Mit Bloch irren, um zu denken

Foto Belinda Helmert: Hameln, Uferpromeande, Statue Die Liebenden.

Zu wenig Auslauf

Wer sagte doch gleich Du kannst nicht ein Pferd in ein Mauleselrennen schicken? Selbst wenn es gewinnt, so verliert du am Ende. Ernst Bloch durfte noch schreiben, Stillstand wäre ein Rückschritt. Er meinte damit die konsequente Haltung der DDR, ein Versprechen auf die Zukunft, den besseren Menschen, der eine besser Gesellschaft formt (laut Marx) oder umgekehrt. (nietzscheanisch gedacht). Bloch hatte so seine eigene Ironie. So schrieb er im „Prinzip Hoffnung“: „Gehe in dich, das ist leicht gesagt. Doch es zu tun, ist schon deshalb schwerer, weil da wenig Auslauf ist!“ 1948–1961 verbrachte der überzeugte Kommunist(er rechtfertigte Stalins Schauprozesse) in seiner Wahlheimat, der mauerbau lies ihn anders (richtig) denken. Mit Hegel denken hieß für den Philosophen, endlich Schach statt Mühle zu spielen. Bloch hatte seinen Irrtum erkannt und Größe gezeigt: für selbständig Denkende bleibt kein Lebensraum, so sein Fazit zur Utopie DDR. Sorry, aber so war es und so war es auch richtig.

Was nach dem Mauerfall kam, erlebte der 1977 in Tübingen gestorbene Bloch nicht mehr. Beschämend für den Westen, weil im Siegesrausch über den bewzungenen Klassenfeind (der eher eine Klassenfahrt gen Westen ermöglicht hatte) nicht nur die Treuhand das Tafelsilber verhökerte. Nein, der Osten hatte viel zu bieten, es gab doch ein richtiges Leben am falschen Ort, und das zu sabotieren und nicht nur zu ignorieren, gereicht dem heutigen vereinten Deutschland mehr als zum Nachteil. Es ist immer noch ein langer Weg zur Einheit. https://pdf.live/edit?url=https%3A%2F%2Fwww.uni-hannover.de%2Ffileadmin%2Fluh%2Fcontent%2Falumni%2Falumnicampus%2FAC_2_2009%2F38-41__perels.pdf&source=f&installDate=031223

Foto Belinda Helmert, Hameln, rekonstruierte mittelalterliche Stadtmauer und Pulverturm

Utopie ist Heimat

„Nach den Ereignissen vom 13. August, die erwarten lassen, daß für selbständig Denkende überhaupt kein Lebens- und Wirkungsraum mehr bleibt, bin ich nicht mehr gewillt, meine Arbeit und mich selber unwürdigen Verhältnissen und der Bedrohung, die sie allein aufrechterhalten, auszusetzen. Mit meinen 76 Jahren habe ich mich entschieden, nicht nach Leipzig zurückzukehren.“ https://www.chronik-der-mauer.de/material/179383/brief-von-ernst-bloch-an-den-praesidenten-der-deutschen-akademie-der-wissenschaften-der-ddr-22-september-1961

Blochs wohl berühmtetes Werk ist die dreigeteilte Utopie, das Prinzip Hoffnung (1938 und 1947). Es beginnt mit 5 Fragen: „Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns?“ Ob es sich in der epochalen Arbeit, die sich auch mit philosophischen Utopien vor Marx beschäftigt und auch Marx erstmals als Utopisten bezeichnet, lediglich um den Entwurf eines besseren Lebens handelt, darf bezweifelt werden. https://www.deutschlandfunkkultur.de/40-todestag-von-ernst-bloch-entwuerfe-eines-besseren-lebens-100.html

Für Bloch blieb Utopie eine real existierende Möglichkeit. Wie anders wäre der Schlussatz mit dem mythisch konnotierten Begriff der Heimat zu deuten? „Utopie ist…. das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

Es gibt die Möglichkeit eines gelingenden, erfüllten Lebens ohne die substantielle Bindung an einen Ort und eine Lebensform des Zuhause (als er-
fahrene, ersehnte, vermisste Heimat); es gibt die Möglichkeit der Ablösung von starken Identitäts- und Ganzheitsvorstellungen, wie sie in die Idee von Heimat oder in empha-tische Erinnerungen eingehen können. Es muss sie geben, weil sonst jede Hoffnung vergebens ist.

Foto Belinda Helmert: Hameln, gespiegelte Baumodell des Alten Marktes, Küche 7 und seine neue Nutzungsform: eine event-Küche. https://www.facebook.com/kueche7/?locale=de_DE

Foto Belinda Helmert: Küche 7 von innen.

Hoffen lernen

Bloch wollte hinter die Tendenz des Seins blicken und die Welt als Anlage, als Potential zur Seinserntfaltung, deuten. „Man lebt nicht, um zu leben. Sondern weil man lebt und hat sich dies Weil nicht ausgesucht.“ Soweit Bloch in „Prinzip Hoffnung“. Dies erinnert an den von ihn rezipierten Autoren Turgenjew, der in „Väter und Söhne“, Kapitel 21 schreibt: „Man muss das Leben so einrichten, dass jeder Augenblick bedeutungsvoll ist.“ (auch übersetzt im Konjunktiv Man müsste…“

Utopie ist auch die Entdeckung des „Noch- Nicht – Bewußten“ d.h. des „Noch – Nicht- Gewordenen. Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Voller Hoffnung auf einen sozialistischen Neuaufbau kehrt Bloch 1949 in den Osten Deutschland (damals DDR) zurück und übernimmt, 64 Jahre alt, in Leipzig erstmals einen Lehrstuhl für Philosophie. Er wirkt dem Kapitalismus entgegen, jener vernichtenden autodesktruktiven Ideologie des Habens anstelle des Träumens: die zur „Selbstentfremdung, Entmenschlichung … und zum `Zur-Ware-Werden‘ aller Menschen und Dinge führt“. Summa Summarum definiert Bloch In Hoffnung als welementare Triebkraft zur Verbesserung menschlicher Lebensverhältnisse und bezeichnet sie als Lernprozess.

Die 1500 Seiten umfassende TrilogieDas Prinzip Hoffnung“ entstand zwischen 1954-59:

Band 1 „Tagträume“ umschreibt die Grundrisse einer besseren Welt mit ihrem Kulminationspunkt, dem Marxismus;

Band 2 „Grundrisse einer besseren Welt“ beschreibt Mythen, (soziale Utopien) und Wissenschaft (Mythos der Technik) . Der Ban trägt den titel „antizipierendes Bewusstsein“

Band 3 „Wunschbilder im Spiegel“ analysiert Grundrisse von Moral als Hoffnung für ein besseres Leben Insbesondere der Rolle der Kunst für eine humanere Gesellschaft.

Foto Belinda Helmert, Hameln, Alte Marktstraße, Tür und Stufen, Detail. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Alte_Marktstra%C3%9Fe_2,_1,_Hameln,_Landkreis_Hameln-Pyrmont.jpg

Foto Belinda Helmert: Alte Marktstraße, Türeingang mit Inschrift, Detail https://www.regi-on.de/kultur-freizeit/freizeit-erholung/sehenswuerdigkeiten/92.htm

Die erste Tür

Bloch schreibt, Marxismus sei nur die »erste Tür zu einem Sein wie Utopie«. Im Kapitel „Grundrisse einer besseren Welt““ spricht er viel von Architektur(zeichnungen), bedient sich Fenster und Türen häufig als Metapher. Für den Philosophen, der mit jüdischer Mystik und der Kabbala vertraut war, bildete die Zeichnung jene Utopie, die annähernd, aber nie vollständig realisiert zu werden vermag. Etwas, was sich nur hier ereignen und zeigen kann, gleibt im Papier, in der Zeichnung, in der Idee, zurück. https://archidrawing.hypotheses.org/503

Utopien sind die unsichtbaren Bausteine – „Luftschlösser“ unserer Existenz. Sterben die Utopien (vom gr. utopia, nirgendwo), so stirbt genau genommen die Gegenwart, die Anwesenheit, denn die Gegenwart ist das eigentliche Medium des Nirgendwo. Ohne Utopie keine Hoffnung, ohne Hoffnung kein Leben. Zu unterscheiden sich reaktionäre und revolutionäre Utopien.

Blochs Streben bestand darin, die materiale Bedingtheit, die Vernünftigkeit von Utopien zu untersuchen und aus ihnen einen Sinn der menschlichen Entwicklung mit positivem Ausgang abzuleiten. Nicht die Ideologie, sondern die materiellen Voraussetzungen erklären das Entstehen von Utopien. „Die latente Tendenz zur Verwirklichung von Utopien steckt in den Dingen selbst, die Menschen müssen sie nur entdecken.“

Foto Belinda Helmert; Fachwerkhaus mit Rosenstock, Alte Marktstraße. Bloch: „Nicht überall muß gleich der Fuß hingesetzt werden. Wie schön sieht eine entworfene Treppe aus, klein eingezeichnet.“

Foto Belinda Helmert: Fenster(deko) Alte Marktstraße.

schwarze Suppe

Blochs vielleicht größte wissenschaftliche Leistung besteht in der Analyse der Antike unter Verwendung der Methode des historischen Materialismus. Er weist nach, dass zahlreiche soziale Utopien aus der materiellen Bedingtheit ihrer Geschichte heraus und in ihrer dialektischen Gegenbewegung (revolutionären folgen stets reaktionäre Entwürfe), Kulturgeschichte erst ermöglicht haben.

Die erste Staatsutopie setzt mit Solon ein, dessen Utopie die Bescheidenheit des Menschen und dessen Ethik von dem Prinzip der Selbstgenügsamkeit bestimmt ist. Dagegen verhält sich Platons Gegenentwurf im „Timaios“ reaktionär, denn hier soll der Mensch sich nicht in göttliche Vorsehung (Schicksal) fügen, sondern den Staat aus der natürlichen Unordnung heraus schaffen.

Der platonische Staat ist für Bloch ein überwachender Polizeistaat; der Traum des Stadtstaates „setzt statt des goldenen Zeitalters das der schwarzen Suppe“. Dialektisch formuliert: Platon bildet Antimaterie zu Solon, dem es um soziale Gleichstellung ging und der jene Sklaverei bändigte, auf die Platon seine Reichtümer häufte, um die Philosophen zu ernähren und von Arbeit zu entbinden, zugleich der Beginn einer marxistischen Tendenz. Dies muss angesichts der Veränderungs-Dynamik eines Marx überraschen, da der bekannteste Stoiker Marc Aurel nur nach innen blickte (Erkenne dich selbst).

Für Bloch ist hingegen klar: Anstelle der Weltrevolution spricht der Stoiker von der Weltvernunft bzw. den politischen Pantheismus, der Einheit des Menschengeschlechts. Eine Einheit, die der auf Klassen beruhende Staat Platons nicht duldet, weil Hierarchie für ihn das Wichtigste ist. Laut Bloch trägt damit der Stozismus demokratische Züge („mystische Demokratie“), Platon hingegen plädiert für die Diktatur.

Letzteres führt zu einem Begriff der Freiheit, der im Grunde nur von etwas wegstrebt und damit Freiheit von etwas, also Befreiung will. Demgegenüber erkennt Bloch im Stoizismus die Wurzel, Freiheit für etwas zu verlangen, also progressiv sich in den Dienst einer Sache zu stellen. Dass er dabei den Marxismus als Weiterentwicklung des Stoizismus begreift, ist eine Eigenheit, die man originell oder verschroben heißen kann.

Foto Belinda Helmert: Alte Marktstraße, Hameln. http://www.raymond-faure.com/Hameln/Hameln_Marktstrasse.html

Foto Belinda Helmert: Hamelns Altstadt, Alte Marktstraße, Hausfassade, Detail. Für das 16. Jh. wird die Haltung der Stadt Hameln als „auffällig judenfreundlich“ eingeschätzt. So setzte sich Hamelns Obrigkeit in der Reformationszeit (1535) für weitgehende Berufsfreiheit ein.

Dialektik aus Freiheit und Zwang

Bloch bezeichnet Kommunismus als politische Utopie von der Vereinbarkeit und Versöhnung, die aus der Dialektik von Freiheit und Zwang hervorgeht. „Freiheit und Ordnung sind harte Gegensätze in abstrakten Utopien, gehen jedoch in der materialistischen Dialektik ineinander über und stehen sich bei.“ Er weist auf auf die Gefahr der Militarisierung durch das Eigeninteresse der Rüstungsindustrie (Selbsterhaltungstrieb) hin. Dies führt zu einem folgenschweren Interessekonflikt von Regierungsaufgaben, Medienkontrolle und Finanzierungsquellen, so dass Sicherheits- Fakten verschwiegen und Kriegsgründe erfunden werden.
Die Unterscheidung zwischen Kampf gegen Unrecht und Krieg im Namen des Unrechts reicht in Blochs Werk weit zurück und er trifft die selstsame Formulierung „grundhaft wehrender Pazifismus“ für den berechtigten bewaffneten Widerstand gegen Tyrannei. Worum es gehe, sei die Verteidigung einer Heimat als die vollkommene Geborgenheit einer Welt, in der man arbeitet, um zu leben, und nicht lebt, um zu arbeiten. Die Idee an einen Endsieg hat auch er : „Unbser Enkel kämpfen es besser aus.“

Foto Belinda Helmert, Hausfassade, Detail

Foto Belinda Helmert, Fachwerk, Hausfassade, Inschrift.

Auf die Verbindungvon Hameln unbd Bloch kam ich durch einen “ jüdischen“ , an die Deportation erinnernden Stolperstein mit der Aufschrift Hilde bloch und der Tatsache, dass Hamelnb einer der wenigen Städte ist, in der die Juden ohne Trennung quasi Tür an Tür mit den Nichtjuden lebten. Zudem liegt im Alten Markt,dem östlichen Bezirk der Alstadt, die Kurie jerusalem, ein emealiger Speicher, heute eine Begenungsstätte samt Kinderhort. https://www.regi-on.de/kultur-freizeit/freizeit-erholung/sehenswuerdigkeiten/102.htm

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