Reduktion als Prinzip
Vorweg: Die Begrenzung auf zehn Maler (und nicht zehn Meisterwerke) setz eine drastische Reduktion voraus und gleicht dem Bild-Jargon: Titel ist alles. Es kann keine repräsentative Auswahl sein und schon gar nicht eine objektiv begründbare, weder über die Anzahl ihrer bedeutenden Werke quantitativ noch den Auktionspreis pekuniär, die fachspezifische Reputation (Anzahl der Ausstellungen) qualitativ oder das Renommee (Reichweite und „irkung auf andere Künstler).
Die Bewertung erfolgte nicht nach der Beschränkung auf ein Gemälde, das besonders herausragt. Zwanzig Namen fielen dem Gedächtnis spontan ein, die brachte ich auf Papier. Einige waren mit nur einem Werk sofort präsent, andere mit so vielen und bei einigen musste verifiziert werden, von wem es stammt. Wenn man Tausende von Gemälden gesehen hat, bleiben, sofern es nicht der Beruf ist, wohl nur zwei Dutzend davon so gegenwärtig, dass ihnen Titel, Zeit und Namen sofort zuzuordnen ist.
Goethe sagt: „Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.“ (Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795/6. 5. Buch, 1. Kap., Serlo’s Ansicht). Dem ist nichts hinzuzufügen.
Es fehlen Namen wie van Gogh oder Rembrandt, Dali, Michelangelo und ein gutes Dutzend mehr, die an dieser Stelle hätten stehen können (müssen). Das galt aber bereits für die Hitliste von Romanschriftstellern, Dramatikern und Dichtern, die mir viel bedeuten. Jeder, der sich bei einer Wahl auf zehn reduzieren muss, wird verstehen, dass dies immer Königsmorde fordert. Einzig die Nummer eins steht mit einem gefühlten Lichtjahr auf dem pittoresken Maler- Olymp. Seltsamerweise war das auch bei Philosophen (Nietzsche), Dichter (Hölderlin) und Dramatiker (Dürrenmatt) der Fall. Es erscheint daher leichter, einen Favoriten zu benennen als neun weitere, die dem Ideal sehr nahe kommen.
Reflexionshilfe Baudelaire und Hegel
Als theoretische Hilfestellung gedachte ich Hegel und Baudelaire. Hegel, weil er geschichtshistorisch und in Bedeutung für das Allgemeine denkt, Baudelaire als Kontrastprogramm. Meine eigene Sichtweise schulte ein Jahr in Bordeaux, wo ich zwei Semester Kunstgeschichte studierte und erstmals begriff, was Bildkomposition ausmacht.
Baudelaire differenziert in Koloristen und Zeichner: ersteren ist die Farbe wichtiger und damit auch die Emotion des Vorgestellten, letzteren die Zeichnung und damit die objektive Wiedererkennbarkeit des Dargestellten. Beides wirkt im Idealfall zusammen. Für ihn bildet den Inbegriff der Synthese Delacroix.
In ihrer ästhetischen Theorie betonen Hegel den geistigen Nährwert, Kant die Belebung der Einbildungskraft, Benjamin die Aura (Originalität), Schopenhauer die über das Sprachvermögen transzendierende imaginäre Kraft, Adorno das Gelingen (Angemessenheit von Form und Stoff), Kierkegaard die Kohäsion von Ethik und Ästhetik und Nietzsche Maß und Metaphorik der Bildsprache. Gemeinsam ist allen Meisterwerken eine Signatur, welche nicht in der technischen bzw. handwerklichen Fähigkeit aufgeht. Baudelaire prägte den Begriff für seine Künstlergeneration der Impressionisten: ein Bild muss beeindrucken oder es ist nichts. Der erste Eindruck zählt, der zweite bleibt vielleicht länger haften, doch er kommt nur, wenn der erste zu einem Verweilen des Blicks reizt.
Kriterien
Die erste Begrenzung: es wurden ausschließlich Ölgemälde berücksichtigt. Technische Aspekte sind: Bildkomposition (Linien, Form, Raum, Details), Perspektive (Interessenschwerpunkt, Fokus, Motiv, Votiv), Farbwirkung (Kontrast, Mischung, Hell-Dunkel, Licht- und Schatten) Originalität (Rhythmik, Symmetrie, Geometrie, Stoff-Auswahl), Dramatik (Bewegung, Gesten, Mimik, Effekte), Attribute (Symbole, Chiffren, Referenzen, Allegorien), Kontur (Pinselführung) und Bildsprache (elementare Archaik).
Meine bevorzugten Epochen sind mit Spätrenaissance bzw. Frühbarock und Impressionismus leicht bestimmbar, was erklärt, weshalb Picasso, van Gogh, Dali oder Klimt fehlen. Die Väter der Renaissance um Da Vinci, Michelangelo und Rafael haben alle folgenden Maler der Moderne wesentlich beeinflusst. Jeder Künstler baut motivisch auf andere auf, so dass sich in einem Genie mehrere Vorbilder vereinigen können, ja müssen.
Die Kriterien bei gleichzeitiger Beschränkung auf das 16. und 19. Jahrhundert erlaubt mehrere motivisch vergleichbare Maler gegenüberzustellen und eine Auswahl zwischen ihnen zu treffen. Einen Rembrandt mit Rubens, einen Rafael mit Michelangelo und Da Vinci, einen Tintoretto mit Tizian, einen Cézanne mit Van Gogh (auch hinsichtlich ihrer Impasto-Technik) etc. Damit die Liste nachvollziehbar ist, wird jedem Maler ein Gemälde, das mich am meisten beeindruckt hat, zugeordnet. Um die Auswahl zu erleichtern, fielen bei vergleichbaren Stilen die Rivalen einfach aus dem Ranking der Top 10 heraus.
Platz zehn Albrecht Dürer: Nutzen als Teil der Schönheit
Kohle, Aquarell, Gouache, Kupferstich, Radierungen: Dürer malt überall so real, dass jede Falte einer Haut sichtbar wird. Der Sohn eines magyarischen Goldschmieds (Nürnberg, 1471-1528) steht für die deutsche Renaissance. Dürer gehört zu den Malern mit einer eigenen Kunsttheorie, darin da Vinci ebenbürtig und zu den extrem fleißigen Skizzenzeichnern, insbesondere auf seinen Reisen.
„Was kunstreich ist, beruht auf Fleiß, Mühe Arbeit“, soll er gesagt haben und letztere beginnt bei der genauen Beobachtung. Seine Bilder sind von schlichter Eleganz. Im Vergleich mit Hodler, Grünbein und Holbein der umfassendste Künstler. Seine religiösen Motive bleiben erdverbunden; den profanen Gegenständen verleiht er sakralen Glanz und Aura.
Von zarter, nicht düsterer Melancholie ist die Grundstimmung. Das Pathos der Kräfte Michelangelos schlägt um zu einem Gefängnis, einer beengenden Fessel des Geistes. Philosophisch dem erkenntnistheoretischen Skeptizismus zuzuordnen, musikalisch ein Gegenklang zur Hauptfigur, architektonisch ein Putto. Hegel spricht in seiner ästhetischen Theorie in Bezug auf Dürer vom „inneren Adel“, der sich aller Rohheit enthalte. Die Reduktion auf das Wesentliche nimmt den modernen Wahlspruch form follows fuction vorweg.
Die (Qual der) Wahl fällt, da Melencolica I als Kupferstich und Ritter, Tod und Teufel (Nietzsche bezieht sich mehrfach darauf) als Gravur nicht und Betende Hände als Grau-Schwarz Zeichnung in die Kategorie Ölgemälde gehören, auf Adam und Eva (heute im Prado, Madrid), 1507 entstanden. Nahezu gleichberechtigt ließen sich meisterliche Portraits anfügen. Dürer ist innovativ, denn es handelt sich um die ersten Nacktportraits, zumindest im mitteleuropäischen Raum und lebensecht. Um die besonderen Fertigkeiten und Nuancen, die den Ausschlag gaben besser nachvollziehen zu können, lohnt der Vergleich mit der Version seines Zeitgenossen Lucas Cranach dem Älteren, speziell diesem Motiv.
Platz neun: Jan Breughel: Der Mensch in der Landschaft
Rubens hielt ihn, Jan, den Älteren, für begabter als sich selbst. Die Werke von Breughel dem Vater (Brüssel, 1568-1625) und Sohn sehen sich zum Verwechseln ähnlich, wobei das Werk des Flamen vielseitiger ausfiel aufgrund der biblischen Motive, Stillleben, Blumen und Miniaturen. Auch Vermeer (Mädchen mit Ohrringen) ist ein Kandidat auf seinen Rang.
Ein Gemälde macht den Unterschied: Die Schlacht bei Issos, (heute Louvre, Paris) 1602 zeigt wohl so viel Menschen wie kein anderes Bild und dennoch sind mit der Lupe Gesichtszüge zu erkennen. Generell unübertreffbar erscheinen Breugehls Landschaftsportraits in Verbindung mit Mythologie und Allegorie, darunter Adam und Eva im Paradies oder Thetis und Achill in der Schmiede des Vulkans und der beeindruckende Turmbau zu Babel, die gleichberechtigt hier stehen.
Die Schlacht bei Issos zeigt Alexander des Großen Triumph über die numerisch überlegenen Perser und darf als Schlüssel für den Triumph des Abendlandes und den hellenischen Einfluss auf Europa gelten. Fast alle Herrscher sahen sich als legitime Nachfolger des Makedoniers und Schülers Aristoteles, dessen Reichsexpansion nie mehr erreicht werden sollte. Zum Vergleich eignet sich die Alexanderschlacht in der Version von Albrecht Altdorfer.
Um es noch kompliziert zu machen, waren auch sein Vater Pieter der Ältere und dessen Sohn Pieter der Jüngere (der Bruder Jan Breughels des Älteren) großartige Maler, die ein Portrait des flämischen Landlebens (Antwerpener zw. Brüsseler Schule) liefern oder Sinn- und Kalendersprüche abbilden. Die flämische Renaissance zeichnet ein Hang zum Naturalismus und Realismus aus, im Vergleich zur italienischen, die stärkere regionale Bezüge aufweist und in der Farbgebung überragt. Die präzise und charakteristische Wiedergabe von Natur und Gestalten ist aber unbestritten Breughels Erkennungsmerkmal. Hegel spricht ihm „erhöhte Lebendigkeit“ zu.
Platz acht: Diego Velasquez: die Landschaft im Menschen
Leuchtende Farben und darin wichtigster Vorgänger von El Greco: der Hofmaler Velasquez Sevilla, 1599-1660 schuf mit Die königliche Hofdamen, genannt: Las Meninas (Prado), 1656 ein Werk, das viele Künstler, darunter Goya, Picasso und Dali, zu einer bildlichen Antwort nötigten. Obgleich er ein Sujet bearbeitet, das nur wenig Spielraum gestattet, erscheint alles anders, als es das Auge gewohnt ist: unter anderem bringt sich der Maler selbst auf die Leinwand und öffnet im Hintergrund des Ateliers eine Tür zu perspektivischen und allegorischen Zwecken.
Das Bild der Bilder, von vielen Portraits und auch Historiengemälden wie Die Übergabe von Breda, ragt als Leuchtturm im seinem Genre der Familienportraits heraus, gerade weil es Elemente anderer Gattungen wie das Selbstportrait und das Capriccio integriertEinen „wahren Maler“ hat ihn Baudelaire genannt, um ihn von Erzählern und Zeichnern seiner Zunft abzugrenzen. Laut dem Kunstkritiker nutzt Velasquez das Licht zum Ausdruck von Vitalität und widerspiegelt die Theologie mit malerischen Mitteln. Gemeint ist damit die Trinität der Bildperspektiven (Infantin, Königspaar, Velasquez) und weil die Hunde auf unterwürfigen Gehorsam verweisen.
Es mutet überraschend an, ist aber unbestritten: Velasquez erfuhr seine Renaissance durch die Impressionisten in Frankreich, namentlich Delacroix, Goya und Manet, auf die Modernisten wie Picasso aufbauten. Der andalusische Hofmaler wiederum bezieht sich eindeutig auf die venezianische Renaissance um Tintoretto und Tizian.
Hervorstechend in erscheint das psychologische Einfühlungsvermögen in die Portraitierten. Dies gab den Ausschlag gegen Murillo, seinem in vielem vergleichbaren spanischen Rivalen. In Inversion zu Breughel bettet er die mind map, die Landschaft in das Gesicht ein.
Platz sieben: Jacopo Tintoretto: Verführung zum Ehebruch
Venedig, Die Hochzeit zu Kana, der Dogenpalast bilden nahezu eine untrennbare Einheit, die schon von Goethe auf seiner italienreise gerühmt wird. Mit Recht gilt er als größter Kolorist unter allen Renaissancemalern. Sein Gespür für Farbe und Lichtführung machte Tintoretto (1518-1594, Venedig) zum Vorbild besonders für Greco, Fragonard und Delacroix.
Während Hugo von Hofmannsthal in seinem Drama „Der Tod des Tizians“ dem lokalen Rivalen ein literarisches Denkmal setzt, ist Fontanes erster Berlin Roman (1880) – L’Adultera (1880) gleichnamig nach einem Bild von Tintoretto (1569) benannt, das Ehemann Ezechiel seiner Frau schenkt. Die Handlung nimmt bereits sein Mesiterwerk Effi Briest vorweg. Nomen est omen: Das Gemälde, das die Versuchung einleitet, heißt Christus und die Ehebrecherin, wie es der Bild- und Romantitel besagen. „Vom berauschenden Duft betört schwinden ihre Nerven dahin, die Rüstung ihres Geistes lockerte sich und fiel“. Weiblicher Ehebruch war 1882 seinerzeit noch eine Straftat, verstieß aber gegen die Ehre des Mannes und zog ein Duell nach sich.
Wie Botticelli das Fässchen auch Tintoretto nur ein Künstlername aufgrund der Strahlkraft seiner Bilder. Das Färberlein erscheint aber schmackhafter als das Bäuchlein. Von Schaden kann der Beruf des Vaters nicht gewesen sein, schließlich mussten Farbpigmente noch aus der Natur gewonnen werden und dies in sehr aufwendiger Herstellung. Für Studien der Anatomie gab es kaum Grenzen. Manchmal studierte der Sohn eines Färbers die Anatomie sogar an menschlichen Leichen, die er an einer Holzkiste aufhing.
Von den vielen aussagekräftigen Bildern mit meisterhafte Raumaufteilung wie Die Erhöhung der Schlange, Flucht nach Ägypten und Moses schöpft Wasser aus dem Felsen habe ich mich für Hochzeit von Kanna (Santa Maria della Salute, Venedig) 1561 entschieden. Vielleicht, weil Jesus hier das Wunder vollbringt, Wasser in Wein zu verwandeln. Man lernt dort, dass der gute Wein im Keller ruhen bleibt, wenn die Gäste schon getrunken haben und nur am Anfang verkostet werden sollte.
Ein Vergleich zu Veroneses Version zeigt die Unterschiede in den Schwerpunkten und der malerischen Ausrichtung Tintorettos zu dunklen, schweren Farben und einer Melancholie trotz der üppigen Formen. Vor allem die Bewegung der Körper ist vorzüglich zu sehen.
Patz sechs: Francesco Goya – Vorbote der Apokalypse
Goya, ein Nachtmahr, ferner wirrer Schrecken,
Leichengeruch vom Hexensabbat weht,
Wo, lüsterner Dämonen Gier zu wecken,
Die nackte Kinderschar sich biegt und dreht.
Baudelaire, Les Phares (Leuchttürme) gewährt ihn in seiner Gedicht in elf Strophen den zweiten von zehn Rängen (nach Delacroix), weil er die Fantasie und Emotionen beflügelt wie kaum ein anderer. Das Werk und Leben des nahe bei Salamanca 1746 geborenen und 1828 in Bordeaux Verstorbenen lernte ich in Bordeaux kennen, da sich meine Wohnung unweit seiner letzten Residenz im Exil befand.
Goyas Radierungen sind beeindruckender als manch großes Farbgemälde, in denen besonders die Szenen der Revolution und der Eroberung Spaniens durch Napoleon in Erinnerung bleiben. Der Maler entwarf nicht nur Grafiken und Teppiche, sondern erwies sich als glänzender Illustrator (Pinturas Negras, Caprichos) und Meister der Aphoristik: „Phantasie ohne Vernunft führt zu Ungeheuerlichkeiten; vereint aber bringen sie wahre Kunst hervor und schaffen Wunder.“
Von der emotional beeindruckenden Zahl seiner Werke fiel die Wahl gegen Die Erschießung der Aufständischen – Goya war Augenzeuge der Exekution durch Napoleons Soldaten 1808 –-für das Das Begräbnis der Sardine (Real Academia de Bellas Artes, Madrid) 1816. Zum einen zeigt es exemplarisch die Vorliebe des Malers für soziale Randgruppen auf und seine Solidarität mit den Schwachen. Zum anderen ist es feinsinnig mit symbolischen und allegorischen Anspielungen und verdeutlicht technisch seinen Hang zum Grotesken ist.
Unter dem historischen Aspekt erscheint der närrischer Freudentanz der Befreiung von der französischen Fremdherrschaft (1813) zu gelten, zumal Spaniens Karneval in Spanien unter Bonaparte verboten blieb. Von den Maßen unscheinbar, bleibt es von gewaltiger Suggestionskraft. Die Bestattung der Sardine verkörpert das Ende des Karnevals. Die Figuren führen einen Rundtanz Jota, ein Tripeltakt, von Gitarren, Kastagnetten und Bandurrias begleitet, mit Ursprüngen aus Aragonien. Goyas Einbindung der Folklore war wichtigstes Vorbild für Degas, Zuloaga und Miró.
Platz fünf: Hieronymus Bosch. Hexensabbat und Narretei
Sollte noch eine Steigerung der Fantasie möglich sein, dann trägt dieser Superlativ den Namen Bosch. Der Meister der Triptychen (1450 – 1516 Hertogenboschn nahe Brabant) hat vier unfassbar beeindruckende Altarbilder hinterlassen: Der Heuwagen (zwei Versionen), Das Weltgericht (Akademie der bildenden Künste , Wien), Das letzte Gericht (Groeningemuseum, Brügge) und Der Garten der Lüste (Prado) Die Wahl fiel dennoch auf Die Versuchung des Heiligen Antonius, die Flaubert zu seinem gleichnamigen Lesedrama (zwanzig Jahre Entstehungszeit) inspirierten. Lange hing das Bild auch im Louvre, wo ich es mit eigenen Augen sehen durfte, ein zweites Mal an seiner heutigen Stelle, dem Museu Nacional de Arte Antiga, Lissabon.
Die besonderen Fähigkeiten des aus einer Malerfamilie stammenden Bosch sind offenkundig seine Fähigkeit, Sprache und Bild ideal zu verknüpfen und den Todsünden sowie theosophischen Vorstellungen Gestalt zu verleihen. Ein Liebhaber seiner Kunst, der Sammler Camille Benoît brachte zahlreiche verschollene Bilder des Meisters nach Paris und führte zur Wiederentdeckung eines beinahe vergessenen Genies der an Originalität kaum zu übertreffen sein dürfte.
„Der Handwerker verwendet nur Klischees der Künstler eigene Einfälle.“ Mit dieser Aussage gibt der aus einer Malerfamilie stammende Flame den Kern seines Alleinstellungsmerkmals wieder. Zu sehen ist der Teil eines verlorenen Triptychons namens Das Narrenschiff (Louvre) 1510. Es begleitet das Werk des Sebastian Brant, einem Straßburger Humanisten und Zeitgenossen von Bosch. Die bebilderte Satire, vergleichbar mit dem zeitnah entstanden „Das Lob der Torheit“ von Erasmus von Rotterdam liest sich ergänzend zu Bosch´ Gemälde. Gerahmt werden die Sinnsprüche in Gedichtform von der Schiffsallegorie:
Alle Gassen und Straßen sind voll Narren,
Die treiben Torheit an jedem Ort …
Wie ich der Narren Schiff‘
Galeeren, auch Schlitten, Karre, Wagen:
Denn ein Schiff könnt nicht alle tragen,
So groß ist jetzt der Narren Zahl …
Platz vier: Eugène Delacroix: ein göttlich berauschendes Gift
Der Wagner unter den Malern erlebte sein farbliches Erweckungserlebnis im Maghreb. Baudelaire weist ihn in Leuchttürme den Platz auf dem Olymp zu: „Es ist ein laut den tausend Schildwachen Schreien / Es ist ein Leuchtturm der flammt über tausend Basteien“ (Übersetzung Stefan George).
Der in Saint Maurice, südöstlich von Paris an der Marne, geborene Meister der Romantik (1798-1863) galt als Perfektionist, der keine feste Beziehung eingehen wollte, um sich ganz der Malerei widmen zu können. Dazu gehörten Tausende von Skizzen und Farbvariationen desselben Bildes. In puncto Bewegung und Ausdrucksstärke dürfte er von keinem Künstler übertroffen werden. Er komponiert Farben zu einem rauschenden Fest der Musik und antizipiert deren Autonomie.
Ein bewusst in Kauf genommener Skandal war Der Tod des Sardanapal (Louvre), das den assyrischen König stoisch inmitten seiner Selbstzerstörung zeigt. Damit der Feind nicht triumphieren konnte, lies er alle Untergebenen hinrichten und den Palast in Brand legen. Die Gleichmut, mit der ein Herrscher alles zum Teufel gehen lässt, bewegt. Dieselbe Leidenschaft und eruptive Gewalt zeigen auch Die Freiheit führ das Volk an oder Die kämpfenden Pferde im Stall (Chevaux arabes se battant dans une écurie, Musée d´Orsay). Die Vielseitigkeit des Malers ließ ihn große historische Stoffe bewältigen wie die Märzrevolution, aber auch den wahren Orient entdecken, befreit von Klischees.
Von den zahlreichen Mythen und literarischen Erzählungen, auf die sich Delacroix immer wieder bezieht, fällt meine Wahl auf die Barke Dantes (Louvre), die Vergil und den Autor der Göttlichen Komödie in der Hölle zeigt. Der Maler selbst verfügte über musikalische poetische und philosophische Qualitäten, die ihn neben den Bildern selbst zum Vater aller Impressionisten machten. „Die erste Tugend eines Bildes ist es, ein Fest für das Auge zu sein.“ Oder: „Vollkommene Schönheit verlangt vollkommene Einfachheit. Allein die Variabilität im Stil, ohne sich dabei untreu zu werden, rechtfertigt einen Rang unter den bedeutendsten Malern; bei ihm sind es nicht zwei oder drei außergewöhnliche , sondern die außergewöhnliche Qualität all seiner Bilder, die hervorsticht.
Platz drei: El Greco: Der Magier
Fast wird vergessen, dass er ein Kreter ist, wo es doch heißt, dass alle Kreter lügen. (1541 in Candia -1614 Toldeo), denn diesen, um einen aufrichtigen Glauben ringenden, Maler verbindet man immer mit der spanischen Festung südwestlich von Madrid. Für Rilke war er ein Gott, der seine Dichtung auf seiner Spanienreise neu belebte, wie der Beginn von „Spanische Trilogie“ dokumentiert:
Aus dieser Wolke, siehe: die den Stern
so wild verdeckt, der eben war — (und mir),
aus diesem Bergland drüben, das jetzt Nacht,
Nachtwinde hat für eine Zeit — (und mir),
aus diesem Fluß im Talgrund, der den Schein
zerrißner Himmels-Lichtung fängt — (und mir);
aus mir und alledem ein einzig Ding
zu machen,…
Die Altstadt von Toledo gehört zu den schönsten Spaniens und ältesten Weltkulturerben der Unesco. Sie ist auch auf seinem Lakoon zu sehenNeben den religiösen bzw. spirituellen Bilder, die hintergründig ohnehin leitmotivisch bleiben, den Tempera-Werke.
Erst mit über vierzig Jahren kam Theotokópoulos spät und in Italien durch die Begegnung mit Tintoretto auf den Öl-Geschmack und Leinwand als Medium. Die Blautöne in Martyrium des Heiligen Mauritius (Klosterresidenz El Escorial) bilden einen ersten Ausdruck seiner von innen heraus illuminierten Figuren. „Ich halte die Imitation von Farbe für die größte Herausforderung für einen Maler.“ Die Gewalt der Natur mit der Gottes zu verbinden gelingt ihm eindrücklich.
Die Zahl seiner stilistischen Innovationen ist groß. Erwähnt sei nur das Verformen der Gliedmaßen zu einen länglichen, an Flammen erinnernden Effekt, wie er in Öffnung des fünften Siegels (Metropolitan Museum of Art, New York) zum Tragen kommt.
Die Lichteffekte, exemplarisch Knabe, der eine Kerze entzündet (Museo Nazionale di Capodimonte, Neapel) verleihen ihn ein Alleinstellungsmerkmal. Den Ort seiner letzten Lebensjahre machten zwei Bilder zum genius loci: die relativ kleinformatige und fast quadratische Blick auf Toledo, (Metropolitan Museum of Art in New York City) und das doppelt so große, weil längliche Format Ansicht und Plan von Toledo (Museo del Greco in Toledo) 1599, das hier zu sehen ist. Aufgrund des ausdrucksschwächeren Himmels nicht so berühmt wie das 1597 entstandene Bild ohne Plan.
Platz zwei: Auguste Renoir: Bilder wie Frauen zum liebkosen
Zwischen den in Paris geborenen Manet (1832-83), Claude Monet (1840-1926) und Auguste Renoir (Limoges-Cagnes sur Mer, 1842-1919) zu entscheiden fiel schwer, doch wie es bei jedem Maler einen, meist zwei Gegen-Kandidaten gab, konnte nur einer davon Aufnahme in die Liste finden. Von Manet ist etwa das Frühstück im Grünen oder Olympia ein Bild, das man nie vergisst. Wie kein anderer vermochte er Gesichter und Atmosphäre in den Cafés einzufangen, welche die Welt Baudelaires und Flauberts illustriert. Von allen Impressionisten beherrscht er die Wiedergabe von Menschen am eindrucksvollsten. Monet, dessen bekannteste Bilder die Seerosen und Sonnenauf- oder Untergänge wie Impression oder Bordighera sind, ist der Meister der Wiedergabe der Natur. Version von Frühstück im Grünen illustriert dies eindrucksovll: die Vegetation steht im Vordergrund, die Menschen bilden das Dekor. Es lassen sich Toulouse-Lautrec für die Tanzszenen und das Nachtleben, Cézanne für die Bergwelt Saint -Victoire und das Stillleben, Courbet für die fotografische Abbildung wie in Der Ursprung der Welt anführen.
Die Wahl aber fiel auf Renoir, dem komplettesten Meister der Inszenierung subtiler Erotik. Exemplarisch: Die Loge, Tanz im Garten Moulin de la Galette und Die großen Badenden. Wie der Künstler Bougival, einem nahe Paris gelegenen Bootsausflugsort samt Froschteich mit bürgerlichen Sonntagsgästen einfängt und atmosphärisch gestaltet, ist unübertreffbar. Die Insel an der Seine war auch Zufluchtsort seine Freundes Bizet, dessen Carmen das Maß der Dinge für die Oper ist. La Grenoullière (Musée d´Orsay, derzeit Nationalmuseum Stockholm) in der Version von 1879 erscheint mir die perfekte Synthese aus den Stärken von Manet und Monet. Deutlich wird dies im Vergleich, denn es existieren auch Versionen von Monet und Manet von der Insel des Glücks (und der Frösche).
Renoir hat einen subtilen Humor. Ich stieß auf meiner Spurensuche entlang seiner Wohnorte auf Sätze wie „Eines Tages, als einer von uns keine schwarze Farbe mehr hatte, verwendete er blau. Der Impressionismus war geboren.“ Doch der Mythos der Freunde einer homogenen Bewegung ist falsch: sie waren untereinander uneins in der Richtung, nur einig in ihrem Nein zum Bestehenden, in ihrer oppositionellen Haltung. Dies gilt auch für die parallele literarische Entwicklung des Naturalismus.
Ein zweites Zitat aus dem Mund von Renoir lautet: „Ich liebe Bilder, die in mir den Wunsch erwecken, in ihnen herumzuspazieren, wenn es Landschaften sind, oder sie zu liebkosen, wenn es Frauen sind.“ Genau das sieht man seinen Bildern auch an. Musterbeispiel hier: Der Spaziergang (Getty Museum, Los Angeles)
Platz 1 Caravaggio
Dass ich einen Roman über das bewegte Leben, die Besessenheit zu sehen und vor allem die Entstehung seiner Gemälde schrieb, ist kein Wunder. Wo immer eine Ausstellung erreichbar und mehr als fünf Originale von Caravaggio zu sehen waren, reiste ich ihm nach: Düsseldorf, Berlin, Toulouse, Rom. Wenn man die Schüler und Epigonen mit dem Meister vergleicht, wird der Unterschied schnell deutlich. Michelangelo Merisi (1571, Mailand oder Caravaggio-1610 Porto Ercole, Toskana) da Caravaggio (Lombardei) hat die Malerei mit seinen schmutzigen Füßen der Heiligen auf den Kopf gestellt: Auch wenn es Schlaglicht, Sfumato-Technik , Caravaggio vereint es zur Meisterschaft.
Liederblätter, deren Noten man spielen kann, detaillierter fotografischer Blick für das letzte Detail, nicht nur bezüglich der Lichtführung, sondern auch der Wahl des Holzes für eine Geige oder die Anzahl ihrer Saiten, so dass alles viel echter, wirklicher und plastischer wirkt als die Wirklichkeit selbst. Im Wettkampf zwischen Zeuxis und Parrhasius war er unbestritten letzterer. http://www.projekte.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/Paragone/zeuxis_zundp.html
Ein einziges Bild, die auf der ganzen Welt verstreut sind und auf der Flucht an sieben Orten Italiens und Malta entstanden, signierte er nur ein einziges. Von meinen zehn Lieblingsbildern stammen vier von ihm, daher kein Zweifel, no doubt about it, certainement numero uno: Caravaggio. Die Wahl, so schwer sie auch sonst sein mochte, meines absoluten Favoriten war auch intern leicht: immer und ewig Die Enthauptung des Holofernes (Galleria Nazionale di Arte Antica, Rom) 1598 in der sich der untergehende Geist der Renaissance und der aufkommende des Barock spiegelt und der gesamte Dualismus, der mit diesen Kunstströmungen bildhaft zum Ausdruck gelangt. Das Gemälde kann aufgrund des Sujets u.a. mit Botticelli, Lucas Cranach dem Älteren, Veronese, Tizian, Tintoretto, Giorgione, Donatello, Rubens, Rembrandt und Gentileschi verglichen werden, um deutlich zu erkennen, welche Urgewalt Caravaggio besaß.
Die anderen Favoriten sind: Die Enthauptung Johannes des Täufers (Malta, church of St. John) Die sieben Werke der Barmherzigkeit (Neapel, Pio Monte della Misericordia) und Martyrium des Hl. Matthäus (San Luigi dei Francesi, Rom)
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