Der Freiheit zu denken ist erstlich der bürgerliche Zwang entgegengesetzt

Foto Belinda Helmert: Kondensstreifen in Folge des erhöhten Flugverkehrs. Aufnahme über 31618 Liebenau. Kant: „Die leichte Taube, indem sie im freien Fluge die Luft teilt, deren Widerstand sie fühlt, könnte die Vorstellung fassen, dass es ihr im luftleeren Raum noch viel besser gelingen werde.“ (Kritik der reinen Vernunft, Einleitung, III, Die Philosophie bedarf einer Wissenschaft, welche die Möglichkeit, die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse a priori bestimme). Das Titelzitat ist Kants Schrift „Was heißt, sich im Denken zu orientieren?“, A 326 (1785) entlehnt.

Wieder einmal lag ein Dissens zwischen meinem philosophischen Gesprächspartner Rolf Schütt und meiner Wenigkeit vor. Strittiger Punkt: die Auslegung von Willensfreiheit und die Abgrenzung der Willkür von freiem Willen bzw. Willen zur Freiheit bei Kant. Einfach macht es uns der Königsberger Systemphilosoph mit den überaus pedantischen Begriffen nicht, da er selbst schreibt, einerseits gäbe es keine Freiheit im wirklichen Leben, andererseits sei sie doch für die Vernunft notwendig, damit der Mensch nicht zum Automaten werde. Hier die Zusammenfassung der (aus meiner Sicht) wichtigsten Gedanken dazu. Es wird zu zeigen sein, dass Kant Willkür für die Freiheit für unabdingbar erachtet und die einzige wirkliche Freiheit in der Einischt in das Notwendige, der Pflicht, liegt.

Prinzip der Willkür

Der gute Wille an sich aus sujektiver Willkür heraus

Für Kant besteht positive Freiheit nicht in der subjektiven Willkür (diese ist negative Freiheit), sondern in der freiwilligen Selbstkontrolle, im Verzicht auf das untere Begehrungsvermögen zugunsten des sittlich Gewollten. Diese Einsicht äußert Kant am Vorabend der Französischen Revolution in Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (GMS) erstmals 1785.

Endlich gibt es einen Imperativ, der, ohne irgend eine andere durch ein gewisses Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses Verhalten unmittelbar gebietet. Dieser Imperativ ist kategorisch. Er betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr erfolgen soll, sondern die Form und das Prinzip, woraus sie selbst folgt, und das Wesentlich-Gute derselben besteht in der Gesinnung, der Erfolg mag sein, welcher er wolle. Dieser Imperativ mag der der Sittlichkeit heißen.“ ( GMS, Rechtslehre, 2. Abschnitt, sittliche Weltweisheit). Es geht also um Selbstdisziplin beim Wollen.

Kant differenziert drei Arten der Selbstherrschung: erstens das Vermögen, naturgemäße Egoismen und Partikularinteressen zu überwinden; zweitens das Vermögen, die eigenen Absichten mit Pflichten in Einklang zu bringen und „Lust“ (Bejahung) an der Pflicht zu entwickeln; drittens die Erhaltung und Sicherheit der gemeinsamen Freiheit gegen die Willkür persönlichen Neigungen abzusichern. Innere Gewissensfreiheit erlangt das Subjekt durch freiwillige Selbstverpflichtung.

Bei Kant genießt die Maxime des allgemeinen Wollens durch Verzicht auf eigenes Interesse, sprich Willkür als Eigenwille, stets Priorität. Er akzentuiert, die Würde des Menschen: sie fundiert auf den Selbstzweck, sich selbst ein Zweck zu sein nicht bloß Mittel zu selbigen zu sein. Freier Wille besteht demnach einzig im Vermögen die Willkür in eine freiwillige Pflichterfüllung (Moral) zu transformieren und damit teleologisch (zweckgebunden) zu handeln anstelle nach Eigeninteresse oder Annehmlichkeit. Daher sorgt Freiwilligkeit zugleich für Angemessenheit von Mittel und Zweck. Dies ist zugleich der Bestimmungsgrund des Willens und damit Grundlage des kategorischen Imperativs. Bei Kant gibt es im Unterschied zu allen folgenden Transzendentalphilosophen ein willkürlich Gutes, denn der gute Wille ist das sittlich höchste Gut.

Königsberg, alte Universiät, an der Kant (nicht seine eigene Philosophie) ab 1755 bis 1796 lehrte. Er wurde nicht ganz 80 Jahre alt. Kant: „Zweitens wird die Freiheit zu denken auch in der Bedeutung genommen, daß ihr der Gewissenszwang entgegengesetzt ist.“ (Was heißt, sich im Denken…., A 327)

Wille als Begehrungsvermögen

Wille beruht auf dem Begehrungsvermögen, ist folglich ein transzendentales Potential. Unterschieden werden das unteres, also auf eigene Interessen und Annehmlichkeit zielendes, und oberes, d.h. allgemeingültiges, der Glückseligkeit aller dienende Begehren. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der moralischen Gesetze, d. i. nach Prinzipien, zu handeln: es hat einen Willen. Der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft, unabhängig von der Neigung als praktisch notwendig , ergo als gut erkennt.

Der gute Wille besteht in der Fähigkeit und dem Streben, nach Prinzipien der Vernunft zu handeln. Gut bleibt rein von Empirie und unbefleckt von persönlichen Neigungen. Pflichtgemäßes, nach Gesetzen erfolgtes Handeln ist lediglich legal. Keinesfalls ist hier (guter) Wille im Spiel

Als Bürger zweier Welten – Sinneswesen homo phaenomenon den Naturgesetzen unterworfen, als Verstandeswesen homo noumenon gehört er der intellektuellen Welt an: dieser hat über den ersteren zu obsiegen: nur wer nach den Grundsätzen fragt, kann legitim und damit gut handeln. Voraussetzung für diese Wahl ist und bleibt jedoch die Willkür. Sie entpuppt sich für die Willensethik als unverzichtbar. Im Gegensatz zu Fichte, Schelling und Hegel liegt der Wille bei Kant nicht in der Handlung oder ihrem Gelingen bzw. Konsequenzen: „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“ (GMS 3. Abschnitt, reine praktische Vernunft)

Da dieser gute Wille immer die Pflicht priorisiert, spricht man von einer deontologischen (Pflicht)Ethik. Dies ist von Schillers Handeln aus Neigung und Gefühl wie etwa aus Mitleid streng zu unterscheiden. Das Subjekt entscheidet sich bewusst frieiwllig gegen das Prinzip der Willkür, zu der jedes Gefühl gehört. Der Freiheit kann keinesfalls empirische Realität zugesprochen werden, sondern sie bleibt ein Postulat, ein Versprechen. (siehe KpV IV, 122.) Sie entspricht einer praktischen Notwendigkeit, welche in der Willkür des Subjekts wurzelt.

Entscheidend: Kant bezieht Freiheit auf den Willen als Vermögen, freizukommen von Willkür und nicht auf die Handlung. Negative Freiheit bedeutet nur Unabhängigkeit von der Willkür und Spontaneität. Hier ist noch der Zufall der Empirie am Werk, äußere Freiheit die Folge. Positive Freiheit hingegen beinhaltet Autonomie: der Wille wird zum formalen Gesetz, frei von Kontingenten und hypothetischen Fällen.

ehem. Wohnhaus Immanuel Kants in Kaliningrad (seit 1946) , dt. Königsberg am Fluss Pregel (russ. Pregolja) gelegen. (https://www.derstandard.at/story/1388650480052/verlorenes-erbe-kants-spuren-verschwinden-in-kaliningrad). Zu Kants Lebzeiten hatte die Stadt bereits 50 000 Einwohner. Zum Vergleich: Berlin zählte seinerzeit ca. 180 000 Einwohner. Heute bevölkern etwa neunmal so viel Menschen Kaliningrad wie zu Zeiten des Philosophen.

Kants altes Wohnhaus (http://daniel-von-der-helm.com/kant/kant-haus-koenigsberg.html) Kant: „Drittens bedeutet auch Freiheit im Denken die Unterwerfung der Vernunft unter keine andere Gesetze, als die sie sich selbst gibt.“ (Was heißt, sich im Denken zu orientieren, A 328).

Prinzip der Freiwilligkeit

In der Tugend verwirklicht sich die Idee der Pflicht. Sie zielt auf subjektive Notwendigkeit ab, die aber zugleich auch objektiv gewollt ist. Die Handlung wird zur Pflicht und macht sie gleichzeitig zu deren Triebfeder. Eine freiwillige Pflicht aus innerem Zwang heraus ist für Kant selbstwidersprüchlich. Vor dem Gesetz ist Tugend unverbindlich, in ihrer Wirksamkeit jedoch autonom und, da sie nicht an Gesetze gebunden oder von ihnen eingeschränkt wird, der Willkür preisgegeben.

Pflicht als Triebfeder der Willkür zu begreifen vollzieht sich erst durch Ethik. Die Tugendlehre ist, da sie zweckfreie a priori Geltung beansprucht, mit kategorischen Imperativen festzulegen, sind weder normativ noch deskriptiv, sondern präskriptiv und transzendental: das natürliche Recht dient der Ermöglichung des positiven Rechts. Tugendlehre ist natürliche Moralität, die dem pflichtgemäßen Handeln vorausgeht.

Moralität besteht in der Beziehung aller Handlung auf die Gesetzgebung, dadurch allein ein Reich der Zwecke möglich ist.“ (GMS, II, Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten). Eine allgemeine Verbindlichkeit besteht im moralischen Handeln, weil „jedes vernünftige Wesen Zweck an sich“ ist. Sie macht aus dem Bürger einen Weltbürger, der jeder Person unabhängig dessen Herkunft das gleiche Recht einräumt und sich ihm gleichermaßen verpflichtet.

Königsberg, Domviertel. (https://www.welt.de/welt_print/article2372749/Auf-den-Spuren-Kants-durch-Koenigsberg.html). Kant: „Sich der Freiheit gesetzmäßig zu bedienen heißt immer sie zweckmäßig zum Weltbesten zu nutzen.“ (Schlusssatz, paraphrasiert aus Was heißt, sich im Denken zu orientieren?)

Willkür als subjektives Prinzip der Freiheit des Wollens

Ein für die Metaphysik entscheidender Schlüsselbegriff bildet das Begriffspaar der Lust / Unlust hinsichtlich der Förderung und Hemmung von Handlungen, die auf das Begehren eines Gegenstandes abzielen dem reinen Begehren gegenüber. Begehrungsvermögen nennt Kant die mittels Vorstellungen erzeugten Ursachen und Wirkungen auf Objekte. Dieses Vermögen ist zunächst von Begierde, Neigung, und Interesse willkürlich geprägt, wobei die Neigung im Subjekt sinnlich (sensibel) oder sinnfrei (intellegibel) ausgerichtet sein kann. Erst das persönliche Interesse verknüpft die allgemeine Lust mit dem subjektiven Begehrungsvermögen, das auch auf sich selbst ausgerichtet sein kann.

Interesse basiert auf Geschmack, Wohlgefallen und Annehmlichkeit, da in diesem Zustand noch Willkür im Spiel ist. Diese bildet das subjektive Prinzip der Freiheit und soll hinsichtlich der Tugendlehre auf das Allgemeinwohl gelten. Willkür liefert daher eine Voraussetzung für das Gefühl von Freiheit und bleibt immer auf das Innere bezogen. Willkür ist an sich weder schlecht noch gut, sondern wie Freiwilligkeit neutral. Ihr Bereich ist Wollen, das Kant auf die Tugendpflichten lenkt. Am Ende ist die Tugend selbst die Belohnung und einziger Weg zur Glückseligkeit. Der christliche Gedanke ist offensichtlich.

Foto Belinda Helmert: Gedächtnismonument für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkrieges in Liebenau.

Wille als objektives Prinzip der Freiheit

Wille als die veredelte Form des objektiven, d.h. an Prinzipien gebundenen Wollens hingegen wurzelt in der praktischen Vernunft, der formal auf das allgemeine Handlungsvermögen (als Maxime) ausgerichtet bleibt. Diese gebietet uns, interesselos, nicht aus reiner Lust an der Sittlichkeit zu handeln. Interesselosigkeit bildet die Voraussetzung für allgemeingültiges Wollen und Handeln. Es dient dem oberen Begehrungsvermögen, indem es sich vom unteren Begehrungsvermögen und dem Joch seiner Interessen befreit. Nur wenn dies freiwillig geschieht, hat die Willkür ihren höheren Bestimmungszweck erfüllt. Auch interesseloses Handeln kann Lust bereiten und ermöglichen, da Willkür in der Handlung stets erhalten bleibt: nur freiwilliges Wollen begründet Kants freiwillige Pflichtethik. Ethisches Appell zum Sollen zieht keinen Nutzen aus der Annehmlichkeit, sondern inkludiert freiwilligen Dienst an den Tugenden.

Verbindlichkeit durch Willklürlichkeit

Die Idee der willkürlich geleisteten Pflicht ermöglicht erst die Idee der Verbindlichkeit. Dadurch wird das spontane Prinzip der Freiheit als autonome Selbstgesetzgebung der Tugendlehre zum inneren Bestimmungsgrund, das über das mechanische Prinzip der Notwendigkeit der fremden Gesetzgebung wie der Rechtslehre hinausreicht.

Ethische Maxime bezwecken, dass Willkür nicht dem Zwang unterliegt, sondern aufgrund des Vermögens zu vernünftigen Maximen und zur spontanen Einsicht in die Zweckmäßigkeit sich erhält. Die Tugend begleitet das Notwendige der Rechtslehre mit der Selbstverpflichtung, über das Notwendige stets hinauszuwollen. Wille zur Tugend ist sich selbstgenügender Lohn in sich, der nicht in der Wirkung, sondern im Prinzip der objektiven Freiheit an sich besteht.

Innere Freiheit bezweckt das Vermögen, Gesetze als eine Notwendigkeit zu begehren, Unfreiheit hingegen bezweckt Unvermögen oder Unlust, die dazu führt, Widerstand gegen das sittlich Gewollte zu leisten. Sie ist der Zwang, sich einer obsoleten Pflicht zu entziehen oder ihr nur widerwillig zu folgen, was innere Unruhe nach sich zieht. Ge- und Verbote richten sich an jene, die nicht einzusehen vermögen, dass ihr Beharren auf ein Recht Unrecht an sich ist.

Foto Belinda Helmert: Geschlagenes Holz, Binner Schlucht. Kant: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden“. ( Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784. Sechster Satz).

Wollen und Wille: äußere und innere Freiheit

Wollen begreift Kant als die äußere negative Freiheit und das negative Recht; beides wird begrenzt durch das Recht des Anderen; das Wollen der eigenen Freiheit hört beim Wollen der Freiheit des Anderen auf. Es beruht auf ein ideelles Sittengesetz, das durch die Vernunft transzendental wirkt und mittels des Verstandes eingesehen wird. Daher lautet das ethische Ziel seiner Pflichtethik: Das Sollen wollen. Da der Mensch das einzige Lebewesen ist, das permanent erzogen und gebildet werden muss, ist die Ethik ein unverzichtbares Instrument zur Selbstvervollkommnung von der äußeren zur inneren Freiheit.

Wille als die innere Freiheit oder das positive Recht besteht hingegen ausschließlich in der Moral; Kant heißt sie auch positive Freiheit, denn sie wird ermöglicht durch die Tugend, welche speziell die Elemente Freiwilligkeit und Pflichtgefühl in sich trägt. Moral zur Lenkung des Willens ist im Gegensatz zur Ethik weder lehr- noch erziehbar; sie bedarf der Verinnerlichung und der Empathie. Moralische Handlungen dienen der Überzeugung, dass die höchste Freiheit zugleich der höchste Zweck und die Willkür das natürliche Mittel für den freien Willen darstellt. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das zu moralischen als auch unmoralischen Handlungen fähig ist. Seine Freiheit bezieht er gleichzeitig aus seiner Verantwortung allem anderen Leben gegenüber.

Kategorische Imperative sind daher stets sittliche Gebote, freiwillig aus der Möglichkeit zu handeln heraus und nie nur pflichtgemäß. Zu unbedingten Handlungen bedarf es zweier Voraussetzungen: naturgegebene Willkür und Stimme der Vernunft. Innere Freiheit basiert einzig auf den Willen der Vernunft, die vor aller Erfahrung bereits wirksam ist. Moral ermöglicht, die natürliche Freiheit zu verwirklichen. Hätte der Mensch nicht, dieses spontane Vermögen, sich frei für eine bestimmte Handlungsweise zu entscheiden, so liefe seine Tugend auf die Frage der Erziehung, der familiären Herkunft oder der sozialen Verhältnisse hinaus. Das Individuum ist jedoch unter keinen Umständen freizusprechen von einem Gewissen, gerade weil es ein a priori Vermögen ist. Der Bestimmungsgrund des Willens nennt Kant das unbedingte Sollen. Dieses fällt mit dem kat. Imp. zusammen.

Kategorischer Imperativ als Folge der freien Willkür

Unbedingte Sollen oder Maxime ist der formale Bestimmungsgrund des Willens, der Pflicht und Recht miteinander verknüpft und gilt kategorisch, weder personen- und situationsgebunden. Er liegt a priori in unserer Vernunft und nicht etwa im Verstand begründet und hat stets den Zweck als materialen Bestimmungsgrund zum Gegenstand. Als Universalien sind Maxime nicht an konstitutionelle, religiöse oder kulturelle Rahmenbedingungen gebunden und gültig unabhängig von empirischen Einflüssen. Da sie metaphysisch sind, können sie instinktiv auf dunkle Art von jedermann eingesehen werden. Ohne sie bliebe der Mensch ein von äußeren und zufälligen Gegebenheiten manipulierbarer Automat und orientierungslos hinsichtlich seiner Sinnsuche.

Freiheit ist einerseits der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens, andererseits die Voraussetzung aller vernünftigen Wesen für die freiwillige zweckgerichtete Selbstbestimmung des Willens. Als transzendentales Prinzip strebt der freie Wille nach unabhängiger Handlungsfreiheit. Folglich hat die allgemeine praktische Vernunft ein Eigeninteresse an der Sittlichkeit und Maximen, die als Zweck an sich selbst der Tugendethik angehören.

Freiheit als regulative Idee ist ein reiner Vernunftbegriff, der Kausalität, Telos und Finalität begründet. Als zweckgebundene Eigenschaft der Kausalität beansprucht sie Allgemeingültigkeit. „Die Freiheit ist unabhängig von bestimmten Ursachen der Sinnenwelt.“ (Kant, GMS, 3. Abschnitt, Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich. Folgendes Zitat ebenda) Kant schlussfolgert: „Und so sind kategorische Imperativen möglich, dadurch daß die Idee der Freiheit mich zu einem Glied der intelligiblen Welt macht …“

Foto Belinda Helmert, Binner Schlucht. Folgen skandinavischer Gletzscher vor rund 600 000 Jahren (Eiszeit). Ein treffliches Symbol für die Kluft zwischen dem Reich der Freiheit (KrV) und dem der Praxis (KpV) mit der Urteilskraft als klares Wasser dazwischen. (https://www.mittelweser-tourismus.de/poi/binner-schlucht-1/)

Freiheit als Selbtsbefehl

Maxime als Imperativ der Sittlichkeit gelten universal und kategorisch, Gesetze hingegen als Imperativ des Rechts gilt hypothetisch, so lange es in Kraft ist. Die Freiheit des Willens ist ein Selbstbefehl, der sich selbst zum Gesetz macht; nichts anderes erhebt ihn zu einem kategorische Imperativ: das mündige Subjekt gehorcht nicht, weil es muss, sondern weil es das Ich aus Selbstzwang so will und sich selbst zu diesem Zweck verpflichtet. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (GMS, 2. Abschnitt. Die Heteronomie des Willens Ebenda folg. Zitat)

Die, aus der praktischen Vernunft abgeleiteten, individuellen Handlungen sollen allgemeines Naturgesetz werden. Dies führt zur Verbindung mit der Rechtslehre: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ Kategorisch vermeint unbedingtes Sollen in Synthese mit unbedingtem Wollen.

Maxime als positives Recht des Einzelnen, das auf Objektivierung des Indivi-duellen abzweckt, bedingen apoditkitsch einen freien Wille für das Gewissen a priori. Der Zweck einer Maxime besteht im freiwilligen Verzicht auf die Ausübung der Willkür. Gesetze sind erzwungen und objektiv, Maxime hingegen konstituieren die „Regeln des Handelnden, die er sich selbst aus subjektiven Gründen zum Prinzip macht.“ (Metaphysische Anfangsgründe, IV Vorbegriffe)

Nur darum kann Freiheit als reiner Vernunftbegriff geltend gemacht werden. In der Kritik der reinen Vernunft heißt es, Maxime sollen kraft der reinen Vernunft „aus subjektiven Gründen Rechenschaft geben können“. Ohne Freiheit der reinen Vernunft besteht keine Freiwilligkeit in der praktischen Vernunft und ohne diese bleibt die Willkür ohne Regulativ.

Foto Belinda Helmert, Binner Schlucht. Kant: „Das Schattenreich ist das Paradies der Phantasten.“ (Träume eines Geistersehers, Vorwort).

Freiheit der Willkür nicht Freiheit von Willkür

Der Denkfehler einiger Kant-Interpreten liegt in der oft übersehehenen Differenz. Maxime können nur vom Subjekt aus bestimmt werden und ermöglichen daher einen moralischen Handlungsspielraum maximaler Objektivität, in dem die Freiheit der Willkür herrscht und nicht mehr die ursprüngliche Freiheit von der Willkür, die Kant auch willkürliche Freiheit heißt. Der Mensch unterscheidet sich nur dadurch vom Tier, indem er sich freiwillig höheren Interessen als den eigenen unterwirft, um mit Bedacht auf das Notwendige hin handeln, darin besteht seine praktische Vernunft.

Maxime unterliegen der freien Willkür des Individuums, weil sie Voraussetzung zum Vermögen der Wahl (libertas indifferentia) bilden. Im Gegensatz zum Naturrecht und durch äußeren Zwang, dem negativen Recht ist das natürliche positive Recht dem Menschen a priori angeboren und damit ein unveräußerbares Recht. Aus freiwilliger Unterwerfung, sprich Selbstzwang bzw. die Synthese von Pflicht und Zweck heraus, handelt der Mensch transzendierend. In der Metaphysik der Sitten (MS,1797), eine Folge der Frz. Revolution, grenzt Kant dezidiert Rechts- und Tugendlehre, äußere und innere Freiheit voneinander ab.

Kriterium der Mündigkeit

In dieser Fähigkeit der Entscheidungsfreiheit liegt das dem Menschen angeborene Recht (jus de naturae), alle anderen Rechte werden erworben oder übernommen. In der subjektiven Freiheit der Maxime gründet zugleich der allgemeine Wille, das Gesetz. Das Gesetz als das negative und die Pflicht als das positive Recht der Freiheit bildet eine kontingente Konstante für das Gemeinwesen, das Verbindlichkeit stiftet. Diese sind dazu da, „Notwendigkeit zu erzwingen“, aber ihrerseits nicht zwingend notwendig. Der Staat ist zwar Gesetzgeber und Verwalter des Willens, aber nicht Gründer des Willens; dies ist ausschließlich das mündige Subjekt: der Bürger als Individuum.

Ein Staat kann folglich nicht ein Individuum entmündigen, eigene sittliche Entscheidungen zu treffen. Transnationale Rechte wie Menschenrechte können auch nicht erzwungen werden; ihre Verwirklichung geht über das Gesetzmäßige hinaus und hängt von dem Grad der Verinnerlichung von interaktiven Werten wie Respekt und Würde ab. Ebenso kann Menschenliebe nicht staatlich verordnet, sondern nur vom Individuum eingesehen werden. Die Sitten sind ein ebenso notwendiges und allgemeines Gesetz wie die Naturgesetze, allerdings nur a priori einzusehen. Nur der kategorische Imperativ gilt notwendig hinreichend verbindlich, da Recht und Gesetz der Empirie und damit Kontingenten (Zufällen) unterworfen bleiben müssen und somit hypothetischer Natur sind. Summa sumarum gründet sich die Tugendlehre auf Freiwiligkeit und diese nimmt ihren Ausgang in der Willkür.

Foto Belinda Helmert: Baumpilze, Binner Schlucht. Kant: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Er hat als mündiger Bürger die Wahl und die Pflicht sich aufzuklären. Kant, Was ist Aufklärung ? 1784- erster Satz)

Pflicht als Zweck an sich selbst

Rechtslehre vollzieht sich über physischen Zwang (Gesetz, Verbot, Strafe), Tugendlehre über moralischen Selbstzwang, d.h. freiwillige Verpflichtung. Ethik als Sittenlehre lehrt Pflichten, die zu sittlichem Handeln führen. Pflicht bezeichnet Kant als das „Bindeglied zwischen Motivation und Handlung.“ Der Selbstzwang liegt dem (moralisch) kategorischen Imperativ zugrunde, er ist „Zweck an sich selbst, d. i. innere Willensbestimmung“. (MS, II, 1. Ethische Elemetarlehre)

In der Tugendlehre ist das Subjekt allein zugleich der Handelnde und Handlungsgrund. Kant untergliedert sie in Tugendpflicht als freiwilliger Ethik und in Pflichtethik als Nötigung durch Selbstzwang, eben innere Willensbestimmung.

Der Daseinszweck besteht laut Kant darin, das eigene Glück, die innere Vollkommenheit, mit äußerem Glück, die fremde Glückseligkeit zu verbinden. Das transzendentale Subjekt kultiviert aus der rohen Natur durch Selbst-Zweck und durch Selbst- Ermächtigung, sich der Erkenntnis des Guten an sich zu verpflichteten, den Willen aus der ursprünglichen Willkür. Einzig die Vernunft ermöglicht freiwillige Selbstverpflichtung; kein Gesetz könnte bindender sein, als das Vermögen der Tugend, „sich selbst zum Zwecke zu machen“, sofern „Zweck ein Gegenstand der freien Willkür“ (MS, II. 1. Ethische Elemetarlehre. Ebenda folgende Zitate) ,ist und sich als tugendhafte Pflicht gedacht wird als „sich selbst Gesetz zu sein„. Der aristotelische Entelechie Begriff dient ihm als Ausgangspunkt.

Zweck Gegenstand der freien Willkür

Pflichtbegriff ist an sich Nötigung der freien Willkür durch Gesetz oder Selbstzwang. Tugend basiert ausschließlich auf diese innere Freiheit und kann nicht von außen erzwungen werden. Zweck bleibt immer Gegenstand der Willkür, denn nur das Subjekt kann sich etwas zum Zweck machen: es liegt in seinem Ermessen, etwas zu wollen und mittels seiner Handlung zu „bezwecken“.

Jener Zweck, der „an sich selbst Pflicht ist“ ist gleichzeitig Selbstzeck und führt allein zu pflichtmäßigen, aus Pflichtgefühl erfolgten, Handlungen. Sämtliche Ethik geht daher nicht von Zwecken aus, die zu einer Pflicht führen, sondern leitet sich aus einem moralischen Grundsatz, der Maxime, ab, welche das Subjekt sich selbst aufstellt, aber auf das Objektive ausrichtet.Dadurch vergesellschaftet sich das Subjekt. Aus Willkür entsteht Verbindlichkeit.

Die Verbindlichkeit rührt aus dem freien Selbstzwang und nicht aus äußeren hypothetischen Gründen und ist daher autokratisch. Aus all dem folgt, dass Tugend die Willkür hemmt und in Selbstverpflichtung wandelt.

Foto Belinda Helmert, Binner Schlucht, faulendes Laub. Kant: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen … gerne zeitlebens unnötig bleiben...“ (Was ist Aufklärung). Kant appelliert an die Selbstverpflichtung des kritischen Denkens. Darin besteht seine Freiheit.

Selbstverpflichtung

Zweck und Pflicht fallen in der Selbstverpflichtung stets zusammen. Ethische Pflichten sind erweiterte Verbindlichkeiten über Gesetze hinaus. Die Übertretung dieser erweiterten Pflichten oder Unterlassung selbiger kann, da sie einer moralischen Selbstverpflichtung entspringt, nicht gesetzlich geahnt, weder als Laster noch Verschuldung, sondern als moralischer Unwert und Untugend gelten. Der Lohn der Tugend ist daher einzig die moralische Lust, die Selbstvervollkommnung und damit die Zufriedenheit mit sich selbst.

Für Kant steht außer Zweifel, dass die Besinnung auf das Gute und die Selbstverpflichtung, Gutes zu tun, einen Mehr- und Nährwert an eigenem Glück gewährleistet. Selbstbestimmte Menschen mit reinem Gewissen sind glücklich und in seinem Sinne frei zu handeln. Andere bleiben Sklaven ihrer Triebe.

Das Recht auf Selbstbestimmung schließt die Pflicht zur Selbstvervollkommnung ein: „Der Mensch ist sich selbst schuldig, sein Vermögen, von denen seine Vernunft einst Gebrauch machen kann, nicht unbenutzt und gleichsam rosten zu lassen.“ (MS, II, Ethische Elementarlehre, § 19). Das Vermögen besteht subjektiv in der Lauterkeit der Pflichtgesinnung (puritas moralis), welche die Interesselosigkeit verbürgt und objektiv in der Vollkommenheit und Vollständigkeit der Handlung.

Einzig der Mensch ist angeborener Richter über sich selbst“ und hat Liebespflichten sich selbst als auch anderen gegenüber zu gewährleisten. Da Tugend Befolgung der Pflicht und zugleich Zwang zu einer inneren Freiheit ist, gilt: Pflicht ist eine hinreichende Triebfeder kontinuierlich progressiv sich zum Guten zu entwickeln. Es besteht gleichermaßen ein „unbedingtes Recht und Pflicht auf Glückseligkeit“ im Wohlwollen sich und dem Nächsten gegenüber, um „das Recht der Menschen heilig zu halten“. (MS II, § 21)

Selbstwertgefühl

Basis für die moralische Gesinnung als das innere Gesetz liefert das Selbstwertgefühl. Dieses Gesetz nötigt äußerlichen und einklagbaren Pflichten wie die Ethik zu inneren und vom insistierenden Gewissen zu prüfenden Pflichten. Die Gesinnung zielt auf die Achtung des Gesetzes, erst die Weisheit auf die „ethische Verbindlichkeit der Tugend mit den Zwecken … die Tugend als in der festen Gesinnung gegründeten Übereinstimmung des Willens mit jeder Pflicht.“ (MS, II, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre IX).

Das positive Recht konstituiert ein reales Verhältnis von Mensch zu Mensch, das auf die „Durchsetzung der Zwecke“über den Zwang abzielt. Das natürliche Recht dagegen setzt ein ideales Verhältnis, das den „Zweck des Rechts“durch die Freiheit überhaupt ermöglicht. Jede Gesetzgebung ist eine Nötigungin Form von Gebot (lex preaceptiva) oder Verbot (lex prohibitiva). Das nötigt zur Handlung als Tat. Handlungen sind in ihrem Wesen nach frei und unverbindlich. Tat aber ist nur Vermittelndes und Bedingtes: „Tat heißt eine Handlung, die unter dem Gesetz der Verbindlichkeit steht.“ (MS, I, Anfangsgründe der Rechtslehre, III)

Infolgedessen bezweckt der kategorische Imperativ weder eine einklagbare Pflicht noch fordert er eine bestimmte Tat, sondern reine Handlung: die Haltung. De jure kann ein kat. Imp. nicht eingeklagt werden; ebenso wenig kann die Willkür, ihm aus Pflichtgefühl zu seinem Recht zu verhelfen, nicht untersagt werden. Pflicht als „reine Materie der Verbindlichkeit“ rechnet Kant ausschließlich zur Ethik: „Verbindlichkeit ist die Notwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft.“ (MS I, Anfangsgründe der Sittenlehre, IV)

Foto Belinda Helmert, Ausgang der Binner Schlucht mit Eisenbahnbrücke. Die Strecke wurde 1974 stillgelegt. Im Ostrand dieser Geest haben Schmelzwasser, die zum Wesertal abliefen, tiefe Rinnen in den Geestrand gespült. So ist ein Einschnitt entstanden, der stark an eine Schlucht erinnert. Im Volksmund heißt diese Rinne „Binner Schlucht“.

Person und Persönlichkeit

Das Gesetz unterscheidet in Person als ein zurechnungsfähig Handelnder, in Sache, die keiner Zurechnung fähig ist wie Tiere oder unmündige Rechtspersonen (es haftet der Vormund) und in Persönlichkeit. Letztere ist niemals dem Gesetz verpflichtet, sondern einzig seiner moralischen Gesinnung, die über das Gesetz hinausgeht. Zurechnungsfähigkeit besteht, wenn eine Person das Vermögen hat, frei im Sinn von eigenmächtig und zwanglos über seine Handlungen zu entscheiden.

Die freie Person ist Voraussetzung für das Strafrecht, da unfreie Personen für ihre Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden dürfen oder ihnen mildernde Umstände anzurechnen sind. Kant fordert dahingehend eine Pflicht zur moralischen Apathie, stoische Gemütsruhe als Selbstschutz vor Affekten. Die Persönlichkeit soll sich niemals hinreißen lassen, auch nicht zu scheinbar positiven Affekten wie dem Mitleid. Das sinnliche Gefühl darf nie die Kontrolle über die moralische Gefühl übernehmen. Moral ist folglich ein Gefühl besonderer intelligibler Art.

Das Prinzip des positiven Rechts muss in Unabhängigkeit von Personen rein formal gelten und beruht auf dem „wechselseitigen Zwang zur Anerkennung der Freiheit ohne ein Interesse“. (MS, Einleitung in die Tugendlehre, I) Die Persönlichkeit hingegen ist eine Folge dieses positiven Rechts und geht aus der Wilkür (die sie veredelt in freiwillige Pflicht) hervor. Auch hier bleibt Freiheit zweckgerichtet.

Recht als Bedingung der Willkür und Idee der Pflicht

Diese formale Bestimmung nennt er Indifferenzkriterium, obgleich es auf wechselseitiges Wohlwollen abzweckt. Recht gilt Kant als Bedingung der Willkür mit dem Zweck als Materie und wechselseitiger Anerkennung als Form. Im Gegensatz dazu besteht das negative Recht in der Wechselseitigkeit des Zwangs hinsichtlich des Gebrauchs, Eigentums, Nutzens und Besitzes, wie es im Vertrag seinen Niederschlag findet.

Pflicht als Triebfeder der Willkür bedeutet, aus dem Wollen wird sollen. Pointiert: Ich will, weil ich soll. Kant leitet daraus keinerlei Konsequenz ab:„Es liegt der moralische Wert der Handlung nicht in der Wirkung, die daraus erwartet wird…“ (GMS, ,1, Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen). Selbstmäßigung oder Selbstkontrolle sind intendiert. Diese zielen nicht auf die Wirkung ab. Mit anderen Worten fordert Kant subjektive Willkür für das allgemeine Wohl.

Die Willkür des Wollens und damit die Freiheit des Willens bildet das subjektive Prinzip der Freiheit und soll bewahrt um auf das Ethische geleitet zu werden. Willkür bleibt immer aufs Innere bezogen. Der Bereich der Willkür ist das Wollen. Der Wille hingegen liegt in der praktischen Vernunft, der auf das Handlungsvermögen selbst ausgerichtet bleibt, begründet. Die praktische Vernunft gebietet uns, interesselos, also unabhängig von unserem Begehren, zu handeln; Interesselosigkeit ist die Voraussetzung für allgemeingültiges Handeln.

Die Idee der Pflicht ermöglicht und begründet die Idee der Verbindlichkeit. Dadurch hat das Prinzip der Freiheit (autonome Selbstgesetzgebung) der Tugendlehre das Prinzip der Notwendigkeit (fremde Gesetzgebung) der Rechtslehre bestimmt. Freiheit ist das „Vermögen zu vernünftigen Maximen“, d.h. zur „spontanen Einsicht in die reine Vernunft“.

Foto Belinda Helmert, Binner Schlucht, Entwurzelung Detail. Kant: „Ich musste also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen,“ (KdV, BXXX)

Moral als positive Freiheit

Aus all dem folgt, was Kant auch in der Kritik der reinen Vernunft festhält: Praktische Freiheit liegt vor, wenn die Entscheidungen einer Person nicht durch „sinnliche Antriebe“, sondern durch „Bewegursachen, welche nur von der Vernunft vorgestellt werden“ bestimmt werden (KrV A802/B830). Der freie Wille indes besteht darin, von selbst anzufangen: „unabhängig von den Naturursachen … etwas hervorzubringen .., mithin eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen“ (KrV A534/B562).

Kant stellt den scheinbaren Widerspruch in seinen Antinomen vor. Er spricht von der Möglichkeit transzendentaler Freiheit: zwar gibt es in der Welt empirische Ereigniskausalität, der zufolge alle Ereignisse durch andere Ereignisse verursacht werden. Darüber hinaus existieren es aber notwendig innere Gesetze, die eine andere Art von Kausalität anzunehmen nahelegen. Dazu zählt auch die Religion bzw. der Glaube. Noch weichtiger vielleicht: die Einbildungskraft. Die drei regulativen Ideen sind auf sie zurückzuführen.

Wille als innere Freiheit oder das positive Recht besteht in der Moral; Kant heißt sie auch positive Freiheit, denn sie wird ermöglicht durch die Tugend, welche speziell die Elemente Freiwilligkeit und Pflichtgefühl in sich trägt. Eine Moral ist weder lehr- noch erziehbar; sie bedarf der Verinnerlichung. Wir handeln moralisch nur aus Überzeugung und nicht zweckbestimmt, nur darum trägt unser Handeln der Frage Wozu soll es sein ? Rechnung. Moral-Gesetze sind daher stets Gebote der freiwillgen Selbstverpflichtung. Man muss sie mit einem Willen zur inneren Freiheit gleichsetzen, nicht aber mit freiem Willen.

Aus beidem, dem Was (Begehrungsvermögen, Wille) und dem Wozu (Zweck), ergibt sich der Bestimmungsgrund des Willens: er mündet in ein unbedingtes Sollen (von Erfahrung unabhängig) und gibt uns Maxime – nicht also Gesetze – sondern deren Maxime – vor. Maxime sind Bestimmungsgrund des Willens. Sie gelten kategorisch, personen- und situationsgebunden, denn sie liegen ja a priori in unserer Vernunft und nicht etwa im Verstand begründet.

Unmöglichkeit, Freiheit zu begründen

Freiheit wirkt nur regulativ, sie gehört zu den drei regulativen Ideen des Verstandes neben Gott und der Seele. Sie beinhaltet den „spekulativen Gebrauch der Vernunft.“ Spekulativ deshalb, weil er nicht a posteriori wirkt und damit auch nicht reflexiv anwendbar ist. Sie ist eine der drei regulativen Ideen neben Welt und Gott heißt: sie gilt unabhängig von sinnlichen als auch intellegiblen, sprich begrifflichen Werten. Erklären will sie Kant nicht: „wie Freiheit möglich sei, wird man niemals begreifen können„, heißt es wörtlich (GMS, III, Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie).

Freiheit kennt einen Zweck, eine äußere und eine innere Erfahrung. Der Zweck ist stets handlungsorientiert, damit Freiheit Verwirklichung erfährt. Freiheit ist daher transzendental auf Vollkommenheit und damit auf Gott als absolute Freiheit ausgerichtet.

Die äußere Erfahrung wird über die Ästhetik, der Wahrnehmung und Rezeption mittelbar als Lust an Wirklichkeit erlebt. Lust hat bei Kant keinerlei oder auch sinnlichen Anstrich, sondern bezeichnet den Zustand der Bejahung von (ästhetischer) Wahrnehmung. Soll Wirklichkeit bejaht werden, muss sie kausal auf Notwendigkeit bezogen sein. Erlebt wird die äußerer Erfahrung darum als negative Freiheit, was heißen soll, daß sie nicht vom Ich aus gesetzt oder vorgestellt wird, sondern, daß Lust als Reiz und Reaktion auf etwas konkret Vorhandenes erfahren wird.

Die innere Erfahrung beinhaltet eine freie Einsicht in die Notwendigkeit der Dinge. Wie kann dies geschehen ? Nur durch Interesselosigkeit, genauer, durch „interesseloses Wohlgefallen“. Wäre die innere Erfahrung an ein Interesse gebunden, sie könnte weder frei noch spontan urteilen. Die innere Erfahrung zielt auf ein moralisches Urteil ab, da dieses spontan und freiwillig gebildet wird, setzt es positive Freiheit.

Nicht aus Belohnungs- oder sonstigen hedonistischen (ein Maximum an Nutzen für das Individuum) und utilitaristischen Gründen (ein Maximum an Nutzen für die Allgemeinheit zu Lasten einer Minderheit) , sondern weil wir urteilen können, ist die Finalität (intentionsloses Handeln an sich) und nicht die Kausalität (Handeln, um etwas zu bekommen für sich) zwingend nötig.

Moralische Freiheit inkludiert ein Urteilen nicht, weil uns etwas bewegt, motiviert oder gefällt, sondern weil wir es wollen. Dieser innere Bezug macht den Menschen zu einem freien würdevollen Wesen. „Allerdings! gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich daß er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht.“ (GMS, I, 1. Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen)

Foto Belinda Helmert, Stacheldraht-Zaun vor der Entwurzelung. Kant: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (KDV, Die transzendentale Logik, B 75). Seine empirisch im bekannte Welt blieb klein und auf Königsberg beschränkt. Seine gedankliche Welt umfasste das Universum.

Wie kleinlich und schäbig sich dagegen doch das Zwergenvolk der Journalisten ausnimmt, zeigt ein Blick des Berliner Tagesspiegels vom 21.06. 2020. Titel: „Sollte man Kant als Rassisten bezeichnen?: Kritik der weißen Vernunft.“ Der Autor, Politiloge Floris Biskamp meint, Kant sei es gelungen, seinen Rassismus im hohen Alter zu „verlernen“ (Schrift zum Ewigen Frieden). Mit welcher Art von Professoren Tübingen doch heute beblückt bzw. bestückt wird.

https://www.tagesspiegel.de/kultur/kritik-der-weissen-vernunft-4176256.html

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