Besuch der alten Dame

Foto: Belinda Helmert, „Bremer Kommode“ auf der Werderinsel

Vintage, Kommerz und Denkmalschutz

Altes wird wieder schön. Lange Zeit war es still um die alte Dame auf der Werderinsel. Gemeint ist die „umgekehrte Kommode“, die im Volskmund so heißt, weil der alte Wasserturm seine vier Türme wie die Beine einer auf den Kopf gestellten Kommode in den Bremer Himmel reckt.

Das Gebäude im neogotischen Backsteinbau entstand im Reichs-Gründungsjahr und ist ntürlich denkmalgeschützt. Daher durfte es kein Investor verändern, was trotz eines symbolischen Kaufpreises von 100 000 € abschreckend auf Investoren wirkte. Viele Jahre kam es daher zu einem unfreiwilligen Dornröschenschlaf und das Gemäuer von 47 Meter Höhe setzte Efeu an. Man fürchtete Verunstaltung in bester Lage.

Foto: Belinda Helmert, Wasserturm, Bremen, Werderinsel

Dornröschenschlaf

Von schlummender Schönheit ist die Rede. Seit 2008 ist nichts passiert. Kultur- und Wohnraum wird hier nicht gebraucht. Akten stauen sich ins Unendliche. Der Denkmalschützer Georg Skalecki ( https://georg.skalecki.info/ ) war gegen die Entwürfe. (https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/umgedrehte-kommode-stadtwerder-100.html).Seit 2012 wird im Umfeld des ehemaligen ältesten Wasserturms der Stadt auf der Halbinsel gewohnt. Die Brebau bot vor allem Eigentumswohnungen auf dem Nobel-Quartier an.

Foto Belinda Helmert: Wohnen auf der StadtwerderHalbinsel, im Hintergrund „Wassertrum“

Es gab sogar die ein oder andere Kunstveranstaltung, z.B. von der Shakespeare-Company, die ihre feste Theaterbühne unweit in der Neustadt hat. (https://taz.de/Shakespeares-Pleasure-Island/!300361/). Freie Inszenierung der Stückes „Der Sturm“ – mit Hinterausgang …

Foto: Belinda Helmert, Hinter- und Notausgang der „umgedrehten Kommode“

Auch gegen die Pläne es Investors Sven Erik Gless von Rekstrukturierungsunternehmen, das kürzlich die Roland Berger-Gruppe erwarb. (https://www.hfwu.de/studium/studienangebot/). Das soll sich nun ändern.

Neugier weckt schon der Eingang – ein Container

Foto: Belinda Helmert, Eingang zur Kathedrale

Wann es weitergeht und wie schien bei einem privaten Eigentümer namens Erik Gless (Investor unternehmensrestrukturierung-und-insolvenzmanagement/dr-sven-erik-gless/) Immerhin, ins Pumpenhaus ist ein Event-Gastronomie eingezogen; man kann die „Kathedrale“ wie das Gebäude ob seiner hohen Decke genannt wird, für eigene Veranstaltungen mieten. Der Charme des Gründerstils bleibt erhalten. Man kann noch feuchte Flecken an den Wänden sehen und eine alte Wasserstandsuhr.

Foto: Belinda Helmert, im Inneren des Containers mit Blick auf Eingang auf die even-Gastronomie „Die Kathedrale“

Das Innere bietet als location Platz für maximal 100 Personen und kann für Vorträge, Geburtstage etc. mit und ohne Personal angemietet werden.

Dazu später.

Historie

Die Stillegung erfolgte 1983. Bauherr des Wasserturms war ein gewisser Poppe, einer der renomiertesten Architekten seiner Epoche, dem Historismus und zudem Bremer (https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Georg_Poppe). Der Bau war 1873 abgeschlossen, zwei Jahre nach Gründung des Deutschen Reiches. Zu dieser Zeit zählte Bremen 100 000 Einwohner, schon Ende des Jahrhunderts war über die Hälfte von ihnen an die Wasserversorgung angeschlossen und bekam Wasser aus der Leitung. Die feuchten Wände sind einem Biotiop sichtbar im vegetativen Außenbereich zuträglich.

Fotot: Belinda Helmert, ehem. Wasserspeicher, Detail Außenfassade hinten

Eine elementare Voraussetzung für den Bau lieferte die Erfindung und Entwicklung der Dampfmaschine, deren erste Anfang des 17. Jahrhunderts patentiert wurde – nicht von einem Deutschen, sondern von einem spanischen Ingenieur zur Trockenlegung im Bergbau namens Ayanz y Baumont.

Der Schotte James Watt, den wohl die meisten für den Erfinder halten, war für die Optimierung, den erhöhten Wirkungs- und Nutzungsgrad für den industriellen Einsatz im 18. Jahrhundert verantwortlich. Die erste deutsche Dampfmaschine stand in Eschweiler bei Aachen und stammt aus der Zeit der Französischen Revolution (Grande Terreur) – sie hieß damals noch Feuermaschine. Mittels der Dampfmaschine konnte das gereinigte Weserwasser in den oberen Teil des Turms eingebrachten Behälter gepumpt werden. Zwei Türme dienten als Schornstein, der dritte als Aufgang, der vierte für Rohrleitungen.

1983 wurde die fast hundertjährige Nutzung aufgegeben. Die Brauerei Becks nutzte das Gebäude vorübergehend für die Speicherung seines aus dem Harz zugefühten Trinkwassers. Das „vorübergehend“ endete 2008. Seitdem ist die Kommode eine Edel-Ruine. Bis auf seltene Ausstellungen oder Kunst-Inszenierungen totes Gelände. (https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserturm_auf_dem_Werder). Inzwischen wachsen die Bäume auf der Fassade.

Foto: Belinda Helmert, Ex-Wasserturm, Bremen, Frontfassade

Auf den Spuren Dürrenmatts

„Der Besuch der alten Dame“ ist eine tragische Kömödie, 1956 in Zürich uraufgeführt. (https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Besuch_der_alten_Dame). Es handelt von der Käuflichkeit der Menschen und daher auch von seiner Korrumpierbarkeit. Der meistzitierte Satz daraus lautet: „Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell.“ Was das mit der Kommode zu tun hat? Einmal bitte nachdenken, eigenständig, wenn es geht.

Ein anderes Stück des Schweizer Dramatikers („Die Physiker“ erlebte 2018 seine letzte Aufführung in Bremen. Wir gehen an der Freiheit zugrunde, schrieb Dürrenmatt. Das Schicksal, um von der Qual des eigenständigen Denkens zu erlösen, hängt davon ab, ob die Politik beginnt, das leben heilig zu nehmen, anstelle es zu zerstören wie bisher. Wenn sie es unterlässt, kann und wird die Hure weiterhin für jeden auf die Straße gehen, der es sich leisten kann. Die Dame muss sich entscheiden, denn eine Geschichte (noch so ein Gedanke Dürrenmatts) ist nicht beendet, so lange sie nicht den schlimmstmöglichen Ausgang genommen hat.

Die alte Dame heißt im Stück Claire und sie bekommt, was sie will. Auftragsmord heißt das juristisch. Das Dorf tötet für sie, für Geld und man lässt sie mit der Leiche ziehen. Satisfaktion heißt das moralisch. Der Ort ist heruntergekommen, hat seine besten Zeiten hinter sich, den Anschluss an den modernen Kapitalismus verpasst. Natürliche Selektion nannte es Darwin. Komödie der Hochkonjunktur lautete der Arbeitstitel des Dreiakters.

Foto: Belinda helmert, Bremer Wasserturm nachts an der Weser-uferpromenade

Viele Geschäfte und Fabriken, die früher einmal von Bedeutung waren, sind pleite und stehen leer. So weit der Roman „Besuch der alten Dame“. Aber auch in Bremen, dem höchst verschuldeten Bundesland, das einmal ein Geber-Land war und heute auf Länder-Finanzausgleich angewiesen ist bzw. seit 1970 bleibt.

Dass sich Dürrenmatt auf Medea bezieht, geschenkt. Ihr Opfer Alfred durchläuft tatächlich eine Katharsis vom Saulus zum Paulus. Vielleicht handelt es sich nicht einfach um Rache sondern um ausgleichende Gerechtigkeit. Vielleicht verdient es unsere Wohlstandsgesellschaft nicht besser. In bester Lage können sich nur Reiche eine der geplanten 200 Wohnungen auf der Werderinsel leisten. Denkmalschutz sorgt hier für soziale Chancengleichheit, die in und an den Schulen nicht gelingen mag.

Die alte Dame im neuen Kleid

Wie es aussieht, wenn man auf 250 m² die „Kathedrale“ mietet, zeigt die Homepage (https://www.location-kommode.de/) der event-Agentur Joke event. Immerhin stand in diesen räumen noch bis 2008 das (Bier-)Wasser. Nur im Irrenhaus sind wir noch frei – auch dieses Zitat stammt leider nicht von mir, sondern von Friedrich Dürrenmatt und geht so weiter: „Nur im Irrenhaus dürfen wir noch denken. In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff “ (aus „Die Physiker“). Es sieht so aus, als ob man weiter Party machen will und kann, trotz der allgemeinen und der speziellen Lage.

Es muss ja immer was los sein, wird Peter Melms, einer der kreativen Köpfe der 60 Mann und Frau starken event-Agentur (https://dasauge.at/-joke-event/) zitiert. Etwas ausführlicher:

„Ja, es muß ja immer von Anfang bis Ende was los sein, es soll ein Erlebnis sein. Das verstehen wir unter Event Marketing“.

Daher kann man „Die Kathedrale“ mieten, mit oder ohne Künstler wie Zauberer, die sich unter das Publikum mischen.

Foto: Belinda Helmert, Die Kathedrale, event-room, Lücken im Publikum

Der Markt besteht aus Menschen, die auf der Suche nach etwas Besonderem sind und den kick brauchen. Man kann Improvisationskünstler buchen, nicht nur Räume und einen frame, einen Rahmen, einen plot, eine Geschicht wie beispielsweise eine Entführung oder einen Kriminalfall mit Schauspielern. Das ist nicht die Zukunft, das geschieht jetzt. Und soll auch in Bremen passieren, soweit das Format nicht schon angekommen ist. Die alte Dame schlüpft in ein neues Kleid und schminkt sich, bevor sie der Werder-Insel einen Besuch abstattet. Man stelle sich vor, ein Schauspieler mischt sich unter die Gäste, die dann unfreiwillig zu Mitspielern werden. Inteaktives Theater steht ja heute hoch hin Kurs.

Foto: Belinda helmert, Bremer „umgekehrte Komode“

Im Bremer Brauhauskeller (https://theaterbremen.de/de_DE/programm/der-besuch-der-alten-dame.1209032) wurde nach Spielplan ein Moritat von Dürrenmatts Klassiker aufgelegt. Eine schaurige Ballade also. Regie führte Mathilde Lehmann, eine aus Halle stammende, 1991 geborene Dramaturgin, Regisseurin und werdende Spartenleiterin für Junges Theater (https://www.theaterheidelberg.de/personen/mathilde-lehmann/). Sie hat in Leipzig in einer digitalen Installation Medea dreißig moderne Stimmen verliehen. (https://mathildelehmann.webnode.page/medea-chor/).

Dürrenmatts Pointe

Die Quintessenz in Dürrenmatts Stück ist die Bürger, um das hässliche Wort Mörder zu umgehen, doch bis zuletzt glauben, der Zweck heiligt die Mittel und ihre Tat rechtfertigen. Überhaupt, wo nicht einer Einzeltäter ist, sondern das Kollektiv agiert, lässt es sich leichter morden. Man sieht es augenblicklich nicht nur im Theater, sondern in Natura. Wer sich selbst zu helfen weiß, ist ein Gutmensch. Herzinfarkt lautet die Diagnose des Arztes in Güllen, wo die alte Dame zu Besuch weilt. Und Güllen ist überall.

Dürrenmatt und Frisch, meine Schweizer Lieblings-Autoren, waren befreundet und spielten gerne Tischtennis. (https://www.nd-aktuell.de/artikel/990341.er-ist-der-grosse-baum-und-ich-bin-der-kleine-trueffel.html). Frisch soll gesagt haben: “ Er ist der große Baum und ich der kleine Trüffel “ – wegen der Größenunterschiede. Gut, dass wir Journlistinnen haben, die so etwas zu Tage fördern. Beide waren zu dem leidenschaftliche Pilzsammler und Rotweintrinker. Wald spielt auch eine Rolle im Stück „Besuch der alten Dame.“

Foto: Baumbestand auf der Fassade der „umgedrehten Kommode“

Dürrenmatt spricht von einer peinlichen Liebesgeschichte zwischen Claire, dem einstigen Opfer und jetzigen Täterin und Alfred III, dem der Fluch seiner Tat nach 45 Jahren einholt und der sterben muss, damit die Güllener besser leben können. Ein klassisches Rache-Thema eben, denn Medea lebt und wird immer in uns leben. Ein wenig ist es auch mit der „Kommode“ so: sie führte ein Leben im Abseits, aber sie kehrt zurück und verlangt ihren Preis. Einer davon ist die Ästhetik – denn aus pragmatischen Gründen muss der Notdurft genüge getan werden.

Foto: Belinda Helmert, Pragmatismus auf der Stadtwerder vor dem „Wasserturm“

Leibniz sprach bildlich von einem Fenster, als er die Monade als kleinstmöglichen Abdruck vom Ganzen, als Zimmer der großen weiten Welt, beschrieb.

Fragte man Dürrenmatt nach Corona-Wahn als virale Katastrophe, könnte er geantwortet haben: „Der Mensch lernt in der Katastrophe menschlich zu leben, was er im Frieden nicht kann.“ (https://www.belletristik-couch.de/magazin/hintergruende-essays/friedrich-duerrenmatt/). Auch hier gibt es findige Literaturkritikerinnen, die solch fiktive Interviews zu führen verstehen. Einen Blick ins eigene Innere (Thomas Mann nannte es Souterrain) gewährt der Umgang mit Krisen in jedem Fall. Noch so ein schönes Zitat von Dürrenmatt lautet:

Das Schlimmste, das ich mir vorstellen kann, ist, dass ich an einer Buchhandlung vorübergehe und dort im Fenster ein Büchlein sehe mit dem Titel ‚Trost bei Dürrenmatt‘. Dann muss ich sagen: Jetzt bin ich fertig“.

Foto: Belinda Helmert, Fenster-Ausblick aus der „umgedrehten Kommode“

Als wäre Kommode und Komödie nicht schon ein naheliegender wort-Kalauer, so spielt das Möbelstück doch in „Der Meteor“ eine Statisten-Rolle. Die Uraufführung erfoglte 1966; in der Persiflage kehrt ein toter Literat (Nobelpreisträger wie Dürrenmatt) in sein Atelier zurück. Er stirbt sogar noch einmal und steht ein zweites Mal von den Toten auf. Irgendwie auch so wie die alte Kommode nach 150 Jahren, es ist ihr zweites Comeback nach 2011. Man stelle sich vor: Der Tod will sterben, kann aber nicht. Irgendwie komisch, aber halt auch Dürrenmatt und ein wenig wie C.

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