Heine, Cholera, Corona und die Lust am Leben

Foto: Belinda Helmert, Heinrich Heine, Wallanlage. Abguss von Waldemar Grzimek, 2010

Zerschlagen mit Lust

Der Dichter und Journalist Heine gastierte zweimal in Bremen im Bremer Ratskeller August 1826 (siehe Nordsee-Zyklus, II, „Im Hafen“) und Oktober 1843 während des Freimarktes, der so gar nicht seinen Gefallen fand. Das „Ratskeller“-Gedicht ( https://www.gedichte.de/gedichte/heinrich-heine/im-hafen.html) trug nicht unwesentlich neben den „Fantastischen Geschichten aus dem bremer Ratskeller“ von Wilhelm Hauff zum Ruhm des ehrwürdigen und größten Weinkellers Deutschlands bei. Über Heine schrieb einst ein Vertreter des Vormärz, Friedrich Hebbel:

„Heine läßt die Weltkugel zwar nicht im hellen Sonnenschein auf der Fingerspitze tanzen wie Goethe, sondern er zerschlägt sie, aber er tut es nur, … um den einzelnen Stücken dann den reinsten Schliff zu geben. Dabei kommt noch immer Lust und Leben heraus.“

Foto: Belinda Helmert, Globus in der Oldenburger Innenstadt nahe Schlossplatz

Eine globale Sicht auf die Realität der Dinge mit möglichst hoher Transparenz und Ironie ist Heine nicht abzusprechen.

Ein entlaufener Romantiker und Revolutionär

Heinrich Heine, der sich als „entlaufener Romantiker“ und „Sohn der Revolition“ bezeichnet kommt 1830 nach Paris und bleibt dort nach seinem Publikationsverbot in „Deutschland“. Er genießt den französischen esprit und seinen Liberalismus in vollen Zügen. Während der 25 Jahre in Paris bezog er fünfzehnmal neue Appartements, wobei Montmartre sein Lebensmittelpunkt blieb. In „Deutschland“ gilt er wegen seines Spottes und seiner Kritik am deutschen Michel bald als Nestbeschmutzer, doch für die Radikalen wie Börne, Freiligrath und Herwegh ist er nicht politisch genug. Heine will sich weder von den Saint-Simonisten noch den Links-Hegelianern vereinnahmen lassen. Kunst soll frei wie ein Vogel bleiben und zur lebenslust beitragen.

Foto Belinda Helmert, 37. Bremer Samba-Karnevall, Wallanlagen

Kunst und oder Politik?

Im Streit der „Jungdeutschen“ um die Frage, wie politische Kunst in Zeiten des Widerstands gegen das Staatsmonopol (den Leviathan) sein muss bezieht er klare Position: sie darf, muss es aber nicht und keinesfalls soll die Ästhetik, die Form und die Originalität unter Polemik und politischer Plattitüde leiden. Die Gesinnung des Autors blieb sekundär, der Aspekt der Gelegenheit in der Kunst besaß Vorrang. „Ärgert dich deine Vernunft, so werde katholisch“ schrieb er an Karl August Varnhagen..

(Heine, Studienausgabe Bd. 20, Brief Nr. 235, Heinrich Heine an Karl August Varnhagen von Ense, 19. Oktober 1827, Seite 302)

Foto: Belinda Helmert, Der Dichter – Miniaturskulptur auf dem Internationalen Oldenburger Keramikmarkt, August 2022

Über die Künstler in Paris schreibt Heine 1830, enthusiasmiert von der Julirevolution (in Frankreich bekannt als , Les Trois Glorieuses mit dem Bild Delacroix, Die Freiheit führt das Volk an, 1830, https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Freiheit_f%C3%BChrt_das_Volk ) , die den Bürgerkönig Louis Philippe und seine (vorerst) liberale Regierung an die Stelle der verhassten Karlisten (Bourbonendynastie) setzte, urteilt er:

„Eine neue Kunst eine neue Religion, ein neues Leben wird hier geschaffen, und lustig tummeln sich hier die Schöpfer einer neuen Welt.“

(Heinrich Heine, Werke in 10 Bänden, IV, Französische Zustände, Kapitel III , S. 413)

Engagierter Journalist

Er schreibt vorwiegend für die Augsburger Allgemeine Zeitung, in der auch Karl Marx seine Karriere als Redakteur beginnt. In den dreißiger Jahren kann man Heine als Auslandskorrespondenten der beginnenden Massenmedien Zeitung bezeichnen. Er sieht sich als Vermittler zwischen Frankreich und Deutschland zum Abbau des Ressentiments, der nach den Napoleonischen Feldzügen frisch wie die Gräben tief sind. Schau ich mir die Dichter, Prechts und Rinkes heute an oder den WK kommen mir die Tränen, was aus dem Land der Dichter und Denker geworden ist. Fremdschämen feiert ihre Renaissance.

Cholera und was sie mit „Corona“ verbindet

In seinem Essayband „Französische Zustände“, Kapitel VI, beschreibt Heine den Umgang mit der Cholera-Epidemie: Sorglosigkeit, die umschlägt in Massenhysterie, Denunziation, Vorverurteilung, Gerüchteküche und Lynchjustiz. Der vollständige Artikel findet sich unter http://www.heinrich-heine-denkmal.de/heine-texte/cholera.shtml. Heine bemüht sich um ein differenziertes Bild, schreibt aber von seiner Betroffenheit und dem Grauen jener Wochen.

Analogien zu 2020 sind evident. Die Choera-Epidemie drang aus dem Osten, aus Asien und Russland über Preußen bis nach England und Frrankreich vor – Paris erreichte sie im April 1832. Die Bedrohung kann in ihrer Dimension, insbesondere den Regierungsmaßnahmen und der medialen Berichterstattung durchaus mit der aktuellen Covid-Pandemie verglichen werden. Allerdings war die Todesursache um einiges deutlicher und bedurfte keiner Immunschwäche oder Vorerkrankung: sie kannte folglich keine vulnerablen Risikogruppen. Verschwörungstheorien wie Gift in Lebensmitteln zur Schwächung der Demokratie seitens der Karlisten und Bourbonen-Rückkehr-Befürworter zur Monarchie entsprechen heutigen Erklärungsversuchen von Leugnern oder Staatskritikern, die den rationalen Boden verlassen. Sie machen es den Medien leicht,von Verschwörungstheoretikern diffamierend zu sprechen.

Schon damals waren arm und reich nicht gleich betroffen, da sich Wohlhabende vor der Infektion tendenziell aus der Stadt in Sicherheit zu bringen wussten. Militärischer Eingriff erfolgte vor allem in den Großstädten, wo der Regierung die Kontrolle zu entgleiten drohte. Heine berichtet auch darüber. Über den genauen Verlauf in der Nachbetrachtung informiert https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/alltagsleben/die-choleraepidemie-1831.html. Im Folgenden nur Auszüge aus Heines Bericht:

„Da das Wetter sonnig und lieblich war, so tummelten sich die Pariser um so lustiger auf den Boulevards, wo man sogar Masken erblickte, die in karikierter Mißfarbigkeit und Ungestalt die Furcht vor der Cholera und die Krankheit selbst verspotteten.“

(Heinrich Heine, über die Cholera-Epidemie in Paris für die Augsburger »Allgemeine Zeitung, Paris, 19. April 1832)

Foto: Belinda Helmert, Samba-Karneval in Bremen, Wallanlagen

„als plötzlich der lustigste der Arlequine eine allzu große Kühle in den Beinen verspürte und die Maske abnahm und zu aller Welt Verwunderung ein veilchenblaues Gesicht zum Vorschein kam. Man merkte bald, daß solches kein Spaß sei, und das Gelächter verstummte, und mehrere Wagen voll Menschen fuhr man von der Redoute gleich nach dem Hôtel-Dieu, dem Zentralhospitale, wo sie, in ihren abenteuerlichen Maskenkleidern anlangend, gleich verschieden.“

Foto Belinda Helmert, Samba-Karneval in Bremen, Wallanlagen, 2022

„Nichts gleicht der Verwirrung, womit jetzt plötzlich Sicherungsanstalten getroffen wurden. Es bildete sich eine Kommission für Gesundheit, es wurden überall Büros für die Sicherheit eingerichtet, und die Verordnung in betreff der öffentlichen Hygiene sollte schleunigst in Wirksamkeit treten. … der Bürgerthron zitterte; die Rente fiel …“

Foto Belinda Helmert,: Straßenkunst in Bremen

„Es gibt keinen gräßlicheren Anblick als solchen Volkszorn, wenn er nach Blut lechzt und seine wehrlosen Opfer hinwürgt. … So weit darf die Leidenschaft uns nie führen; wahrlich, ich würde mich sehr lange bedenken, ehe ich gegen meine giftigsten Feinde solche gräßliche Beschuldigung ausspräche.“

Foto Belinda Helmert, Fußgängerzone Oldenburg nahe Schlossplatz

„Das Volk murrte bitter, als es sah, wie die Reichen flohen und bepackt mit Ärzten und Apotheken sich nach gesündern Gegenden retteten. Mit Unmut sah der Arme, daß das Geld auch ein Schutzmittel gegen den Tod geworden.“

„Es gehen jetzt viele verkleidete Priester im Volke herum und behaupten, ein geweihter Rosenkranz sei ein Schutzmittel gegen die Cholera. … So hat jeder seinen Glauben in dieser Zeit der Not.“

Foto belinda Helmert, Samba-Karneval in Bremen, Wallanlagen

„Man soll, haben ihnen die Ärzte gesagt, keine Furcht haben und jeden Ärger vermeiden; nun aber fürchten sie, daß sie sich mal unversehens ärgern möchten, und ärgern sich wieder, daß sie deshalb Furcht hatten.“

„Man kann an den Sterbebetten das Sterben lernen und nachher mit heiterer Ruhe den Tod erwarten; aber das Begrabenwerden unter die Choleraleichen, in die Kalkgräber, das kann man nicht lernen.“

Foto Belinda Helmert, Vorhang auf zum 37. Bremer Samba-Karneval, Wallanlagen Bremen

Samba in Bremen

Seit 1986 hat sich in Bremen der Samba-Karneval mehr als nur etabliert; er gilt inzwischen als der größte Europas. Aufgrund derPandemie fiel er zweimal aus. In abgespeckter Form, ohne den großen Umzug, der hunderttausend Besucher in die Hansestadt lockt, ging es durch die Wallanlagen nahe dem Heine-Denkmal.

(https://www.swb.de/ueber-swb/swb-magazin/heimathafen/sambakarnevalbremen?awc=16227_1660558268_7a2f512890f8eb5992f758b67ae7ebb7&utm_source=awin&utm_medium=affiliate&utm_term=101248&utm_campaign=standard&utm_content=direkteinstieg&iaid=20220815101108552412e0702732fc).

Der Karneval bildete einen Kompromiss zwischen Politik und Kunst, um die auch Heinrich Heine rang, wenngleich nicht im Artikel über die Cholera. Er brachte ein Stück Normalität und Unbeschwertheit, fast schon Leichtigkeit zurück in die grau gewordene Alltagskultur.

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