Neue Art der Barbarei

Foto Belinda Helmert: Glockenspiel am Hildesheimer Rathaus (https://www.hi-rose.de/rathaus-hildesheim/)

Die „Dialektik der Aufklärung„, ein philosophischer Essayband von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno stammt aus dem Untergangsjahr 1944. Die wegweisende Schrift trägt Untertitel „Philosophische Fragmente“. Er wurde im amerikanischen Exil geschrieben, als sich bereits das Ende der NS Terrorregimes in Deutschland abzeichnete. Drei Jahre später, etwas nach der Stunde Null, erschien die endgültigen Fassung . Seitdem spricht man von der Kritischen Theorie. In meinen Augen das letzte Aufbäumen der Philosophie um Geltung in Politik und Alltagsgeschehen, das die Bezeichnung Gesellschaftskorrektiv rechtfertigt.

Demnach ist die Aufklärung an der Instrumentalisierung der Vernunft gescheitert, ihrem progressiv raubenden Eroberungs- und Ausbeutungsdrang. Dies ist einerseits dem Kapitalismus selbst, andererseits der ihn unterstützenden Technologie geschuldet. Beides hat sich inzwischen durch die Globalisierung und die Digitalisierung dynamisiert und potenziert.

Mit dem perversen Versuch, die Natur nicht nur zum Zwecke der Selbstbehauptung zu beherrschen, sondern sie maximal auszubeuten, schaufelt sich der homo sapiens sein eigenes Grab. Anstelle der prognostizierten Prosperität hat sich die Armut vervielfacht. Gestiegen ist lediglich die Diskrepanz zwischen reich und arm. Einerseits entkam der Mensch der mythischen Welterklärung, andererseits schlug die Reationaliät in einem Zwang um, der die Weltherrschaft mythisch glorifiziert. Die Verwaltung des Elends gesteht sich die Ohnmacht „gegenüber den ökonomischen Mächten“ ein.

Adorno/Horkheimer hinterfrangen die „rätselhafte Bereitschaft der technologisch erzogenen Massen“, sich dem Despotismus der totalitären Ideologien und Herrschaftsformen auszuliefern bereit ist. Sie werten das Verhalten als „Zusammenbruch der bürgerlichen Zivilisation“ und ein Versinken in eine „neue Art der Barbarei“.

Foto Belinda Helmert: Tempelhaus links (1350 erbaut) , Wedekindhaus (1598 erbaut) rechts – beide im Krieg zerstört und wiederaufgebaut. Zugleich Beleg für die Werterjaltung von Kultur und dem damit inkludierten Traditionsbewusstsein als auch der Massengesellschaft und des Kapitalismus: das Tempelhaus ist heute Ort der Tourismuszentrale, das Wedekindhaus (ohnehin Domizil einer Kaufmannsdynastie) dient heute der Sparkasse als Geschäftsraum.

Foto Belinda Helmert: Wedekindhaus (heute Sparkasse), auskragende Renaissancefassade aus Eichenholz und Brüstungsbildern, Fachwerkhaus dreigiebliges mit Schnitzereien. Errichtet im Jahr 1598 vom Kaufmann Hans Storre. https://de.wikipedia.org/wiki/Wedekindhaus

Aufklärung als Massenbetrug

Adorno promovierte über Kierkegaard, ohne einen tieferen Bezug zur Religion zu entwickeln und er entlieh sich mehr von Nietzsche also von Marx, obgleich seine Gesellschaftskritik auf marxistischem Fundament beruht. Das vierte Kapitel der „Dialkektik drer Aufklärung“ und Herzstück der „Kritischen Theorie“ lautet Aufklärung als Massenbetrug. Es verwendert im Titel das widersprüchlich erscheinende Wort Kulturindustrie. Unter Kulturindustrie ist die kommerzielle Vermarktung von Kultur zu verstehen; der Industriezweig, der sich gezielt mit der Herstellung von Kultur beschäftigt. Im Gegensatz dazu steht die authentische Kultur.

Zentral ist der Gedanke, dass die Steigerung wirtschaftlicher Produktivität in einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche fortschreitet. Auch, dass Effizeinz und Effektivität nicht immer Hand in Hand gehen. Vor allem aber, dass die unilaterale Ausdricht auf Wohlstand saturierte, widerstandslose Wolhlstandsbürger erzeugt und zur Vedummung, dem „Ausverkauf der Kultur“ führt. Alles ist vorgefertigt, spazialisiert, funktionalisiert. Die Medien fördern kalkulierte Indolenz durch Desinformationspolitik, Amüsierbetriebe und sonstige Ablenkungssysteme werden staatlich unterstützt. Vordergründig gilt das Leistungsprinzip und die objektivierte Macht logischer Rationalisierungsprozesse. Alles in allem herrscht unreflektierte Verherrlichung des Gelds, des Besitzes, des Eigentums, der Karriere, vor. Industrie-Idolatrie verblendet den Sinn für das wirklich Wichtige im Leben. My home is my castle…. „Alles was die Individuen wahrnehmen, trägt den „Stempel der Bearbeitung“ an sich.“

Foto Belinda Helmert: Tempel(herren)haus am Marktplatz, Rathausstraße. Das gotische Patrizierhaus ist das älteste Steinhaus Niedersachsens und lange Zeit Wohnhaus der Bürgermeisters. https://de.wikipedia.org/wiki/Tempelhaus_(Hildesheim)

Auf tönernen Füßen

Industriell hergestellte Kultur (Kitsch) dem Menschen die Phantasie und übernimmt das Nachdenken für ihn. Die Kulturindustrie liefert die „Ware“ und „Klischees“ so, dass dem Menschen nur noch die Aufgabe des Konsumenten zukommt. Durch Massenproduktion ist alles gleichartig und unterscheidet sich höchstens in Kleinigkeiten. Alles wird in ein Schema gepresst und erwünscht ist es, die reale Welt so gut wie möglich nachzuahmen. Triebe werden so weit geschürt, dass eine Sublimierung nicht mehr möglich ist. DAs Inkommensurable verliert an Wert, so auch die Wahrheit, die Muse, die Individualität.

Das Ziel der Kulturindustrie ist – wie in jedem Industriezweig – ökonomischer Art. Alles Bemühen ist auf wirtschaftliche Erfolge ausgerichtet.

Die authentische Kultur hingegen ist nicht zielgerichtet, sondern Selbstzweck. Sie fördert die Phantasie des Menschen, indem sie Anregungen gibt, aber anders als die Kulturindustrie, den Freiraum für eigenständiges menschliches Denken lässt. Authentische Kultur will nicht die Wirklichkeit nachstellen, sondern weit über sie hinausgehen. Sie ist individuell und lässt sich nicht in ein Schema pressen. Das Herzstück, der Motor dieser Entwicklung, ist das Bürgertum und der Mittelstand.

Hier setzt die augenfälligste Verschiebung ein: die Herrscher heute sind die großen Trusts, die globalen Konzerne, die den Mittelstand schlucken und in internationalen Dimensionen denken. Die Regionalismen verschwinden, es bleibt nur das Globale. Die Geschäfte, der Mittelstand, blutet aus. Kleine Firmen werden aufgekauft, selbst Karstadt ist zu klein für den Trend. Der größere Fisch verschlingt die kleineren. Raubtierkapitalismus heißt: Profitmaximierung um jeden Preis. Auch wenn der Kredit nur geborgt und der letzte Schneeball geworfen ist; bis das System kollabiert, wird weiter börsianisiert.

Foto Belinda Helmert: „umgestülpter Zuckerhut„, ursprl. 1510 erbaut , im 2. Weltkrieg zerstört(2010 fertig rekonstruiert) am Andreasplatz vor St. Andreaskirche (mit 114 m höchster Kirchturm Niedersachsens). Das Erdgeschoss des Hauses hat eine Grundfläche von nur 17 m², während das zweite Obergeschoss eine Fläche von 29 m² aufweist. https://de.wikipedia.org/wiki/Umgest%C3%BClpter_Zuckerhut

Hochmut und tiefer Fall

Hoch, höher, am höchsten. Adorno war zumindest zuletzt Pessimist. Nicht nur, weil er die Philosophia perennis eine traurige Wissenschaft hieß. Oder die Politik als Showbusiness entlarvte. Vor allem, weil die Realitätsverleugnung, begonnen mit der historischen Faktizität und der eigenen Verantwortung, ihre Blüten trieb. Verblendungszusammenhang nannte Adorno diese Hybris, die moralische Schuld immer zu vertagen oder anderswo zu verorten. Neu ist sie nicht. Seit der Antike ist die Verblendung eine von den Göttern gesandte Verwirrung der Sinne, aus der Fehlhandlungen und Schaden (die Büchse der Pandora) entstehen. Religiös interpretiert meint sie die Fehlhandlung und Taubheit gegen göttliches Gebot.

Doch sie nimmt zu, um Schritt zu halten mit der Industrie- und Warenkultur, die mit dem Verlust der Authentizität erkauft ist. Realitätsverleugnung entspricht Seinsvergessenheit. Sie beruht auf das magische (Bermuda)-Dreieck: Assimilation, Mentalität der Lemminge, Narzissmus: aus Individualität erwächst rigoroser Individualismus, in der jeder sich selbst der nächste und Selbstvergottung die neue Religion ist.

Adorno fragt ideologiekritisch nach dem Wahn und der Verblendung, die in jeder Gesellschaft das kollektive Bewusstsein konstituieren. Schon die „Dialektik der Aufklärung“ hatte den Rückfall der historischen Aufklärungsprozesse in Mythologie thematisiert. Er fragt dann danach, inwieweit die Kunst in der Lage sei, den Verblendungszusammenhang zu ‚durchschlagen‘. Adorno versteht seine negative Dialektik als „Abdruck des universalen Verblendungs-zusammenhang“ und dessen Kritik. Als Beispiel dient ihm der hegelianische Kunstgriff, die Metapher der List der Vernunft, die angeblich in der Weltgeschichte steckt und zur Verwirklichung des Vernünftigen, damit zur Werdung der absoluten Freiheit, dient. „Die Vernunft spielt die Rolle des Anpassungsinstruments“. Ihre List besteht darin, die Menschen zu immer weiterreichenden Bestien zu machen.“

Foto Belinda Helmert St. Andreaskirche, mit 115 m Turmhöhe das Maximum in Niedersachsen. Im Vordergund Skulptur des Wortes, die seit dem 22. März 2015 auf dem nördlichen Andreasplatz steht. Sie nimmt Bezug auf die Genesis: Im Anfang war das Wort.https://www.kulturium.de/Quicknavigation/Skulptur-des-Wortes-Hildesheim.php?object=tx,3662.1.1&ModID=9&FID=2364.680.1&NavID=2364.2

Verblendung

Adorno postuliert noch den Gegensatz von Mythos und Logos, welchen er zum Deutungsschema griechischer Geistesgeschichte erhebt. Die Zeit allerdings, in der Mythos und Rationalität als klar voneinander abzugrenzende und auch historisch zu trennende Konzepte menschlicher Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit anzusehen waren,  scheint endgültig vorbei zu sein. Mythos wird zu einem Potential, „die wissenschaftliche Rationalität zur Besinnung auf ihre Grenzen zwingt.“

Das Subjekt verklärt, wo es das Objekt Zusammenhänge erklärt oder zu erklären vorgibt. Die Industrie, mehr noch die Technokratie, fördert die Spaltung, die Atomisierung, bis keinerlei Gesamtschau mehr möglich ist. Folge ist die Naturverfallenheit der Mythen durch totalitäre Gesellschaften und unmündige Bürger gekennzeichnet. Anstelle der Auf-hat sich seine Verklärung durchgesetzt. Der Logos ist selbst zum herrschaftlichen Mythos umgeschlagen. Die Versöhnung (doppelte Negation) der auseinander getretenen Begriffe in einem Dritten bleibt nun spekulativ nebulös. Was heute als Synthese gilt, ist nun Symbiose des win win ein herrschaftloser Friede wäre wünschbar, ist jedoch nicht die Regel, sondern neues zynisches Herrschaftsgebahren. Die FDemokraten im Scxhafspelz sind diktatorische Wölfe, womit letzteren bitterlich Unrecht widerfährt.

Foto Belinda Helmert: St. Andreaskirche, Brunnenanlage Bugenhagen, dem ersten lutherischen Prediger der ältesten Bischofsresidenz Niedersachsens (Hildesheim) https://www.myheimat.de/hildesheim/c-kultur/der-bugenhagen-brunnen-vor-der-andreaskirche_a1035074

Foto Belinda Helmert: St. Andreaskirche, Brunnen, Detail. An dem durchbrochenen, filigranen Werk sind Ähren, Trauben, Weinlaub zu erkennen, mehrere Darstellungen zeigen biblische Szenen. Der Lebensbaum gilt als konfesstionsübergreifendes Symbol der Schöpfung.

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