Novalis in Uelzen zu Gast bei Hundertwasser

Foto: Belinda Helmert, Bahhnhof in Uelzen, Hundertwasser, der 2021 zwanzigjähriges Jubiläum „feierte“ (https://ausstellunghundertwasser.de/)

„Alles soll wieder Raum werden.“

Georg Philipp Friedrich Hardenberg, Pseudoym Novalis (lateinisch Brachland, neuer Acker) schreibt in Fragmenten (1799) weiter:

„Der Raum geht in die Zeit, wie der Körper in die Seele über.“

Ob Hundertwasser ihn kannte und seine Vorstellung von der Romantisieren der Welt ist fraglich. Seine organische Kunst könnte aber, auch aufgrund ihrer Anlehnung an diverse Formen der Natur und seiner schier grenzenlosen Fantasie, das räumliche Gegenstück zu Novalis´Dichtkunst bilden. Bahnhöfe stehen zudem für Bewegung und Dynamik – auch hier hätte der frühromantische Denker sicherlich einen Ansatzpunkt gefunden, denn sein Werk ist voller Märchen, Metamorphose und ständigen Austausch zwischen natur- und geisteswissenschaftlichen Phänomenen. Auf dass der Mensch wieder zum Kinde werde, staunen lerne und an Wunder glaube, anstelle sich in nüchternen Zahlenspielen und Rationalisierung, schnödem Besitzdenken und ewigen Funktionalisieren zu gefallen.

Foto Belinda Helmert, Hundertwasser Bahnhof, anlässlich der Expo 2000 in Hannover

„Was du wirklich liebst, bleibt bei dir“

Die wenigsten Sätze von Novalis sind kurz, die meisten ein Zauber in einer verschlüsselten mrärchenhaften Sprache. Der Mensch ist verbildet, aber nicht lebendig (und nur lebendiges, verinnerlichtes Wissen ist wahr). Er ist aufgeklärt, doch nicht mündig (und nur nündig bedeutet frei). Er ist klug in den Wissenschaften, aber nicht weise (und nur Weisheit stiftet Frieden). Er ist reich, aber ohne Herzensbildung ‚(und nur diese macht glücklich). Novalis lies sich aktueller denn je. Sein Traum, die Menschheit zum Träumen, zum Utopisieren zu bringen, ist nicht aufgegangen. Einerseits haben die Menschen die Forderung Fichtes, tätig zu sein, die Welt sich zueigen zu machen und die Natur als Nicht-Ich dem Ich einzuverlieben, scheinbar alles untergeordnet. Sie besitzen mehr als je zuvor, sind gewachsen, an Größe, Zahl, Volumen – räumlich in die Welt hinein. Sie sind dem Weltall näher gekommen. Doch dabei haben sie sich verloren. Man sieht es in Uelzen. Ein schöner Bahnhof verkommt Keine Pflege, kein Respekt vor einem Zauber. Drehen wir uns im Kreis ? Wohin geht die Reise?

Foto Belinda Helmert, Hundertwasser Bahnhof Eingang von der Hauptseite aus

„Nach innen führt der geheimnisvolle Weg“

(Novalis, Heinrich von Ofterdingen, Buch II, Die Erfüllung)

Die Philosophie ist eigentlich Heimweh – Trieb, überall zu Hause zu sein.“ (Aus dem allgemeinen Brouillon)

Man vergisst schnell, dass Hardenberg als Sohn eines Bergsalinendirektors Hüttentechnik, Chemie, Physik und Jura studierte, außerdem im Bergbau arbeitete. Sein naturwissenschaftliches Fundament lies ihn, hier Goethe ähnlich, Analogien zwischen der Materie und der Poesie finden. Sein Ziel: Alles Ideal muss real werden stand jedoch bald konträr zur Weimarer Klassik. Vorbild und Anregung liefert ihn das Mitelalter mit seiner Gotik und dem vertikalen Baustil, der angesichts der technischen Möglichkeiten heute noch verwundert. Poesie, Philosophie und Religion galten ihm (und der Frühromantik) als drei Töchter eines Seins. Er suchte einen Weg, das Innere mit dem Äußeren, das Begreifliche und das Unbegreifliche zu verbinden. Die Forschung etikettiert dies mit mystischem Rationalismus.

Kristall (krystallos) wurde fälschlicherweise für Eisenmineral gehalten; kristallin bedeutet eine geheime und damit verborgene Struktur der Moleküle. Der Bauplan der Materie ist noch unerforscht. Daher ist das Fühlen wichtiger als das rationale Erkennen.

Das Denken ist nur ein Traum des Fühlens, ein erstorbenes Fühlen, ein blassgraues, schwaches Leben.“ (Novalis, Die Lehrlinge von Sais)

Foto Belinda Helmert, lichtdurchflutete Dachkuppel, Hundertwasser-Bahnhof

Um die Jahrundertwende war das kleine Jena das Zentrum der geistigen Bewegung und seine Universität ein Hort der Auflehnung gegen das establishment. Schiller, die Gebrüder Schlegel, Fichte, Schelling, Hölderlin, Tieck, Novalis – die Jugend wollte die Welt verändern, romantisieren nannten sie es. Darunter war keineswegs Kerzenschein und Liebesgeflüster bei Mobdlicht gemeint, sondern ein Programm, das sich progressive Universalpoesie nannte. Ihr ging es nicht darum, die Welt zu begreifen, sondern sie zu verändern (eine Idee, die Marx aufnahm, als er Hegel vom Kopf auf die Füsse zu stellen unternahm). Die Welt romantisieren heißt, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt.

Foto Belinda Helmert Detail Außenwand, Uelzner Bahnhof, Hundertwasser

Die Welt muss romantisiert werden

Das ganze Zitat aus „Fragmente und Studien“ (Aphorisimus 37) lautet

„Die Welt muß romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts, als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. (…) Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe so romantisiere ich es.“

Foto Belinda Helmert, Hunderwasser-Bahnhof, Bahngleis mit Fahrstuhl

In Uelzen sollte der absolute Gegenentwurf entstehen. Ein Umwelt- und Kulturbahnhof nach Plänen des weltbekannten Künstlers Friedensreich Hundertwasser ( zweihundert Jahre nach Novalis, 2000 gestorben) erlebte die Eröffnung nicht mit. Hier gilt nicht form follows function, sondern die Funktion folgt Form und Farbe. Es kommt darauf an, die Welt neu zu sehen. Im Verschimmelungsmanifest schreibt der vielseiteige Avantgarde-Künstler:

„Wir leben heute in einem Chaos der geraden Linien, in einem Dschungel der geraden Linie.“ ( http://www.hundertwasser.at/deutsch/texte/philo_verschimmelungsmanifest.php)

Die Vegetation hat Jahrmillionen gebraucht, um die Schleimnis, die Giftstoffe, zuzudecken mit einer Humusschicht, einer Vegetationsschicht, einer Sauerstoffschicht, damit der Mensch auf Erden leben kann.

hUNDERTWASSER, zitiert aus Schießkultur- die heilige Scheiße (http://www.tierversuchsgegner.org/wiki/index.php?title=Komposttoilette)

Hundertwasser, auf seine Art Rebell und eine Art Novalis, richtet sich primär gegen den Rationalismus. Seine ARchitektur ist Licht und verspielt, reflexive Moderne lautet die Etikettierung für das Umdenken, das sich gegen den Zerfall der Kultur richtet. Auch Hundertwasser spricht, teilweise mit drastischen Worten und Aktionen von Atomisierung der Gesellschaft, von einer Heim- und Rückkehr ins Natürliche (auch beim Wohnen) und der Suche einer neuen Behausung im Zeitalter metaphysischer Obdachlosigkeit. Ob Zwiebeltürmchen, goldene Kugeln und knallbunte Säulen da helfen? (https://www.sueddeutsche.de/auto/bahnhofsarchitektur-knallbunte-saeulen-goldene-kugeln-1.5007359)

Foto Belinda Helmert, Hundertwasser,-Bahnhof Uelzen, Hintergeingang

Hundertwasser, auf seine Art Rebell und eine Art Novalis, richtet sich primär gegen den Rationalismus. Seine ARchitektur ist Licht und verspielt, reflexive Moderne lautet die Etikettierung für das Umdenken, das sich gegen den Zerfall der Kultur richtet. Auch Hundertwasser spricht, teilweise mit drastischen Worten und Aktionen von Atomisierung der Gesellschaft, von einer Heim- und Rückkehr ins Natürliche (auch beim Wohnen) und der Suche einer neuen Behausung im Zeitalter metaphysischer Obdachlosigkeit. Bleiben ist Nirgends, Übergang ist alles. Bei seinem Anliegen, der Romantik als architekturgeschichtlichem und -theoretischem „Phänomen“ auf den Grund zu gehen, sei er nach Durchsicht der üblichen Standardliteratur zunächst ins Leere gelaufen und erst bei Jens Biskys „Poesie der Baukunst“ fündig geworden. (http://derarchitektbda.de/das-romantische-in-der-architektur/)

Foto Belinda Helmert, Hundertwasser-Bahnhof in Uelzen mit Solardach

Vetrockeneter Brunnen des Lebens

„Der Mensch vermag in jedem Augenblick ein übersinnliches Wesen zu sein. Ohne dies wäre er nicht Weltbürger – er wäre ein Tier.“

(Novalis, Blütenstaub, Aphorsmus 22) Dass er ein paradoxes und zwittriges Wesen ist, wird jeden Tag offenkundig. Er spart Energie oder erzeugt sie umweltschonend regenerativ, dämmt seinen ölokolgischen Fußabdruck ein, dennoch eigen weltweit die Emissionen. Novalis spricht von Licht, seine Metapher der blauen Blume ist mehr als Sehnsucht oder Unerreichbrkeit, sie wirft uns zurück auf uns selbst. Wir könnten das Paradies haben auf Erden, doch vielleicht wollen wir dies (noch) nicht. Bis zu Uffing am Staffelsee ist noch ein langer Weg (https://utopia.de/solar-bahnhof-4495/) – mehr Energie zu erzeugen, als ge- oder verbraucht wird – ein Traum? Blau ist nicht nur die Farbe der gesuchten Blume, sondern auch des Traums bei Novalis.

Laut Goethe ist tiefes (ultramarin oder indogo) Blau ist ambivalent, „weil es uns nach sich zieht“. Blau sind auch Himmel und das Meer oder erscheint uns infolge der Farbstäbchen so. Wasser ist ein fleißendes element, das Hundertwasser besonders inspiriert hat – die Welt ist aus dem Meer geboren, vielleicht gleicht der Kosmos einem Urmeer, wie Novalis denkt, die er in „Hymnen an die Nacht“ blaue Fernen oder blaue Fluten´heißt. Die Trennung zwischen ob und unten, innen und außen ist aufgelöst oder fließend wie ein Brunnen. Doch leider, das Wasser fließt nicht mehr – ist ausgetrocknet, zumindest im Hundertwasserbahnhof.

Foto Belinda Helmert selbsterklärend
Foto Belind a Helmert, ehem. Wasserbrunnen – truriges Paradies im Hundertwasser Bahnhof, Uelzen

Innere und äußere Bestimmung

Ein wesentliches Element in Novalis´Philosophie besteht in der Zusammenführung von Innen- und außwenwelt, Wahrnehmung und Erkenntnis, Gefühl und Verstand. Die Blance ist uns verloren gegangen. Im zeitalter der Extreme schwankt der Mensch immer von einer Seite zur anderen, findet dabei weder Frieden und Harmonie im Inneren noch mit seiner Um- oder Mitwelt. In der Architektur kommen äußere und innere Bestimmungen in Betracht. Unter den äußeren sind der Zweck, der Ort und dann auch die Zeit zu nennen, unter den inneren zunächst das Material, die Konstruktion, die Form, die Funktion und der Raum.( http://derarchitektbda.de/architektonik-des-raums/)

Belinda Helmert, Hundertwasserbahnhof Uelzen, Innenarchitektur


Wir träumen von Reisen durch das Weltall- ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht …Nach innen geht der geheimnisvolle Weg.“ (Novalis, Blütenstaub, Aphorismus 17)

„Die Ausßenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich In uns oder nirgends ist die Ewigkeit in ihren Welten.Der Sitz der Seele ist da, wo sich die Innenwelt und Außenwelt Wo sie sich berühren, ist er in jedem Punkt der Durchdringung.“

(Novalis, Blütenstaub 20)

Unser Zergliedern, Spalten und Etikettieren ist einer Trenn-Kultur verhaftet und hat uns Menschlichkeit gekostet. Novalis träumt von einer Neubelebung des Geistes, der Spiritualität, der Neubesinnung, was Leben wirklich lebenswert macht. Daher erkennt er im Tod auch ein Remedium, ein Heilmittel gegen die Krankheit, die sich gegen die Lebenslus des Eros richtet. In den Hymnen der Nacht (4) schreibt er:

Im Tode ward das ew´ge Leben kund / Du bist der Tod uns machst uns erst gesund.“

F

Foto Belinda Helmert, : Detail, Kaiser Wilhelm – Gedächtniskirch ( alter Teil,) Berlin,Charlottenburg, Breitscheidpaltz

Der Todeskult ist aber nur ein Teil der Frühromantik und insbeondere des Novalis. Man begreift ihn nur, wenn man an das ewige Licht, die Wiederzusammenführung mit den Toten und die Metamorphose alles Seins, also die Begegnung mit den Toten in anderer Gestalt wie etwa Blumen glaubt. Die Fichtsche Philosophie, allse was ist, beginnt und endet in uns durch stetes Setzen von Zuständen, erscheint seltsam invertiert: wo Fichte die Welt mit Willen, Fleiß und Tätigkeit sich einverleibt, geht Novalis Ichauflösend darin ein und gleichsam auf.

Hundertwasser interpretiert Natur auf seine Weise und dennoch liest sich manches von ihm wie eine Neugeburt des Dichterphilosophen:

„Die Kunst muss wieder Brücke sein zwischen der Schöpfung, der Natur und der Kreativität des Menschen.“

Foto Belinda Helmert, Uelzen, Hundertwasserbahnhof Innenraum

DAs Leben setzt ich sowohl bei Hardenberg als auch bei Hundertwasser, aus Details und permanenter Verwandlung zusammen, so dass es einer Arabeseke bzw. einem Mosaik gleicht. Auch sind beide der FAszination von Sakralbauten erlegen.

„Die schönsten Bauwerke sind die, in denen die Stile mehrerer Jahrhunderte ineinanderfließen, wie bei den Kathedralen beispielsweise.“ (Hunderetwasser)

Wenn man vor dem Abgrund steht, dann ist der Rückschritt ein Fortschritt. Sagt Hundertwasser. Das Leben bewegt sich auf den Tod zu, sagt Novalis.

Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes willen. Der Tod ist Beendigung und Anfang zugleich, Scheidung und nähere Selbstverbindung zugleich..“ (Novalis, Blütenstaub)

Foto Belinda Helmert, Mosaik vor dem Ülzener Hundertwasserbahnhof

Man meint, wir reisen, umf fortzukommen von uns. Doch wir irren, denn wir nehmen uns immer mit. Bahnhöfe scheinen Orte zu sein, die wir durchreisen, Haltepunkte zum Umsteigen, oder ein vorläufiger Endpunkt zum Aussteigen. Wir sind Nomaden geworden. Bahnhöfe sind gewöhnlich dunkel. Hier aber ist alles Licht, weil Architektur primär auch Lichtführung bedeutet. Und vielleicht ist Bahrhnof auch Ankunft in uns selbst, Hof eine Heimat und Bahn ein Weg dahin. In Jedem Fall schreibt Novalis in den Hymnen der Nacht:

Wir müssen nach der Heimat gehen / Um diese heilge Zeit zu sehn.“

Der Preis des Lichts – seine Vergänglichkeit und Absenz – wird nicht beklagt, das Nicht-Licht als Wurzel des Seins begründet. Weshalb nicht unterwegs sein als Lichtung begreifen, in der wir unserem Selbst, dem eigenen und tiefsten Ich begegnen, anstelle es immer in der Begegnung mit anderen zu suchen

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