Man möchte meinen, wir hätten die Demokratie und die Freiheit (beides geht durchaus nicht Hand in Hand) in 2500 Jahren zumindest in unserer westeuropäischen Kultur verinnerlicht und sogar weiterentwickelt. Doch kritisch betrachtet waren die Hellenen wohl freier und demokratischer als wir, trotz Sklaven. Paradox? Idealisieren sollte man die Zeit nicht, aber Philosophie und Nachdenken galt als höchste Tugend und ganz gewiss nicht Geldverdienen oder Spaß haben. Was hat uns ein Denker aus dem längst unterggangenen Reich Makedoniens heute noch zu sagen?
Vordenker der Naturwissenschaft
Fast alle großen Forscher, erwähnt seien hier nur stellvertretend Humboldt, Linné und Darwin, geben den Makedonier und Lehrer Alexander des Großen als Vorbild und lexikalische Koryphäe an. Denken macht frei und nur wer genau beobachtet, kann auch wissen. Er ist weder auf Mutmaßung noch das Wissen anderer angewiesen. Er ist weniger fremdgesteuert und toleranter, weil weniger xenophob. Er ist neugieriger und versteht Wissenschaft als grundlegende Kultur und Basis für zwischenmenschliche Interaktion.
Ergänzung zu Platon: drei Unterschiede
Fragt man nach seinen Leistungen, so würde ich in einem Kurzportrait folgendes zusammenfassen: Ja, er war ein Schüler, nicht Gegenspieler, aber eigenständiger und kongruenter Denker zu Platon. Ohne die beiden gäbe es unser abendländisches Weltbild so nicht und dies ist ausdrücklich nicht als Dualismus zu verstehen. Das Verhältnis zwischen ihnen, anfangs Lehrer-Schüler, zuletzt gleichberechtigt nebeneinander stehend ist fast vergleichbar mit dem jungen Platon zu Sokrates. Mitunter spiegelt sich der Jüngere im Älteren wie im Mondlicht.
Die Unterschiede (Chorismos) https://www.schwabeonline.ch/schwabe-xaveropp/elibrary/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27verw.chorismos%27%5D auf einen Idealismus (Platon) und Materialismus oder Empirismus (Aristoteles) herunter zu brechen, wird beiden nicht gerecht. Die drei als Chorismus (Stoff-Form-Differenzierung) elementaren Differenzen sind:
Theorie und Praxis
Erstens Aristoteles vertraute vornehmlich auf die fünf Sinne, das Beobachten und Kategorisieren. Platon dagegen verehrte vor allem die Mathematik, sah in ihr eine symbolische und abstrakte Form der Kunst.Beide allerdigs gaben -im Gegensatz zu heute- wenig auf das Kriterium der Quantität oder gar der Mehrheit. Besonders Aristotles fürchtete die Dummheit und Manipulierbarkeit der Massen; intensiver als sein Lehrer stellte er die Kreisläufe, Phasen diverser Regierungssysteme mit ihren Vor-und Nachteilen vor. Die Demokratie vergleicht er mit einem Gänsemarsch.
Zudem trennte Aristoteles alle Wissenschaften nach Methode und hielt die Metaphysik für die Metaebene und Vogelperspektive, der Mutter aller Wissenschaften. Platon hingegen, für den Physik als Welt des Scheins gegenüberder übergeordneten Idee eine untergeordnete Rolle spielt, gewichtet die Hierarchien stärker und betont das Zusammenspiel aller natur- und geisteswissenschaftlichen Kräfte.
Wissen
ZweitensAristoteles Weltbild ist auf Veränderung ausgelegt, sehr dynamisch und daher immanent. Er unterscheidet in seinen Syllogismen nach induktiver Methode wie von besonderen auf allgemeine Eigenschaften und Qualitäten geschlussfolgert werden kann. Generell hat die Logik einen größeren Stellenwert als bei seinem Lehrmeister, der mit poetischen Gleichnissen aufwartet, welche die Form vom Stoff,die Idee vom WEsengrundsätzlich trennen,gibt es für Aristotels substantzielle und akzidentelle Eigeschaften,die jedoch immer an den Trägergebunden gleiben:keine Form ohne Stoff und invers;einzig die Gestalt ändert sich. Dementsprechend ist das Gute (das Selbe) nicht immer gleich bzw. neutral (vernünftig) oder mit gleichen Mitteln zu erlangen, sondern gleicht einem Koffer mit Überraschungen wie ein Experiment.
Wo Platon verschiedene Formen und Qualitäten von Wissen (episteme) unterscheidet undauch Intuition darunter fällt, so dass vor allem die langen (ewigen) Erkenntnisse zählen, betont Aristoteles den epiphemären Charakter des sachgerechten Urteils. Wie in einer Fabrik mit verefeinerten Prozessmethoden wird Wissen folglich gemacht bzw. verändert sich permanent, wenngleich auch für Aristoteles elementare Bestandteile dianouetisch festgelegt sind. https://de.wikipedia.org/wiki/Dianoiologie. Folglich betont Platon die vita contemplativa, Aristoteles hingegen die vita activa.
Platon hingegen hält alles Wissen für wesentliches Wiedererinnern, die Welt durch Ideen im inneren zusammengehalten und Veränderungen nur auf der phänomenologischen und akzidentellen, nicht der substantiellen Seite für gegeben. Er ist u. a. Vordenker von Nietzsches Ewiger Wiederkehr des Gleichen.
Politik und Ehtik
Ethik ist zwar auch für Aristoteles ein Teilgebiet der Politik, die Tugendlehre unterscheidet auch er in Charakter- und Vernunft-Tugenden, doch betont er die Notwendigkeit des praktischen Einübens des Guten (arete) und ist skeptisch, dass Ethik durch Wissen vermittelbar ist. Folglich gehen Politik und Ethik nur im Idealfall kongruent Hand in Hand. Vor allem aber zieht Aritoteles keinen Bezug zwischen Fähigkeit oder Klugheit mit sozial verträglichem Handeln und Haltung.
Für Platon hingegen sind die Wissenden automatisch näher an der Weisheit und letztlich Philosophen per se die besseren, weil vernünftigeren und damit automatisch auch moralischeren Menschen. Er zieht eine lineare und symmetrische Verbindung von Bildung und Ethos; Aristoteles verneint dies. Nicht nur aufgrund des Höhlengleichnis möchte man Platon als Nachteule und Aristoteles als Turmfalke bezeichnen, die das Sehen lehren.
Analogien
Die Gemeinsamkeiten überwiegen und müssen hier nicht alle erwähnt werden. Tendenziell ist Aristoteles der praktischere und dynamischere von beiden, erdverbundener, weshalb er in der Philosophenschule von Rafael auch mit ausgestrecktem Arm und nach unten zeigenden Fingern allegorisiert wird. Platon mit der Geste gen Himmel ist der auf Ideale und Ideen, kosmologisch ausgerichteter Denker.Gemeinsamist, dass der Bürger keine Scheuklappe tragen darf und jeder Mensch sich vom Herdenwesen unterscheiden sollte, da er primär kein Fluchtthier ist.
Grundsätzlich repräsentieren beide Mentalitäten oder, wie Jaspers es bezeichnet, Weltanschauungen und Einstellungen. Die platonische ist kontemplativ, die des Aristoteles aktiv: die Weltanschauung Platons ist bei aller Vernunft mystisch, die des Aristoteles rational. Auch Gefahren sollten daher mit Augenmaß begegnet werden, wie das Wagengleichnis von Platon lehrt ebenso wie der Dreisatz des Aristoteles, dass der Mutige dem Feigen immer tollkühn und dem Tollkühnen immer feige erscheinen wird.Ein gewisses Maß an Risiko schützt vor der Trägheit der grauenZellen und des Herzens.
Drei Wesensmerkmale
Die wichtigsten Leistungen Aristoteles, die bis heute Geltung haben, sind: die Logik; bis auf wenige additive Modelle gelten noch immer die 64 von Aristoteles aufgestellten Denk-Sätze von zwei Prämissen, die zu einer eindeutigen Konklusion führen müssen. Generell ist Platon der poetischere von beiden, wobei Platon durchaus den Begriffen Spielraum lässt (sie haben nur Anteil an den Ideen): Aristoteles hingegen beschreibt sachlich nüchtern, präzise.
Neben der Logik verdanken wir Aristoteles die beiden Ethiken, wobei die Nikomachische die bekanntere ist. Drei Elemente sind entscheidend: Glück(Seligkeit) ist lernbar und objektiv. Es geht nicht wie bei Epikur um das persönliche Maß und auch nicht um Lust, wenngleich beide eine dauerhafte Zufriedenheit damit verbinden. Eudaimonia beinhaltet primär die Kenntnis der eigenen Fähigkeiten und diese überindividuell, folglich im Sinne der conditio humana zu entwickeln. https://www.eudaimonic.at/eudaimonie/
Es geht auch nicht wie bei Platon darum, diese Ethik gesetzlich nomologisch einer bestimmten moralischen Haltung zuzuführen, sondern um lebenslanges Lernen zum Verinnerlichen und Vervollkommnen dieser Haltung. Für Aristoteles gibt es nur einen Wert, der nicht situativ bedingt ist: die Gerechtigkeit. Alle anderen ethischen Verhaltensformen sind mehr oder weniger gut und schlecht, nie absolut.
https://www.textlog.de/4728.html
Goldene Mitte, goldener Schnitt
Es gibt immer eine goldene Mitte des Maßhaltens. Diese muss von Fall zu Fall neu geprüft und beurteilt werden. Der Zweck, um den es Aristoteles immer geht, besteht nicht darin, glücklich für sich zu sein, sondern zur Glückseligkeit aller und damit zum Frieden innerhalb der Gesellschaft beizutragen. Daher sind die Kontingente immer zu beachten und interagieren mit dem eigenen Verhalten. Dies führt dazu, die Vernunft deutlich vom Verstand zu unterscheiden. Erstere ist ein flexibles Instrument, die zu einer Verhaltensveränderung führt; letzteres ein kognitiver Apparat, der wie ein Muskel geübt wird, aber doch zur gleichen Funktion dient. Man stelle sich einen symmetrischen Baum mit gesunden Zweigen und vollen Blüten vor.
Verantwortung tragen ist Freiheit
Verantwortung besteht immer politisch durch aufrechtes Kommunizieren. Es muss weiterentwickelt, ein Versprechen und ein Verzeihen gewährleistet sein. Folglich muss allesdiskutiert und verstanden werden, damit jemand Verantwortung trägt. Grundsätzlich übernimmt nur der Starke Verantwortung, alle anderen bleiben unselbständige Kinder.
Macht leitet sich von Machen wie Könnenvon Vermögen ab. Das bedeutet, dass es keine gute oder schlechte Regierungsform gibt, sondern diese wie das Verhaltend des Einzelnen der Situation entsprechen muss, damit Gutes verwirklicht werden kann zum Wohle aller.
Aristoteles Ethik ist neben der Kantischen (Gesinnungsethik) und der Utilitaristischen (Erfolgsethik) die dritte grundsätzliche Wahl. Weder unterwirft sie sich einem Prinzip noch dem bloßen Nutzen einer Mehrheit. Sie ist zweckgerichtet, doch der Zweck ist keineswegs immer gleich.
Aristoteles ist dem Denken Hegels, Platon das dem Denken Kants intrinsisch verbunden und am nächsten. Beide deutsche Aufklärer sind allerdings Transzendentalsten und stellen die Idee bzw. das Prinzip über alles andere. Freiheit ist in diesem Fall immer das Wissen um Notwendigkeit und Handeln nur innerhalb der präskriptiven bzw. kategorischen Moral frei zu nennen.
Ein Baumstumpf ist noch kein Baum
Wer sich mit Philosophie, gleich welche Richtung, beschäftigt, ist gut beraten, sich eingehend und nicht nur flüchtig mit Aristoteles zu beschäftigen. Für die Gegenwart ist er erstaunlich aktuell. Die Grundfragen zur Bestimmung eines Dings oder eines seelischen Zustandes, selbst eines Gefühls, führen immer auf seine vier Gründe zurück: Was, woher, wohin, wozu. Nach Aristoteles gibt es insgesamt vier Ursachen.
causa materialis (Stoffursache): Was
causa formalis (Formursache): Wozu
causa efficiens (Wirkursache): Wohin
causa finalis (Zweckursache): Wozu
Nur letztere, Philosophen häufig gestellte Frage nach dem Warum bleibt er uns schuldig – zurecht. Sie würde notwendig ein regressum ad infinitum und zu einer subjektiven Bewertung führen.https://de.wikipedia.org/wiki/Infiniter_Regress Ein Mensch, der sich einfach von der Politik bevormunden und damit entwurzeln lässt, gleicht einem Baumstumpf, mitunter sogar hohl.
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