romantisieren und das heißt, ihren Sinn den Sinnen zurückgeben. Das heißt, in der Überwindung sämtlicher durch Religion, Philosophie und Literaturtheorie konstruierten Grenzen die Versöhnung von Mensch und Natur durch das schöpferische Ich herzustellen. Das Leben wieder freudvoll gestalten.
Schelling sieht „Kunst als Organon der Wahrheit“ und „unvordenkliches Seyn“ (Natur) gegen Fichtes „reines Ich“, das Absolute als Indifferenz gegen verabsolutierte Subjektivität und Objektivität. Marx schützt den Blaumann vorm Handelsmann, den Hegel vorm Edelmann schützt.
Foto Belinda Helmert, Liebenau, abmontierte Glasscheibe ihres Ladens in der Langen Straße 29
Die Welt romantisieren heißt also, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt. In der hoch vergeistigten Epoche startet ein Naturphilosoph und Revolutionär mit dem Spitznamen Feuerkopf (die Rede ist de facto von Schelling) aus, um das Gefühl in und durch Materie neu zu beleben, um als einer der konservativsten Denker zu enden, der sich daran erfreut, dass bei der Märzrevolution 48 in München auf Studenten geschossen und getroffen wird. Am Ende war dem Idealisten Schelling das Wohlergehen der Monarchie selbst eines skandalträchtigen Königs, der (Stichwort Lola Montez) weder seine Hose noch die Regierung im Griff hatte wichtiger, als die Aufrichtigkeit des Philosophen. Als Corona von unserer Zunft verlangt hätte, aufzustehen, zu mäßigen und zu mahnen, erklärte sie mit ihrer Totalverweigerung zur intellektuellen Führung ihren Bankrott. Die Schellingianer von heute schießen zwar nicht mehr auf Studenten, aber sie lassen sie lieber totimpfen als lebendig moralisch integer handeln.
Pessimist Schopenhauer zieht neugieriges Wissen dem habgierigen Willen vor. Was er zu dieser gelehrten Muße von seinem leiblichen Vater erbte, müsste der Prolet von Vater Staat sich ertrotzen. Von Nietzsche übernehme man das geistreiche Bonmot gegen den systematischen Zeitgeist und den individuellen Selbstbehauptungswillen gegen All und gemeine Allgemeinheit.
Foto Belinda Helmert: Wunstorf, Tür des ehemaligen Pfarrhauses gegenüber der Stiftskriche St. Cosmas und Damian, Am Stadtgraben
Schopenhauer vertritt einen gesunden Pessimismus, der davor warnt, kostspielige Luftschlösser zu bauen. Er bekennt sich auch zur Verantwortung des Schweigens, die in Coronazeiten überhand nahm und mir verdeutlichte, wie es zu 1933 kommen konnte. „Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen.“ Mag sein, dass die Zeit damals wie heute zum Pessimisten erzieht, da Kleinmütigkeit, Gedankenlosigkeit und Mediokrität vorherrschen. Nietzsche nennt dies Wille zur Krankheit und Paradies für Kleinwüchsigkeit. Er schreibt auch: „Wer ein Warum hat, dem ist kein Wie zu schwer“, das vor allem jene kanonisieren, für die gilt: Du sollst nicht denken! Das ist unsere Zeit: vorauseilende Unterwerfung, freiwillige Knechtschaft, Selbstkastration.
Heidegger rettet Spinozas Naturseyn vor dem totalitären Machtwillen der Neuzeit auf seinen „Feldwegen“ in Gelassenheit, die alles „sein lässt.
Foto: Bernd Oei: Kartoffelkäfer bei der Arbeit. Aus dem Latein heißt er übersetzt: Zehnstreifen-Leichtfuß. Auch er zeichnete für Kartoffelmissernten und den damit verbundenen Hungerkatastrophen Europas verantwortlich, da sie ganze Felder binnen kurzer Zeit kahlfressen.
Von Heidegger lässt sich dreierlei fürs praktische Leben lernen: Dass Fragen wichtiger sind als Antworten, weil sie näher zum Ursprung weisen als Fluchtwege bieten. Zweitens, dass Unbedenkliches bedacht werden muss, was logisch paradox anmutet, da das Denken von Undenkbaren nicht möglich ist, doch deuten „Holzwege“ mit ihrer „Kehre“ das Unbehagen an unserer saturierten Gedankenwelt an. Drittens sagt Heidegger ausdrücklich: „Die Wissenschaft denkt nicht.“ Also müssten es schon die Wissenschaftler tun. Sie jedoch schweigen und verstecken sich hinter Zahlen, die angeblich für sich selbst sprechen und doch mehr auf Deutung angewiesen sind als die menschliche Existenz an sich.
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