Das Ei heute ist besser als die Henne morgen

Foto Bernd Oei: Innenstadt von Montpellier (https://www.ambiente-mediterran.de/montpellier-sehenswuerdigkeiten-tipps-anreise/). Der Titel ist Rabelais erstem Roman „Pantagurel“ entlehnt – die Idee kam ihm während seines Medizinstudiums in einer der ältesten Universitäten Frankreichs: Montpellier.

Foto Bernd Oei: Montpellier, Unterkunft, am Rande der Altstadt auf meiner Wanderung entlang dem Canal du Midi 2018. Auf 240 km verbindet er die Mittelmeer- mit der Atlantikküste (https://de.wikipedia.org/wiki/Canal_du_Midi) . Die Stadt ist seit der Rückkehr zahlreicher Algerienfranzosen (pieds noirs) rasch auf über 300 000 Einwohner angewachsen und damit die siebtgrößte Stadt Frankreichs. Früher war Montpellier die Hauptstadt der Region Languedoc-Roussilon, seit der Gebietsreform ist es die Präfektur des Départements Hérault, das seinen Namen einen Fluss entlehnt. (https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A9partement_H%C3%A9rault).

Wieso weshalb wozu

Dieser Artikel stellt eine Verdrängungsleistung dar, ausgelöst durch das weihnachtliche Hochwasser, die feuchte Bescherung, verbunden mit einem überfluteten Keller, in dem sich Bücher, Reiseunterlagen, Fotos befanden. Dazu eine tristesse von Grau, die sich zum Grauen gesellte. Wochenlang kalte nasse Luft, Wasser von oben, unten und von der Seite. Thales muss Recht haben. Alles kommt vom Wasser, alles fließt mit ihm davon.

So erinnerte ich mich an meine Wanderung durch Südfrankreich, gewöhnlich jedes Jahr 1o bis 14 Tage, 2018 neun Monate. Ein Buch sollte daraus entstehen, doch es fand sich kein Verlag. Dann ein Podcast und zuletzt ein Reiseblog. Nichts davon wurde umgesetzt. Nun sind sie weg, zum großen Teil unwiderbringliche Dokumente. Mit dem Fluss auf die Reise gegangen bzw., weniger dramatisierend, im gummistiefeltief gefluteten Keller unbrauchbar geworden. Anschreiben gegen das Vergessen, so könnte man sagen, da das historische Hochwasser persönliche Aufzeichnungen zerstört hat.

Daher der etwas befremdlich wirkende blog: eine Verzweiflungstat. In all meinen Reisen durch die Wahlheimat ging es immer um Kunst, meist Autoren, vorzugsweise französische Literaten und Philosophen, manchmal Maler oder Werke, die an einem bestimmten Ort entstanden oder bei einem Aufenthalt inspiriert wurden. Die Mischung aus Historie des Ortes und persönlichher Bezug auf die Bücher bzw. Schriftsteller platziert diese Art zwischen die Gattungen und damit zwei Stühle, Ob weitere Beiträge dieser Art folgen ist noch offen.

Foto Bernd Oei: Montpellier, Rue de l’Argenterie, gesäumt von Häusern mit bemerkenswerten Fassaden und schöne kleine Boutiquen zum Einkaufen. Mondäne Geschäftsstraßen entstanden während des zweiten Kaiserreiches, eine Periode, die man Hausmannisierung heißt.

Vier „okzitanische“ Musketiere

Vorweg der persönliche Eindruck: Montpellier hat mich wirklich überrascht, weil es gegen den urbanen Trend sich auf der Erfolgsspur befindet und auf angenehme Art von anderen Großstädten abhebt, z.B. durch gepflegte Grünanlagen und zum Verweilen einladende Fußgängerzonen, zurückhaltende Vornehmheit, quasi noblesse auf den zweiten Blick. Das liegt zum einen an der gelungenen und nicht aufdringlichen Mischung, dem Bekenntnis zur modernen Architektur, der Fachbegriff lautet organisch, einerseits und der gelungenen Diversität, Inklusion oder Migrationsbewältigung andererseits. Nicht aufgeführt wurde Antigone, ein eigener Stadtteil im Osten im Neoklassizismus als Modellstadt der späten 70 er Jahre entwickelt (https://reisevergnuegen.com/tipps/antigone-montpellier/), da an diesem Tag das Handy, mit dem die Aufnahmen gemacht wurden, blockierte und ich so wenig Fremdaufnahmen wie möglich ins Netz stellen möchte.

Ich reiste von Sète an, 36 km östlich, genau genommen per Autostopp. Dies ist doie Geburtsstadt von Paul Valéry (1871-1945), einem der brilliantesten Essayisten und hybriden Mittler zwischen Poesie (Lyrik) und Philosophie (Aphorismen). Zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes wusste ich nicht, dass er in den neunziger Jahren (der prägenden Bel Epoque) in Montpellier studiert hatte. Ebensowenig wie von dem zweiten literarischen Giganten, auf dessen Spuren ich mich ein Monat vorher auf meiner Loire-Radtour befunden hatte bei der Durchreise in Chinon: die Rede ist von François Rabelais (1490-1553), der gleichfalls in Montpellier studierte, allerdings während der Religionskriege und nicht am Vorabend des Ersten Weltkrieges. In seinem Fall erfuhr ich vor Ort von seiner Präsenz.

Die dritte philosophische Größe, eine prägende für den Positivismus, ist Auguste Comte (1798-1857), ein gebürtiger Montpellien, der deren ersten großen, mit der Hausmannisierung verbundenen Aufschwung nicht miterlebte und im Studentenalter seine Heimatstadt verlies. Um ehrlich zu sein wusste ich auch hier nichts von seiner Verbindung zu dieser Perle an der Mittelmeerküste, die genug Attraktion für drei Tage bot (https://www.france.fr/de/okzitanien-sudfrankreich/artikel/montpellier).

Der vierte Musketier hingegen fällt zunächst nicht in meine Kategorie des Interesses, zumindest nicht direkt. Die Rede ist von Juliette Gréco (1927-2020), von der mir ein Freund des Chanson erzählt hatte, dass die unvergleichbare Stimme des Südens aus der Stadt der Hochbegabten stammt: so bezeichnen mitunter die Franzosen respektvoll Montpellier: la surdouée. Denn es stammen überdurchschnittlich viele Künstler aus verschiedenen Sparten von hier und sie ist ein hotspot für moderen Kunst, insbesondere Tanz, Jazz, Geigenvirutosen und street art. Weshalb die große Chansonsängerin dennoch Erwähnung findet sagt bereits ihr Spitzname (sobriquet) „die Muse der Existentialisten“: Sie kannte oder hatte sie alle und viele von ihnen schrieben Liedtexte für sie.

Foto Bernd Oei, Montpellier, Place de la Comédie, mit dem markanten Brunnen „Die drei Grazien“. (https://fr.wikipedia.org/wiki/Place_de_la_Com%C3%A9die_(Montpellier)) Das Herz der Stadt wird aufgrund seines ovalen Grundrisses liebevoll „das Ei“ genannt. Die 1888 fertiggestellte Oper und bildet eines der architektonischen Blickfänger. (https://radwandern-montpellier.de/montpellier-sehenswuerdigkeiten/place-de-la-comedie/). Diese Ansicht zeigt jedoch das große Einkaufszentrum der Stadt, die W. Benjamin in seinem Passagen-Werk als „Kathedralen der Moderne“ bezeichnet.

Traurigkeit trinken

Juliette Gréco war eine ungewollten, möglicherweise durch Vergewaltigung entstandenes, Kind, das bei den Großeltern in Bordeaux aufwuchs, weil die alleierziehende Mutter sich mehr für Politik und Widerstand (Résistance) interessierte als für die leibliche Tochter. Ihre Solidarität mit dem Kommunismus kann man leicht nachvollziehen, wenn man weiß, wie viele ihrer Verwandten und Freunde ins KZ kamen. Sie wusstein ihrer Sicht auf Deutsche wohltuend zwischen der Generation der Täter und der Söhne zu unterscheiden.

Sie kam jung während des Krieges nach Paris, sang sich zunächst im Tabou, dann im La rose rouge in die Herzen von Boris Vian, Sartre, Camus, Mauriac, um nur die in meinen Augen wichtigsten zu benennen, die ihr Texte schrieben. Sie kam auch zum Film, etwa der Verfilmung ihrer Freundin (mit der sie eine lesbische Beziehung unterhalten haben soll) Françoise Sagan (1934-2004), die aus dem Lot stammte und damit gleichfalls Okzitanierin war. Mit Sagan und der nouveau roman verband sie die Mischung aus Existentialismus, Traurigkeit und exzessive Sorglosigkeit, die man auch Lust auf Leben nennt. So ist es kein Zufall, dass sie in dem Film „Bonjour tristesse“ 1958 (sie ist zu diesem Zeitpunkt 40) eine Sängerin mimt und die markante Zeile „I’ve lost me, that’s all I know“ intoniert. Sagans gleichnamiger erfolgreichster Roman war vier Jahre vorher veröffentlicht worden. Gréco singt auch den von ihr getexteten Chanson „Hallo Traurigkeit“ (https://lyricstranslate.com/de/bonjour-tristesse-bonjour-tristesse-hallo-traurigkeit.html)

Foto Bernd Oei, Oper am Place de la Comédie vom Architekten Joseph-Marie Cassien-Bernard, der bei der Einweihung 1888 40 Jahre alt war und später das Trianon-Theater in Montmartre entwarf. Das Musikhaus bietet 1200 Plätze (https://de.wikipedia.org/wiki/Op%C3%A9ra_National_de_Montpellier). Zu den Abendaufführungen wirkt das Gebäude durch seine blaue Beleuchtung besonders ansehnlich. Ihr Ruf ist außerordentlich: sie gehört zu den führenden Opern der Grande Nation. Die in Montpellier geborene musikalische Ikone ist jedoch Juliette Gréco (1927-2020).

https://www.expedia.de/Opera-National-De-Montpellier-Montpellier-City-Centre.d6068883.POI

In „Bonjour tristesse“ geht es um drei Formen der Schuld: Leichtsinn, Egoismus (besser Narzissmus) und Übermut. Wie der Vater so die Tochter, so auch der Zeitgeist: man wollte feiern und sich befreien, aus alten Klischees und Rollenmustern. Dabei bedachten die wenigstens, dass Freiheit nicht zu verwechseln ist mit Dinge tun oder lassen, wie man es möchte oder gar ungehemmt seinen Lebensstil, seine Verwirklichung erfahren. Die Interviews mit Sagan und mit Gréco belegen, dass sie dadurch nicht glücklich oder erfüllt wurden. Die Folge sind trotz exzessiven Lebenshungers im Liedtext zu hören: https://www.youtube.com/watch?v=l3KGoUa_zmA

In einem Interview, das auf den Chanson „Ich bin wie ich bin“ anspielt – er setzt ein mit den selbstgefälligen Zeilen “ Je suis faite pour plaire
Et n’y puis rien changer“ (Ich bin dazu geschaffen, zu gefallen und daran ist nichts zu ändern“ – betont die vielfältige Künstlerin mit dem großen Charisma, sie habe im Leben nie die Bremse gefunden, aber auch nie danach gesucht. Das sagt viel über ihre Haltung, die Haltung einer ganzen Generation, aus. Auch im lasziven Imperativ „Dshabillez-mois“, Entkleide mich, heißt es vielsagend zu Beginn: pas tout de suite, pas trop vite. Weder zu schnell noch sofort, denn Begehren muss sich aufbauen, Verführung will gekonnt sein. Montpellier ist genau wie von Gréco besungen: sie wirbt und will umworben sein, sie hypnotisiert und verlangt sanfte, Beharrlichkeit. Ein Brunnen vielleicht, der seine Kreise zieht, das Wasser tanzt und pulsiert und wird langsam übermächtig.

Foto Bernd Oei: esplanade Charles-de-Gaulle. Von der Place de la Comédie gehen vier Straßen aus (in Frankreich nennt man dies carrefour), womit die Allee eine natürliche Verlängerung des „Eies“ bildet. (https://fr.wikipedia.org/wiki/Esplanade_Charles-de-Gaulle_(Montpellier)) Ihre Entstehung auf der ehemaligen Stadtmauer verdankt sie der historischen Niederlage Montpelliers, einer Hochburg der Hugenotten, gegen den König Ludwig XIII auf dem Weg zur absoluten Monarchie. Unweit der Fontäne befinden sich die champs de Mars, seit 1900 ein kleiner Park. Die Armosphäre bei Nacht sucht ihresgleichen:

Schickalshafte Begegnung

1890 trafen Paul Valéry und André Gide aufeinander, Beginn einer lebenslangen Freundschaft . (https://www.deutschlandfunkkultur.de/paul-valery-und-andre-gide-eine-freundschaft-voller-100.html). Valéry stamte aus Sète studierte Jura, Philosiohie und Literatur (heute trägt die philosophische Fakultät seinen Namen) und wandte sich zunächst, fasziniert von Mallarmé, dessen mardi Kreis er angehörte, dem Symbolismus zu. Bald darauf verschrieb er sich der cartesianischen methode, eine Mischung aus Rationalismus und Materialismus, die nahezu mechanisch alle Aussagen auf Objektivität und Konsitenz prüfte. Gide hingegen bevorzugte das Experiment mit dem eigenen Körper, um vom rigiden Calvinismus loszukommen. Während er wieder zu seinen religiösen Wurzeln zurückkehrte, entwickelte sich Valéry zum überzeugten Atheisten, dem die Poesie religiös genug anmutete.

Auch Gide hatte indirekt okzitanisches Blut, da seine Mutter aus Uzès stammte, gleichfalls ein reizender Ort, den ich auf meiner Wanderung auf dem Weg nach Nîmes besuchte, ohne von dieser biografischen Note zu wissen. Valéry hingegen verbrachte drei Jahre in Montpellier und lag aufgrund seiner Geburtsstadt ohnehin nicht weit von ihr entfernt. Aus der etwas seltsamen, weil nur von Gegensätzen geprägten Freundschaft, kann man den philosophischen Schluss Valérys ziehen: es bedarf keiner Gründe für Sympathie oder Antipathie.

Foto Bernd Oei: Jardin des Plantes. Montpellier besitzt den ältesten botanische Garten Frankreichs (https://kommmitnachwoanders.de/botanischer-garten-montpellier/) Seine Entstehung 1593 ist mit der medizinischen Fakultät der Universität verknüpft, die sich in der Renaissance zum Zentrum für Heilpflanzenkunde entwickelte. Vom ursprünglichen Kräutergarten ist auf den fast 5 ha Fläche und den 787 Baumarten allerdings nicht mehr viel zu sehen.

Die Welt besteht aus Gewöhnlichkeit

Drei Sätze sind mir von Valéry, über den ich u.a. in meinem Buch Nietzsche unter französischen Literaten ein Kapitel schrieb, in Erinnerung. Erstens Le monde ne vaut que les extrèmes et ne dure que les moyens. „Die Welt verlangt nur als das Außergewöhnliche und besteht doch nur aus dem Gewöhnlichen“ Dies konnte man in den letzten vier Jahren besonders drastisch beobachten. Gewöhnlichkeit und Gewöhnung sind wie Geschwister: im schlimmsten Fall wird Geewohnheit daraus, im besten Fall ein Arrangement wie Geduld oder Identität.

Valérys Philosophie, hier stoisch und cartesianisch, verlangt Trennung von Gefühl und Verstand, Vivisektion, strenge Beobachtung wie sie „Monsieur Teste“ meisterhaft ausführt und denoch war er kein Freund des Ressentiments oder gar der Spaltung. Vielmehr muss er seine Balance finden und sich selbst treu bleiben. Im Gegensatz zu Nietzsche gilt für ihn nicht die Maxime „werde, der du bist“, sondern „sei der du bist“ Im Original Le plus grand effort qui se puisse demander à un homme est d´être ce qu´il est. Die größte Herausforderung, die sich an einen Menschen richtet ist die: zu sein, wer man ist.

Foto Bernd Oei: der repräsentative urbaner Triumphbogen Porte du Peyrou (okzitanisch: Steintor) von 1715 mit Blick auf die Reiterstatue von Ludwig XIV und dahinterliegenden Wasserschloss. Der einstige Stadtgraben ist ebenso wie die Stadtmauer (rempart) längst Geschichte. Architekten sprechen vom dorischen Stil. einese der vier Medaillons verweist auf den Bau des Canal du Midi: die junge Frau allegorisiert das Mittelmeer, der greise Mann den Atlantik und die gereichten Hände den Kanal, der zwischen 1667 und 1681 unter der Leitung von Pierre-Paul Rique entstand, der aus dem Hérault stammt. ((https://de.wikipedia.org/wiki/Porte_du_Peyrou#/media/Datei:Porte_du_Peyrou.jpg))

Foto Bernd Oei: Besagtes château d´eau, quasi die Trianon vor dem Port du Peyrou, dem ein weiterer kleiner Park und eine Promenade (https://www.klm.de/travel-guide/inspiration/the-promenade-of-peyrou) angeschlossen ist. Unweit davon befindet sich das Äquadukt, denn die Anlage bildet mit 121 m Höhe den höchsten Punkt von Montpellier, die ihren Namen dem Mont Pelé, dem nackten Hügel, verdankt. Das Wasserschloss wurde 1689 erbaut und noch vom Schriftsteller und Gründer des Denkmalschutzes Prosper Mérimée als historisches Denkmal klassifiziert. (https://de.wikivoyage.org/wiki/Datei:Ch%C3%A2teau_d%27eau_du_Peyrou,_Montpellier_02.jpg)

Prüfen und nicht verurteilen

Das dritte Zitat, das Valéry mir auf den Weg gegeben hat, lautet wie folgt: Was jedermann als das Richtige akzeptiert, ist meist falsch. Das Zitat ist „Die Krise des Geistes“ entnommen, der auf das Versagen der Intellektuellen verweist, welches sich in unseren Tage sträflich wiederholt hat. Die Folge daraus ist: Wir sehen, dass der Abgrund der Geschichte Raum hat für alle. Wir spüren, das der Gedanke der Ewigkeit uns zu unmenschlicher Untätigkeit und Passivität verleitet. Unsere Generation, so sinngemäß, hat lernen müssen, das Schönste dem Untergang anheimfallsen zu lassen und die Welt des Denkens sabotiert. Das Unerwartete ist in Erscheinung getreten, Banalität und Dummheit haben triumphiert, so dass Hegel in der Tat vom Kopf auf die Füße gestellt wird und sich das Widersinnige und Widervernünftige jäh verwirklicht. Angesichts dieses vernichtenden Urteils fällt es schwer, hier nicht zu verurteilen.

Eine empfehlenswerte Einführung in das komplexe Denken von Valéry stellt Karl Löwiths „Grundzüge seines philosophischen Denkens“ dar (https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00048035_00001.html). In meinen Augen zeichnet Valéry Folgendes aus: kulturpolitische Fragen etwa die geistigen Voraussetzungen für Krisen und die Problematik Europas ein Haupt (caput) zu werden, sprich zusammenzuwachsen, aufgrund seiner Diversität. Hierzu empfehle ich „Die Krise des europäischen Geistes“ (Mai 1919) der brilliant und in Kürze reflektiert, was Spengler in „Der Untergang des Abendlandes“ auf tausend Seiten sagt.

Der zweite elementare Punkt betrifft ein Wesensmerkmal der Modernen: seine Analyse vom Zerfall in seine Einzeltele, die kein Ganzes mehr bilden, der Verlust an Glaubwürdigkeit und Sicherheit, der damit einhergeht und der politisch immer wieder zu Diktaturen führen wird, weil der Mensch ein Herdentier ist, das sich gerne führen lässt. Hier empfiehlt sich der Essay „Die Freiheit des Geistes“ (März 1939) am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, der das Scheitern der Demokratie mehrfach und international zum Inhalt hat.

Drittens spricht Valéry oft und pointiert über das Wesen der Kunst, die er noch vor Adorno in gelungene und misslungene Kunstwerke bzw. Kommunikation unterteilt. Er hat bereits eine ästhetische Theorie über den Zusammenhang von (Volks)Mentalität unbd Musik bzw. Vorliebe zu bestimmten Kunstformen. Insbesondere sein Buch über Tanz ist erhellend. L Ame et la Danse, Die Seele und der Tanz erschien 1921. Montpellier ist heute Zentrum des modern dance.

Foto Bernd Oei, Kunstausstellung farbiger Skupturen im 2013 eröffneten Museum für zeitgenössische Kunst, Mo.Co (https://www.montpellier.fr/4457-moco.htm). Das Museum besteht aus der Kooperation dreier verschiedener Standorte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Stadt ist inzwischen in ganz Frankreich berühmt für Architektur und Tanz contemporaine. Neben Wein und Medizin bildet es das dritte Standbein von nationaler Größe/Identität.

Trinken, um zu schreiben

Wenn ich trinke, schreibe ich und wenn ich schreibe denke ich ans trinken, so hat es wort- und sinngemäß ein Arzt und Jurist formuliert. Rabelais. Francois Rabelais, aus de rtouraine (der Haute Loire) stammend, verbrachte drei Jahre mit seinem Meidzinstudium an der renommierten (einetr der ältesten dazu) medizinischen Fakutlät von Montpellier, die nebenbei auch berühmte Botaniker wie Pierre Magnole hervorbrachte, nach dem die zauberhafte Blume benannt wurde – von Carl von Linné, der sie entdeckte, nicht von ihm selbst.

Rabelais weilte 1530-32 in der Hochburg der Medizinkunde, die sich seinerzeit ausschließlich auf Pflanzenheilkunst beschränkte. Er war einer der ersten, die über den Zusammenhang von Nahrungsaufnahme und Krankheit forschte. Die Idee zu seinem fünfbändigen Werk über den riesen Gargantuel und seinen Sohn Pantagrurel gehören längst zum Kanon der französischen Schulpflichtlektüre. Zahlreiche Sprichworte und Wortwitze sind seiner philologischen Fundgrube entlent. Unter anderem die Redewengung Riesenappetit bw. Mordshunger: avoir un appétit pangagruélique und avoir un repas gargantulesque. Stilblüten wie der Appetit kommt beim Essen verdanken die Franzosen dem Meister der Satire, an dem sich der Ire (gleichfalls Theologe wie Rabelas) Jonatan Swirt mit Gullivers Reisen schulte.

Foto Bernd Oei: Le Triangle, 1978 erbaut von dem aus Montpellier stammenden Architekten Pierre Tourre und mit 72 m das zweithöchste Gebäude der Stadt. Ein Teil des hybriden Kauf- und Wohnhauses wird von Sauramps genutzt. Illustres Beispiel für die moderne Architektur bildet die bis 2017 unabhängige und in Montpellier gegründete Buchhandlung Sauramps (Name des Gründers 1946). Mit erfolger Übernahme (rachat) durch eine noch größere Kette ist auch ihr Slogan Cultivez votre différence hinfällig.

Bildungshunger und Gehlehrtenbrei

Nebenbei verschluckte der Riese Pantagurel auch gerne Bücher, um nicht lesen zu müssen, aber ihren Inhalt aufzunehmen. Das erinnert sehr an heutige Studenten, die googeln und skimmen, wie das zwischen den Zeilen huschen heute heißt. Die sich selbst widersprechenden Lügengeschichten, die Münchhausen vorwegnehmen, beginen schon bei der Größenangabe und den endloen Übertreibungen, dem Pleonasmen und offensichtlichen Brüchen im Narrativ. Was daran philosophishc ist? Für Rabelais war es ein Volkskörper, den er in die Leiber des Riesengeschlechtes steckte, und daher wuchs oder schrumpfte dieser, gab mal mehr, mals weniger unrealistisch seine Phantasmen (Aberglauben, irrationalität) zum Besten. Tatsächlich hoffte Rabelais wie die Gebrüder Grimm die Menschen zum Lesen bewegen zu können bzw. zum Geschichten erzählen, indem er Lügen auftischte. Die Wahrheit wird zuletzt geglaubt, pflegte er zu sagen.

Wissenschaft ohne Gewissen bedeutet den Untergang der Seele“ so lautet eine meiner drei Lieblingszitate von Rabelais. Den ebenso tiefisnnigen, weil undmehrdeutigen als auch enigmantischen Aphorismus „Das Ei von gestern ist besser als die Henne von morgen“ gibt der Titel schon zum Besten. Beides ist dem ersten Band von Rabelais entlehnt. Das dritte stammt aus dem zweiten Buch: „Die Gelehrten sind nicht immer die Gescheiten„. Kann man die Ereignisse während und nach der Pandemie besser bzw. pointerter zusammenfassen? Ja, nicht nur der Appetit kommt beim Essen, auch die Bildung beim Lügen und die Fantasie beim Drucken. Schon im Zeitalter des Dichters vom Land der Riesen (eine Allegorie für das Frankreich seiner Zeit) klaffte die Schere zwischen intellektuellem und moralischem Anspruch gewaltig. Bücher-Bildung ersetzt weder Vernunft noch Herzensbildung.

Die letzten Worte des philosophisch-literarischen „Giganten“, der erfolglos während der Religionskriege zu mäßigen und zu vermitteln versuchte und bald einsehen musste, dass die Vernunft bei festgefahrenen Meinungen auf der Strecke bleibt, besonders, weil es um Machterhalt geht, lauteten: „Das Stück ist ausgespielt. Der Vorhang fällt.“ Angeblich hat sie Sartre für sein Stück „Les jeux sonst faits“ aufgegriffen, er war ja ein bibliphiler Vielleser, gourmet (Feinschmecker) und gourmand (Vielfraß) in einem, wenn es nach Rabelais geht. In seinem Sinne übt sich der Stoiker: Wer Geduld hat, kann alles überstehen.

Foto Bernd Oei: Stadtteil Figuerolles An hohen schmalen Häusern besteht kein Mangel im ältesten Quartier Montpelliers. Aus der Vogelperspektive:

https://www.comparimmoneuf.fr/appartement-neuf-montpellier/presentation-des-quartiers-de-montpellier

Religion am Anfang allen Denkens

Die Gréco wurde in der rue Doria geboren, ein Fingerzeig auf den dorischen Stil, der bei den neoklassizistischen Gebäuden in Montpellier vorherrscht. (https://www.midilibre.fr/2014/07/26/juliette-greco-et-la-rue-doria,1030254.php) Diese Seitenstraße liegt einen Steinwurf entfernt vom Justizpalast. Wo genau Augste Comte das Licht der Montpellier Welt erblickte, konnte ich nicht eruieren, aufgelistet sind nur seine, t.w. zum Museum umfunktionierten Wohnungen in Paris, wo er seit 1817 den Großteil seiner Zeit verbrachte. Wie viele berühmte Leute musste er erst sterben, um Anerkennung zu finden.

Über Comte und den Positivismus kann man drei Positionen vertreten: die eine ist, dass er in seiner Drei-Stufen-Theorie Meinungen (oder Überzeugungen) Religion und Glaube strikt von den emprischen Wissen trennt, sprich die science pure vertritt, zu der die Theologie nicht gehört. Diese ist wie die Philosophie der Metaphysik zuzuordnen. Er spricht von der negativen Erkenntnis, ein Begriff, den auch Schelling (deutscher Transzendentalismus) verwendet. Mathematik stellt die höchste Stufe der Entwicklung, die positive, reine Wissenschaft dar. Andererseits bleibt sie, die Grundlage, abstrakt und vermag die Gesellschaft in ihren Zusammenhängen nicht zu erklären.

Comtes Kindheit war selbst von Thologie, strengen Katholizismus, geprägt und der einflussreiche Vater duldete seine wissenschaftlichen Studien mehr als das er sie förderte. Allegorisch bezeichnet Comte die Religion als entbehrliche Wurzel aller Leidenschaft des Denkens, er verbannt sie keineswegs aus seinem Rationalismus, denn alle Töchter des Wissens gehören zusammen. Der Kindheit (negative Erkenntnis: Vorstellen, Wahrnehmen, Fühlen), sprich Religion und Glaube, folgt die Jugend, die Philosophie. Zeitlich entspricht dieser Prozess, das Alter der Kindheit den Anfängen der Kulturgeschichte, ca. vor 3500 Jahren bis zur Reformation. Die Herrscher der Welt waren darum in Comtes Augen Propheten bzw. Priester.

Foto Bernd Oei: Promenade du Peyrou, palais de justice. Der Jutizpalast im Geiste der Hausmannisierung 1855 fertiggestellt. (https://www.france-voyage.com/frankreich-stadte/montpellier-11966/justizpalast-montpellier-21701.htm) Die Adresse lautet seit dem Tod des verdienten Marschalls 1929 Rue Foch. Die ehemalige Straße Napoleons III (rue impériale) führt nach wie vor direkt zum Porte du Peyrou.

Juristen als Herrscher

Die zweite Periode tritt mit der Reformation ein: die Zerschlagung der einheitlichen Kirche, die mit den Waldensern begann und mit den Calvinisten/Hugenotten in Frankreich endete, führte zur Macht der Juristen, die zumeist, Rabelais, Montaigne und Montesquieu gelten hier exemplarisch, zugleich Juristen waren und als Vermittler zwischen den kriegerischen Parteien fungierten. Die Macht des abstrakten Wortes, des Gesetzes, des Staates, erfuhr ihre höchste Ausdehnung bis zur absoluten Monarchie, welche die Fronde (Unabhängigkeit der aristokratischen Stände) in ihre Schranken wies. Historisch dominierte der Papst (Unfehlbarkeitsdogma, Symbol Heinrich von Canossa) bis zur Reformation, hernach der weltliche Herrscher (symbolisch Ludwig XIV: Der Staat bin ich) bis zur französischen Revolution.

Dieses Stadium des Wissens und der Bildung mündet in der Aufklärung. Mit ihr endet das ancien régime und es beginnt das Industriezeitalter, zugleich die Epoche der Naturwissenschaften in der Riehnfolge Physik, Chemie, Biologie, Soziologie. Sie ist die konkreteste und alle Studien (auch die mathematische als ihr Fundament) der Empirie umfassende Lehre. Die neuen Herrscher der Welt sind nun Ingenieure, Wissenschaftler, auch Börsenmakler (eine spezielle Form der Wirtschaftswissenschaft).

Foto Bernd Oei: Aqueduc de Saint-Clément. Die Wasserleitung (Gesamtlänge 14 km, Brücke 880 m) führt zur namensgebenden Quelle und dem Stadtviertel Les Arceaux. (https://structurae.net/de/bauwerke/saint-clement-aquaedukt/medien) Dienstags und Samstags findet 22m unter der 1772 fertiggestellten Brücke ein historischer Markt statt, der bekannteste von 21 in der Stadt registrierten. (https://www.montpellier-tourisme.fr/decouvrir/vins-et-gastronomie/ou-faire-son-marche/c-est-jour-de-marche-aux-arceaux/) Sonntag Vormittag ist bric à brac, dem Trödel/Antiquitäten vorbehalten.

Die Architekten der Welt

Folglich zählen auch die Archteikten, deren Schaffen darin besteht, aus Zahlen Räume zu „zeugen“2“ (Eros ist das zeugen von Schönheit laut Platon) und die Musiker, die Zahlen in Töne verwerten (laut Schopenhauer die Architektur der Zeit) die neuen Ikonen des wissenschaftlichen zeitalters. Die Evolution beginnt mit der Mathematik, darauf basiert z.B. der Monotheismus und überhaupt die Religion (unendliche Zahlen, Idee der Ewigkeit): aber Religion und Mathematik bedürfen der konkreten Anschauung, sei es ein Tempel, ein Bild, eine Fuge unnd des Tatsachenwissens, um wahrnehmbar zu sein. Die Philosophie des positiven bzw. materiellen Positivismus, ihr Kern, besteht in der Annahme Comtes, dass nur die Tatsachenwissenschaften (die bereits Kant klar ins Reich der Zwecke verweist: Chemie, Physik, Biologie) die Industrialisierung, die dazu notwenige Technik ermöglichen.

Folglich steht in dier Hierarchie die Mathematik als Basis- und Grundstein unter allem, darauf fußen dann die einzelnen Wissenschaften Logik bzw. Physik der Bewegung durch Boebachtung (die bei ihrer präzisen Anwendung zu empirischen Gesetzen führt). Die Chemie stellt bereits eine Weiterentwicklung dar, da neben der Beobachtung die Klasifizierung erfolgt. Als nächsthöhere Stufe beschreibt Comte die Biologie, da sie neben Beobachtung (wiederholt sei, dass nur die universalisierbaren Gesetze von Interesse sind und selbstverständlich alle Evidenz auf mathematisch verwertbare Zahlen beruht) und Klassifizierbarkeit (Elemente zerfallen, bilden sich neu) der Vergleich und damit das Kollektiv, z.B. „Staatenbildung“ bereits vorliegt.

Am Ende steht folgerichtig die Soziologie, welche Menschen, Wirtschaft, Kunst und andere spezifische Humanwissenschaften mit einezieht. Comtes Studien, die aus den cahiers (über Ernte, Steuer, Geburten etc. erfassbaren Daten) basiert, zeigt die Entwicklung vom Nomadentum über die agrarische Subsistenzwirtschaft zu komplexen Systemen wie den Merkantilismus , welche notwendig in einen Kapitalismus und Monokulturen führen. Begriffe wie Evidenz, Effizienz und Effektivität sind Comtes Vermächtnis an die heutige Zeit.

Architektur widerspiegelt Macht und selbst die Kunst folgt den Gesetzen der Soziologie. In seinen sechs Bänden von 1822 nimmt das Dreistadiengesetz von der Religion über die Metaphysik hin zur Tatsachenwissenschaft mit der Königsdisziplin Soziologie eine Schlsselrolle ein. Marx und Weber, um nur zwei zu benennen, beziehen sich darauf und die Saint simonisten, benant nach dem Arbeitgeber und Förderer von comte, sowieso. aus ihnen gingen Leute wie Althusser und Lévi-Strauss hervor. Comte hat folglich großes Gewicht.

Foto Bernd Oei: Promenade du Peyrou. Blick von oben auf das angrenzende Geigenbauerviertel Saint Anne (14 Ateliers), nach Crémone das zweitgrößte der Welt. (https://meinfrankreich.com/geigen/)

Foto Bernd Oei: Fußgängerzone Ecussion, historisches Zentrum. Montpellier hat nach Nürnberg die größte Fußgängerzonfläche in Europas Innenstädten. (http://mjulier.free.fr/trottoirs/centre.html) Der öffentliche Nahverkehr ist zudem kostenlos. Erfolgreich wirkt man dem Geschäftsterben und Leerständen im Kernbereich entgegen.

Evolution oder Untergang

Foto Bernd Oei: Pavillon populaire, an der Esplanade Charles de Gaulle gelegen, ein Bau aus der Bel Epoque 1891. Es diente als Epizentrum mehrerer Winzeraufstände. Aufgrund der wirtschaftlichen wie politischen Bedeutung des Weines in der Region Hérault, wird es als heimliches Rathaus gewertschätzt. (https://de.wikipedia.org/wiki/Pavillon_Populaire). Es dient hauptsächlich Ausstellungen, insbesondere der Fotografie. Geöffnet hat es Sams- und Sonntags. 2018 bei meiner Visite war es eine Dokumentation über Diktatoren und Ghettos in deren Gefolgschaft. Inzwischen bedarf es keiner Rückblicke mehr.

Mit dem ersten Punkt oder Aspekt wurde die grobe Einordung des Positivismus vorgenommen, das 1826-42 in sechs Bänden veröffentlicht wurde. Es führte auch zur Bestandsaufnahme des sich im Zuge der Industrie bildenden Proletariats . Das Ziel der Studie bestand keinesfalls nur im Erklären oder Bewerten, sondern darin, die Gesellschaft zu reorganisieren bzw. auf die notwendigen Veränderungen vorzubereiten. Wenngleich man auch darin Ideologie sehen kann, so ist die Grundlage Comtes, positive Politik: der mekrwürdige Begriff politique positive meint wie der Positivismus selbst, eine auf Fakten beruhende Handlungsweise, die irrationalitäten wie persönliche Bereicherung (im weitesten Sinn Machterhalt) ausblendet, weil die Zukunft nicht mehr von Personen als Träger, sondern von Systeme, organisationen, Infrasturkturen geschaffen und gesteuert wird.

Die Geschichte der Menschheit, der Anthropologie, rein als Evolution zu betrachten, ist die eine Seite. Zu erkennen, dass unaufhaltsamer Fortschritt (technisch bedingt) nicht notwendig ein Vorankommen, ein qualitatives Fortschreiten einschließt (die Ethik des sozialen Glücks, von dem Wohlstand nur eine Facette ist) bleibt das eigentliche philosophische Thema der Soziologie. Mehr zu haben (an Möglichkeiten) heißt nicht, qualitativ Besseres zu realisieren (wie Hegel meinte). Die Wirklichkeit kann einzig durch Tatsachenwissenschaften erzeugt werden.

Randnotiz: obschon Comte Gefühle, Meinungen etc. aus seinem Denken verbannte, hielt er dogmatisch daran fest, dass Frauen die schlechteren Wissenschaftler seien, weil ihr Gehirn, ihr Charakter etc. nicht für die Wissenschaftl geeignet wären. Beginnt man mit dieser Facette des Denkers, nimmt man seine Bücher wahrscheinlich gar nicht erst in die Hand.

Foto Bernd Oei: Tour de la Babote im Stadtteil Ecusson. Der ehem. Fessturm aus dem 12. Jahrhundert ist der älteste erhaltene Bestandteil der Stadtmauer. Weil es als seit 1761 als astronomische Observatorium genutzt wird, nennt man es auch das Auge von Montpellier (https://www.montpellier.fr/336-tour-de-la-babote.htm). Die moderne Sternenwarte liegt gegenüber. (https://de.dreamstime.com/la-tour-de-babote-montpellier-france-turm-ein-%C3%BCberrest-der-alten-befestigungsanlagen-von-aus-dem-jahrhundert-image270678638)

Revoluton und Evolution

Im Wort steckt bereits nahezu alles, nur das R (wie Recht haben wollen im Deutschen, aber auch raison, Vernunft), was gesagt werden muss. „Die Entwicklung geht in Richtung Revolution des übergewichts des gefühlsmäßigen über das intellektuelle Leben. In der positiven Politik jedoch sind Ordnung und Fortschritt untrennbare Seiten desselben Prinzips.“

Qua definitione gilt: Ordnung ist statisch (status quo Aufrecherhalten des Systems), Evolution dynamisch. Eine Statue kann jedoch lebendiger wirken als mancher sich bewegender, vielleicht im Kreis rotierender, Mensch. Der Fortschritt mus geordnet werden und stabilisieren: er darf nicht wie bislang nur zu persönlichem Umsturz bei Systemerhalt, führen. Die Geschichte besteht aus der Vorstellung von der Welt, der eine Erkenntnis folgt (möglicherweise über Versuch und Irrtum), am Ende steht eine wachsende Bildung, die nach einer Form verlangt. Diese ist statisch, z.B. in den Akademien, den wissenschaftlichen Disziplinen, den Normen, den Maßeinheiten etc.

Foto Bernd Oei: Statue im Garten vor dem Museum Fabre, benannt nach dem Gründer, Mäzen und Schüler Davids François-Xavier Fabre (1766-1837), ein Kind aus Montpellier und nebenbei einer der bekanntesten Vertreter des Klassizismus in der Malerei. (https://de.wikipedia.org/wiki/Mus%C3%A9e_Fabre). Zu dem Bestand zählen naturgemäß auch die Kinder der eigenen Stadt alexandre Cabanel und seinem Freund Guillaume-Charles Brun. Mit seinen über 800 ausgestellten Gemälden und annähernd 3000 Exponaten gehört das musée Fabre zu den bedeutendsten in ganz Frankreich.

https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Mus%C3%A9e_Fabre?uselang=de#/media/File:Mus%C3%A9e_Fabre_-_Galerie_des_Colonnes.JPG

Organische Synthese

Am Ende steht aber die Synthese der Gegensätze aus Ordnung (Machterhalt) und Evolution (Machtzersprengung): das positive Denken ist schon in der Religion und der Kunst, dem spirituellen bzw. handwerklichen Äquivalent der Religion, enthalten. Es muss nur freigesetzt werden: das neue Sehen (auch Baudelare und Raimbaud gebrauchen den Begriff, allerdings im prophetisch-dichterischen Sinn) bedeutet, das Notwendige vorauszusehen und damit die Zukunft planmäßig und intelligent zu steuern. In diesem Punkt beginnt auch der esoterische oder religiöse Anteil comtes, der am Ende seines Lebens wieder die Vorherrschaft gewann. Comte musst erkennen, dass die Welt rational nicht zu durchdringen war und verschrieb sich wieder Prinzipien der Liebe, der Gnade und der Erlösung. Bereits in seinen frühen Schriften heißt es L´Amour pour principe, l´´ Ordre et le Progrès pour but. Die Liebe als Methode, die Ordnung und der Fortschritt als Ziel. Positive Architektur ist daher organische, an die Natur angelehnte und nicht nur sie vergewaltigende Konstruktion.

Auch Liebe, Ordnung und Fortschritt bilden eine Trigometrie und sind Begleiter des Drei-Stadiengesetzes. (https://pdf.live/edit?url=https%3A%2F%2Flernpsychologie.files.wordpress.com%2F2012%2F08%2Fauguste-comte-dreistadiengesetz.pdf&source=f&installDate=031223) vielleicht sollte man daraus lernen und auch die vermeintlichen, in Zahlen aufgehenden Denkweisen, die Mathematiker etc. nicht einfach gegen die Relgiösen, die vermeintlich dogmatisch Gläubigen oder die irrational Verliebten ausspielen. Der Mensch Comte war von Irrationalismen geprägt, gezeichnet, getrieben. Ob es eine reine Wissenschaft, ein rein vernünftiges Denken je geben wird? Dazu bedürfte es eines evolutionären Quantensprungs….

Foto Bernd Oei: Port Marianne, am Fluss Lez, der auf seinen nur 30 km Länge im nahe gelegenen Mittelmeer mündet. Marianne ist eines von sieben Stadtvierteln und liegt im Südosten Montpelliers. Es liefert ein Paradebeispiel für zeitgenössische Architektur. (https://www.montpellier-frankreich.de/zeitgenoessische-architektur-in-montpellier/) Muster für die so bezeichnete architecutre organique ist der weiße Baum, ein 2019 eingeweihter Wohnturm. „Die Äste sind auskragende Plattformen und Balkone, die den Nutzern spektakuläre Ausblicke gewähren.“ (https://www.architektur-online.com/magazin/der-wohnbaum-in-suedfrankreich-arbre-blanc). Die Architekten heißen Nicolas Laisné und Manal Rachidi.

https://www.baunetzwissen.de/fassade/objekte/wohnen/larbre-blanc-in-montpellier-8170427

Foto Bernd Oei: Port Marianne und die organische Architektur am Ufer der Lez.

Foto Bernd Oei: la rivère Lez. Natur pur, die Mittelmeerküste ruft. Die Lez fließt durch Montpellier, u.a. den Port Marianne (https://de.wikipedia.org/wiki/Lez_(H%C3%A9rault)).Inzwischen hat sich ein eigener Markt Le marché du Lez samt Flohmarkt am Samstag etabliert. (https://www.visit-occitanie.com/de/entdecken/fabelhafte-reisen/kosmopolitisches-wochenende-in-montpellier/).

Foto Bernd Oei: Marsyas– Staute an der Promenade de l’esplanade aus Marmor von Jacques Villeneuve aus dem Hérault (1824-1905). Der Flussgott forderte Apoll zum Musikanten-Wettstreit heraus mit schlimmen Ausgang: ihm wurde bei lebendigen Leib die Haut abgezogen. Das Sinnbild der Hybris ist auch ein Symbol f+ür Märtyrer und so finden sich in seiner Nachbarschaft für ihre Aufrichtigkeit ermordete Politiker wie Jean Jaurés, dem sein Pazifismus vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs (Ermordung 31.7.1914) zum Verhängnis wurde. Heute besteht für Politiker zumindest keine Sorge mehr, aufgrund einer aufrechten Haltung in Gefahr zu geraten.

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