Wenn der Eisvogel taucht sirrt die Sekunde

Foto Bernd Oei, Straßenkunst in Mellah, dem jüdischen Viertel von Fès (https://de.wikibrief.org/wiki/Mellah_of_Fez) in unmittelbarer Nähe zur Medina, der Innenstadt aus dem 15. Jahrhundert unter der Dynastie der Meriniden. Diese gehören zu den islamischen Berbern, die anschließend von den Arabern abgelöst wurden. Ihre, auch Südspanien prägende, Architektur nennt man maurisch. Berber besitzen eigene Schrift und Sprache. Der Titel ist Celans Poem „Stimmen“ entlehnt (https://www.lyrikline.org/en/poems/stimmen-162)

Im Himmel liegt man zu eng

Ein Jahrzehnt für den Weltruhm: das poetisch-lyrische Vermächtnis liegt zwischen seinem Band „Mohn und Gedächtnis“ 1952 (Die Gruppe 47 ächtet ihn) und „Die Niemandsrose“1963 (Kennedys Berlinbesuch und Ermordung in Dallas). Paul Celan war ein Nachkriegskind und Grenzgänger: 1920 in der Bukowina geboren, nordöstlich der Karpaten im babylonischen Raum zwischen Rumänien und der Ukraine, seinerzeit noch Teil der untergegangenen k.u.k. Monarchie Österreichs. Er war polyglott, sprach sieben Sprachen fließend und sah sich als Vermittler und kultureller Botschafter. Nicht nur der Sprachen, sondern auch der Dichtung und des Schweigens, einer von vielen paradoxa des Juden, der kein Opfer sein wollte und einem Überlebenden des Holocaust, der das Leben fortan als Schuld und Scham gegenüber den Toten empfand. Fast konsequent, dass er den Freitod, den Sprung ins Wasser wählte. Vereinsamt in Paris, so der unausgesprochene Untertitel zu dem, was man leichthin Exilheimat nennt, ein Oxymoron, doch passend für den nicht mehr unter uns Weilenden. Muttersprache wurde zum Diktat der Mörder. Was blieb, war das Exil. Auch und vor allem, als Holocaust / Schoah überlebt waren. Die ersten Zeilen lauten: „Ein Toter bin ich der wandelt, gemeldet nirgends mehr“, (file:///C:/Users/Administrator/Downloads/_book_edcoll_9789004334335_B9789004334335-s022-preview-2.pdf) Man fühlt sich versucht, Chruchills Bonmot „Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem Durchschnittswähler“ abzuwandeln in: Das beste Argument gegen die Poesie ist ein Lesen der Literaturkritik von heute. Celan hatte es schwer: zunächst abgewiesen und in eine Schublade gesteckt, danach gehyped und in den Himmel gehoben, den er selbst als zu eng empfand. Vermutlich wegen der vielen Wolken.

Zur Blindheit überredete Augen

Zwischen dem 23. November 1920 (vor 123 Jahren) und dem 20. April 1975 in seinem Wahlexil Paris entstand ein beeindruckendes Werk, sowohl hinsichtlich der Übersetzungen (erwähnt seien hier nur die schwer zugänglichen Franzosen Apollinaire, Baudelaire, Breton, Eluard, Mallarmé, Maeterlinck, Nerval, Rimbaud ,Valéry) als auch der Lyrik, dem bevorzugten Ausdrucksmittel des Schriftstellers, der schrieb: „Denken und Danken sind in unserer Sprache Worte ein und desselben Ursprungs“. Damals, anlässlich seiner Ansprache (erster Satz) seiner Dankesrede zum Bremer Literaturpreis 1958, war dies noch verständlich und zugleich gewagt. Er stand in engem Kontakt ausgerechnet zu dem seines Lehrstuhls enthobenen Heidegger, dem man seine Sympathie zu den Nationalsozialisten nicht nachzusehen vermochte. Es liegt an den Opfern, den vermeintlichen Tätern zu vergeben. Die Schuld der Überlebenden richtete sich an das Überleben selbst, das Celan als Verrat an den Toten empfand. Zur Blindheit überredete Augen – der Eingangssatz aus dem Gedicht „Tübingen“, Hölderlin gewidmet.

Foto Bernd Oei: Fès, jüdischer Friedhof angelegt im 16. Jahrhundert in der Mellah, südwestlich der der marokanischen Königsstadt nahe dem Rif-Gebirge. Die überwiegende Zahl der jüdischen Bevölkerung zog nach Jaffa, wo sie als „Juden unter Juden“ ein schlechteres Leben führten als in der maghrebinischen Welt.

Im Uhrwerk der Schwermut

Celans Generation stand auch für eine lost generation. Für all jene Individuen, die verfolgt und mehrfach ein Vaterland samt Familienangehörige verloren hatten. Für jene persona non grata, denen enge vertrauensvolle Beziehungen schwerer fielen als anderen. Verlust dürfte das Schlüsselwort zum Verstehen von Celan sein. „Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache.“ (Gleichfalls der Bremer Rede entnommen). Die philosophische Nähe zu Heidegger, dem Bergen und Verbergen durch Sprache ist evident. Zur persönlichen Begegnung kam es nur einmal, 67, bezeichnenderweise in einem, Ort, der den Tod in sich trägt: Todnauberg im Schwarzwald. Nomen est omen, nicht nur aufgrund der „schwarzen Milch“. Ein Satz wie „das Gedicht… ruft sich, um bestehen zu können, unausgesetzt aus seinem Schon-nicht-mehr in sein Immer-noch zurück“ (entnommen aus „Die Niemandsrose“) könnte auch „Sein und Zeit“ entnehmbar sein. Der Titel ist dem Poem „Brandmal“ aus „Mohn und Gedächtnis“ entnommen.

Die Bedeutung der Sprache, auch des Schweigens,stand über allem anderen. „Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem.“ (Bremer Rede). Celan konnte auch Essays. Er, der Unverstandene, stand immer zwischen den Sich (allzu leicht) Verstehehenden und Verständlichen, die oft nichts weiter als gewöhnliche Richter waren und auch sein wollten. Etwa die Gruppe 47 oder orthodoxe Zionisten, die ihn ablehnten. (https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Personen/celan-paul.html). Es scheint, man hat es mit ihm begraben, das Zögern und das gute, das nachdenkliche, das reflektierende Schweigen. Man hat es ausgesperrt, weil es nicht in die Zeit passt, die kein Exil erlaubt, keine Atem-Pause, die ihm, die Celan, so wichtig war wie kaum einem anderen.

Über das Exil handelt sein gleichnamiges Gedicht, das erste war Wien (https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Objekte/celan-oesterreichischer-identitaetsausweis.html?single=1) und damit Teil des Dritten Reiches, das er wählte. „Lege dem Toten die Worte ins Grab, die er sprach, zum zu leben.“ Es sind auch die Worte, die er dem verehrten Juden, Lyriker, Kommunisten, Widerstandskämpfer, Surrealisten und Maler Paul Eluard ins Grab 1952 auf dem Père Lachaise (sein eigenes liegt in Thiais am Rande von Paris) nachruft.Das isteines unzähliger Mysterien und Paradoxa des Sprachwunders Celan. Sprache ist Heimat, das Bleibende, doch wie das Denken hat sich die Sprache verroht, funktionalisiert in den Händen der Herrschenden. Für die Ohnmacht findet kaum noch einer Worte. Stattdessen noch einmal sein zentraler Gedanke zur und über die Sprache: „»Erreichbar, nah und unverloren inmitten der Verluste blieb dies Eine: die Sprache. Aber sie mußte nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah. Aber sie ging durch dieses Geschehen.« (Ges. Werke in fünf Bänden, III, Gedichte III, Prosa. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983. Seite 185f.)

Es gab keinen Namen für das was uns trieb

Es wäre, auch heute, an der Zeit für die Täter von heute etwas über ihre Reden, für die es keine Worte und keine Entschuldigung geben kann, zu sagen. Doch sie schweigen, wie gestern, sie schweigen wie immer und sie schämen sich nicht einmal für ihr schändliches Tun. Sie heucheln, damals wie heute, für das Volkswohl zu handeln. Sie vergreifen sich an der Kunst, sie, die selbsternannten Richter. Sinnbildlich dafür, noch in anderem Zusammenhang stehend, Celans Gedicht der Krone gewidmetes „Corona“ (nachzuhören im Originalton https://www.youtube.com/watch?v=X25-IDqiC5k) :„Der Mund redet nach… Es ist Zeit, dass es Zeit wird.“ (aus dem Band Mohn und Gedächtnis“). Das Zitat im titel ist dem Poem „In Prag“ entlehnt und stammt aus dem Band „Atemwende“. Celan sieht in der Dichtung Ansprache, das Gegenüber. Er sieht Orientierung darin. In der Eluard-Rede heißt es auch: „Leg auf die Lieder den Toten das Wort“ (https://www.oliverwieters.de/der-traum-vom-schweigen-edgar-jene-paul-celan-von-oliver-wieters.html).

Foto Bernd Oei: jüdischer Friedhof in Fès. Die Toten erhalten Steine anstelle von Blumen als Grabbeilagen. Hier ruhen Luna und Amor enger als zwischen den Wolken.

Kunst erweitert Sprache im Du

Seine Gedanken zur Kunst, insbesondere zur Sprachkunst, gelangen meisterhaft in seiner Rede 1960 anlässlich der Verleihung des Büchner-Preises zum Ausdruck. (Nachhören unter https://www.youtube.com/watch?v=mE2-xn0Nbd8). Sie ist mit „Der Meridian“ tituliert, ein Begriff aus der Geologie und Astrologie. Die ersten Worte lauten „Die Kunst … ist ein marionettenhaftes … Wesen“. Es folgt der Hinweis auf Pygmalion, von denen es zwei gibt. Den Bildhauer, der sich ins eigene Abbild seiner Kunst verliebte und den Bruder von Dido, Mörder seines Schwagers, der seine Schwester ins Exil zwang und Karthago gründen lies. Beide Anspielungen haben mit Celan und seiner Doppeldeutikeit, seinem in der Schwebe lassen, zu tun.

Er spricht das Problem des Sinnbildes von närrischem Verhalten an, welches der mimesis, der Kunst der Nachahmung, zugrunde liegt. Imitation als Wirkung, Ideal als Verschleierung der Realität, gewollte Illusion sind gefährlich. Die Deutung, der sich eine ganze Profession anheimstellt, verstellt das Original und wird zum Zwang. Celan sprach sich gegen alles selbst berufene Elitäre aus. Er liebte die Infragestellung, das Medusenhaupt (der Automat, die Puppe). Kunst sucht das Fremdsein, das zu Hause sein im Fremden. Sie sucht das Gegenüber. Es sucht das gesprochene Zeugnis.

Kunst, Dichtung zumal, ist Entsprechung von Sprache, das ein anderes Antlitz braucht, um leben zu können. Daher auch die Metaphern Atem und Atempause, Hören und Zuhören, nicht nur Hinhören, das Worte verdreht oder verschluckt. Das alles ist deutlich gesagt. Zugleich distanziert er sich von der Geißel Hiob, der Identität, Opfer oder gar Märtyrer zu sein. Er will verstehen und nicht richten im Haus der Schlangen. (https://www.deutschlandfunk.de/100-geburtstag-von-paul-celan-der-dichter-und-der-ferne-gott-100.html)

Foto Bernd Oei: Oleander im Jüdischen Friedhof in der Mellah, Fès. Der Oleander, aufgrund seines Giftes auch als Baum der Toten, u.a. im Mythos von Orpheus und Eurydike, bekannt. Der Name leitet sich aus dem Griechischen von den tief ins Erdreich reichenden Wurzeln ab.

Ins Hirn gehauen – Kunstbrei

Kunst will und muss entgrenzen. „Elargisszez l´art“ stammt aus dem Surrealismus. Eluard hat es geprägt. Aber die eigentliche Wurzel ist Rimbaud, der Seher und Prophet, der die Wirklichkeit hinter dem Wirklichen suchte. Natürlich: einer kann die Wahrheit sprechen und dabei lügen (die Wirklichkeit verkennen) und invers: einer kann die Wirklichkeit wahrnehmen und dennoch die Wahrheit darin überhören und überstimmen. Gedanken wie diese machen aus Celan, dem nachdenklichen Lyriker, einen Sprachästheten und bisweilen auch Philosophen. Dichtung wirkt als Reinigung (wie bei Kafka), als katharsis der Sprache. „Doch scheide das Ja nicht vom Nein“ heißt es in „Von Schwelle zu Schwelle“ (einem Gedicht 1955)

Auch heute wollen die Menschen nichts gewusst haben von alledem. Auch heute urteilt der dekadente, sich zum Herren und Retter der Welt berufen fühlende Größenwahn, in gut und böse und verdammt jene, die Gefolgschaft verweigern. Die heutigen Scharlatane sind nicht mehr Nazis, sondern kommen im Pharma- oder Grünenpelz daher, es sind die Who is Who Retter und Frösche-Gesellschafter, die schwarzen Felsen und die Klimaretter. Es sind die Spalter von heute und morgen, die mit Klischees und Stigmatisierung die Welt in den Abgrund treiben. Gott scheint ferner denn je, vor allem für die Gläubigen. Die Schoah von heute betreiben die Getriebenen und Verfolgten von gestern.

Foto Bernd Oei: jüdischer Friedhof in der Mellah von Fès. Das Schicksal der jüdischen Gemeinde verbesserte sich im 19. Jahrhundert erheblich, als die Ausweitung des Kontakts und des Handels mit Europa es der jüdischen Handelsklasse ermöglichte, sich in das Zentrum internationaler Handelsnetzwerke in Marokko zu stellen.

Poesie ist also Stimme, die sich sich dem Leben an- und nicht verschließen will. Sie ist in diesem Sinn wörtlich Atem und Atemwende im Bestreben, Unmögliches und Unsägliches zu sagen. Ein Gedicht sei nach Ausschwitz unmöglich (besser gesagt über Auschwitz), so dachte Adorno in seiner „Dialektik der Aufklärung.“ Er schrieb „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch“. Doch einer wollte nicht den Mantel des Schweigens (le vol du secret) über das Verhängnis legen. Von einem Dichter aus der Bukowina (wörtlich Buchenland) und Überlebenden des KZ Buchenwalds sah er sich widerlegt. Von einem, der das Menschliche (den Atem) nicht der Ideologie opfern wollte.

Daher bezieht sich Celan in seiner Rede immer wieder auf Camille und Lenz, beides Protagonisten Büchners. Vor allem auf Lucille, der Frau Camilles und Nebenfigur in „Danton“, der scheinbar einfältigen Frau des Revolutionärs Camille Desmoulins. Er zitiert sie, die ihrem Mann vergöttert und ihm Wahrheit zuspricht, nur weil sie aus seinem Munde kommt. Er zitiert sie auch, weil sie den freien Tod wählt, nachdem man ihr das Liebste genommen und enthauptet hat. Geschichte schreibt immer nur der Sieger und „ein Gedicht ist ein akut versammelte Geschichte“ schreibt er auch. Celan bedient sich des Wortes akut in signifikanter Weise. Er will mit Fragmenten und Paraphrasierung anderer Stimmen nicht Plagiat betreiben, sondern auf die chorale Polyvalenz der Stimmen verweisen, mit denen er sich dichterisch beschäftigt. Wir sind zum Sprechen und damit auch zum Versprechen verurteilt. Dichtung ist Selbstaussprechen. „La poésie ne s´ impose plus, elle s ´expose.“ Der Aphorismus stammt von Celan und ist Teil seiner Rede „Der Meridian“. Auch dieses Zitat ist einem anderen Künstler, Louis S. Mercier, entnommen. Dichtung zwingt niemanden (die Meinung auf), sondern gibt sich preis. Mit anderen Worten öffnet sie sich. Celan wählte das rhetorische Mittel des Rätsels nicht um sich zu verschließen, sondern um es zu vereiteln, ideologisch missbraucht zu werden.

Foto Bernd Helmert: jüdischer Friedhof in Mellah, Fès mit Blick auf die Olivenhaine. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Bezirk etwa 15 Synagogen. Die Geschichte hat sich mit dem Zionismus verändert.

Todesfuge – dein aschenes Haar

Viele glaubten und die meisten davon bis heute, Celan habe „die schwarze Milch“ und andere signifikante Metaphern selbst erfunden. Noch immer gilt die „Todesfuge“ als wichtigstes Bekenntnis zum Holocaust als auch als lyrisches Meisterstück eine Fuge. Eine Fuge ist qua definitione mehrstimmig und auf Reprise ausgerichtet, die mittels Ton- und Stimmlage variiert. Sie beinhaltet aber auch Flucht, denn das lateinische Wort meint eben diese. (https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/raetsel-um-leben-und-werk-von-paul-celan-3266)

Die „Todesfuge“ ist reich an solchen sich überlagernden Stimmen. So das berühmte Osymoron „schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich“ …. (nachzuhören mit Originalstimme https://www.youtube.com/watch?v=gVwLqEHDCQE). Verwiesen sei hier auf Rose Scherzer-Ausländer, eine Dichterin (1901-88) aus Czernowitz und Leidensgenossin, der Celan Juli 41 persönlich begegnete und die dieses Zeile in „Der Regenbogen“ 1939 im Gedicht „Wir ziehen mit den dunklen Flüssen“ als erste veröffentlichte: „Nur aus der Trauer Mutterinnigkeit / strömt mir das Vollmaß des Erlebens ein. / Sie speist mich eine lange, trübe Zeit / mit schwarzer Milch und schwerem Wermutwein.“ (https://www.literaturepochen.at/exil/lecture_5051_4.html).

Ein zweites Beispiel für bewusste Imitation in Form von Montage liefert die Übernahme bzw. der Anklang an Immanule Weißglas (1920-79), einem weiteren Dichter aus Czernowitz, dem Celan in Auschwitz 41 begegnete. In seinem Poem „Er“ (1945 veröffentlicht) sind wesentliche Elemente wie wie die Euphemisierung „Der Tod ein deutscher Meister war“, die Trope „Haus mit Schlangen“ unddie Inversion „Gräber in die Luft“ vorkommen (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/frankfurter-anthologie/frankfurter-anthologie-er-von-immanuel-weissglas-15742730.html)

Max Frisch hat gesagt, wir sind Emigranten, ohne unser Vaterland zu verlassen. Plagiatsvorwürfe kommen meist von neidischen Dichtern, nicht von Kollegen, die wissen, das ein wechselseitiges sich aufeinander Beziehen zum gepflegten Dialog gehört. Viele Menschen haben nicht den Mut, das Vernünftige auszusprechen. Die Unvernunft sprechen sie leichter aus, weil dabei weniger Gefahr ist. Diesen Gedanken artikuliert Johann G. Seume, ein Orientalist und Romantiker in „Apokryphen“ (http://www.zeno.org/Literatur/M/Seume,+Johann+Gottfried/Aphorismen/Apokryphen). Sie treffen ins Herz der Cerlanschen Dichtung, insbesondere seines Essays wie der Büchner-Dankesrede, die den Satz enthält: „Die Dichtung, diese Unendlichaussprechung von lauter Sterblickeit und Umsonst!“

Daran anschließend ein Gedanke von Karl E. Franzos, dem Journalisten, Publizisten und Schriftsteller, der bekanntlich wie Celan und Kafka ein gespaltenes Verhältnis zum (chassidischen) Judentum, besaß: „Ich ziehe Schlüsse aus Tatsachen und fälsche keine Tatwachen, um Schlüsse daraus zu ziehen.“ Auch dieser Satz bewahrheitet sich aufverhängnisvolle Art und Weise heute. Auch wenn Celan in seiner Büchner-Rede fordert „Es ist Zeit, umzukehren“. Auch wenn er wiederholt mit dem Gedanken eines Heidegger nahe stehenden Levinas „zu einem anderen“ und nicht zu sich selbst will. Er spricht im Gegenüber sich aus. Der Andere ist die Mitte seines Seins. Das alles inkludiert: Nicht um den Dichter geht es, sondern um das Wirken im Zuhörenden, sofern er denn nicht nur hin-, sondern zuzuhören vermag.

Foto Bernd Oei, jüdischer Friedhof in der Mellah. Ein Blick aus der Vogelperspektive unter https://de.123rf.com/photo_47113724_j%C3%BCdischer-friedhof-in-fes.html. Die ersten Sephardi-Juden kamen durch die Verfolgung in Spanien nach Marokko, hauptsächlich nach Fès. Mellah bedeutet wörtlich im arabischen Salz(gebiet).

Der halbe Tod großgesäugt mit unserem Leben

Summa summarum ist Dichtung Vor-Sagen und Voraus-eilen ebenso wie Nach-Hören und Atempause. Weil, analog zu Heidegger und Levinas, nur das Unverstandene wertvoll sein kann und nur das Unhinterfragte und Unbedachte bedenkenswert bleiben muss. Adorno bekennt sich in Noten zur Literatur 1965 in „Engagement“ (seinem einzigen Essay mit französischer Überschrift) zu seinem Fehler der Verabsolutierung, Lyrik stoße bei Auschwitz an seine Grenzen. (https://gams.uni-graz.at/o:reko.ador.1965) Er muss mit Celan erkennen: Weil die Welt von heute den eigenen Untergang überlebt hat, bedarf sie gleichwohl ihrer Geschichtsschreibung und damit einer Pflicht zur Kunst. Die Überschrift ist die Eingangszeile aus „In Prag“ und erscheint augenscheinlich „akut“ auf unsere Gemengelage heute gemünzt. Große Dichter sind zeitlos. Celan „Die Zeitlichkeit des Gedichts kann weder abhängig noch identisch von seinem (gedachten) Sinn sein.“ (Essay Der Meeridian) Im Gedicht klingt das so:“Gib dem Spruch auch den Sinn, gib ihm den Schatten.“

Um es mit Enzensberger zu formulieren: „Das Übermaß an realen Leiden duldet kein Vergessen“. (http://www.wyss-sozialforschung.ch/kommentare/kkkommentare/k0073/k0073gedichte.html) Daher gelten die Worte eines zweiten bekannten, in Paris exilierten und Suizid begehenden Dichters aus den Siebenbürgen, dessen Tragik darin bestand, in jungen Jahren Hitler verehrt zu haben und über sein Vorbild Nietzsche nicht hinauskommen zu können: Emil Cioran bis heute. Sie bilden den würdigen Abschluss zur Todessehnsucht : „Wir haben sie alle geerbt, diese Unfähigkeit, bei uns zu bleiben. Die Fortsetzung des Lebens ist dem Gefallensein vorbehalten.“ (zitiert ausLeben für den Selbstmord“)

Ein Celan-Radiofeature vom 14. September 2023 ist unter https://www.youtube.com/watch?v=32icN__B7Jc nachzuhören.

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