Foto Belinda Helmert russischer Wein im (Liebenauer) Herbst, passend zum Auftritt der Hendrix-Cover-Band third free stone (file:///C:/Users/Administrator/Downloads/230904_Flyer.pdf)
Little Wing bildete den Auftaktsong von Third Stone Free, der Insider-Kultgruppe aus Minden. Zwischen 60 und 80 Leute wiegen sich am 7. 10. in der kleinen Scheune unter dem über die Holzverlattung der Decke gespannten Segel, das man metaphorisch als Flügel geltend machen kann. Einen repräsentativen Eindruck von ihrer Qualität zu den Klängen des Gitarrengottes liefert das Video aus dem Sommer (https://www.youtube.com/watch?v=N6pum2LuZyo) im Clubhaus 06; der Bandname bezieht sich auf den Titel stone free, der fester Bestandteil ihres Repertoires bildet. Hendrix Stil bezeichnen Musikexperten als fancy free (deutsch: sorglos, frei) und footloose (deutsch: frei und ungebunden). Nicht nur das Trio hat sich mit ihrem Tribute to Jimmy der Erhaltung von Tradition verschrieben.
Der Verein zur Erhaltung des Scheunenviertels „Vor dem Pennigsehler Tor“ e.V. hat sich im Jahr 1998 gegründet. Ziel des Vereins ist es, das historische Liebenauer Scheunenviertel zu erhalten und parallel dazu eine inhaltliche Nutzung, insbesondere die Förderung der Bildung und Kultur, zu entwickeln. (https://www.kulturscheune-liebenau.de/willkommen.html) Logisch, dass die Kulturveranstaltungen des Ortes in einem der restaurieren Scheunen stattfinden. Über Jimmy Hendrix aus Seattle ist soviel geschrieben worden, dass hier nur ein Satz gesagt werden sollte: die ganz Jungen kennen ihn nicht und die etwas älteren Jungen können mit ihm wenig anfangen. Daher, so der Leadguittarist, sterben die Zuhörer, das Publikum, die Tradition ein wenig aus. Er ging September 70 einfach zu früh. Andere Weggenossen wie die rollenden Steine leben noch und bilden daher kein Generationsphänomen.
Foto Belinda Helmert : Plakat in der Kulturscheune zum Tribute to Jimmy Hendrix (https://de.wikipedia.org/wiki/Jimi_Hendrix). Der Titel stone free (freier Stein) stammt aus dem Jahr 1966.
Zurück zu dem kurzen Stück little wing (https://www.youtube.com/watch?v=ZUrPZmWBbPQ) aus dem Jahr 1967: er beginnt mit der Zeile Well, she is walking through the cloud. Wenn sie durch die Wolken spaziert. Der Text enthält die willkürlich anmutende Klimax butterflies, zebras, moonbeams (Schmetterlinge, Zebras, Mondstrahlen). Der zweite Song , ist ein Chicago Blues aus der Feder von Howlin Wolf Killing Floor (https://www.youtube.com/watch?v=1NHG9BmjT2o) und stammt aus einer Zeit, in der in den USA praktisch noch Apartheid herrschte. Mein Nachbar, der die wilden Sechziger miterlebt hat, nimmt es zum Anlass, die Ukraine einen Haufen Faschisten zu nennen und die Grünen seit Fischers Ja zum Krieg gegen die Serben einen militanten Drecksladen. Es ist zu laut, um etwas zu verstehen. Reden hat Sendepause und das ist auch gut so. Es wird zuviel geredet, gerade jetzt. Der dritte Song heißt schlicht fire (https://de.muztext.com/lyrics/jimi-hendrix-fire): es beginnt mit einer Aufforderung zum (be)graben: Now dig this. Allerdings geht es, wie so oft bei Hendrix, um Untreue und damit einem Beziehungsgrab.
Foto Belinda Helmert: Verstärker und Verzerrer auf der Bühne in der Kulturscheune Liebenau
Das stone free darf nicht fehlen und wie bei jedem Song verliert der Leadguittarist Jan einige Worte zur Erläuterung über Entstehung und Versionen des Songs, in diesem Fall ein uptempo, in dem die Geschwindigkeit inm Rhythmus rasch und teilweise rasend zulegt. In stone free (ttps://www.youtube.com/watch?v=1JQjarE-fKE) richtet Hendrix einen Appell an alle, sich zu befreien von Konventionen und sich von nichts und niemand binden zu lassen: I don’t want to be tied down. Worte, die wohl wie Büchners Woyzeck nie an Aktualität verlieren werden, die dennoch aus einer fernen Zeit klingen, aus astronomischer Ferne. Unser Leben, durchgetaktet, reguliert, stranguliert. Wo ist er hin, der Geist von 68 ? Hat er sich auch in purpurfarbenen Rauch aufgelöst?
All allong the watchtower (Entlang dem Wachturm) artikuliert gleichfalls die Sehnsucht, aus dem Festgefahrenen herauszukommen und enthält die Zeilen: „Es sind hier so viele unter uns, die fühlen dass das Leben bloß ein Witz ist.“ Seltsam, dass manche Dinge so treffend das eigene Leben beschreiben, obschon der Weg zu Hendrix weit zu sein scheint. Zudem stammt der Text von Bob Dylan, doch die Version von Hendrix machte das Lied bekannt(er). Der Wut seiner Zeit einen Namen geben genügt nicht: die Stimme, die Melodie muss es sein, der geniale Riff, der Worte verblassen lässt. There ist too much confusion heißt es (https://www.youtube.com/watch?v=6YoVJJmP_60): Ja, auch Genesis gebrauchte diese Zeile in ihrem legendären Land of Confusion.
Foto Belinda Helmert: Guittarist Jan bei der Interpretation von Allong the watchtower
In einem Jimmy Hendrix Revival darf ein Song, der seine nie verleugneten Wurzeln repräsentiert, nie fehlen: Red House (https://www.youtube.com/watch?v=Us5sfT17hws). Es geht hier um die Rückkehr nach etwa hundert Tagen mit einem unvermuteten Ausgang: das Mädchen ist nicht mehr da. Die buchstäbliche Schlüsselszene lautet: Wait a minute, something’s wrong here. The key won’t unlock this door (Warte einen Moment, etwas ist falsch Baby, der Schlüssel will diese Tür nicht aufschließen) https://lyricstranslate.com/de/red-house-rotes-haus.html. Wie viele Textstellen schwanken sie zwischen persönlichem Liebesdrama und der allgemeinen Situation, sich nirgendwo mehr zu Hause zu fühlen oder zurechtzufinden.
Die logische Folge behandelt das nächste Lied: Manic Depression – manische Depression ist eine bipolare Störung zwischen himmelhoch und abrundtief. Joachim Witts Goldener Reiter handelt davon. Manic depression is searching my soul. Well, I think I’ll go turn myself off an‘ uh, go on down
All the way down. (Manische Depression sucht meine Seele heim. (Nun, ich denke, ich schalte mich selbst ein und aus auf dem ganzen Weg nach unten.) Hendrix muss früh gespürt haben, dass es für ihn keinen Ausweg, sondern nur einen frühen Tod gibt. Das Lied (https://www.youtube.com/watch?v=85GIYeUZTB0) widerspiegelt die Extreme, unter denen wir leben und leiden, den Riss und den Spalt, in denen wir unser Auskommen suchen. Alles scheint im Scheinwerfer zu stehen, doch zugleich breitet sich ein dunkler Vorhang über das Geschehen.
Foto Belinda Helmert, Bühne in der Liebenauer Kulturscheune, Detail
Hey Joe, so geht es weiter und dröhnt im satten Sound über einen jungen Mann, der sein Mädchen aus Eifersucht tötet und den Woyzeck gibt, der in uns allen steckt. Bei den Bildern zum Originalauftritt (https://www.youtube.com/watch?v=gUPifXX0foU) fällt die Schüchternheit der Mädchen auf, die sich im Rhythmus noch unsicher bewegen. Viele von den Seniorinnen hier, die mit geschlossenen Augen und wippenden Füßen sitzen oder stehen, mögen sich an diese Zeit zurückerinnern. Noch gibt es sie, die Generation, die den Aufbruch in eine bessere, eine blumige Zeit und ihr blutiges Scheitern erlebt hat. Ausdruck für ihr Aufbegehren waren die oft an Schreie erinnernden Gitarrenriffs. Das Inferno der Gewalt: artikuliert Joe: „Ich denke, ich knall‘ meine Alte damit ab, du weißt ja, ich hab‘ sie mit ’nem andren Mann erwischt.“ Joes Traum ist es, sich nach Mexiko abzusetzen, doch das ging schon bei Trotzky schief, denn sicher ist man nirgendwo auf dieser Welt, die Mörder am Fließband zeitigt.
Dann ist Pause. Von den vielen Songs, die noch folgen, wie die verzerrte Nationalhymneder Staaten, die an die Toten in Vietnam erinnern könnte, aber auch an die Forderung Schelinskis, die Ukraine aufzurüsten und ihr Atombombe zu geben – hört man irgendwo Proteste oder hegt irgendjemand den Verdacht, dass genau dies das amerikanische Interesse bedienen könnte: Atomkerne spalten, Menschen spalten, Kontinente spalten …. Hey Joe auf amerikanisch, der Traum, die alleinige Weltgesundheitspolizei zu sein und mit Moral zu töten. Licence to kill in Regenbogenfarben. Pace.
Foto Belinda Helmert, Scheinwerfer und Deckensegel in der Kulturscheune
Purple Haze (https://www.youtube.com/watch?v=WGoDaYjdfSg) gehört zu den bekanntesten aller Hendrix-Songs. Es erinnert an den Juni 67, den Sechstagekrieg zwischen Israel gegen Ägypten, Jordanien und Syrien, deren Folgen bis heute allgegenwärtig sind. Es erinnert an die bleierne Zeit, an den Besuch des diktaotorischen Schahs von Persien, die Proteste der Außerparlamentarischen Oppotisiotn (als Studenten noch auf der Seite der Unterdrückten standen) und die Ermordung des Demonstranten Benno Ohnesorg durch einen polizeilichen Schuss in den Rücken, der ungeahndet blieb (https://de.wikipedia.org/wiki/Benno_Ohnesorg). Bilder wie im Rausch oder im Nebel. Die purpurne Schuld Trakls, vermutlich seinem Inzest zugedichtet. Violetter Nebel in meinem Hirn – so wird es meist übersetzt, obschon purple purpur ist, die Farbe der Kardinäle. Ein wenig später ist vom Himmelskuss die Rede. Wieder lautet die selbstgestellte Frage: geht es auf oder abwärts mit mir? Ist es nur morgen oder doch apokalyptisch das Ende der Zeit? Mehrfach heißt es: Ich kann so nicht weitermachen. Doch wir tun es. Noch und immer wieder. Purpe haze all in my brain….Purple haze all around ….You got me blowin‘, blowin‘ my mind Is it tomorrow or just the end of time? … Don’t know if I’m comin‘ up or down. So wenig Worte, so viel gesagt. Dann diese Gitarre. Nicht von dieser Welt. Man taucht ein in purpurnen Nebel, der am Ende doch nur Heroin war.
Foto Belinda Helmert: Oberarm Tattoo mit Motiv Jimmy Hendrix des Leadguitarristen Jan aus Minden. Ein Lied, eine Haltung, die durch die Haut geht.
Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!