Rocamadour

Zwischen Relgion und Glauben besteht ein himmelweiter Unterschied. Spiritualität kommt auch ganz gut ohne Dogmen aus. Ein Beispiel für einen kulturell höchst aufgeladenen magischen Ort liefert Rocamadour, 250 km östlich von Bordeaux, 200 km nördlich von Toulouse entfernt. Leider betrifft das Fahrstrecke, zu Fuß kommen ein paar Steine hinzu).

August 2018: Nach Durchquerung des Périgord gönne ich mir einen Abstecher nach Rocamaodur: kulturell geografisch und historisch gehört es nicht zum Lot, dem es inzwischen administrativ zugeordnet ist, sondern immer noch zum Périgord, das trotz seiner Größe keine politische Region bildet. Die Höhenlage beträgt 110-364 m. Ein vertikales Staunen über die heilige Stadt (la cité sacrée) beginnt. Roche vermeint Felsvorsprung bzw. Felsdach (abri sous roche).

Foto Bernd Oei. Drei Etagen: das Dorf mit seinen 600 Einwohnern wird in Plateaus gegliedert und die Häuser wachsen wie Pilze auf dem Felsen der Gottesliebe (roc d´amadour). Ganz oben die Burg. Am ersten Sonntag im September treffen sich hier regionale Schriftsteller zum alljährlichen Bücherfest (salon du live) , das in Anlehnung an die Trüffel (dem schwarzen Gold) La Truffière aux Livres genannt wird.

Foto Bernd Oei. Die Häuser bilden mit dem Felsen meist eine untrennbare Einheit, nicht wenige von ihnen wirken wie angeklebt und bestehen nur aus drei Wänden, weil sie den Felsen als natürliche Rückwand für ihren Wohnraum nutzen. Das Schwalbennest-Naturtheater am Jakobsweg im Tal der Dordogne ist inzwischen UNESCO-Weltkulturerbe und nach Lourdes der meist frequentierte Wallfahrtsort Frankreichs.

Foto Bernd Oei. Als Wanderpilger erhielt ich ein Übernachtungsquartier in der Gite auf der zweiten Ebene des Plateaus, quasi gegenüber dem Sanctuaire. Die drei Etagen, in denen das Dorf entstand, repräsentieren die drei Stände und damit das mittelalterliche Erbe.

Foto Bernd Oei. Von meinem Fenster aus kann ich die Schlucht sehen. Der Ausblick entschädigt für alle Mühen. Netze erinnern an die Gefahr des Lawinen-Steinschlags, dem Fluch der Berge. Geröllhalden – stumme Zeugen am Abgrund. Schnell wird aus der schönen die schreckliche Lage.




Foto Bernd Oei. Große Pilgertreppe: Die ausgetretenen 216 Stufen zum Kirchen-Vorplatz mit seinen sieben Heiligtümern bewältigten Gläubige und Büßer schon vor tausend Jahren traditionell auf ihren Knien. Das reine Martyrium. Einige Könige waren auch darunter: schließlich galt bis zur Großen Revolution das Gottesgnadentum auf dem Thron.

Rocamadour thront auf einer Kalksteilklippe über dem im Sommer fast ausgetrockneten Alzou-Tal. Der Bergfluss Alzou befindet sich im Süden, mündet nach nur 31 km in einem anderen Fluss, überwindet aber auf dieser kurzen Strecke über 200 m, was ihm ein Sohlegefälle von über 7% beschert. Zum Vergleich die Weser: 0,25%. einmal Regen und das trockene Tal füllt sich in Minuten zur „Badewanne“.

Das Herzstück: Das Sanctuaire aus dem 12. Jahrhundert mit der Schwarzen Madonna im Inneren. Der Ursprung für eine farbige Jungrfau liegt im Hohenlied, in dem es heißt: Ich bin schwarz und schön. In den Kreuzzügen geleangte aus dem Orient eine Madonnenfigur mit schwarzem Gesicht nach Le Puyx en Velay nahe der Loire-Quelle. Seit dem 12. Jahrhundert sind neben der Madonnenkapelle sechs weitere Heiligtümer mit Reliquien hinzugekommen.

Alles begann mit einem Leichenfund 1166:  die unversehrte, der im Berg eingeschlossene Tote wurde dem Heiligen Amadour (dem Zöllner Zachäus und damit einem der Apostel Christi) zugeordnet. Schwindelfrei sollte man sein, vor allem, wer wie ich den sicheren Treppen und Stufen das freie Gelände vorzieht. Ein Paradies für Kletterer und Drachenflieger. Wie muss das alles auf den Menschen des Mittelalters gewirkt haben?

Foto Bernd Oei: Rocamadour 2018, Die Basilika stammt aus dem 12. Jahrhundert.

In Rocamadour spielt Michel Houellebecqs sechster Roman „Die Unterwerfung“ (Soumission, 2015). Der magische Ort ist eine genius loci, weil er Höhen und Tiefen, Himmel und Höllen kongenial natürlich einbettet & abbildet. Manche halten das Werk für Sarire, andere für von de Sade inspirierte Dystopie. Bilder entstehen im Kopf, Meinungen, die meist auf Überschriften rekurieren, verwurzeln sich leider als Überzeugung rasch und tief im Herzen.

Foto Bernd Oei: Rocamadour. Bei der ersten verlässlichen Volkszählung 1793 hatte der Ort am Felsen 1055 Bewohner. 2018 waren es noch knapp 600.

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