Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor

Foto Belinda Helmert: Eiszeit in der Binner Schlucht, die aus der Eiszeit hervorgegangen ist. Trakls Lyrik ist von einer beispielslosen Kälte durchzogen. Durchleben wir eine neue Periode menschlicher Kälte aus Ausgleich zur globalen Klima-Erwärmung unseres blauen Planeten?

Trakls Schwermut der rauchenden Stadt

Georg Trakl wurde 1914 zu Grabe getragen – sein 110. Todestag (3. November) nähert sich und mit ihm das Grauen von Grodek, jener Schlacht, in der er innerlich verblutete. Geboren am 3. Februar 1887 in der Salzburger Altstadt; sein Geburtshaus ist heute eine Gedenkstätte https://www.salzburg.info/de/sehenswertes/museen/georg-trakl-gedenkstaette. Trakl lebte dort bis zu seinem 21. Lebensjahr – er wurde nur 27 Jahre alt. In der Verfilmung seines Lebens „Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“ schlüpfte (2011, Regie Chrsitoph Stark) Lars Eidinger in die Rolle des „Todesengels“. Salzburg zählte seinerzeit um die Jahrhundertwende etwa 30 000 Einwohner.

An der Côte d´Azur wütet 1987 ein Erdbeben, das zweitausend Menschen das Leben kostet. Das wirkt in Europa natürlich stärker als die Überschwemmung des Gelben Flusses in China, die zeitgleich etwa eine Millon Menschen ertrinken lässt. Bismarck zieht noch die Fäden und in Österreich gibt es noch die k. u. k. Monarchie (sie ist gerade 20 Jahre alt) mit Ungarn unter Franz Joseph I., die seine Gemahlin Elisabeth „Sissi“ eingefädelt hat. Ihr gemeinsamer Sohn und designierte Thonfolger ist zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt: seine Ermordung im Juni durch einen fanatischen Anrachisten wird den Ersten Weltkrieg auslösen und unter anderem Trakl nahe dem Schlachtfeld Grodek nahe Krakau das absolute Grauen lehren . Die Jahrhundertwende ist von politischer Gewalt geprägt: nicht zufällig stirbt Kaiserin Elisabeth durch die Hand eines italienischen Anarchisten und ihr erstgeborener Sohn durch einen fanatischen Nationalisten.

Georg Trakl ist ein Kind der Finsternis, obschon er aus behütetem Salzburger Bürgertum entstammt; soziale Verahrlosung und dysfunktionale Beziehungen (zur gefühlskalten Mutter, zur gefühlsübertotnten Schwester Grete, die 1917 mit der Pistole des Bruders Suizid begeht) sind jedoch gerade in der Mittel- und Oberschicht weit verbreitet. Mit ihm verbunden ist „Der Brenner“, sein Verleger und Gönner Ficker sowie der Mäzen Wittgenstein, der ein paar Stunden zu spät sein Sterbebett im Hospital erreicht. https://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-georg-trakl-oesterreichischer-dichter-geburtstag–100.html

Foto Belinda Helmert: Gestrüpp nach der Überflutung der Wiesen und Felder in Liebenau

Der Erde Qual ohne Ende

In meinem Buch „Baudelaire und die Moderne“ (2020) beschäftigen sich im Kapitel Kompartatistik die Seiten 312 bis 340 mit dem Symbolisten und Expressionisten Trakl, der die Farbe nebst dem Reihungsstil zu seinem Markenzeichen erhob und das Inferno, die Apokalypse zu seiner Muse erklärte. Möglicher Inzest und chronischer Drogenmissbrauch, Skandale und Provokationen begleiten nicht nur sein Leben; sie sind auch Zeichen des wilden Expressionimus. Dass er neben Werfel und Heym zu den bedeutendsten Lyrikern seiner Epoche zählt, dürfte heute unumstritten sein. Auch, dass er als Vorbote zum surrealismus betrachtet werden kann und seine Basis in Baudelaire, Rimbaud, Mallarmé zu suchen ist (inklusive der französischen Kindfrau, die ihn erzog). Dreißig Jahre vor Trakls Geburt werden die „Fleurs du Mal“ gedruckt.

Trakls Lyrik kässt sich nicht eindeutig, wie es häufig geschieht, dem Existentialismus zuordnen, vielmehr antizipiert er ihn. Seine Verse entziehen sich einer eindeutigen Interpretation. Von vier Phasen kann dennoch gesprochen werden: die erste Schaffensperiode ist reimgebunden und zeigt starken Einfluss der französischen Décadents (Baudelaire und Co), sowie Nietzsche und Hölderlin., in der Reime durchgängig vorhanden sind . Von 1909 bis 1912 trennt sich der Dichter von dem klassischen Reim, gewinnt an Farbbymbolik und schreibt in losen, meist traumartigen Bildersequenzen, der Reihungsstil ist komponiert.

Foto Belinda Helmert: Frost in der Binner Schlucht, vereister Waldweg.

Erstarrt in schneeiger Stille

Nach der Strindberg- , Dostojewski- und Kierkegaard- Lektüre setzt spätestens Ende 1912 der unverwechselbar elegische Trakl-Ton ein. Motiv wird die Stadt und weit weniger die Natur. Mit der Urbanisierung gehen Pauperismus, Lärm, Verschmutzung, Sinnbetäubung, Geschwindigkeitsrausch einher. Sommer 1912 bis März 1914 löst sich Trakl von den Versmaßen, dem Metrum, er wird zum Avantgardisten. Subjektive Vergänglichkeit und kollektive Untergangsstimmung bedingen sich wechselsetig, kulminieren: das lyrische Ich scheint ausgelöscht.

Traum, Rausch, Verfall, Daseinsnot, Krisenbewusstsein, Lust am Verhängnis und am Untergang: so lassen sich Trakls Koordinaten leicht bestimmen. Rüdiger Görner betont in seiner Monografie 2012 „Georg Trakl“ die intrinsische Verbindung der Ästhetik des Bösen mit dem biografischen Sado-Masochismus. Die Synästhesie, Verschlungenheit der fünf Sinne, die bei Baudelaire bereits einsetzt, wird meisterfhaft fortgesetzt. Die vierte und letzte Phase stellt die suizidal-chaotische dar, die mit der Einberufung an die Front konkrete und letzte Formen annimmt.

Orientierungslosigkeit und Dezentrierung des Subjekts sind geradezu logische Folgen und Beigaben des Existentialismus, der die Sinnfrage neu stellt. Vielleicht hat jedes Jahrhundert seine existentiellen Fragen und Krisen und gewiss verkörpern diese manche Künstler augenscheinlicher, geradezu organisch, als andere. Die Freude am Ekel, an Eingeweiden oder Tabu-Brüchen ist nicht nur subjektivem Geschmacksurteil geschuldet: sie liegt in der Luft, da alle auf den letzten Donauwalzer, das Crescendo hinausläuft: man kann es spüren, die Weltuntergangsstimmung eines taumelnden Kontinents.

Foto Belinda Helmert: sintflutartiger Regen und Hochwasser bei Liebenau Februar 2024

Aus schwärzlichen Toren treten Engel mit kalten Stirnen

Nehmen wir als Exempel das Gedichz „Vorstadt im Föhn“, vermutlich Innsbruck gewidmet. 6 Strophen zu 24 Versen. Der gesamte Text ist einsehbar unter https://www.gedichte7.de/vorstadt-im-foehn.html. Vorgetragen in der eigenen Phrasierung und im Deklamationsverständnis:

Im Zuge der verbauten Geleise für Eisenbahnen verwundert der donnernde Zug in der Eingangsstrophe nicht. Eine Interpretation mit den Schüsselreizen trostlos – schmutzig – dekadent – findet sich unter https://lyrik.antikoerperchen.de/georg-trakl-vorstadt-im-foehn,textbearbeitung,86.html, um nur eine von mehreren im Internet kursierenden Deutunmgen zu benennen. Vom Untergangspoeten und unsterblicher Todessehnsucht spricht der Podcast im BR 2014 https://www.br.de/radio/bayern2/programmkalender/ausstrahlung-128964.html.. aus derHomepageder Trakl-Gesellschaft https://www.kulturvereinigung.com/de/Trakl/Biografie geht hervor, dass Trakl 1912 nach Innsbruck umzog, das wie alle Städte in Europa einen nie gekannten Bevölkerungszuwachs erlebte. Das Thema der Verstädterung und Verelendung lag buchstäblich auf der Straße. Trakl selbst war spätestens 1912 nach der Insolvenz des Vaters von aktuen Geldsorgen bedroht. Er nahm aus reiner Not und aufgrund der leichten Beschaffung von Drogen eine Stelle als Apothekergehilfe an. Vorstadt im Föhn ist das erste (von Ludwig von Ficker) im Brenner veröffentlichte Gedicht Trakls. Der Bezug zu den Ratten – der Titel von Georg Hauptmanns Tragikkomödie 1911 – ist Théophile Gautier entlehnt, einem Vordenker der Moderne und Wegbegleiter Baudelaires.

Die Stadt wird mit Gedärmen und Fäkalien kakophonisch geschildert. Auf das rote Kleid folgt der Kehrricht. Die kriechende Röte wird direkt mit dem Blut aus den Schlachthäusern assoziiert. Die rosa Moschee gibt es tatsächlich, sie entstand auf nahe dem Salzburger Kapuzinerberg am Fluss Salzach. Trakl erlebt die Folgen der Industrialisierung hautnah. Dennoch dürfte er als topographischen Ort Innsbruck gewählt haben. Auch dürfte er Lovis Coritnhs „Im Schlachterladen“ (1897) gekannt haben. Auffallend ist die Synästhesie: alle Sinne werden angesprochen, vielmehr angefeindet und angegriffen.

Unruhe, Dissonanz, Kaskaden von Bildern. Da walzt etwas zu, auf Österreich, dies ist zu spüren. Das Adjektiv „wirr“ fasst das Durcheinander der Sinneseindrücke zusammenb. Moderne Institutionen, überhaupt Orte mit ihrer Infrasturktur zu benennen, stellt in deutscher Sprache etwas Neues dar, sieht man von Baudelaire und den Franzosen ab. Synästhesie dient hier zur pyramidalen Steigerung des Ekels. Die Amalgamierung der Sinnesbereiche wie in warmen Winden erscheint dabei leitmotivisch.

Die Stadt, vermutlich Insbruck, oder das noch größere Wien, das Trakl gleichfalls kennenlernt, wird zur Chiffre der Hoffnungslosigkeit und der Klage. Eine interne Textreferenz impliziert die Allegorie „Und ein Kanal speit plötzlich Blut“ zu dem Gedicht „Psalm“. ein leeres Boot treibt abendlich den schwarzen Kanal entlang. Die Kanäle sind seit Zolas „Le ventre de Paris“ (Der Bauch) aus dem Rougon-Macquart-Zyklus Zolas fester Bestandtteil als Metonymie zur Beschreibung einer Großsstadt, die mit der Abfall- und Müllbeseitigung überfordert ist.

Der Expressionismus, eine Epoche, die zwischen 1910 und 1925 einzuordnen ist, also unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, dem Zusammenbruch des alten Europas und dem beschwerlichen Neuaufbau bis zu einem sich abzeichnenden nationalsozialistischen Weg reicht, handelt von Entfremdung des Individuums. Trotz aller Subjektivität bleibt das lyrische ich auf die stille Beobachterrolle beschränt. Der Mensch geht in der Anonymität verloren. Seine Existenzkrise ist zugleich die seiner entwurzelten Generation. Die erstarrte Konvention, die Hierarchie in der Gesellschaft, wirkt grotesk angesichts der Dynamik einer entfesselten Industriegesellschaft, die alles sichtbar und hörbar verändert. Die Katastrophje in Permanenz zeichnet sich ab: die Apokalypse.

Foto Belinda Helmert: entwurzelter Baum an der Schweizer Lust, Liebenau (deren Gaststätte wegen Ratten 2023 geschlossen wurde)

Benagt die fette Ratte Tür und Truh

Expressionismus bleibt mit bildender Kunst und Architektur, mit politischer Bewegung (namentlich der KP), zeitschriften wie „Die Aktion“, „Der Stürmer“, „Die Fackel“ verbunden. Mit dem „Blauen Reiter“ und dem Manifest, das alles neu sein müsse, weil das Alte zui nichts mehr tauge. Ausdruck, so der grundlegende Name des Expressionismus, sollte alles sein. Individuelles Gesicht für den kollektiven Zustand, der genau genommen aus zahlreichen Strömungen bestand nd der im Naturalismus, Impressionissmus Symbolismus und Jugendstil seine Vorreiter besaß. Flüchtigkeit nicht nur als Momentaufnahme, sondern der alten Weisheit des vanitas-Motivs geschuldet. Ein anders zeitnahes Gedicht Trakls trägt den Titel „Vorhölle“. https://www.textlog.de/trakl/gedichte/vorhoelle

Sie scheint mit Dantes „Inferno“ aus der Göttlichen Komödie ewig wiederzukehren. Wie die Motive in Trakls Lyrik. (Rote) Farben, Schiffe, Wolken, Kanäle und Ratten als konkrete Zeichen für dahinter liegende Verwesung. Lautliche Assonanz (Kinderschar, Kleid, Kehrricht) oder Alliteration (gräulichem Gestan, Gebilde gaukeln, Föhne färben) Farbe wird personifiziert: „langsam kriecht die Röte„. Naurgemäß spielt sich alles in der Dämmerung ab. Es dämmert der Untergang. Nicht nur Trakl und der Agonie vor dem Ersten Weltkrieg, vor Grodek. Auch heute. Denn wir leben in wilden, wirren Zeiten.

Empfohlene Beiträge

Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!


Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert