Die Kunst eine Rede zu führen oder zu schweigen

Foto Belinda Helmert: Eingang zur Dorfkirche Langen, Ruppin nahe Neuruppin, Brandenburg. Durch zwei Ausbauphasen – im Spätmittelalter und im 19. Jahrhundert – entstand ihr heutiges Aussehen.

Zusammenspiel von Sache, Redner und Zuhörer

Laut Aristoteles soll die Sprache verständlich und überzeugend sein; er erwartet nicht von der Philosophie die Welt über abstrakte Prinzipien, wozu er die Götter zählt, zu erklären. Zumeist handelt es sich um beobachtbare Phänomene, die er unterschiedlichen Gattungen (organon) zuteilt, etwa die Naturwissenschaften, unterteilt in verschiedene Disziplinen oder eben die Rhetorik. Auchz für sie gilt der Anspruch konkret und praxisbezogen zu sein.

Vom alltäglichen Sprechen schließt Aristoteles darauf, dass da etwas sei und zwar etwas Grundlegendes, das hypokeimonon. Diese Grundlage, im Lateinischen als Substanz übersetzt, gibt immer Antwort auf vier Fragen, weil alles vier Ursachen hat: was, woher, wohin, wozu. Dies inkludiert, dass jedes Ding dann genau bestimmbar ist (auch eine Rede wenn die materielle, die formale, die Wirk- und die Zweckursache geklärt sind geklärt ist:

  1. causa materialis : das Material
  2. causa formalis : die Form
  3. causa finalis : das Ende (der Zweck)
  4. causa efficiens : die Wirkung

Die aristotelische Rhetorik antwortet auf die er drei Forderungen Platons im „Phaidros“ an echte Rhetorik: Dialektik, Seelenkunde, Technik. Im Fokus steht immer der Zweck. Seelenkunde impliziert die Emotionen und Motive, die sehr häufig unterschätzt werden, weil es angeblich immer um Sachargumente geht.

Foto Belinda Helmert: Dorfkriche Langen im Ruppiner Land. Die Kirche wurde von dem Architekten Friedrich August Stüler, einem Schüler Schinkels entworfen. Drei Jahre nach der Auftragsvergabe konnte die Kirche im italienisch-romanischen Rundbogenstil am 16. Oktober 1855 eingeweiht werden.

Glaubwürdigkeit, Pathos (Leidenschaft) und Logos (Vernunft)

Die Dreiheit aus Ethik, Ästhetik und Logik besticht. Die beiden ersten Bücher der Rhetorik folgen zwei dreigliedrigen Einteilungen: Die erste Einteilung ist jene der drei Mittel der Überzeugung. Die Rede kann
erstens durch die persönliche Glaubwürdigkeit des Sprechers überzeugen, zweitens durch das Ansprechen oder die Lenkung der Gefühle des Publikums,
drittens durch die sachliche Begründung oder Beweisführung.

Die zweite Einteilung ist jene in die Gattungen öffentlichen Sprechens: erstens Beratende, politische Rede. Solche Reden bestehen entweder in Anratung und Anempfehlung oder in Abratung und Verwerfung In diesen Reden handelt es sich um den Nutzen und die Sittlichkeit , Würde /oder Ehre . Die Nützlichkeit genießt Priorität.
Die dritte Form betrifft die Gerichtsrede (, die entweder Privatstreitigkeiten oder öffentliche Anklagen sind. In beiden findet Anklage und Verteidigung statt,
und in beiden handelt es sich um formales Recht und übergeordnete Billigkeit Die vierte Form betrifft die Festrede, oder den Nekrolog In solchen Reden handelt es sich um Sittlichkeit und Würde sowie Ehre.

Nicht unwesentlich bei allen ist die Beweifsührung durch möglichst anschauliche Beispiele, als Enthymem bezeichnet. Aristoteles führt auch die Anlogie, das Gleichnis an.

Nun erklärt Aristoteles mehrere Gemeinsamkeiten zwischen Dialektik und Rhetorik:

Foto Belinda Helmert: Langer Friedhof mit Stüler Torbogen. Die Stülerkirche ist eine der größten Dorfkirchen im Land Brandenburg. Der gelb-rote Sichtziegelbau stahlt mit seinem 36 Meter hohen Kirchturm mit Eckfialen und Spitzhelm weit über die Landschaft.

Euren Argumenten fehlen Klauen und Zähne

Die Dialektik als Theorie und Technik der Axiomen- und Prinzipienfindung in den Wissenschaften anerkennt als Ausgangspunkte wissenschaftlichen
Arbeitens nur geprüfte Expertenmeinungen oder durch Erfahrung bewährte Aussagen. Die Rhetorik ist dagegen ein Umgehen mit den tatsächlichen
Meinungen und Einstellungen der Menschen auf der Ebene des gesunden Menschenverstandes: Sie muss dabei in Rechnung stellen, dass ihre Zielgruppe
nur begrenzte intellektuelle Schulung und Kenntnisse aufweist. Dialektik ist eine wissenschaftliche Analysetechnik, während Rhetorik eine situationsabhängige Überzeugungstechnik ist.
Aristoteles bestimmt den Redner daher auch als „jemanden, der immer das Überzeugende zu sehen in der Lage ist“ Und als Aufgabe
der Rhetorik bestimmt er die „Untersuchung dessen, was an jeder Sache Glaubwürdiges vorhanden ist“ als die Fähigkeit zu erkennen,
was in jedem gegebenen Fall möglicherweise überzeugt „Die Rhetorik stelle also das Vermögen dar, bei jedem Gegenstand das
möglicherweise Glaubenerweckende zu erkennen.“ Dennoch müsse man, so eine Metapher, Hasenfüßen Klauen und Zähne zeigen.

Dem Dreieck aus Logos, Ethos und Pathos stellt Aristoteles die rhetorischen Qualitäten Autorität (Fachkompetenz) , Charakter und Integrität an die Seite. Wobei der Charakter hauptsächlich auf Glaubwürdigkeit und damit Authentizität abzielt. Zudem spricht er von einer Argumentation, die nicht nur geistig, sondern auch seelisch, daher emotional, überzeugen muss und spricht von der Fähigkeit der Empathie seinem Publikum gegenüber als auch von der rhetorischen Qualität, anschaulich und bisweilen pointiert zu argumentieren, quasi Infotainment von heute, damit niemand bei einer rein sachlich gehaltenen Debatte einschläft.

Wo Gemeinsamkeiten sind, müssen auch Unterschiede sein, sonst ginge Rhetorik auch in Dialektik auf. Aus Glauben muss Überzeugung erwachsen.

Foto Bernd Oei: Dorfkriche Langen. Nähert man sich der Kirche, fällt das aus roten Ziegeln im 19 Jahrhundert erbaute dreipfortige Portal auf. Die leicht anmutende Konstruktion nimmt Stilelemente der Kirche auf, wie die fialenartigen Turmaufsätze.

Die Rede ist die Kunst, Glauben zu erwecken

Rhetorik ist systematische Beherrschung der Logik des wirklichen Lebens, welche ebenso eine Logik des Herzens und eine Logik
des Handelns wie eine Logik des Verstandes ist.

Aristoteles lehnt wie Platon die vorrangige Beschäftigung der üblichen Rhetorikhandbücher der Epoche mit sachfremden Überzeugungsmitteln und Methoden ab: Die Emotionsebene und die Kontaktebene darf die vernunftorientierte Sachebene nicht verdrängen oder zudecken, schon gar nicht geht es um verschlagene Manipulation und Lug und Trug. So liefert Aristoteles eine Blaupause für die Theorie der Kommunikation (black box). Er trifft genau den universellen Anspruch der Rhetorik, wie er seit ihren Anfängen vertreten wurde und den Cicero im „Quintilan) erneuert hat.

Auf der Kontaktebene muss der Sprecher durch seinen Charakter, seine
Persönlichkeit, seine Glaubwürdigkeit überzeugen. Dies kann er, wenn er Sachkompetenz, sittliches Verantwortungsbewusstsein, praktische Vernunft
und guten Willen verkörpert. Wenn dies zutrifft, kann nicht vernünftiger Weise bezweifelt werden, dass seine Vorschläge glaubwürdig sind. Redetechnisch ist entscheidend, dass der Sprecher dies im entscheidenden Moment der Rede dem Publikum zu vermitteln versteht.

Dabei kann natürlich auch Selbststilisierung und Heucheln zum momentanen Erfolg führen, der dadurch nicht notwendig objektiv falsch sein
muss, da der Redner in diesem Fall ja die korrekte, optimale Einstellung simuliert. Die erfolgreiche Meisterung der Emotionsebene hat zur Voraussetzung das
Wissen um die Definition, die Ursachen und Wirkungsweisen der einschlägigen Gefühle.

Die Handhabung der Sachebene besteht im Beweis, dass etwas der Fall ist. Dies kann durch zwei Typen der Argumentation geschehen: Induktionen und
Deduktionen. Induktion ist die Verallgemeinerung und Verdichtung vieler Einzeltatsachen in einer allgemeinen Feststellung, in einem Allgemeinbegriff oder in einem Gesetz.

Die Dreiheit aus Logos, Pathos und Ethos entspricht auch dem aus Nutzen, Lust (Freude) und Harmonie.

Foto Bernd Oei: Stüler-Torbogen zur Langen, Dorfkriche. Benannt nach dem Architekten Friedrich August Stüler (1800, Mühlhausen, Thüringen bis 1865 Berlin) Auch der Kuppelbau auf dem Triumphbogen des Hauptportals des Berliner Schlosses mit der Schlosskapelle ist sein Werk.

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