Die Flügel des Seraphims: Philosophie und Politik

Flügel

Foto Belinda Helmert, Skupturen in der Prager Innenstadt

Konfuzius und Sokrates

Mit Politik kann man nicht flirten, man muss sie heiraten. Sagt Malraux. Ob Philosophie und Politik zusammengehören oder getrennte Wege gehen (müssen), kann verschieden beantwortet und durchaus plausibel begründet werden.

In China standen mit Konfuzius (https://www.geo.de/geolino/mensch/18816-rtkl-weltveraenderer-konfuzius) und in Griechenland mit Sokrates zwei Philosophen Modell, in der Philosophen und Politik zusammengehören wie Denken und Handeln. Im Fall des Regelkanons des Kon Fu Tse, der abwechselnd als Staatsraison verordnet oder verboten war, trat der Philosoph für Rechtsphilosophie und die Gleichsetzung von Sitten-, Familien- und Staatspolitik ein. Er trug mit seiner Ethik des Edlen nicht unwesentlich zur Ausbildung eines starken Gemeinschaftssinns und Sozialtriebs im Reich des Ostens bei, das sich vom Individualismus westlicher Prägung grundsätzlich unterscheidet.

Über fast ein Jahrtausend bis zum Einfall der Mongolen und dem Bau der chinesischen Mauer (sinnbidlich für die Selbstisolation) erwies sich die chinesische Kultur als überlegen. Spätestens mit der Renaissance und damit der Wiederentdeckung der griechischen Antike setzte der Westen die Maßstäbe. Heute läuft der Westen dem Osten wieder hinterher und China ist auf dem Weg, seine alte Position auf dem Weltmarkt wieder zu erlangen.(https://www.beobachter.ch/wirtschaft/china-auf-dem-vormarsch-muss-uns-das-sorgen-machen-174280)

Im Fall Sokrates und seiner berühmten Apologie (https://www.osa.fu-berlin.de/latinistik/beispielaufgaben/griechisch/index.html) – Nonkformismus der staatlichen Regel mit der Bereitschaft, für sein Gewissen auch den Tod auf sich zu nehmen – scheint auf den ersten Blick der Skeptizismus gegenüber einer vernünftigen Politik zu obsiegen. Als Märtyrer zahlte der Denker, der partout kein schriftliches Erbe hinterlassen wollte und so zu seiner Legendenbildung beitrug, einen hohen Preis für die Unbestechlichkeit seiner Meinung und das arbiträre Auseinandertreten von politischer und moralischer Ordnung.

Der Kyllinische Esel, der sich nicht zwischen Gewissen und Vorteil entscheiden kann

Die Gleichsetzung des Guten mit der Vernunft

Mit Sokrates/Platon im Westen, Zoraster (Zarathustra) im Nahen Osten und Konfuzius im fernen Osten betraten fast gleichzeitig drei Denkmodelle die Bühne, die Politik als Sache einer Elite und das Gute mit dem Vernünftigen gleichsetzten. Diese Denker waren gegen die Demokratie, aus damals verständlichen Gründen, denn das Volk erwies sich nachhaltig als launisch, ungebildet, teilweise roh und neben der Wankelmütigkeit trat auch Rachsucht als Motiv unüberlegter Entscheidungen hinzu.  Doch sind wir wirklich besser und klüger geworden als die scheinbar archaischen Vorfahren?

Foto Belinda Helmert, Ochse Im Nordwesten Cubas, Pinar del Rio (https://www.kubareisen.ch/Hotels/Pinar-del-Rio)

Historisch setzten sich in der Folgezeit abwechselnd Aristokratie und Oligarchie durch, verbunden mit starken Zentralgewalten wie Monarchien und Diktatoren, die, auch vom Volk als natürliche und gottgewollte Autorität gewollte, Anerkennung fanden. Mit der Zeit verschob sich das theokratische Weltbild zu einem säkularen Politikverständnis (Laizismus), ausgehend durch die von Aristoteles aufgeworfene Aussage, dass es die optimale Regierungsform bzw. Verfassung nicht gebe.( https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungskreislauf). Seitdem wird eine gute Regierung/Verfassung in Relation gesetzt zu ihrem Zweck, der aktuellen Situation und dem Reifegrad der Bürger. Letzteres wirft bis heute einen Dissens zwischen Legalität und Legitimität des Handelns auf.

Eine Trennung zwischen Philosophie und Politik lag nicht vor: mit Mark Aurel regierte als stoischer Philosophenkaiser, bestimmte Lucius Verus zum Stellvertreter für seine neunjährige Abwesenheit in Rom für die Innenpolitik, um sich selbst der Außenpolitik, nolens volens mit kriegerischen Mitteln, zu widmen. (https://www.kinderzeitmaschine.de/antike/rom/ereignisse/fruehe-und-hohe-kaiserzeit/von-marc-aurel-zu-commodus/)

Griechen wie Römer liesen ihre Politiker alle Ämter durchlaufen, eine Spezialisierung war noch nicht vorgesehen. In der Tradition des Platon (Politeia, Nomos und Timaois) kristallisierte sich die Disziplin politischer Philosophie heraus. Damit verbunden sind pyramidale Hierarchien innerhalb eines Philosophenstaates, deren Regenten ihre Entscheidungen auf Vernunft gründen.(https://www.youtube.com/watch?v=si7EgK186zk)

Poltiker sollten nach ihren Fähigkeiten bestimmt werden und nur das Gute für ihr ihnen anvertrautes Klientel wollen. Herrschen bedeutete bei Platon primär Sinne dienen. Metaphorisch gesprochen zwingt er den Bullen nicht, er führt ihn sanft zu seinem Glück.

Foto Belinda Helmert, Rindzüchter in Vinales, Pinar del Rio, Cuba
(https://www.kuba.de/geographie/provinzen/pinar-del-rio/

Ethik in der Politik

Es herrschte, wenigstens in der Theorie, eine Untrennbarkeit von Ethik und politischem Handeln vor. Diese wurde erstmals von Machiavelli („Der Fürst“) in Frage gestellt. Er hielt die Macht des sittlichen Vorbilds mit Herrschaft für unvereinbar. (https://de.wikipedia.org/wiki/Machiavellismus). Er schrieb ungewollt ein Lehrbuch, wie man zur Herrschaft gelangt und wie man sie sich bewahrt. Als die Kluft zwischen Herrschern und Beherrschten im Absolutismus zu groß geriet, sollten sich Aufklärer wie Lessing, Hobbes oder Rousseau für die Aufklärung in Westeuropa erweisen. Dass es im Osteuropa weitgehend so blieb wie es immer war, trägt heute zur Heterogenität der EU bei, die sich auch gerade selbst abschafft und am Gängelband der USA hängt.

Alle modernen laizistischen Staatenmodelle gehen auf die Aufklärung zurück, die wiederum Anleihen von Machiavelli (Renaissance) nehmen. Von Montesquieu („Der Geist der Gesetze“) stammt die Überlegung, Regierung und politisches Handeln in Abhängigkeit von Klima, Größe eines Landes, Topografie und Mentalität zu gestalten. Er fand dabei die idealen Voraussetzungen in England und der Aquitaine, aus der er stammte vor und votierte für Mäßigung (Limitation) der Regierungsvollmacht bzw. Regulierung ihrer Dauer, Gewaltenteilung (erster Vordenker ist Jean Bodin) und parlamentarische Monarchie. (https://www.geschichte-abitur.de/staatstheorien-der-aufklaerung/montesquieu-gewaltenteilung).

Spätestens seit diesem Zeitpunkt war die absolute Herrschaft von Gottes Gnadentum abgelaufen und der Mensch für sein Handeln, aber auch seine Herrscher mitverantwortlich. Der Einzelne war aufgerufen, selbst Philosoph zu sein. Das aber ging, wie wir wissen, gründlich schief. Der gewöhnliche Mensch und insbesondere der deutsche Beamte gleichen eher einem Büffel, der die Straße versperrt als einem Kamel, das durchs Nadelöhr sich zwängt.

Foto Belinda Helmert, Stier-Straßenblokade samt Mann, der auf Einnahmen von Autofahrern hofft, Pinar del Rio, NWCuba

Apotheose

Alle Weltreligionen stammen aus der Wüste. Daher bilden die nicht-europäischen Kontinente fundamentale Quelle spiritueller Bewegungen. Spinoza hielt beide Bereiche, die Welt und Gott für untrennbar miteinander verbunden, dennoch wies er auf die unterschiedlichen Prinzipien von Religion und Glaube einerseits und Philosophie und Politik andererseits hin. Das Erste fordert Liebe und Hingabe, bisweilen Demut und Unterwerfung vom Menschen, das andere aber Wille, Durchsetzungsvermögen, Wissen und Diplomatie. Dostojewski verweist in seinem „Großinquisitor“ (Teil des Romans „Die Brüder Karamasow“) darauf, dass die Menschen Brot anstelle Freiheit wählten und sich freiwillig dem Joch unterwarfen. Sie zogen es vor, an Wunder zu glauben, scheuten die Verantwortung und vergötzten wahlweise Menschen, Geld oder die Macht an sich.

Foto Bernd Oei, Jordanien, Wüste Wadi Rum, Südwesten Jordaniens, Felsenbrücke Umm Fruth in 15 m Höhe

Jahrtausende hat der gemeine Mensch herausragende Führer wie Pharaonen, Könige und Kaiser vergöttlicht, bisweilen die Götter vermenschlicht und für Transparenz zwischen dem Olymp und dem Parnassos gesorgt. Die Heldenverehrung ist keineswegs mit oder in der Moderne ausgestorben. Dass die Welt Gottes oder der Polytheismus – wir wollen nicht unterschlagen, dass die überwiegende Mehrzahl großer Kulturen wie die Majas, Azteken, Ägypter, um nur einige zu nennen – viele Götter unter einem Dach vereinte, prägnant zugespitzt die Religion weltliche Belange beherrschte und bis ins 20. Jahrhundert beeinflusste, darf ebenso wenig unterschlagen werden wie die Tatsache, dass die religiösen Machthaber, u. a. Päpste und Kardinäle immer auf der Seite der Mächtigen standen und dem Konservatismus pflegten. Diese Heldenverehrung hält bis heute vor.

Rechtfertigung vor Gerechtigkeit

Das gilt auch für die Rechtfertigung von Gewalt und Krieg, nicht nur gegenüber den erklärten Willen und primitiven Völkern. Das Unrecht beginnt für Christen im Alten Testament mit einem rächenden Gott auch wenn das Neue Testament Liebe und Versöhnung lehrt, so handelten und handeln bis heute zahlreiche Gläubige nicht nach diesem Gebot. Auch den Einfluss des Islams, der an dieser Stelle deutlich vom Terrorismus und so genannten Fundamentalismus zu trennen ist, hat nachweislich die Politik geprägt. Ideologie erweist sich als Nährboden für Verbrechen. Derzeit steht Deutschland ein Trümmer-Winter bevor.

Foto Belinda Helmert, bewohnte Ruine im Hafenviertel von Havanna, Cuba (https://www.kubareisen.ch/Hotels/Havanna)

De Sade, Schiller und Kant

Dennoch lassen sich Einwände gegen die historischen Argumente finden, dass Philosophie und Politik untrennbar verbunden sind. Es mag viele überraschen, dass die Zeitgenossen de Sade, Schiller und Kant hier in einem Atemzug genannt werden müssen. De Sade aufgrund seines Atheismus, seiner rigorosen Umsetzung der Politik des Stärkeren, aber auch seines Anarchismus bedeutsam, aus dem sich u. a. der als Sozialdarwinismus populäre Spencerismus entwickelte. In ihr wird das Naturgesetz inklusive der Lehren Darwins auf den Menschen transformiert.

Der entscheidende Satz von De Sade (der viel Kluges gesagt hat) lautet: „Verbrecher werden immer von Verbrechern eingesperrt.“ Aufgrund der ekstatischen Mordlust, die in allen Kriegen und Revolutionen Begünstigung erfährt, erkannte er den Schrecken (Terreur) im Namen der Staatsraison, entlarvte die satanische Lust am Bösen, die sich im Kleid der Tugend tarnt. Zudem erkannte er den gesellschiflichen Mehrwert des Laster, analog zu Mandelvilles „Bienenfabel“. Für de Sade ungewollte Folgen daraus waren Rassismus und Imperialismus auf der Grundlage chauvinistischer Überlegenheit der Weißen gegenüber den Einheimischen. Was ebenso daraus folgt: Wer sich der Autorität des Staates blind ergibt, erleidet Totalschaden. Schließlich überlässt man das Bremsen auch nicht dem Tüv.

Foto Belinda Helmert: Havanna, jedes Teil wird gebraucht und wiederverwendet. Recyling auf kubanisch

Schiller glaubte über Kunst, Bildung und Erziehung den Menschen läutern und zu einem geselligeren Wesen erziehen zu können. Daraus entwickelten sich ohne sein Zutun Liberalismus und anti-autoritäre Erziehung bis hin zum heutigen Gender-Anspruch, der mit Regenbogenfarben unbewusst auf die Flower-Power und die Hippy-Generation erinnert. daraus ableitete und den Herrenmensch damit legitimierte. Seine Theorie der drei Triebe, die durch den Spieltrieb vereinigt und transformiert werden, steht ungewollt Las Vegas Pate. Divide et impera nannten es die Römer, als drittes kam panem et circenses hinzu.

Foto Belinda Helmert, Mural del Prehistoria, Felsenmalerei bei Vinales Nordwestcuba
(https://www.holidaycheck.de/pi/felsmalerei-mural-de-la-prehistoria/0aeb7515-216e-321b-8221-f8e0188bdbde

Inspiriert von Rousseau schloss Kant auf eine gemeinsame, alle Bildung, Rassen und soziale Herkunft oder kulturelle Einbettung vorausgehende und grundsätzliche Gemeinsamkeit des Menschen zu handeln. Auch wenn im Grunde schon Aristoteles auf die Besonderheit des zoon politicon verwies, dass Menschen ihre Um- und Mitwelt, aber auch ihre Innewelt beständig transformieren und dies hauptsächlich über Gemeinschaftsarbeit, so blieb es ihm vorbehalten, unser Handeln auf einen verbindliche staatspolitischen Kodex zu stellen, der aus must be (DefinitivarartikelI und no go (Präliminarartikel) Regeln besteht. Nachzulesen in „Zum ewigen Frieden.“

Dort wird, wie in Rousseaus Schrift „Über den Ursprung der Ungleichheit zwischen den Menschen“ deutlich gemacht, weshalb Philosophie (Moral, Gesinnung, Gewissen) und Politik (Erfolg, Recht und Macht) selten konvergieren und in Prinzipienstreit geraten.

Philosophische Narren in der Politik

Dass auch kluge Philosophen wie Feuchtwanger oder Sartre auf linke Abwege gerieten und Stalin verehrten wie Heidegger oder Benn scharf rechts abbogen und Hitlers Charisma bewunderten, geschenkt. Die heutige Situation dokumentiert nachdrücklich, das weder Politiker sonderlich vertraut mit Ethik noch Intellektuelle humanitär oder nach humanistischen Prinzipien handeln. Schlimmer noch, das Versagen der Intellektuellen erscheint heute kollektiver Natur und ist noch weniger durch eingeschränkte Information (Quellendefizit) oder gar Unkenntnis zu erklären, gar zu entschuldigen.

Es gab sie schon immer. Die Kriegseuphorie eines Hofmannsthal und den unverstellten Arierkult bei Hamsun, um wiederum nur zwei von unzähligen Poeten zu nennen, die Weltruhm genießen und doch auf schäbigen niedersten politischen Niveau agierten Wo sind die Vorbilder, denen man nach ihren klugen witzigen Essys noch trauen könnte? Die klugen witzigen Essays sind rar geworden und die Autoren noch egozentrischer, noch weltfremder, noch zynischer, wie es scheint. Das Kabarett hat es schwer, denn die Realität hat die Satire ein- und überholt. Der Fisch stinkt von oben.

Foto Belinda Helmert: blauer Marlin, Inspiration für Hemmingways „Der alte Mann und das Meer“ in einem Vorort Trinidads, Provinz Sancti Spiriti, Südküste Cubas

Trotz allem: die Nobelpreisträger oder Pullitzer-Gekrönten bilden doch nur die Spitze des Eisbergs. Viele sind sich bis in den Tod hinein keiner Schuld bewusst. Robespierre und Savonarola waren gewiss ein Ausbund an Tugend und voller guter Absichten, als Massenmord anordneten, der quantitativ nur deshalb an Stalin und Hitler nicht heranreichte, weil die technischen Möglichkeiten der Tötungsmaschinen fehlten. Verbrennen und Guillotinieren ist nicht effektiv genug. Auch Mao soll ein Bewunderer Konfuzius und der Haltung des Edlen gewesen sei, was ihn von Säuberungen im Dienst der Revolution nicht abgehalten hat. Ob er jedoch zu den Philosophen zu rechnen ist, bleibt Ansichtssache und Frage der Anforderung an die Philosophie.

Bei näherer Betrachtung haben selten Philosophen Gutes bewirkt und vernünftig gehandelt, wenn sie ein Regierungsamt innehatten. Die arbiträre Position eines Mediators suchten sie selten, wie das Beispiel des einflussreichen Erasmus von Rotterdam dokumentiert, der Luther, Zwingli, Calvin das blutige Feld der Religionskriege überließ. Manche wollten sich nur vom Ränkespiel fernhalten wie Morus oder Bruno und bezahlten ihren Widerstand gegen die Staatsgewalt oder das Papsttum mit ihrem Leben. Andere mischten sich wider besseren Wissens ein wie Trotzki und gerieten zwischen die Mahlsteine der Vernichtung – zuerst töteten sie selbst, dann wurden sie, fern der Heimat, gemeuchelt. Wieder anderen gelang es nicht, die eigene Lehre zu leben, wie Nietzsche, Heine oder Hölderlin exemplifizieren.

Malstrom der Geschichte

In zugespitzter Polarisierung, dem Malstrom der Geschichte, standen sich auch Camus, der Einsame und Sartre, der Parteigänger gegenüber. Camus übernahm de Sades Gesinnung, der erste Grund für die Abschaffung der Todesstrafe liege in der Entlegalisierung des Mordes und der Enttarnung des religiösen Prinzips der Rache, der  zweite Grund für die Abschaffung der Todesstrafe liegt darin, dass diese nie das Verbrechen verhindert hat, sondern es auf dem Schafott sogar begünstige. Er ist politisch, natürlich, ein unpolitisches Handeln ist nicht mehr möglich, sofern man öffentlich agiert oder sich positioniert. Doch zugleich wird deutlich: nicht Tugend fordert die Politik von uns, sondern nur Gehorsam. Nicht den mündigen Bürger will die Partei, sondern einen Gefolgsmann. Das Prinzip der freiwilligen Knechtschaft basiert auf vorauseilenden Gehorsam. Beides ist heute wieder aktuell. Zuschauen, Weghören, Mitmachen, Marschieren, Hoffen, dass es einen selbst nicht trifft. Der Staat macht und der Wähler lässt machen. Sich auf Augenhöhe zu begegnen ist nicht immer einfach – das erfordert Mut und Bereitschaft, Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen.

Foto Belinda Helmert, Havanna, Cuba: Diskussion zwischen Ungleichen

Wenn wir uns verstellen und ducken, wenn wir ein genormter Mensch mit staatgewollter DNA sind wissen, entgehen wir dem Malstrom vielleicht. Das ist der Trugschluss der Nation. Bis zuletzt glaubt der Bürger, das Ganze müsse doch einen Sinn haben. Er vermutet einen Plan oder gar eine Idee hinter der Regierung. Doch wie es gibt Ideen ohne Sinn oder aber das Absurde hat seine eigene, menschenvernichtende Logik. Was, wenn der Staat die demokratischen, die freiheitlichen und liberalen Gewinne, über harte Kämpfe der Geschichte abgerungen, wieder rückgängig machen will? Was, wenn den Parteien das Mitbestimmen nicht gefällt und er gerne den abgelenkten, den isolierten und den egoistischen Menschen sieht, der zu gemeinsamen Handeln unfähig ist? Derzeit scheint alles auf eine neue Rudel- und Lagerbldung hinauszulaufen: die Denkenden und die sich der Merheit anschließenden, die Wölfe und die Schafe. Wenn daraus nur keine Kultur der Lemminge wird…

Foto Belinda Helmert: Tappas-Bar an der Küste vor Trinidad mit Spruchband auf der Plane
Übersetzung: ein Kamel hält einige Tage ohne Essen und Trinken aus – Ein Mensch isst und trinkt und weiß nicht, dass er ein Kamel ist

Lässt sich der Mensch entweder von Selbstliebe (Glücksstreben) oder von reiner Pflichterfüllung (dem Staat, der Religion, einer Idee gegenüber) beherrschen, ist er nicht mehr freier Herr seiner Entscheidung. Er muss folglich der Politik von Zeit zu Zeit hic et hoc skeptisch gegenübertreten, um im vollen Maß politisch handlungsfähig zu bleiben. Derzeit scheint es, als ob wir wieder von allmächtig handelnden Politikern uns vor den Pflug spanen lassen und das Joch der Bevormundung nicht nur tragen, sondern mit Freuden der Pflicht erfüllen. Armes Deutschland, quo vadis?

Foto Bernd Oei, Wie der Ochs vorm Pflug, Vinales, NW Cuba, Kaffeplantage

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