Duineser Elegien zwischen Graffiti und Coca Cola

Coka Cola

Foto Belinda Helmert:Abriss des ehemaligen Coca Cola Gelände, Hemelingen,Bremen

Ruinenkulisse und Freilichtkunst

Feuerblumen und Medusa, aber auch Adam und Eva nebst einem lustigen Flipper bewachen die Reste. Ruinöse Traumlandschaft, Kulissen wie im Karneval zwischen eingestürzten Mauern, das den Blick auf ein intaktes Waschbecken freigibt. Herausgerissene Fragmente zwischen Flächen, als hätte der Himmel die Erde besucht und Pflastersteine regnen lassen. Ordentlich verpackt sind Glaswolle, Dämmstoffe, in transparenten Tüten aufgestapelt. Daneben türmen sich überdimensionierte Legosteine am Rand der Werkstoffwüste. Surrealer Sturz des Kapitalismus feucht fröhlicher Trinkkultur. „Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Duineser_Elegien

Foto Belinda Helmert,Bauschutt und Trümmerwüste des ehemaligen Coca Cola Geländesin Hemelingen

Nicht in Duino, sondern in Hemelingen ruhen Lithographien. https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/bremer-streetart-schmueckt-coca-cola-100.html

Auf dem Boden liegen friedhofsgleich Schaufeln und Abrissbirnen zwischen abgekappten Baumstümpfen. Dahinter thront in Regenbogenfarben vereinsamtes Wellblech, vor dem vielleicht bekanntesten Schriftzug der Welt, schwungvoll und dynamisch, selbst im Untergang schön anzusehen. Ein Firmenlogo, dessen Wand aufgeplatzt ist wie Nähte der Haut gibt die darunterliegende Verschalung und Innenleben preis. Tagebuch einer rückwärts verlaufenden Genesis. Wüsste man nicht, dass es sich um das Firmengelände einer aufgegebenen Filiale aus dem Ex-Trump-Land handelt, man wäre versucht zu glauben, sich in der Apokalypse wiederzufinden. „Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen, kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben und anderen eigens versprechenden Dingen nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben.“ Rilke, Erste der Duineser Elegien (https://rebstein.files.wordpress.com/2018/06/rainer-maria-rilke-duineser-elegien-1923.pdf)

Foto Belinda Helmert ,Abrissgelände Coca Cola,Hemelingen (https://www.zzz-bremen.de/objekte/ehemalige-coca-cola-fabrik/)

Apokalypse zwischen Lebenszeichen und Abrissbirnen

Nach einem Meteoriteneinschlag oder einen Bombenabwurf sähe es kaum anders aus, ausgenommen die Palette an Zeichnungen, Zeichen, Chiffren, eingraviert, gesprayt, mit Liebe gemalt, Herzen in blinden Gläsern und Türen ohne Räumen dahinter. Anachronismus in Zeitlupe, zu schön ist das letzte Aufbäumen eines kreativen hot spots für die Jugend, zu gewaltig das Sterben in Raten. Wandbilder wie einst ägyptische Fresken in Karnak, nicht nachgestellt, manche bildlos, aber nicht ohne Motiv. Die Götter sprechen heute Graffiti. „Diese stürzen dahin: dem eigenen Lächeln sind sie voran, wie das Rossegespann in den milden muldigen Bildern von Karnak dem siegenden König.“ (6. Elegie)

Foto Belinda Helmert:Abriss auf demehm. Coca Cola Gelände,Hemelingen

Abriss ein letztes Aufblühen, zum Verschönern durch experimentelle Kunst freigegeben, fast zu graffitischön, um darin zu leben, sogar die Namen von Kindern und Künstlern, die einmal Revolution spielen dürfen, in Portugiesisch sogar. Revolución fem invisível. Revolution kann auch unsichtbar machen und Untergang übertünchen. Manchmal ist die Wirklichkeit schriller und lauter, da muss die Schöpfung farbleise auf Taubenfüßen tanzen. Wenn Kontinente taumeln, so bleibt doch die Liebe zum Sein und die Sehnsucht zum Spiel. „Denn Hiersein ist herrlich. Ihr wußtet es, Mädchen, ihr auch, die ihr scheinbar entbehrtet, versankt -, ihr, in den ärgsten Gassen der Städte, Schwärende, oder dem Abfall Offene.“ (7. Elegie)

Spurensuche. Was ist geschehen? Dem Hirn bieten sich merkwürdige Reize dar. Eine Fantasiewelt tanzt mitten im Splitter–Gewitter realer Bauspekulation. Ein paar Reifenabdrücke von Raupen und Baggern im Schnee. Glasbausteine gefroren mit Keramikkunst, verstreut zwischen Fassaden-Skeletten mit einem Mantel aus Dekadenz-Charme. Abrissbirnen-Mentalität. Rot und grün Gesprenkeltes zwischen herausgerissenen Hausrat-Eingeweiden, als hätten Riesen Murmeln mit ihnen gespielt Ziegel, dazwischen rostige Rohre, Schläuche in der Luft, von unsichtbaren Faden gehalten. „Seltsam, alles, was sich bezog, so lose im Raume flattern zu sehen.“ (1. Elegie) Drähte, Leitungen, Luftschächte, freigelegt, ein Spielplatz für Baulöwen. „Und irgendwo gehn Löwen noch und wissen, solang sie herrlich sind, von keiner Ohnmacht. Uns aber, wo wir Eines meinen, ganz, ist schon des andern Aufwand fühlbar.“ (1. Elegie)

FotoBelindaHelmert,ehem. Coca Cola GeländewährenddesAbriss

Grabesgeflüster und Farbexplosion: Expressionismus mal anders

Eine Fabrik, ein Weltkonzern wird zerlegt in Trümmer. Vorher Farbenexplosion. Globalisierung. Die Stadt am Hafen, der Stadtteil mit der stillgelegten Wurstwarenfabrik hat heute ausgedient. Leerstände dominieren, Wildwestromantik erlebt ihre Renaissance. Das ehemalige Firmenimperium CC ist verwaist, die Karawane ist weitergezogen, hat anderswo die Zelte aufgeschlagen DiscART – Kunst bis zum Ende ist nun im Hier und jetzt, so lange, bis die letzten Bagger in dem outdoor Museum for streetart warten. https://www.kunstbiszumende.de/

Deutsch ist out so wie analog, so wie die Zeit der Umarmung, als noch Zeit für Zärtlichkeit war. Es ist kalt geworden, sehr kalt sogar. Manche Farbspuren sind eingefroren. Wie viele Dosen nun wohl an den Fassaden kleben? „Es bleibt uns vielleicht irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich wiedersähen: es bleibt uns die Straße von gestern und das verzogene Treuesein einer Gewohnheit.“ (1. Elegie)

Kurz vor Nikolaus und dem lockdown noch eine Runde über den verwaisten abgesperrten Platz. Wir kamen später, waren die einzigen Zaungäste. „Ach wen vermögen wir denn zu brauchen?“ (1. Elegie). In zeiten wie diesen ist man mitunter gerne allein. Um uns herum nur Zäune. Wer ist ein- oder wer ausgeperrt in diesem Leben, das nach neuen Regeln tanzt.

forklifter for a better future. Gabelstapler zum Mieten. Many bodys one mind. Am Anfang waren es viele und viel Wasser wurde benötigt, 3 Liter, für eine Flasche braunen Goldes. Eine ethische Frage fürwahr, wenn man es mit der Umwelt, den Wasser-Ressourcen ernst nimmt und trinkt, was man redet, wofür man steht. Aber Werte und Genuss, das ist eine heikle Sache. Viele Körper, ein Geist, am Ende geht die Marktstrategie auf „wo sich das reine Zuwenig unbegreiflich verwandelt -, umspringt in jenes leere Zuviel. Wo die vielstellige Rechnung zahlenlos aufgeht.“ (5. Elegie)

Foto Belinda Helmert ,ehem.CocaCola Gelände am Geleis

Gründung und Untergang: Bremen zu klein für Coca Cola

Als Bismarck siegte und die Euphorie grenzenlos war, da gründeten sich auch Bier-Reiche in imperialer Trunkenheit und die Hemelinger Aktienbrauerei erlebte ihre Geburt. Etwas über hundert Jahre später, längst war der Raubfisch von einem noch größeren Fisch geschluckt, wird der Gerstensaft in Braunschweig gebraut und ein amerikanischer Brausehersteller füllt Lastwagen ab. Die einstige Besatzerbrause steht für vieles, auch für Expansion auf der ganzen Welt, mit dem ein Lebensstil, amercian way of life verbunden ist. (https://www.berufsstart.de/unternehmen/coca-cola/firmengeschichte.php)

Pünktlich zu den Olympischen Spielen in Moskau, die dem Kalten Krieg zum Opfer fiel erreichte sie Russland und China, die Brüder, inzwischen verfeindet, liefen die Goldmedaillen unter sich aus. Mao musste sterben, damit Zungen heute Coca schmecken. „Zwischen den Hämmern besteht unser Herz, wie die Zunge zwischen den Zähnen.“ (Wladimir Majakowski). JETZT endlich weiß ich, was Dachluken-Ohrmuscheln sind.

Foto Belinda Helmert, Abriss ehem.Verwaltungsgebäude

Inzwischen ist das Reich der Mitte der drittgrößte Markt für das prickelndes Flaschenparadies mit der Kampagne „It is so so“ im Land mit der großen Mauer und der aufgehenden Sonne.

Als Nietzsche in Turin beim Anblick einer geschundenen Märe den Verstand verlor, entstand die Marke mit dem Slogan „share a coke“. Nur ein wenig später erblickte jener Dichter das Licht der Welt, der diese Zeilen schrieb. Für Gott, Vaterland und Coca samt seinem süßen Geheimnis ist Schluss an der Weser. „Wenn ihr einer dem andern euch an den Mund hebt und ansetzt -:Getränk an Getränk: o wie entgeht dann der Trinkende seltsam der Handlung.“ (2. Elegie)

Foto Belinda Helmert: ehem.Coca Cola Brauturm,Braustr. Hemelingen

Ausstellungs-Fieber der Spraydosenromantik

Ob der zweite Teil der Ausstellung, versprochene, auf der 2000m² großen Halle im März 2021 folgen wird? Ob man verstehen wird, welche Chancen sich ergeben durch den Verfall des Alten und Vertrauten? „Doch wo Gefahr ist wächst Rettendes auch“. https://deutsche-poesie.com/holderlin/patmos/ Oder ob man sich verliert im Irrgarten dieser Steinwüste, die wir Zivilisation heißen und die uns in die metaphysische Obdachlosigkeit treibt, Tag für Tag, Schluck für Schluck.

Hört Gott auf den Namen Corona? „Nah ist und schwer zu fassen der Gott.“ (Hölderlin, Patmos, erste Strophe). Hieroglyphen sind eine gemischte Schrift, heilig Eingeritztes. Zeichen, bedeutungslos, ein gekrümmtes Fragenzeichen nur. „Ein Zeichen sind wir, deutungslos, schmerzlos sind wir und haben fast die Sprache in der Fremde verloren.“ https://deutsche-poesie.com/holderlin/mnemosyne/ Ohne Dichtung wäre ich verloren in dieser Welt, aus Zahlen, Märkten und Ruinen.

Foto Belinda Helmert: Poet am Zaun mit Orientierungsschwäche und Rosinen im Kopf

Es gab kein Cola und keine Coca, es gab überhaupt kein C im Reich zwischen Euphrat und Tigris, in Mesopotamien, der Wiege unserer abendländischen Kultur. Heute ist im Land der Pharaonen etwa jeder vierte Analphabet und die demographische Pyramide steht spiegelverkehrt zu der deutschen. Es gibt kein C, auch, so der Präsident vor der Handball-WM, kein Corona, wie sollte es auch, wo doch kein C existiert in der Wüste. Doch weil Hieroglyphen keine Worte wie Graffiti keine Abbilder sind, dienten den Vorfahren am Nil Brot und ein Stoffstreifen als Zeichen dafür. https://www.philognosie.net/kommunikation/hieroglyphen-alphabet-namen-aegyptisch-schreiben#das_hieroglyphen-alphabet_in_der_ubersicht

Foto Belinda Helmert: farbige Wandbesprühung

Für die Zukunft ist gesorgt. Ein neuer Investor steht bereit, der das Terrain wachküsst, ob es ein Froch oder ein Prinzist, wird sich zeigen. (https://weserreport.de/2019/11/bremen-bremen/investiert-und-wachgekuesst/) Was bleibt: das Verschwinden von Leben (smittel)industrieaus einer ehemaligenIndustrie- und Hafenhochburg. Was bleibt, ist eine verlassene Bremer Braut.

Empfohlene Beiträge

Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!


Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert